sie

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.12.2006, 02:00


sie

bleiern
fällt ihr schleier
verschüttet
aus dem nichts
meine lachfältchen
prügelt
ohne gnade
den spiegel
in mein gemüt

wann endlich
begreife ich
ihr begehr
und
meine ohnmacht

Peter

Beitragvon Peter » 03.12.2006, 12:30

Hallo magic,

interessant finde ich dieses sonnenhafte kleine ferne "sie" über deinem Gedicht - es schwebt oder steht wie eine Wintersonne, stechend und paradox, weil Licht und doch Kälte.

Auch interessant, wie sich ein Rätsel verbreitet. Wer ist "sie"?

Allerdings glaube ich, dass sich dein Gedicht letztlich zu sehr ins Private neigt und dass eben dieses "sie" noch mehr ausgestaltet werden müsste. Trotzdem, wenn ich deine Sätze als Anfänge begreife, sehe ich große Scherben, große Scherben eines großen Gefäßes/ Gedichtes.

(Muss eigentlich die "Unordnung" sein? Ich verstehe manchmal nicht, auch bei anderen Gedichten, warum die Sätze so ineinander übergehen müssen. Ist das gewollt? Soll der Leser die Sätze für sich selbst ordnen? Aber stört dieses dann nicht das Anliegen des Gedichts? Eine Frage.)

Liebe Grüße,
Peter

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.12.2006, 13:36

Liebe Magic,

das spricht mich spontan an - ich lese es als eine Art "Rivalität" zwischen einer "sie" und dem lyrIch, vielleicht in einer Beziehung? Oder ein Schatten, der noch auf einer bestehenden Beziehung lastet, immer wieder auftaucht?

Die Lachfältchen auf der einen, das wallende, schwer fallende - volle Haar auf der anderen Seite und dazwischen das ganze Spektrum der kleinen, seelischen "Dramen" ...

Mir gefällt das, ich finde die Setzung auch gut - selbst das etwas ungewöhnliche "begehr" paßt m M nach- irgendwie empfinde ich Schauer beim Lesen, es ist nicht immer leicht, den Spiegel zu ertragen...

Liebe Sonntagsgrüße,

scarlett

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.12.2006, 14:01

Hallo Peter,

Auch interessant, wie sich ein Rätsel verbreitet. Wer ist "sie"?


eigentlich ist es gar kein Rätsel. Es steht alles da, ohne Metaphern.

Allerdings glaube ich, dass sich dein Gedicht letztlich zu sehr ins Private neigt und dass eben dieses "sie" noch mehr ausgestaltet werden müsste.


Es ist nichts Privates, sondern ein Zustand, der jeden Menschen erfassen kann und wohl auch erfasst.

(Muss eigentlich die "Unordnung" sein? Ich verstehe manchmal nicht, auch bei anderen Gedichten, warum die Sätze so ineinander übergehen müssen. Ist das gewollt? Soll der Leser die Sätze für sich selbst ordnen? Aber stört dieses dann nicht das Anliegen des Gedichts? Eine Frage.)


Ich habe es so gesetzt, wie man es lesen soll. Und eine "Unordnung" sehe ich da nicht, es ist eine ganz gezielte Setzung. Die "Aktionen" in Verbform des LyrDu immer in einer Extrazeile.
Saludos
Magic

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.12.2006, 14:05

Liebe scarlett,

ich lese es als eine Art "Rivalität" zwischen einer "sie" und dem lyrIch


ja, es ist eine Art von "Rivalität" oder besser gesagt: das LI sieht sich immer wieder mit dem "Sie" konfrontiert.

selbst das etwas ungewöhnliche "begehr" paßt m M nach- irgendwie empfinde ich Schauer beim Lesen, es ist nicht immer leicht, den Spiegel zu ertragen...


Ich habe absichtlich das eher etwas altmodische "begehr" geschrieben, statt "begehren", ja, du hast Recht, es ist wirklich nicht immer leicht, diesen Spiegel zu ertragen, damit zu leben.
Saludos
Magic

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 03.12.2006, 14:17

Liebe magic,

mir fällt da sofort eine Lebensregel ein, die ich mal gelesen habe: "Schau nicht zu denjenigen auf, die dich herabsetzen". Ich sehe hinter dem "sie" eine Kontrollinstanz, ähnlich wie eine autoritäre Mutter.

Wogegen ich mich instinktiv wehre, ist das Bild des Spiegels. Es sieht so aus, als nähme die Sprecherin des Gedichts das gespiegelte Bild als "wahrer" denn das eigene Selbstbild. Aber kann es das, objektiv betrachtet, sein? Wäre hier nicht, im Sinne einer kritischen Distanz, eine Formulierung wie "dein Spiegel" oder "dein Bild" besser?

Sonntagsgruß
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Peter

Beitragvon Peter » 03.12.2006, 14:17

Hallo magic,


Es steht alles da, ohne Metaphern.



du sprichst in Rätseln.

Man muss doch hier wegdenken vom "sie", oder nicht? Würdest du sagen, man erfasst dein Gedicht nur richtig, wenn man an nichts anderes denkt als nur an das Wort "sie"? Oder übersehe ich etwas? Gibt es im Gedicht selbst eine Entsprechung für das "sie"? Also ich kann an vieles denken. Mir fällt zum Beispiel das Wort "Mutter" ein, oder wie oben "Wintersonne". Dass du aber sagst, das "sie" sei ganz gewiss nur eines, macht das Gedicht dann doch, zumindest in diesem Ansatz, privat.

Nicht?

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.12.2006, 14:21

Liebe Zefi,


Wogegen ich mich instinktiv wehre, ist das Bild des Spiegels. Es sieht so aus, als nähme die Sprecherin des Gedichts das gespiegelte Bild als "wahrer" denn das eigene Selbstbild. Aber kann es das, objektiv betrachtet, sein? Wäre hier nicht, im Sinne einer kritischen Distanz, eine Formulierung wie "dein Spiegel" oder "dein Bild" besser?


Ich wollte zuerst statt "Spiegel" Polarität schreiben, denn das ist es, habe mich dann jedoch für "Spiegel" entschieden, weil ich das Fremdwort vermeiden wollte.

Eine Kontrollinstanz im engen Sinne ist "Sie" nicht, aber durchaus ein "Element", welches uns Menschen immer wieder auf den Boden der Realität knallt sozusagen.
Saludos
Magic

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.12.2006, 14:27

Hallo Peter,

Gibt es im Gedicht selbst eine Entsprechung für das "sie"? Also ich kann an vieles denken. Mir fällt zum Beispiel das Wort "Mutter" ein, oder wie oben "Wintersonne". Dass du aber sagst, das "sie" sei ganz gewiss nur eines, macht das Gedicht dann doch, zumindest in diesem Ansatz, privat.


Mit "verschüttet ... meine Lachfältchen" ist der Hauptcharakter von "sie" beschrieben.
Privat ist es in dem Sinne, dass "sie" mich immer wieder überfällt, aber nicht im Sinne von autobiografisch, weil, "sie", wie ich oben schrieb, jeden Menschen "überfällt", jeder Mensch sie kennt, mit ihr zu tun bekommt, ob er will oder nicht.
Saludos
Magic

Peter

Beitragvon Peter » 03.12.2006, 14:50

Hallo magic,

dass das "sie" charakterisiert wird, das habe ich schon gelesen - trotzdem bleibt eine Offenheit. Also ich möchte dabei bleiben, beim Rätsel, auch, weil du dich ja selbst immer mehr verrätselst, indem du über dein Gedicht sprichst.

Natürlich frage ich jetzt umsomehr: Wer ist "sie"?

Antwortet das Gedicht? Ich meine, und meinte auch zuvor, das Gedicht könnte mehr antworten. Deswegen sprach ich auch oben von den Scherben.

Liebe Grüße,
Peter

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.12.2006, 15:10

Hallo Peter,

du schreibst, je mehr ich über mein Gedicht spreche, umso mehr verrätsele ich mich selbst.
Also, werde ich erstmal nichts mehr dazu schreiben, weil es hier keine Rätsel gibt. Das Gedicht antwortet sehr wohl, es beschreibt "sie". Und "mehr" über "sie" zu schreiben, würde es ellenlang und außerdem langweilig machen, dann würden Argumente kommen: Magic, das solltest du verdichten.
Also: ich höre jetzt erstmal auf, hier weiter zu schreiben, sonst fängt "sie" mich nämlich wieder ein, sie ist schon dabei ...
Vielleicht ist ja jemand in der Lage, das so Offensichtliche und Einfache direkt herauszulesen, ohne groß herumzurätseln...
Saludos
Magic

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leonie
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Beitragvon leonie » 03.12.2006, 15:22

Liebe Gabriella,

für mich ist in Deinem Gedicht keine Unordnung erkennbar und ich finde es auch nicht so rätselhaft. Mich spricht Dein Text sehr an, für mich könnte „sie“ auch das andere Gesicht des lyrIch sein, eine Art internalisierte Stimme (oder auch Person), die einen herabsetzt. Ich finde Deine Bilder, die Du gefunden hast, gut. Das Bleierne, Lähmende und der eingeprügelte Spiegel, das trifft es gut (Ich habe hier mal ein Gedicht eingestellt über „Alte Bekannte“, so nenne ich dieses Phänomen. Daran habe ich mich erinnert gefühlt).

Jetzt hoffe ich nur, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt habe und richtig liege.

Falls „sie“ auftaucht, grüß sie von mir und sage ihr, sie soll sich wieder dahin verziehen, wo sie herkommt.

Liebe Grüße
leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.12.2006, 15:26

Liebe magic,
für mich ist das "sie" die Melancholie, oder der Selbstzweifel, vielleicht auch die Depression - auch jeden Fall etwas, gegen das das lyr. Ich ankämpft, weil das "sie" Zerstörungswillen hat.

(siehe hints: Lachfältchen & Gemüt)

Für mich handelt es sich in dem Gedicht aber um eine Personifizierung und nicht um eine Metapher - vielleicht mit ein bisschen Allegorischem vermischt. Aber eine Metapher ist etwas anderes. Ich sage das nicht aus Klugscheißgründen (lasse ich mir aber trotzdem unterstellen :-), geht ja nicht ohne), sondern weil du ganz oft von Metapher oder nicht Metaphern sprichst und ich mich schon oft gefragt habe, was du eigentlich unter einer Metapher verstehst. Metaphern machen einen Text auch nicht automatisch unverständlich, im Gegenteil :-).

Mit dem Gedicht insgesamt tue ich mich schwer - was ich aber gelungen finde, ist das Bild "lachfältchen prügeln", das ist originell. Und auch der Spielge IM gemüt - ja, da les ich sogar den viel bemühten Spiegel gern. Diese Stelle gefallen mir! Die anderen Stellen finde ich zu gängig: "bleiern" ist sehr gebräuchlich und den Schleier hast du schon sehr oft verwendet...insgesamt noch nicht ausgereift für mich...

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Peter

Beitragvon Peter » 03.12.2006, 15:30

Hallo magic,

ich glaube ich verstehe. Das gefällt einem Dichter nicht, wenn man sein Gedicht ein Rätsel nennt. Will er Rätsel schreiben? wenn er keine schreibt? Ich glaube, ich verstehe. Und will dich natürlich nicht ärgern, aber, liegt es an mir, der Peter bleibt in Rätseln stehen. Zwar gibt es das Direkte, oder Offensichtliche und Einfache, von dem du schreibst, aber (ich höre durchaus das Gedicht), aber dann auch, letztlich, das sich ins Private schließende und sich entziehende Rätsel, das, bei aller Charakterisierung des "sie"s, doch fast eine Beliebigkeit schafft, das "sie" wird dienlich und könnte fast alles sein.

Aber lass dich nicht ärgern, magic. Andre werden es besser lesen als ich.

Liebe Grüße,
Peter

(P.S. (privat): Du bist auch eine Kraft.))


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