Beitragvon Mucki » 23.06.2015, 14:20
Schweigen musste ich
oder besser gesagt: beim Namen nennen konnte und durfte ich sie nicht. Es hätte mir die Zunge zerrissen. Keine geraden, glatten Schnitte, sondern fies ausgefranste, zerfetzte Stücke. Diese Riesen, schwarzen Seeigeln gleich, die überall ihre langen Stacheln nach mir ausstreckten, kamen ganz harmlos daher. Namen wollte ich ihnen geben, das würde sie niedlicher, vertrauenswürdiger werden lassen. Oder war das Unsinn? Der kleine Prinz ... Nur Namen geben, nennen würde ich sie nicht. Wie gesagt, ganz harmlos kamen sie daher. Ich dachte mir gar nichts dabei. Und genau da begann das Problem. Ich dachte nicht nach. Es fing einfach an. Sie vermehrten sich, ohne mir wehzutun oder irgendwie zu schaden. Erst als ihre Anzahl derart anstieg, dass ich begann, sie zu bemerken, weil sie jetzt für mich sichtbar wurden, und nicht nur das, auch greifbar, so richtig stachelig, wurde mir klar, dass es zu spät war.
Ich versuchte, sie zu beherrschen, indem ich ihnen jeden Tag einen neuen Namen gab. Das funktionierte nicht. Wie sollte es auch. Dann versuchte ich, sie zu beherrschen, indem ich sie absichtlich ignorierte und mir einen großen Zettel schrieb mit einem Codewort darauf. Dieses Codewort bedeutete: ... ignorieren!!! Alles Unsinn. Sie vermehrten sich rasend. Ich fütterte sie mit meinem Irrsinn und sie ließen es sich schmecken. Wie sollte das weitergehen? Ich grübelte wie verrückt, was ihnen weitere Nahrung gab. Bald würde ich ihr Dessert sein.
Sie quälten mich tagsüber, sie quälten mich nachts. Inzwischen beherrschten sie mich völlig. Und genau an diesem Punkt geschah etwas Seltsames. Als sie auch das letzte Pixelchen meiner Seele in Besitz genommen hatten und es nichts mehr gab, was sie an mir hätten auffressen können, verschwanden sie. Einfach so. Im Prinzip genauso, wie sie gekommen waren.
Seit diesem Tag denkschreibe ich mir ein ganz einfaches Wort, auf das ich schon früher hätte kommen können.