Wenn die Nacht nur schwarz ist

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Andreas

Beitragvon Andreas » 24.09.2007, 16:33

Bisher inspirierten mich immer die Nächte, die Scheinwerfer der PKWs, die gurrenden Tauben und auch die rolligen, fauchendenKatzen. Bisher war aber nicht heute,Ja, bisher. Aber heute brachte nicht einmal das erleuchtete Fenster auf der anderen Seite des Bahndamms brachte ein Wort hervor. Die Nacht war stumm und ich war taub, eine Schnittmenge, die Sehende zu Blinden machte und den Dichter zum Einfaltspinsel. Selbst das quietschende Fahrrad, das die Stille meines Balkons durchschnitttrennte, hatte nicht einmal einen Paarreim dabei. Verrückt, wo mir doch sonst selbst das unsichtbare, allgegenwärtige Unkraut die mannigfaltigsten Sonette zuflüsterte.

Ich stand auf, geklammert an die kalte Brüstung des Geländers und reckte die Arme gen Himmel, tat mit aufeinander gepressten Lippen einen Schrei durch die Nacht, der zwischen den Sternen wie die Kugel eines Flippers abprallte und mir außer einem "Tilt" nichts weiter bescherte. Ernüchtert, nicht nüchtern vom unkommunikativen Rotwein, legte ich den Kopf auf das Papier, den Bleistift wie einen Säbel in der Hand umklammert.

Und als irgendwann mein Arm herabsackte, durchtrennte der Säbel den Mummenschanz und die Nacht auf dem Papier erwachte zu Leben während ich schlief.

:neutral:
Zuletzt geändert von Andreas am 28.09.2007, 13:50, insgesamt 4-mal geändert.

Herby

Beitragvon Herby » 25.09.2007, 01:33

Hi Andreas,

das ist eine gelungene Momentaufnahme der Befindlichkeiten und Gewohnheiten einer Schreiberseele, die ich als Nachteule gut nachempfinden kann.

Nur mit zwei Punkten hab ich noch Schwierigkeiten: gurrende Tauben bei Nacht? Wir haben hier viele in der Umgebung, aber die höre ich, wenn überhaupt, nur bei Tagesanbruch. Auch zur Zeit, immerhin tiefe Nacht, gurrt um mich herum nix.

Und dann der Mummenschanz, den bekomme ich von seiner Bedeutung her nicht in den Kontext des Bildes eingeordnet. Aber vielleicht ist ja die Nacht zu schwarz und mein Geist zu träge. ;-)
Darum sag ich jetzt besser mal gute Nacht!

Liebe Grüße
Herby

Andreas

Beitragvon Andreas » 25.09.2007, 10:37

Hallo Herby,

'ne schöne jrooß vom Niederrhein nach Kölle.

Als Bewohner einer Dachgeschoss Wohnung, der gerne im Sommer, der ja dieses Jahr wegen "Ist nicht" ausfiel, auch mal auf dem Balkon schläft, kann ich dir vergewissern, dass Tauben auch in der Nacht Geräusche von sich geben. Während es tagsüber bzw. im Morgengrauen häufig dieses ewig montone "gu gu, guuuu" (sorry, konnte es nicht passender "taubisieren") ist, ist es des Nachts, wenn die Tauben das Hausdach als Heimdomizil auserkoren haben eher ein leises Gluckern (wobei es wirklich sehr still draussen sein muss und man ein äußerst sensibles Gehör haben muss). Gurren ist somit als Ausdruck tatsächlich falsch, eine Geräuschkulisse existiert allerdings sehr wohl.

Mummenschanz, also eine Maskerade, hat die Nacht getragen. Sie war zwar da, aber sie hat sich für mich, den hilflosen Dichter, verschleiert, mir keine Inspiration gegönnt. Erst als ich eingeschlafen bin und auch mein letztes Handwerkszeug, der Bleistift, herabsinkt, gibt sie sich wie sonst üblich zu erkennen - leider nicht mehr für mich.

Ich hoffe, dass ich damit ein wenig zur Aufklärung beitragen konnte.

Viersener Grüße
Andreas

Gast

Beitragvon Gast » 25.09.2007, 11:40

Hallo Andreas,

mir gefällt dein Textstückchen auch.
Könnte man nicht auch sagen, dem Dichter täumt es, dass sich sein leeres Blatt nun füllt, ohne sein Zutun?
So hatte ich es mir erklärt.
Mit den "Flugratten" ;-) das ist ja interessant, dass sie auch nachts nicht die Schnäbel halten.

Liebe Grüße
Gerda

eine Düsseldorferin, die mal in Kaarst gelebt hat und sei Anf. der 90ziger im Taunus glücklich ist ;-)

Andreas

Beitragvon Andreas » 25.09.2007, 11:49

Hallo Gerda, Ex-Düsi,

in Düsseldorf verdiene ich Tag für Tag (nähe Hbf) mein Geld, bin also Pendler.

Was du anführst, dass sich das Blatt ohne Zutun füllt, ist eigentlich kein "auch", sondern ein "sowieso". Die Nacht erwacht auf dem Papier zu Leben heisst das ja eigentlich auch, sie könnte sogar seitenweise Blätter füllen. Trotzdem bleibe ich hilflos, weil ich sie nicht mehr festhalten kann.

Liebe Grüße
Andreas

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.09.2007, 13:07

Hallo Andreas,

gefällt mir, dein Einblick in das Schreiberdasein. Ja, so geht es einem. Gemein das,-)

Hier:
Bisher war aber nicht heute


finde ich es ein bisschen holprig.

Hab deine Zeilen gern und amüsiert gelesen,-)
Saludos
Mucki

Andreas

Beitragvon Andreas » 25.09.2007, 13:51

Hallo Mucki,

ja, du piekst da ein wenig in eine unschöne Textwunde. Dieser Teil ist wirklich kein Glanzstück. Ich wollte nochmal Bezug auf das einleitende "Bisher" nehmen, dass eben dieser mir sonst eher vertraute status quo eben nicht "heute" zutrifft. Einfach zu schreiben (in etwa)

"Heute war alles anders"

erschien mir irgendwie zu inkompatibel. Hast du oder hat jemand anders der geneigten Leser hier vielleicht einen Alternativvorschlag, der mit oder notfalls ohne "bisher" diese Passage ersetzen könnte?

Liebe Grüße
Andreas

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.09.2007, 13:58

Hallo Andreas,

ja, du piekst da ein wenig in eine unschöne Textwunde.


So muss es sein! *fg*

Bisher war aber nicht heute, nicht einmal das erleuchtete Fenster auf der anderen Seite des Bahndamms brachte ein Wort hervor.


Schreib doch einfach:

Ja, bisher. Nicht einmal das ....

oder

Ja, bisher. Aber heute brachte nicht einmal das erleuchtete Fenster auf der anderen Seite des Bahndamms ein Wort hervor.

Saludos
Mucki

Andreas

Beitragvon Andreas » 25.09.2007, 14:42

... und du schüttelst das einfach so aus der Hand. :(
Ich nehme die 2. Version.

Vielen, lieben Dank
Andreas

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.09.2007, 14:57

Hallo Andreas,

.. und du schüttelst das einfach so aus der Hand. :(
Ich nehme die 2. Version.


Nachdem meine Gehirnzellen sich von deinem schrägen Krimi wieder sortiert hatten, musste ich gar nicht schütteln, nur rühren :mrgreen:
Fein, dass du es übernimmst,-)
Saludos
Mucki

Edit: Da ist noch ein Wort zuviel am Ende des Satzes (brachte)

pandora

Beitragvon pandora » 25.09.2007, 17:54

hallo andreas,

da wir noch nicht das vergnügen hatten: herzlich willkommen hier im salon.

auf den ersten blick gefällt mir deine momentaufnahme.
wenn ich allerdings genauer hinschaue (hinlese!), fallen mir etliche sprachliche ungereimtheiten auf, die mein lesevergnügen trüben:

Bisher inspirierte mich immer die Nacht, die Scheinwerfer der PKWs, die gurrenden Tauben und auch die rolligen, fauchenden Katzen.

> hier überlege ich, ob der satzbau stimmt. ich bin nicht sicher. das prädikat "inspirierte"´scheint nicht zu den scheinwerfern, den tauben und den katzen zu passen.

Die Nacht war stumm und ich war taub, eine Schnittmenge, die Sehende zu Blinden machte und den Dichter zum Einfaltspinsel. Selbst das quietschende Fahrrad, das die Stille meines Balkons durchschnitt, hatte nicht einmal einen Paarreim dabei.

> stumm, taub, blind. ein ziemliches durcheinander. wer ist nun was?
die nacht ist stumm. das lyrICH taub. aber sehen können beide? ist das lyrICH gleichzeitig der dichter?
der wortstamm SCHNITT taucht zweimal auf. ("schnittmenge" / "durchschnitt") könnte man "durchschnitt" ersetzen? "durchtrennte" eventuell? oder ist die dopplung gewollt?
ausgesprochen schön finde ich, dass von nun ab den geräuschen der nacht literarische genres zugeordnet werden.


Verrückt, wo mir doch sonst selbst das unsichtbare, allgegenwärtige Unkraut die mannigfaltigsten Sonette zuflüsterte.

> "unsichtbar" und "allgegenwärtig" scheinen sich zumindest im landläufigen sinne auszuschließen. ob "mannigfalig" ein gutes attribut für die sonette ist, weiß ich nicht.

Ich stand auf, geklammert an die kalte Brüstung des Geländers und reckte die Arme gen Himmel, tat mit aufeinander gepressten Lippen einen Schrei durch die Nacht, der zwischen den Sternen wie die Kugel eines Flippers abprallte und mir außer einem "Tilt" nichts weiter bescherte. Ernüchtert, nicht nüchtern vom unkommunikativen Rotwein, legte ich den Kopf auf das Papier, den Bleistift wie einen Säbel in der Hand umklammert.

> wenn jemand die lippen aufeinanderpresst, wird er kaum einen ton von sich geben können. oder?

liebe grüße
pan

Andreas

Beitragvon Andreas » 26.09.2007, 11:46

Hallo pandora,

schön, dich auch kennenzulernen. <winkt> Ich möchte versuchen, deine Anmerkungen der Reihe nach abzuarbeiten und hoffe, dass ich etwas zur Klärung beitragen kann.

> hier überlege ich, ob der satzbau stimmt. ich bin nicht sicher. das prädikat "inspirierte"´scheint nicht zu den scheinwerfern, den tauben und den katzen zu passen.

Inspiration zu erhalten, zu was auch immer, ist ein ziemlich komplexer und dennoch furchbar einfacher Vorgang. Vor allem aber ist er spontan und manchmal sogar ganz banal. So wählte ich auch meine obigen Beispiele, die mir theoretisch Anstösse verliehen und verleihen könnten. Es hätten ebenso gut auch z.B. solche Sachen sein können wie blinkende Leuchtreklame, betrunkene Schützenfestheimkehrer, getunte, laute Motorroller usw. Will sagen, dass jeder Schreiberling seine Inspiration anders bezieht, manchmal aus den kleinsten und unspektakulären Dingen. Daher passt es in meinen Augen durchaus.

> stumm, taub, blind. ein ziemliches durcheinander. wer ist nun was?
die nacht ist stumm. das lyrICH taub. aber sehen können beide? ist das lyrICH gleichzeitig der dichter?
der wortstamm SCHNITT taucht zweimal auf. ("schnittmenge" / "durchschnitt") könnte man "durchschnitt" ersetzen? "durchtrennte" eventuell? oder ist die dopplung gewollt?
ausgesprochen schön finde ich, dass von nun ab den geräuschen der nacht literarische genres zugeordnet werden.

a) SCHNITT, ja, das ist ein guter Einwurf. Ich denke, dass ich das nach diesem Kommentar abändern werde und "durchtrennte" nehme. Danke.
b) die Nacht ist insofern stumm, dass sie scheinbar nicht mit dem LyrICH, dem Dichter, spricht und/oder das LyrICH, der Dichter ist taub, dass er es nicht zu vernehmen mag, weil die Nacht entweder gar nicht spricht, scheinbar nicht spricht oder vielleicht zu leise spricht. Ja und natürlich sind auch beide durchaus "Sehende". Der Dichter nimmt die Nacht wahr, die Nacht den Dichter. Im Grunde ist es ein Dialog, der in jeder normalen Nacht, aus der man inspirativ etwas mitnehmen kann, stattfindet. Findet allerdings keine Kommunikation miteinander statt (ich schliesse Gebärdensprache mal aus), dann sieht man zwar de fakto das Gegenüber, ist aber trotzdem blind, weil weder verbal noch optisch irgendwelche Nachrichten zu empfangen sind. Ergo Dichter = taub & blind, Nacht = stumm & blind. Das ist vielleicht nicht 100% nachvollziehbar, aber das ist meine Interpretation der Sinneswahrnehmungen in Nächten, wo einfach gar nichts passiert. Ich glaube, dass ich nicht in Anspruch nehmen kann, dass das jeder so nachempfindet, wäre aber dankbar, falls es doch für mich als emotionales Element erhalten bleiben kann.

> "unsichtbar" und "allgegenwärtig" scheinen sich zumindest im landläufigen sinne auszuschließen. ob "mannigfalig" ein gutes attribut für die sonette ist, weiß ich nicht.

Ich denke schon, dass mannigfaltig ein gutes Attribut für Sonette ist. Natürlich sind Sonette nicht die Krönung lyrischen Schaffens, aber gegen einen alleinstehenden einfachen Paareim oder auch Kreuzreim ist ein Sonett schon ein Qualitätsprodukt. Das unsichtbare, allgegenwärtige Unkraut finde ich ebenfalls sehr schlüssig. Ich kenne ja sehr gut die unmittelbare Umgebung meines Hauses, ich weiss, dass es da ist, kann es aber des nachts nicht sehen.

> wenn jemand die lippen aufeinanderpresst, wird er kaum einen ton von sich geben können. oder?

und mit Händen, die an das Geländer geklammert sind, kann man auch die Arme nicht ausstrecken. Oder etwa doch? Ich möchte das gerne als Kommentarsplitter so stehen lassen, pandora, und sagen, dass es sehr wohl geht. Hast du niemals laut geschrien und doch keinen Ton von dir gegeben? :)

Liebe Grüße zurück
Andreas

pandora

Beitragvon pandora » 26.09.2007, 12:07

hallo andreas,

und danke für deine erläuterungen. einige kann ich nachvollziehen, andere nicht. auch für die zukunft: bitte verstehe alle meine anmerkungen als einen sehr subjektiven eindruck. nimm dir, was du gebrauchen kannst. wenn du nichts gebrauchen kannst, ist es auch ok.

beim ersten punkt hast du mich leider missverstanden. ich glaube, ich hatte mich unkorrekt ausgedrückt. mir ist schon klar, dass scheinwerfer, tauben und katzen als inspirative momente beschrieben werden. das ist logisch! mir ging es lediglich um die syntax.
ich kann mich immer noch nicht ganz deutlich ausdrücken, aber irgendetwas scheint mir unstimmig an deinem satz Bisher inspirierte mich immer die Nacht, die Scheinwerfer der PKWs, die gurrenden Tauben und auch die rolligen, fauchenden Katzen.
"inspirierte mich die nacht" ist ok, aber wenn ich das prädikat auf die anderen subjekte (?) beziehe, hauts nicht mehr hin. "inspirierte mich die scheinwerfer, die gurrenden tauben und auch die rolligen, fauchenden katzen."
verstehst du, was ich meine?

lg
p

Andreas

Beitragvon Andreas » 26.09.2007, 12:16

Hallo pandora,

ich nehme grundsätzlich alles.

Ja, nun verstehe ich sehr wohl. Du meinst also die Verbindung Verbform "inspirierte" zum Singular / Plural der folgenden Aufzählung. Das habe ich so gar nicht gesehen, aber das ist in der Tat etwas krumm.

Bisher inspirierte mich immer die Nacht, die Scheinwerfer der PKWs, die gurrenden Tauben und auch die rolligen, fauchenden Katzen.


Etwas schönes zur Verbesserung fällt mir gerade nicht ein, werde aber da nochmal dran basteln.

Liebe Grüße
Andreas


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