

Aber dennoch ein bisschen Liebe enthält. Da ich am Sonntag eine Geschichte vorlesen möchte und die früheren lieber für mich behalte, würde ich mich sehr freuen, wenn sich bis Morgen ein oder zwei Kritiker hierzu äußern könnten

Ich weiß, es ist sehr kurzfristig, aber vielleicht ist sie ganz schlimm und ich weiß es noch nicht!
Vielleicht noch schlimmer als die letzten Gedichte

Ich danke jedenfalls schon einmal für die Aufmerksamkeit, Erwin ebenfalls:

Die weiße Stadt Lorama lag abgeschnitten von der Welt und sah für die fliegenden Möwen wie ein Nest voller Perlen aus. Die Perlen wurden von hellen Pagodendächer, Mauern und Plätzen gebildet, umsäumt von einem Nest aus Pinienwäldern.
In diesem weißen Nest gab es nur einen einzigen Fleck nahe der Küste. Es war der „rote Palast“ des Königs, der auf die Vögel wirkte wie ein einzelnes, blutendes Küken inmitten der weißen Glanzpunkte.
An diesem Sonntag feierten die Loramer ein Fest zu Ehren ihres Gottes Koridos. Dieser hatte am Anfang der Welt, so stand es geschrieben, einen gewaltigen Fehler in seiner Schöpfung bemerkt, der nicht mehr rückgängig zu machen war. Er hatte den „Gegensatz“ auf die Erde gebracht.
Aus Trauer und Schmerz über seine eigene Unzulänglichkeit und im Wissen über das Verderben, das er damit bewirkt hatte, vergoss der Gott eine einzelne Träne, aus welcher das loramische Meer entstand.
Doch die Loramer, ein genießerisches, argloses Volk, kümmerten sich wenig um ihre alten Sagen. Es war den meisten mehr am Fest gelegen, als an seiner Vorgeschichte – Das war so wie bei jedem guten Volkslied in Lorama: Man wollte nicht wissen, wer es erdichtet hatte – und so kamen die Berühmtheiten des Landes, Musikanten, Schreiber, Gelehrte und Generäle mit ihren Frauen auf den bunt geschmückten Hof des Königs Tion.
Der mit beigem Marmor geflieste Terrasse leuchtete im Schein der gelben Fackeln und an den Akazien, die ihn umgaben, hatte man hunderte von gläsernen Tränen aufgehängt. Die Glastränen schwankten in der leichten Meerbrise hin und her, während sich in ihnen die lachenden, diskutierenden, speisenden und manchmal küssenden Gesichter spiegelten.
„Auf Koridos!“, rief der Hofmusikant und man stieß die blauen Kristallgläser aneinander. König Tion reichte seiner Frau eine Schale mit Mandeln und rieb sich die Reste des Weißweines von seinem kurzen, grauen Bart.
„Es ist spät, Tion.“ flüsterte die Königin und zog ihre hohe Stirn in Falten, wobei sich ihr schwarzes Haar hinter dem Ohr löste und nach vorn fiel.
„Aber das Bankett hat gerade erst begonnen. Gefällt es Dir nicht?“
„Doch, es ist wundervoll. Aber die Sonne hat mich heute ermüdet… Wo warst Du heute den ganzen Mittag lang? Die Fischer haben heute einen Octopus mitgebracht…“
"Aha!? Mm, was kommt denn heute im Fernsehen?"
Die Königin beantwortete diese Frage mit einem langen Schweigen und zog es vor die Mandelschale traurig und genüsslich zu leeren.
Während das Königspaar also über den vergangenen Tag und sein einziges Geschenk, die Müdigkeit, diskutiert hatte, legte der Hofmusikant an seinem Pult die beliebtesten Platten auf.
Einige Paare begannen zu tanzen und andere fingen schließlich, im Rausch des Festes, damit an heimlich ihre Partner zu tauschen. Die Nacht füllte sich langsam wie eine Karaffe mit Lustgefühl und Musik, sodass niemand der Anwesenden den kleinen weißen Schaumfleck auf einer der Akazien bemerkte.
Die Morgensonne brannte bereits sehr heiß auf die Stirn des Königs. Als wäre die Sonne eine große, gelbe Spinne, die ihre Lichtfäden durch die engen Gassen hindurch verknüpfte, um am Ende die gesamte Stadt zu umspannen und zu fressen.
König Tion (deshalb mit einer Sonnenbrille) stieg an der leeren Strandpromenade in sein anthrazitfarbenes Cabriolet ein. Seinen Leibwächtern hatte er für den Vormittag frei gegeben und nun traten seine Sandalen abwechselnd auf das Gas- und Bremspedal. Lange fuhr er am Meer, an den Olivenplantagen, Lichtnussbäumen und an der Macchia entlang, bis er an der weißen Höhle ankam. Die weiße Höhle war ein vom Meer ausgespültes Versteck im Felsgestein am äußersten Rand der loramischen Küste. König Tion schaltete sein Mobiltelefon aus und betrat die Höhle. Es war ihm schwindlig von den Träumen der letzten Nacht und von den Gespenstern seiner Tagesgedanken, sodass er sich trotz der kühlen Höhle den Schweiß von der Stirn strich. Ungeduldig starrte der König auf seine silberne Armbanduhr.
„Wo bleibt sie nur? Es ist schon viel zu spät.“ flüsterte er gerade, als Salia, eine Wäscherin aus seinem Palast, in dem typisch blauen Umhang der Bediensteten in die weiße Höhle herein trat.
Die beiden begrüßten sich, ohne sich zu berühren und setzten sich auf das weiße Felsgestein.
„Salia, ich habe geträumt von Dir. Es jagt mir immer noch Angst ein… ich dachte schon Dir wäre etwas zugestoßen.“
„Aber stößt mir nicht jeden Tag etwas zu?“
„Ich meine etwas Übles…Möchtest Du wissen, was ich träumte?“
Salia strich ihre blaue, dünne Kapuze zurück und sah den König mit erwartungsvollen dunklen Augen an. Der König legte das Gesicht in seine immer noch schweißnassen Hände, als ob er sich damit in die Wirklichkeit zurückholen wollte. Er wandte sich wieder an Salia und streichelte vorsichtig ihren nackten Fuß.
„Es war ein heller Sommertag und ich trat in meinen Garten. Die Kakteen blühten gelb und rosa und der Sand staubte unter meinen Schritten. Von irgendwoher kam der Geruch von gebratenem Fisch und plötzlich sah ich Dich auf der Steinmauer sitzen. Neben Dir lauter bunte Sträuße. Lavendel, Zistrosen, Ginster… Ich sah fort und wieder zurück zu Dir, da waren all die Vasen auf einmal verschwunden, aber ein Strauß des gelben Ginsters stand in Deinem Mund. Mitten in Deinem Mund, als ob Du selbst eine Vase wärst. Dein Kopf war zurück gelehnt und Du sahst so leblos aus. Ich rannte zu Dir und wollte die Blumen aus Deinem Mund nehmen, doch durch meine hastigen Bewegungen fiel eine einzelne gelbe Blüte ab und Du schienst daran zu ersticken. Ich wollte Dir helfen, aber ich wusste nicht wie, Salia. Ich wusste nicht wie. Ich schrie und schrie, aber die Stadt schien ganz leer zu sein. Als ob wir die einzigen Menschen im Land wären.“
Sorgenvoll sah Salia den König an und nahm seine Hand in ihre.
„Wir sollten gar nicht hier sein.“ murmelte der König und wandte seinen Blick an die nass schimmernde Decke.
„Aber wo sollten wir sonst sein, wenn nicht hier?“
„Kein Ort ist der richtige in dieser Zeit. Vielleicht gibt es in einer fernen Zeit die richtigen Orte, aber wir werden sie nicht mehr finden.“
„Aber wir haben unsere Höhle. Sicher sind die Liebenden hier schon seit tausenden von Jahren zusammen getroffen und…“
Der König und Salia lächelten traurig und küssten sich anfangs so vorsichtig, als ob sie aus Pergament wären und jeder Kuss schien eine weitere Frage und noch eine weitere Sorge aus ihren Köpfen zu ziehen…
Der König legte Salia den blauen Umhang zurück auf den nackten, glänzenden Rücken und bemerkte, dass die Höhle sich in der letzten halben Stunde beträchtlich erwärmt hatte.
„Sie werden kommen, Salia.“
„Wer wird kommen?“
„Ich weiß nicht, wer sie sind. Sie werden kommen, aber wir können nicht vor ihnen fliehen.“
„Wovon sprichst Du? Ist das auch ein Traum?“
„Nein.“
-Salia fühlte die Stirn des Königs ab, da sie vermutete, er hätte Fieber oder vielleicht einen Sonnenstich…
„Geht es Dir nicht gut, Tion?“
„Es geht mir nicht schlecht. Ich wollte es Dir erzählen. Ich habe Angst um mich, um Dich, um mein Volk. Ich habe Angst vor ihnen.“
„Wer sind <<sie>> ?“
„Ich kenne sie nicht. Es sind Männer mit schwarzen Westen und sie führen weiße Hunde bei sich, weiße bissige Hunde, denen das Blut aus den Augenwinkeln rinnt. Diese Hunde sind wie Wächter.“
„Was sind das für Geschichten? Bist Du krank, mein König?“
„Das ist immer dieselbe Geschichte. Sie sind schon immer gekommen. Warum sollten sie bei uns eine Außnahme machen?“
„Hast Du sie schon einmal gesehen?“
„Ich habe nur das gesehen, was ich Dir erzählt habe. Von weitem habe ich sie gesehen und mein Vater hat mir früher einmal von ihnen berichtet…“
Der König sah wieder auf seine Uhr.
„Es ist spät, Salia. Es ist schon viel zu spät. Wir müssen gehen.“
„Zusammen?“
„Das geht doch nicht. Was würden die Leute denken, wenn ich meine Wäscherinnen im Wagen umher chauffiere. Ich bin ihr König!“
Mit schweren Schritten stieg König Tion zurück in sein dunkles Cabriolet und raste davon. Wieder an den Olivenhainen, den Nussbäumen und an Zedern vorbei… Doch dieses Mal erkannte er an jedem einzelnen Baumstamm weiße Bälle. Er hielt an einer Kreuzung und sah, dass die Bälle aus Schaum waren. „Vielleicht ein Pflanzenschutzmittel.“ Überlegte der König und fuhr verwundert an den schaumbedeckten Bäumen seines Landes vorbei, bis er seinen Palast erreicht hatte.
Er betrat eilenden Schrittes den beigen Marmorvorhof. Seine Bediensteten hatten aufgehört die Glastränen von den Akazien zu hängen, als der Schaum ihnen in die Augen rann.
„Was ist das für ein Schaum?“ schrie König Tion über den Hof, aber keines der ratlosen Gesichter begann eine Antwort.
„Wir wissen es nicht, Majestät. Im Laufe des Vormittags wurde er immer größer und sehen sie, hier! Er breitet sich schon über die Stufen aus!“
Tatsächlich kroch der Schaum von einer der am Palast stehenden Akazien schon über die Fransen des goldenen Teppichs in Richtung Palasttor.
„Wasser! Schüttet Wasser darauf!“ befahl König Tion.
Man brachte einen silbernen Eimer Wasser herbei und schüttete ihn auf eine schaumbedeckte Marmorfliese, aber der Schaum sog das Wasser nur in sich auf wie ein gewaltiger Schwamm.
„Es hilft nicht, Majestät! Der Schaum nährt sich nur am Wasser!“ Während der König überlegte bewegte sich hinter ihm einer der muskulösen Leibwächter mit kraftvollen Schritten und einer Kettensäge in der rechten Hand auf eine der Akazien zu. Er krempelte die dunkelblauen Ärmel seines Anzugs hoch und warf den Motor mit einem lauten Brummen an. König Tion wandte sich erschrocken um und ehe er noch „Halt!“ schreien konnte, war der Baum auch schon durchsägt.
„Du hättest wohl einen Baum von der Straße nehmen können, Du Tölpel!“ rügte er seinen Leibwächter.
Der König seufzte und gesellte sich zu der kleinen Gruppe von Bediensteten, welche gespannt um den kleinen Baumstumpf herum standen.
„Der Schaum ist weg! Er ist weg!“ jubelte einer der Diener, während man langsam vor Glück zu Lachen anfing.
„Jetzt müssen wir nur alle Bäume des Landes abroden!“, schrie ein anderer.
„Das ist doch Irrsinn!“, bemerkte König Tion. „Wie wollt ihr ohne Bäume leben? Ohne Bäume werden wir ersticken und wir werden kaum noch etwas ernten! Wir werden keine Oliven, keine Mandeln, keine Pflaumen und Feigen mehr sehen! Wir werden kein Holz mehr haben! Wir werden keine Boote mehr bauen! Wohin sollen die Waldtiere gehen? Wohin sollen die Vögel fliegen? Alles Holz, was wir noch haben, wird morsch werden und was dann? Wie könnt ihr Euch bloß freuen? Ihr werdet ersticken an eurem Lachen!“
Das Gelächter legte sich so schnell wie ein Sommersturm, obwohl es weniger durch die Rede des Königs, sondern vielmehr von einem neuen weißen Schaumfleck in der Mitte des Baumstumpfes getrübt wurde.
„Seht mein König, der Schaum kommt zurück!“
König Tion seufzte erneut und sah auf die weiß bedeckte Akazie am Boden des Vorhofes. Sie lag da wie die tote Lofina (eine weitere Sagengestalt der Loramer) nachdem sie im verbotenen See des Schweigens gebadet hatte.
Aufgewühlt und voller Sorgen um sein Land eilte König Tion in seinen Palast. Man öffnete ihm die hohen Türen und schnitt ihm schließlich den Weg ab, da sein Diener Perinos ihm ein Telefon reichte.
„Ein Herr, der sie sprechen möchte, Majestät.“
„Ja?“ fragte König Tion außer Atem.
„Wenn Du sie nicht umbringst, geht Dein Land unter!“ hörte er eine raue Männerstimme flüstern.
„Hallo? – Aufgelegt… Wer war das, Perinos? Hat er Dir noch etwas erzählt?“
„Nein, mein König.“
Als König Tion auf seinen Balkon trat, sank sein Kopf unter den schweren Gedanken etwas nach unten und er zündete sich eine Zigarette an.
„Wen soll ich umbringen? Hoffentlich meinen sie nicht Salia… Aber woher sollte…wer auch immer…von ihr wissen? Oder sind sie das etwa? Aber ich dachte sie würden viel später kommen. Ob sie auch etwas mit diesem Schaum zu tun haben? Sicher! Sie werden die Wurzeln angezapft haben. Sie werden sich unter das ganze Land gegraben haben und nun bekämpfen sie mich unterirdisch! So kann sie niemand sehen und doch sind sie da. Unter uns! Sie sind unter uns! – Perinos?“
Der Diener des Königs eilte auf den Balkon.
„Ich glaube, dass dieser Schaum keine Naturerscheinung ist. Ich denke eine Gruppe von unseren Feinden hat die Bäume unterirdisch vergiftet. Ich erhielt vorhin einen Drohanruf, ich solle eine Frau umbringen, sonst ginge mein Land unter. Wir werden bedroht, Perinos. Was gedenkst Du zu tun?“
„Nun, mein König… Es wäre angebracht die Bevölkerung über diese Bedrohung aufzuklären. Sie sollten eine Ansprache halten. Vielleicht über Funk. Die meisten Menschen sind Bauern und besitzen vielleicht nur ein Radio…“
„Aber was soll ich ihnen sagen?“
„Wir werden einen Krisenstab einberufen und dort ihre Rede konzipieren.“
Der König nickte und trat mit Perinos zurück in den Palast, als von einem hohen Akazienast ein kleiner Schaumballen auf seinen dampfenden Aschenbecher fiel und die Glut löschte.
Die Chemiker des Landes trafen im Palast zusammen und versuchten den Schaum mit Säuren, Alkoholen, Pulvern, Stoffen und anderen Essenzen einzudämmen, obgleich nichts davon half die Ausdehnung der weißen Bläschen aufzuhalten.
Währenddessen begab sich der König an ein hohes Holzpult und schaltete das Mikrophon ein. Das grüne Lämpchen blinkte auf und der König nahm seine Rede zur Hand.
„Meine Landsleute, in dieser Stunde befinden wir uns in der wohl größten Krise, die unser geliebtes Land jemals in seiner langen Geschichte erleben musste. Es ist das erste Mal, dass Lorama von feindlichen Mächten angegriffen wird und dies geschieht in einem Ausmaß, das jedem einzelnen von Euch bereits bewusst sein dürfte. All unsere Bäume verströmen einen weißen Schaum, den wir bisher mit keinem Gegenmittel bekämpfen konnten. Auch ist uns nicht klar, ob dieser Schaum eine toxische Wirkung besitzt. Ich warne deshalb alle Bürger Loramas davor ihn zu kosten oder ihre Kinder unbeaufsichtigt in der Nähe von Bäumen allein zu lassen.
Die Chemiker und Gelehrten unseres Landes haben sich bereits in meinem Palast zusammengefunden, damit wir gemeinsam eine Lösung finden werden, um den Schaum einzudämmen. Wir haben außerdem schon erste Anhaltspunkte, welche Männer diese Bedrohung in unser Land gebracht haben und wir werden alles dafür tun, um sie ausfindig zu machen, sie angemessen zu bestrafen und zur Rechenschaft zu ziehen. Denn unser Land ist ein friedliches Land und der Frieden dieses Landes sollte durch keine andere Macht gefährdet werden, als durch die unseres Gottes.
Ich möchte sie, meine Landsleute, darum bitten ihre Fenster und Türen vor dem Schaum zu verbarrikadieren und jede einzelne Öffnung zur Außenwelt zu verschließen. Wenn der Schaum sich noch weiter ausbreiten sollte, müssen wir eine Evakuierung über den Seeweg in Betracht ziehen.
Doch noch sind wir stark und in der Lage, unser geliebtes Land zu verteidigen. Wir werden unseren Frieden mit Koridos Hilfe bewahren und wir werden den Feind bezwingen! Jeder einzelne Loramer ist mit all seiner Tapferkeit dazu aufgefordert seinen Besitz und sein Land vor dem Schaum zu schützen! Möge Koridos unser Land segnen und alle, die es verteidigen!“
Etwas erleichtert schaltete König Tion das Mikrophon ab. Die kleine Gruppe von Bediensteten applaudierte ihm, während sich die Königin ernsten Hauptes durch die jubelnden hindurch drängte. Schnell trat man zur Seite und sie erreichte ihren Mann.
„Ich habe soeben einen anonymen Anruf erhalten, Tion.“
„Du ebenfalls? Ich habe vorhin auch mit einem Mann gesprochen, der –
„Ja, ein Mann hat auch mit mir gesprochen. Er meinte Du solltest die Wäscherin Salia umbringen, sonst würde Dein Land untergehen.“
Der König sah seine Frau erschrocken an und hielt sich unbewusst die Hand vor den Mund, den er so etwas zusammen drückte.
„Es ist ja nur eine einzelne Frau gegen Dein ganzes Land.“ überlegte die Königin.
„Bist Du von Sinnen? Wir haben ein Gesetz und wir haben ebenfalls ein Gesetz Gottes. Wir werden nicht auf diese Verbrecher und ihre Gesetze hören und unsere Untertanen umbringen. Es wird einen anderen Weg geben den Schaum einzudämmen.“
Man sah den König schweigend an und diesem erschienen die fragenden Augen in diesem Moment wie immer weitere Gewichte, die sich auf seine ohnehin schon belasteten Gedanken legten.
Er stürzte hinaus, rannte in die Garage zu seinem Cabriolet und fuhr durch den Schaum an der Küste entlang. Manchmal erschien es ihm fast so, als würde er durch ein Feld von Wolken fahren, als träume er bloß, dass er eine Tour durch den Himmel erlebte.
Aber ab und an sah er die Loramer, wie sie Bretter vor ihre Fenster nagelten und die Türritzen mit Tüchern ausstopften und immer wieder starrten ihn diese hilfesuchenden Augen an, als wüsste er eine Lösung. Als könnte er ihnen helfen und ganz allein den Schaum vertreiben. Als wüsste er, was in seinem Land geschieht. Aber der König wusste nichts mehr. Er dachte an Salia und stellte sich für einen Moment lang vor, ihr ein schmerzloses Gift zu verabreichen, das nach ein paar Sekunden zum Tod führte… Er dachte an die Worte seiner Frau. Ob sie wohl längst von den beiden wusste? Ob sie den Schaum vielleicht nur als äußeren Anlass genommen hatte, um sich an seiner Geliebten zu rächen? Aber das konnte sich König Tion nicht vorstellen.
Die Olivenhaine, Nussbäume und Zedern des Vormittags waren nun nicht mehr als solche zu erkennen, so hatte der Schaum sie eingehüllt. Sein Weiß war durch das Abendrot einem leichten rosa gewichen und dem König flossen die Tränen aus den Augenwinkeln, um anschließend vom Fahrtwind seine Wange entlang gejagt zu werden.
Doch allmählich, um so weiter sich die Bäume von ihm entfernten und umso näher die weiße Höhle kam, wandelte sich seine Trauer in eine Wut auf die Welt. Eine Wut auf die Bäume, auf den Schaum und er flüsterte zu sich: „Sie müssen es sein! Ich wusste, dass sie wiederkommen und nun sind sie wiedergekommen. Sie sind es, seine Schergen, die den Schaum gebracht haben. Sie sind schon da und sie werden noch näher sein, ich weiß es.“
Der König rannte in die Höhle und wollte Salia anrufen, damit sie zu ihm käme, aber niemand nahm ab. Der König rief im Palast an, aber dort teilte man ihm mit, dass Salia bereits seit dem Mittagsmahl nicht mehr gesehen wurde.
Nervös und im Gefühl als würde sein Kopf bald bersten vor lauter wirren Gedanken und Fragen, lief er in der Höhle auf und ab wie ein gefangener Bär.
„Wie spät es schon ist. So spät.“ bemerkte der König und sah erneut auf seine Uhr, als ihm plötzlich mit Gewalt die Arme nach hinten gerissen wurden. Er sah nur die weiße Höhlenwand und hörte einen Hund kläffen und knurren.
„Lasst mich los!“, schrie er ohne zu wissen, wem er das befahl. Niemand gab Antwort und als ob sie gerade erst aus der Luft aufgetaucht wäre, sah er Salia zusammengekauert an der Höhlenwand sitzen. In ihren Augen glänzte der Schrecken und ihr Mund zitterte.
„Die Männer mit den schwarzen…“ wollte sie flüstern, aber plötzlich erstarrte ihre Stimme vor Angst.
Nun sah der König einen der weißen Hunde, eine Art Dogge, der Salia Zähne fletschend und mit blutverschmierten Augen ansah und er wirkte so kräftig, dass es eigentlich nicht sein eigenes Blut sein konnte, dass aus den Augenwinkeln rann.
Eine kräftige Hand mit schwarzem Lederhandschuh reichte dem König eine Pistole und gleichzeitig fühlte er den festen Druck eines Gewehres an seiner Schläfe.
„Erschieß sie oder Dein Land geht unter.“ flüsterte dieselbe Stimme wie zuvor am Telefon, meinte der König.
Der König dachte an die Plantagen seines Landes, an die heißen Tage, die er mit Salia in der Höhle verbracht hatte… Die Höhle! Der einzige Ort, an den er sich jetzt noch retten konnte, weil um sie nur der Strand und das Meer waren... Er dachte an die Sonne, die morgens über seinen Balkon direkt in das Schlafzimmer schlich wie eine Geliebte. Er dachte an das Fest auf seinem Hof, als er seiner Königin die Mandeln reichte und er wünschte sich zurück in jenen Moment, als es noch nicht zu spät war. Als die Königin mit ihm anstieß und er wünschte sich immer weiter zurück und immer weiter… Bis er schon gar nicht mehr lebte und erst noch geboren werden müsste. Wie leicht mussten seine Gedanken am Tag seiner Geburt noch gewesen sein und wie viel leichter musste sein aller erster Gedanke gewesen sein… So errinnerte sich der König an alles, was er mit dem Leben auf der Erde verband und konnte sich keine zweite Welt darunter vorstellen. Wie schrecklich und riesig musste wohl der Gegensatz zwischen diesem "Darauf" und "Darunter" sein...
In diesem Augenblick ließ der König die Waffe auf den harten weißen Boden fallen. Salia sah sein schmerzverzerrtes Gesicht und beide hörten nur noch die Schüsse und das Aufbellen der Hunde, als ob beides eine letzte Musik war.
Salia spürte die Kugel wie in einem Traum durch ihren Kopf gleiten. Es wurde warm hinter ihrer Stirn und es fühlte sich so kitzelnd an, als ob eine Gliedmaße eingeschlafen wäre.
„Bin ich schon tot?“ fragte sie sich, denn alles war dunkel geworden. „Bin ich schon tot? Aber wenn ich denke, kann ich noch nicht tot sein. Ich denke ja noch…“
Die jungen und die reichen Loramer packten all ihre Habseligkeiten und den letzten Proviant, der noch nicht vom Schaum angerührt war auf ihre Boote und segelten über den Horizont davon. Die jedoch, die keine Boote hatten oder die alt und gebrechlich waren, konnten dem Schaum nicht entkommen, denn ganz Lorama wurde von Pinienwäldern umsäumt, die allesamt denselben Schaum verströmten.
So sahen die Möwen auch den kleinen Blutfleck in diesem großen Perlennest nicht mehr, denn ganz Lorama versank im Schaum.