Ferngespräche - Für S. (zuvor Fernbeziehung)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 28.04.2007, 21:38

An manchen Tagen,
wenn Deine Stimme
mir so nah ist,
dass ich das Telefon
kaum mehr zu spüren
vermag,
ertränke ich meine Sehnsucht
in Schallwellen
und meine Einsamkeit
ist nur noch real,
nicht mehr gefühlt.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 29.04.2007, 12:04, insgesamt 2-mal geändert.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 29.04.2007, 17:10

Liebe Louisa,

Kommunikation ist sehr real, gewiss. Aber sie ist doch wohl etwas anderes als die greifbare Wirklichkeit wie sie etwa einem Apfel eignet, oder?

Wie real eine Stimme ist, mag schon spannend genug sein.

Aber wie real ist eigentlich digitale Kommunikation? Einige strenge Philosophen würden ihr ja gar keine Realität zugestehen, so wie sie bestreiten würden, dass digitale Bilder noch einen Realitätsbezug haben.

Grüße

Paul

P.S.: Zu Deiner Frage = http://de.wikipedia.org/wiki/Symbolisch ... ionsmedien

Max

Beitragvon Max » 29.04.2007, 18:45

Lieber Paul,

was diesen Text so wirkungsvoll macht, ist, dass er sehr schlicht daher kommt, er arbeitet sehr sparsam mit Metaphern oder Metrum. Dadurch wirken Stellen wie
dass ich das Telefon
kaum mehr zu spüren
vermag


oder


ertränke ich meine Sehnsucht
in Schallwellen


umso stärker.

Die Frage, ob nicht Gfeühle auch Realität sind, stellt sich in meinen Augen hier gar nicht, denn es geht ja darum, dass etwas real und doch nicht gefühlt sein kann und das ist ja auch dann der Fall, wenn man Gefühle zum Realen zählt: Wenn in Hamburg jemand vom Zug überfahren wird, so ist das auch dann, wenn ich es nicht weiß real (es sei denn man vertritt da einen sehr radikalen Subjektivismus ), aber natürlich nicht (durch mich) gefühlt.

Übrigens frage ich mich bei der schon zitierten Stelle


ertränke ich meine Sehnsucht
in Schallwellen


warum es nicht "in den Schallwellen" heißt, denn gemeint sind ja wohl genau die aus dem Telefon oder täusche ich mich und das lyr. Ich beginnt Musik zu hören?

Liebe Grüße
max

Louisa

Beitragvon Louisa » 29.04.2007, 18:58

Hallo Max!

Dein Unfall-Beispiel hat mir sehr geholfen. Jetzt beginne ich langsam zu verstehen :smile: ...

Aber so ein Ereignis, dass in der Zeitung steht ist für mich noch eher nachzuvollziehen, als eine "reale" oder "gefühlte" Einsamkeit...

Ich würde es verstehen, wenn Paul schreiben würde: "Das Alleinsein" oder "Ich stand allein im Raum" ohne das Gefühl der Einsamkeit...

"Reale Einsamkeit" wirkt immer noch sehr fern und abstrakt auf mich. Ich denke es könnte noch eine größere Wirkung erreichen, aber wie ihr meint!

LG,
l

Max

Beitragvon Max » 29.04.2007, 19:09

Liebe Louisa,

naja, in der Richtung, dass ich nicht alles fühle, was real ist, ist es glaube ich meist recht einfach zu verstehen, es kann ja auch z.B. sein, dass Du 38° Fieber hast (na gut, Männer nennen das fieber, Frauen ertragen da mehr) und Dich gesund fühlst :-) ...

Insgesamt halte ich Dich Debatte um das, was real ist, für sehr spannend, unabhängig vom vorliegenden Gedicht - allerdings würde ich das weniger an den neuen Medien aufhängen, die Resultate scheinen mir sonst zu seltsam ...

Liebe Grüße
max

aram
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Beitragvon aram » 29.04.2007, 23:30

lieber paul,

mir sagt dieser text viel. den schluss lese ich als ironische subtilität - mit einer besonderheit: nichts spielerisches an sich zu haben.

die voraussetzung dieser spielfreien ironie macht den text und/oder den schmerz kalt und kochend, relevant und irrelevant, alltäglich und verzweifelt, lapidar nebeneinander. ich finde, ihr ausdruck macht die dichtung dieses textes aus. gefällt mir sehr.

liebe grüße
aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 30.04.2007, 14:32

Lieber aram,

ein schöne Lesart. Fast möchte ich sagen, Du hast die drittbeste Interpretation meines Textes geliefert! :mrgreen:

Nein, sorry. Den konnte ich mir nicht verkneifen, aber Du triffst einen wichtigen Punkt. Der Schluss ist nicht ganz ernst gemeint, weil das "nur" den Zustand der Einsamkeit einzuschränken scheint, obwohl sie immer noch "real" ist.

Allerdings ist der Schluss auch ein wenig spielerisch. Ich bin in manchen Bereichen ein wenig von der englischen Lebensart geprägt. Während Deutsche - Du verzeihst die unzulässige Verallgemeinerung - am liebsten über andere lachen, spotten die Engländer am liebsten über sich selbst. Meine Selbstironie ist oft ähnlich, weshalb ich häufig missverstanden werde.

Natürlich ist das ein wenig problematisch, schließlich droht die Gefahr, dass man für larmoyant gehalten werden mag.

Beste Grüße in den Urlaub

Paul Ost

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 30.04.2007, 15:21

Lieber Paul,
gehört es zu der beschriebenen Ironie, etwas als Tatsache zu deklamieren, obwohl man vom Gegenteil überzeugt ist? Villeicht kannst du mir ja eine kurze Antwort auf meinen letzten Komm. geben, damit ich das verstehe.
liebe Grüße smile

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.05.2007, 16:21

Liebe smile,

die Sehnsucht lässt sich wohl nicht endgültig ertränken. Vielleicht geht es ihr ein wenig, wie den Piraten im Fluch der Karibik: sie muss immer wieder auftauchen. Es handelt sich in dem Gedicht wohl um eine Form angewandten Selbstbetruges.

Grüße

Paul

Klara
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Beitragvon Klara » 01.05.2007, 17:34

Hallo,

nur kurz eingemischt:

Es handelt sich in dem Gedicht wohl um eine Form angewandten Selbstbetruges
.
Gibt es auch abgewandten Selbstbetrug? Oder nicht angewandten? Wie sähe der aus?
Ich will es wirklich wissen! Oder ist das Adjektiv überflüssig und keine Absicht? Wie kommt so ein Adjektiv aus Versehen dahin bei einem, der so sorgsam formuliert wie Paul Ost? Angeberei? Aber warum Angeberei? Da ginge ja jede Selbstironie flöten...?

Herzlich
Klara

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.05.2007, 17:41

Liebe Klara,

ist bei Dir alles in Ordnung? Deine Kommentare kommen mir so... zornig vor...

"Angewandter Selbstbetrug" meint so etwas wie "bewusste Selbstüberlistung". Klara! Warum vermutest Du dahinter "Angeberei"? Und warum sollten Menschen nicht angeben können und dennoch zur Selbstironie fähig sein?

Grüße

Paul Ost

Klara
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Beitragvon Klara » 01.05.2007, 17:48

Hallo Paul,

ist bei Dir alles in Ordnung? Deine Kommentare kommen mir so... zornig vor...

welche Kommentare meinst du?

Nein, ich bin wirklich gar nicht zornig - dir gegenüber schon mal gar nicht, warum sollte ich - nur aufmerksam lesend, und was du schreibst, finde ich fast immer interessant. Bewusste Selbstüberlistung ist präziser als angewandter Selbstbetrug.

Danke für die Erklärung.
Warum vermutest Du dahinter "Angeberei"?

Warum nicht? Vielleicht schließe ich manchmal (und oft genug fälschlicherweise) von mir selbst auf andere ,-) - tust du das nie?

Und warum sollten Menschen nicht angeben können und dennoch zur Selbstironie fähig sein?

Und wäre nicht vielleicht die Selbstironie (als Lebens- UND Schreibhaltung) die subtilste der Angebereien? (Mal davon abgesehen, dass es eine Schutzhaltung ist, die manches Gute hervorbringt, aber manches Produktive auch vermeidet - man sollte da sehr achtsam sein und Techniken nicht überhand nehmen lassen... und das meine ich ganz und gar nicht zornig, sondern zugewandt und freundlich, glaubs mir bitte.)

Herzlich
klara

Max

Beitragvon Max » 01.05.2007, 21:02

Lieber Paul,

ich frag nochmal nach:

Übrigens frage ich mich bei der Stelle


Zitat:
ertränke ich meine Sehnsucht
in Schallwellen


warum es nicht "in den Schallwellen" heißt, denn gemeint sind ja wohl genau die aus dem Telefon oder täusche ich mich und das lyr. Ich beginnt Musik zu hören?
Liebe Grüße
m ax

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.05.2007, 21:07

Lieber Max,

ich glaube, dass auch ohne bestimmten Artikel klar sein sollte, dass die Schallwellen der Stimme gemeint sind.

Wenn Du meinst, dass da Musik im Hintergrund läuft, obgleich sie im Text nicht erwähnt wird, dann ist das Dein Recht als Leser. Ich hatte keine Musik im Sinn.

Grüße

Paul Ost

Max

Beitragvon Max » 02.05.2007, 21:23

Lieber Paul,

na sicher - ich hatte an Musik gedacht, laute Blasmusik ... ;-).
Ne Unsinn, natürlich weiß man was gemeint ist, aber in der Lyrik geht's ja nicht nur drum, das man weiß, was gemeint ist, oder?

Liebe Grüße
max


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