Ist der Teufel tot? Oder hat er selbst geschossen?

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Klara
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Beitragvon Klara » 04.05.2011, 11:38

Internes Protokoll einer unerwünschten Verweigerung

Die Nachricht – breaking news! – gibt Grund zur Freude.

(Oder?)

Ich bemühe mich aufrichtig. Ich will mich freuen! Ich muss! (Muss ich?)

Ich kannte den Mann nicht, und mir fällt ein, dass er von keinem Gericht als Schuldiger verurteilt wurde. Nun ist er tot. Sein Tod soll mir, mit all den Beweisen, Berichten und Bekenntnissen der Täter und Ankläger, als Beweis für die immanente Bosheit eines Menschen, dessen Unheilbarkeit und Nicht-(Re)sozialisierbarkeit reichen, soll die Notwendigkeit der Strafe, die keine ist, sondern ein Schießbefehl belegen. Da wird das Recht redundant, denn es ist von vornherein auf „unserer“ Seite. Ein Mörder weniger! Hurra!

Aber… – ach, dieses Aber, es erschöpft mich! Bin ich kleinlich? Sollte ich nicht endlich aufhören, so furchtbar kleinlich zu sein, furchtsam und schwach? Nicht länger all diese Zweifel hegen. (Oder?) Im Recht sein dürfen! Endlich nicht mehr diese lästigen Fragen stellen, die mich selbst am meisten quälen! Nur weil kein Richter das letzte Wort hatte, das gültige Wort, sondern eine Waffe, die den Segen der Mächtigen der Welt hatte. (Ist mein Zweifel an der Legitimität dieser Wortlosigkeit ein rein formaler?) Nur weil – ach, diese lästigen Details... – ohne Gericht und Schuldspruch nicht zweifelsfrei erwiesen ist, wen der Erschossene wann warum ermordet hat. Und ob. Und weil im Zweifel für den Angeklagten sogar bei Vergewaltigern und Kindsschändern gilt, solange sie eben nicht zweifelsfrei undsoweiter. Weil in einem Rechtsstaat nicht Unschuld bewiesen, sondern Schuld nachgewiesen werden muss, und all das mit guten, aufgeklärten Gründen, die eine lange Tradition haben, die es schwer genug hatten, sich durchzusetzen, es immer noch schwer genug haben – und nun also noch schwerer, nach diesem Todesschuss. Ich sollte aufhören, an der Rechtmäßigkeit oder zumindest, oweh, Legitimität dieses befohlenen Todes, dieser Vollstreckung zu zweifeln. (Sollte ich? Wer könnt mir das befehlen?)

Mit diesem Unbehagen fühle ich mich draußen . Sogar meine leidenschaftslose Kanzlerin freut sich öffentlich! Über den Tod! Ich versuche, mich gegen meine Abwehr zu wehren, mich zu freuen dass jemand tot ist, erschossen mit geballter Staatsgewalt, die gesamte freie Welt im Rücken. Ich sollte mich über den Sieg der Freiheit freuen. Mir gelingt jedoch nur Unbehagen, das wächst unter meinem Herzen, allem Unbehagen gegenüber dem Unbehagen zum Trotz. Ich prüfe mich: Bin ich kleinlich? Darf man das überhaupt? Jetzt, wo die Freiheit siegt? Die Guten eine Schlacht gewonnen haben? Darf man sich da – nicht freuen?

Ich erhalte Rückendeckung vom verwalteten Evangelium: Man dürfe sich als Christ nicht freuen, wenn jemand gezielt erschossen wurde. Ich lese: Der Mann war unbewaffnet, als die Schüsse ihn trafen. Und: Es wird keine Bilder vom Toten geben, sondern eine Versenkung im großen, schweigenden Meer. Pietät? Taktik? Strategie? Vorausschauende Vermeidung von Märtyrer-Huldigungen (die werden ohnehin ihre Stätten finden, so wie neue Waffen wachsen an neuen Händen, die neues Blut bringen)? Oder doch auch der Rest eines wie auch immer verworfenen, weil in Gewaltzeiten verwerflich gewordenen schlechten Gewissens, das mahnt, dass nicht Recht sein kann, was Tot mit Tod vergilt – ohne unabhängiges Gericht (auch wenn es kein unabhängiges Gericht der Welt gibt, nirgendwo auf der Welt, weil sie eine Idee bleibt, die Sache mit der Gerechtigkeit, eine dringend notwendige Idee bleiben muss!) Eines schlechtes Gewissens, weil kein Schuss von Kriegsbeteiligten frei von Rache sein kann – und weil Rache nunmal immer ein schlechtes Motiv ist – und verdammt noch mal bleibt und bleiben sollte! –, wenn es um Recht geht? Um Frieden, um Politik, um Heilung.

Ich wehre mich, doch die Fragen bleiben hartnäckig.
Wurde der Mann in einem Krieg erschossen? Gegen welches Land? In wessen Namen? Wer war der Mann überhaupt? Warum trug er so einen grauslichen Bart, einen verkehrten Weihnachtsmannbart? War er der Anti-Christ? Muss man Christ sein, um Unbehagen zu spüren statt Freude? Darf man auch Moslem sein? Oder reicht einfach nur „Mensch“? Wiegen Tote Tote auf? Ab welcher Zahl? Wie viele? Und wie lange noch lässt unsere geheiligte, unsere allzu anfällige Vernunft sich bieten, von Gewalt in ihrem Innersten bedroht zu werden, indem sie Gewalt mit Gewalt die Stirn zu bieten sucht, so hilflos dann beide!, und nicht etwa, Gott bewahre, die andere Wange hinhält! Wir sind doch nicht blöd! (Oder doch?) Wann hätte Gewalt je Gewalt besiegt, anstatt neue zu zeugen? In Wahrheit, meine ich, frage ich, nicht in der Propaganda, die jeden Krieg, jeden Sieg, jede Niederlage, jede Unrechtmäßigkeit begleitet.

Dummerweise hat der rechtsfreie Raum die Eigenschaft, sich gierig auszubreiten, je mehr Platz man ihm macht, in jedes Vakuum stößt er vor, nutzt jedes Gefühl hemmungslos aus, denn wenn jemand meinen Bruder tötet, will ich instinktiv den Brudertöter töten. Davon muss mich das Recht abhalten, damit nicht alle Brüder irgendwann tot sind. Dafür hat man das Recht erfunden. Die Aufklärung. Die heiligen Werte der Vernunft, der übergeordneten Menschlichkeit. Dafür, dass der rechtsfreie Raum sich nicht gierig ausbreitet, sondern so klein wie möglich in jeder Herzkammer klopfen muss. In jenem Individuum, dessen Rechte es zu verteidigen gilt, weil es sich bei all diesen Individuen um Menschen handelt. Ich fürchte: Das Individuum steht genauso wie die Freiheit auf dem Spiel mit diesem Sieg der Freiheit über die Vernunft. Der tote Mann wird über sich selbst hinauswachsen, ein Monster der Unfreiheit, uns zur Geisel nehmen, weil wir uns über seine Unrechtmäßigkeit freuen. Endlich wieder zuschlagen dürfen (Ein Feind!) (Dürfen wir?)

Für jeden getöteten Gewalttäter wachsen zehn neue nach; das ist wahrscheinlich wie mit den Besen, die der alte Hexenmeister gewesen machen muss, nur dass kein Hexenmeister in Sicht ist, nichts als kleinlaute Stimmen, Stimmchen, die sich nicht aus ihrer instinktlosen Ecke trauen, zu laut wüten all die Lehrlinge der barbarischen Aufklärung, die – ach, Dialektik, vergessene! – in ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit ihre eisernen Besen so gnadenlos überschätzen, dass sie all jene Werte, die sie zu verteidigen glauben, gleich mit auskehren, mit ihrer eisernen Hand.

Der Hexenmeister schaut zu, aus seinem stimmlosen Loch, wartet: Wie lange noch, ehe die „aufgeklärte Welt“ (der Westen, mein Gott!) wieder aufgeklärt handeln darf, anstatt Alternativlosigkeit zu behaupten?

Man ahnt, und man hat es immer wieder neu zu wissen: Die * Verletztlichkeit und Gefährdung des Rechtsstaats, der Demokratie gehören zu ihrem Wesen, darin liegt ihre Kraft: im Zweifel! Unsere eigene Verletzlichkeit als Mensch ist Bedingung für unsere Lebendigkeit. Vielleicht hat man ihn erschießen dürfen, weil er ein Zombie war, aber ich hätte es gerne korrekt. Ich hätte es gerne menschlich. Ich hätte gerne, dass das wieder zusammen gehört, auch in den Nachrichten, die ich lesen und hören muss: das Recht und das Rechthaben, das Menschsein und die Vernunft. So anspruchsvoll sollten wir sein, mit uns selbst, wir aufgeklärten Menschen, finde ich. Anmaßend im Zweifel bleiben. Das ist das Gegenteil von kleinlich! Andernfalls überlassen wir, mit jedem Schuss, der die Unabänderlichkeit behauptet, den zweifelsfrei Brutalen das Feld und werden – unabhängig von deren Motivation! – in die zweifelsfreie Brutalität des Terrors genötigt.

Also, man vergebe mir, freue ich* mich nicht, sondern fürchte mich, und hoffe weiter: dass die Hoffnung zuletzt stirbt.

[*mit Dank an ferdi für Hinweis auf Sprechblasen/Redundanz und ein "ich"]
Zuletzt geändert von Klara am 05.05.2011, 11:26, insgesamt 1-mal geändert.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 05.05.2011, 10:18

Liebe Klara,

Ich habe festgestellt, dass nicht selten in großen Debatten um Standpunkte gekämpft wird, die Mut und Entschlossenheit dort zeigen, wo unser tägliches Handeln keine Rolle spielt. Ich meine, dass niemand seine Haut aufs Spiel setzt oder sich mal überfordert. Selbstzweifel zu entwickeln, weil Bin Laden erschossen oder ermordet wurde ... so etwas macht mich hellhörig. Übergeordnete, gesellschaftliche Fragen haben für mich den gleichen Stellenwert wie die kleinen des Alltags. Es wird Harro geschrien in alle möglichen Richtungen. Die einen freuen sich oder empfinden die alte klammheimliche Freude beim Sterben der einen (bin Laden) oder der andern (Schleyer) oder der wieder andern (Meinhof Bader Ensslin). Mir scheinen diese Debatten oft im Nachhinein müßig, denn die Geschichte schreibt oft divergierende Blätter.
Was Gerechtigkeit sein könnte, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich noch nicht über den Weg gelaufen bin. Sie könnte ein Ziel sein, obwohl sie so undefinierbar ist.
Oft sind es die schreienden Ungerechtigkeiten, die uns einen Weg weisen, der aber in Ungerechtigkeit enden kann.

Ich halte mich, wenn es geht, an Milde und Nachsicht, und an das Prinzip der Veränderung, der Bewegung. Da wir nicht ständig neue Anbauflächen roden können wie die wandernden Indoeuropäer, nicht Kontinente als leer erfinden und bevölkern können, um Utopie (auf Irrtümern fußend) zu verwirklichen, bleibt uns nichts anderes übrig als mit Strukturen so umzugehen wie mit Wäsche im Kleiderschrank: oft durchlüften, sonst wirds mffig.

Die Bin Laden Erschießung gehört zu einer langen Reihe ähnlicher politischer Morde, die zeigen, wie fragwürdig politische Handlungen sein können, das gilt hier nicht nur für die Seite der USA. Der Widerstand gegen die USA, gegen die westlich dominante Leitkultur produziert leider fragwürdige gesellschaftliche Strukturen. Trotzdem hat dieser Widerstand etwas in Bewegung gebracht, Und das finde ich gut.

Zur Freude aufgerufen fühle ich mich nicht. Man braucht sich ja diesen Schuh nicht anzuziehen .... andere Denkstiefel gefielen mir besser...

liebe Grüé
Rebée

Klara
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Beitragvon Klara » 05.05.2011, 11:10

Hallo nochmal,
danke für eure Gedanken dazu!


ferdi, jetzt habe ich, glaube ich, vrstanden, wie du den Begriff "Sprechblasen" verwendest: als synonym zu redundant, ja? Du hast Recht, dass eins von beiden - immanent oder wesentlich - in jenem Satz überflüssig ist. Das werde ich ebenso ändern wir ich nun auch das in der Tat fehlende "ich" einfüge. (Danke dafür.)
Was mir hingegen weniger einleuchtet, ist deine Grobheit mir gegenüber, die sich zwar in wohlgesetzte und - scheinbar - emotionsfreie Worte und Parataxen kleidet ("wenn ich etwas empfindlicher wäre"), aber für mich gerade dadurch umso unangenehmer und beinahe unaufrichtig wirkt
So nehme ich einfach zur Kenntnis, dass du das Forum mal wieder als Seelenlasten-Deponie zu verwenden gedenkst. Was solls - wenns dir denn weiterhilft... *Schulterzuck*
Auch wenn du den Text so missraten findet, dass es nicht lohnt, ihn inhaltlich zu diskutieren (obwohl das ja durchaus ein Grund sein kann, warum man Texte hier einstellt, insbesondere in dieser Rubrik hier - und eben nicht nur zur "Textarbeit" aufruft bzw. sich bereit erklären muss), finde ich deinen Vorwurf in der Sache unangemessen, inhaltlich unbegründet - iwe kommst du überhaupt anhand des Textes auf "Seelenlasten" oder "Deponie"? Ich bitte dich! Vielleicht mache ich mir meine Gedanken in anderer Form als du und drücke sie anders aus, aber pardon, das gibt dir nicht das Recht, sie (und mich) herabzuwürdigen mit einer kaum verborgenen Arroganz ("wieder mal"), eine rhetorische Nachsicht behauptend gegenüber den in deinen Augen armseligen Schwächen der Kritisierten "wenns dir denn weiterhilft", die dir, so die Suggestion, so fern liegen wie der Mond. Das kommt ja beinahe so, als sollte es verletzend wirken - nicht gegen den Text, sondern gegen die Autorin - und das empfinde ich als unwürdig: für dich! Hast du das nötig? Diese gedrechstelte künstliche Überlegenheit raushängen zu lassen, weil ein ferdi über so kleinlichen Dingen wie "Ärger" stünde und allerhöchstens (wenn auch demonstrativ herablassend) "zur Kenntnis" nimmt, um dabei dekorativ abfällig mit den Schultern zu zucken? Solches Verhalten macht einen eher billigen Eindruck auf mich, so dass es mir meinerseits leider nur ein *schulterzuck* abnötigt, aber wenig Bereitschaft erregt, sich auf eine Debatte mit dir einzulassen: Jemand, der sich solcherart aristokratisch abwendet, sich dabei gleichsam den Staub von den Beinkleidern streifend, ist offenbar wenig auf ein fruchtbares, einander zugewandtes Gespräch auf Augenhöhe aus - dann eben nicht, macht ja nix. Man muss sich ja nicht mit jedem unterhalten, wenn dabei nur Ärger und Unverständnis zu erwarten ist. Da bleibt dann halt auch im Dunkeln, warum der schulterzuckende Kritiker überhaupt die Texte der klara anklickt, über deren Niveau er doch so offensichtlich steht, und wo ihn doch "wieder mal" nichts als das Unerwünschte, Verachtete erwartet. Ist ihm die Zeit dafür nicht zu schade? Insbesondere, weil er ja nach den ersten Sätzen schon zu wissen meint, was der überlange Textrest sagen will? Warum lässt du dich, ferdi, dann nicht von anderen Texten anregen, vergnügst dich mit ebenbürtigen Autoren anstatt dich mit Worten herum zu ärgern, über die du dich doch auf keinen Fall ärgern darfst, weil Ärger oder eine andere sichtbare Verletztlichkeit ja auf keinen Fall in dein schulterzuckendes Sortiment gehören darf. Hm?

Leo, danke für deine Gedanken zur Lynchjustiz. Ich kenne den Aufsatz nicht (hast du einen Link?), aber die Debatte um Tyrannenmord kehrt ja immer wieder - und bleibt eine spannende ethische Frage!

Sam, ich weiß, wir werden in diesem Punkt bzw. dieser grundsätzlichen Haltungsfrage wohl nie einer Meinung sein bzw. zueinander finden und womöglich immer wieder aneinandergeraten. Das macht aber nichts, oder? Danke dir.

Renée - ich freu mich, dass du hier wieder schreibst und liest! Hoffentlich geht es dir gut!
Was Gerechtigkeit sein könnte, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich noch nicht über den Weg gelaufen bin.
Wenn du mit kleinen Kindern zu tun hast, läufst du ihr immer wieder über den Weg! Ja, du stolperst geradezu in einer Tour darüber ;) Kleine Kinder sind nämlich von großem Gerechtigkeitssinn, ihr Gespür für Ungerechtigkeit ist nahezu unheimlich, und oft genug korinthenkackerisch, aufrechnerisch und - tierisch anstrengend! Es geht nicht nur um Kilo oder Meter oder Stunden, es geht um Gramm und Milligramm und Millimeter und Mikrosekunden, die GERECHT verteilt sein wollen, oder auch um die Zahl von Gummibärchen, die Berechtigung von Einsen, Zweien oder Dreien für diesen oder jenen, das Verhalten von Erwachsenen an Ampeln und unter der Dusche, die Dauer eines Abkitzel-Zyklus...
Gerechtigkeit ist mehr als ein Ziel - und Ungerechtigkeit kann nur wahrgenommen werden, kannst auch du nur wahrnehmen, spüren, weil dieses Ideal, das aber nicht nur platonische BILD der Gerechtigkeit dir innewohnt. Gerechtigkeit ist, glaube ich, genauso ein Urinstinkt wie der, dass ich den Brudertöter töten will. Oder dem Baby zu essen geben muss, wenn es Hunger hat, noch bevor ich oder ein anderer satt sei. Da kann das Sein noch so sehr das Bewusstsein bestimmen - ein Gespür für Gerechtigkeit hat jeder, irgendwann gehabt, und Herrschaft, Ungerechtigkeit funktioniert nur so gut, weil man so oft gezwungen ist, dieses Gespür zu unterdrücken, um zu überleben - oder auch nur zu leben, ohne mit Depressionen oder Zwanghaftigkeiten eingewiesen zu werden. (Es ist ja so, dass es im Grunde unmöglich (geworden?) ist, KEIN gestörtes Verhalten an den Tag zu legen, NICHT gestört zu sein in seinem Menschenwesen, wenn man von Störung und Krankheit so intensiv und undurchschaubar umgeben ist. )
Oft sind es die schreienden Ungerechtigkeiten, die uns einen Weg weisen, der aber in Ungerechtigkeit enden kann.
Ohja, dafür gibt es hinreichend schlechte Beispiele.

Deine Wäsche-Kleiderschrank-Lüftungsbild finde ich hübsch - aber außer für Denkstrukturen nicht wirklich passend im Hinblick auf die nötige Achtsamkeit im Umgang mit Natur, Dingen, Ressourcen, Leben und Lebewesen. Wir machen so viel kapputt - und wir könnten so viel heile machen, wir Menschen! Oder?

herzlich
klara

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 05.05.2011, 12:23

Hallo Klara!

Jetzt mal auf dem Boden bleiben, bitte. Die Dinge sehen doch so aus: Ich habe mich zu deinem Text textkritisch zu Wort gemeldet, um dir meine Einschätzung zu ihm mitzuteilen. Dann hast du gesagt, du habest keine Lust, dich textkritisch zu betätigen. Lies: Ferdi, halt einfach die Klappe. Und da war meine Reaktion dann ein Schulterzucken - und das wäre es beim nächsten Vorfall dieser Art wieder.

Ich habe eine gewisse Erwartungshaltung an den Umgang mit Texten, und ich glaube nicht, dass diese Erwartungshaltung ganz und gar unangemessen ist. Dementsprechend kommentiere ich. Du hast sie nun für deinen Text zurückgewiesen. Gut. Ich halte es zwar für nicht sehr hilfreich, nur die Kommentare zu einem eigenen Text zuzulassen, die man zu hören wünscht (hier: inhaltliche), aber da gibt es bestimmt mehr als eine Sichtweise.

Andererseits: Wenn du doch gar nicht über den Text reden willst, sondern über das Thema "Tötung Bin Laden", warum machst du dann nicht einfach einen Faden im Cafe auf und schreibst da die schlichte Frage rein: "Was haltet ihr von den Ereignissen in Pakistan?" (oder ähnlich). Dann weiß jeder, dass es nur um das Thema geht, genauer: die vielbeschworene "Betroffenheit"; ich hätte kurz die Frage gelesen, gewusst, dass es kein Faden für mich ist, und alles wäre in Ordnung gewesen - ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, einen Text auch als Text wahrnehmen und besprechen zu wollen, und du hättest dich nicht so ärgern müssen, wie du es anscheinend tust (jedenfalls lässt die sehr unfaire Art, in der du um dich schlägst, mich das vermuten).

Ich habe den dich so umtreibenden zweiten Absatz meines zweiten Beitrags bearbeitet und die von dir als unangenehm empfundenen Stellen gestrichen.

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.05.2011, 13:33

Hierzu sei noch hinzugefügt:

Muss man Christ sein, um Unbehagen zu spüren statt Freude?


Anscheinend nicht. Siehe Merkels Reaktion.


leonie:

Die Quintessenz ist ungefähr (es ist lange her, dass ich ihn gelesen habe), dass es geboten sein kann, einen Tyrannen zu töten, um zu verhindern, dass er unendliches Leid verursacht.


Ich glaube nicht, dass es Argumente gibt, die mich von dieser Quintessenz überzeugen könnten.


liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 05.05.2011, 15:22

Sam hat geschrieben:Pjotr, deine sophistische Zerpflückerei von Begriffen wirkt in diesem Zusammenhang auf mich beinahe arrogant. Es freut mich für dich, wenn du so über den Dingen stehst. Ich halte es allerdings für legitim, wichtig und auch notwendig Betroffenheit zu zeigen, auch wenn sie mit keinerlei Erkenntnisgewinn daherkommt.

Hallo Sam,

arrogant wäre es, wenn ich Deinen Kommentar ignorieren würde.

Sophistische Zerpflückerei nennst Du mein Denken? Ein Sophist labert unkonkretes Zeug, heute so, morgen andersrum, und verkauft das als Weisheit. Genau gegen derlei Wischiwaschi wende ich mich. Nicht umgekehrt.

Betroffenheit zeigen. Ja, finde ich sehr gut.

Auch ohne Erkenntnisgewinn, sicher. Ich las da aber eine Allaussage, eine Art Weltformel, die eher wie eine Erkenntnisverkündung daherkam, ganz nüchtern und unbetroffen.

Legitim. Auch wieder so ein Wischiwaschi-Wort. Das Wort ist leer, wenn der Bezug fehlt. Legitim bezogen auf was?


Gruß

Pjotr

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Beitragvon Klara » 05.05.2011, 15:37

Ich glaube nicht, dass es Argumente gibt, die mich von dieser Quintessenz überzeugen könnten.

Das ist ein weites Feld, aber ich denke doch, dass es da einige Argumente gäbe, Lisa.
Zum Beispiel das: Ein einzelner nimmt, ohne persönlichen, politischen oder sonstigen Vorteil, für sich die Verantwortung/Schuld/Entscheidung und das Risiko auf sich, und vor allem den Mut, um einen Herrscher, der für jeden sichtbar Unheil bringt, zur Strecke zu bringen. Das haben einige mit Hitler versucht, darunter ein einfacher Mann, Arbeiter in einer Uhrenfabrik, namens Georg Elser (mit Brandauer übrigens großartig verfilmt 1989)
Ob es Unrecht ist, ein Attentat auf Hitler zu verüben? Wie viel Recht existiert in einem Unrechtstaat?
Darauf gibt es keine einfachen oder wahrscheinlich gar keine Antworten, überzeugende Argumente, wie hin- und hergerissen man auch sein mag, für einen Tyrannenmord gibt es, denke ich, schon, auch wenn Selbstjustiz nie grundsätzlich ein Weg sein kann, um eine funktionierende, gerechte Gesellschaftsordnung (wieder)herzustellen. Das ist dann der Unterschied zwischen Legitimität und Legalität, wo im einzelnen immer neu und ausdauernd diskutiert und definiert werden muss, was warum wann in welcher Umsetzung legitim ist.

Beispiel: Hitler sitzt im Gefängnis, ein Wärter ist rachdurstig und tötet den in dem Moment wehrlosen - nicht legitim.
Hitler hat ein Land zum Unrechtstaat gemacht und intensiviert seine Kriegsvorbereitungen, die Konzentrationslager und Judenverfolgung stehen "in voller Blüte", einer nach dem anderen wandert aus politischen Gründen ins Gefängnis, wird hingerichtet, Kinder werden zu Soldaten verformt etc. - ein Mörder. Darf man das Recht selbst in die Hand nehmen? Uralte Frage - ohne letztgültige Antwort außer für denjenigen, der sich dafür oder dagegen entscheidet.
Oder bin Laden: Kriegserklärer, Attentatsverantwortlicher, Massenmörder von eigenen Gnaden, seit zehn Jahren weltweit gesucht, geächtet, bewundert, bekämpft. Wird endlich aufgespürt. Unbewaffnet. Erschossen, beobachtet vom US-Präsidenten im Fernsehen. Legitim? Geschmacklos? Grund zur Freude?

herzlich
klara, die nichts dagegen hätte, wenn dieser Faden ins Café wandert, weil ferdi natürlich Recht hat.

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leonie
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Beitragvon leonie » 05.05.2011, 15:48

Liebe Lisa,

Bonhoeffer war beteiligt an der Vorbereitung des Attentates auf Hitler, das ja dann gescheitert ist. Und hat das mit seinem Leben bezahlt.

Ich denke, wenn es in einem Land keine Justiz mehr gibt, die ermöglicht, jemandem wie Hitler das Handwerk zu legen, dann ist die Frage, ob man es dabei belassen kann, dass er sein Unwesen weiter treibt. Wenn das Attentat gelungen wäre, dann wären Millionen Menschen am Leben geblieben, die ermordet worden sind.

Ich denke, dass es unter den damaligen Umständen eine verantwortungsvolle Tat gewesen ist, zu versuchen, Hitler zu töten.

Bonhoeffer sagt, dass es aber trotzdem ein Unrecht ist, ihn zu töten. (Ich denke, es wäre aber genauso ein Unrecht, ihn sehenden Auges gewähren zu lassen) Und dass die, die dahinter stehen, die Konsequenzen dieses Unrechts tragen müssen. Für ihn hätte das bedeutet, nicht mehr Pfarrer sein zu können.

Die Metaphorik des Aufsatzes ist, dass man die Opfer unter dem Rad verbinden kann und muss (sofern sie noch leben). Oder aber dem Rad selbst in die Speichen fallen, um zu verhindern, dass es weitere Opfer fordert.

Mich hat beeindruckt, dass er es nicht als "Recht" deklariert (wie das meistens der Fall ist), sondern als "Unrecht", dass er sich aber aus einer Haltung der Verantwortung entschlossen hat, an der Verschwörung mitzuarbeiten.
Dabei wäre es für ihn kein Problem gewesen, sich ins Ausland abzusetzen.

Natürlich gibt es eine ethische Haltung, die besagt, dass kein Mensch unter irgendwelchen Umständen einen anderen töten darf. Sie orientiert sich an einem zugrundeliegenden Grundsatz.
Es gibt auch ethische Ansätze, die die Konsequenzen mit einbeziehen. Ich selber halte das in manchen Fällen für eine verantwortungsvollere Haltung als das andere.

Liebe Grüße

leonie


Ich bin jedoch trotzdem der Meinung, dass es unvereinbar ist mit einer christlichen Grundhaltung, sich über den Tod eines Menschen zu freuen. Und auch, dass es unvereinbar ist, die Todesstrafe zu befürworten.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 05.05.2011, 16:24

@ Leonie : ich stelle fest, dass für mich, die diesen Text 1964 kennenlernte - oder zumindest das, was damals bekannt war, denn ich erinnere mich an lange Diskussionen in unserer Gruppe, dass also der Ihalt immer noch so stimmt und das dieses Engagement zu denen gehört, die ich bewundere.

Ich glaube aber, dass wir deutschlandgeprägte ein schwieriges Verhältnis zum Kompromiss einerseits und zum Heldentum andererseits haben, Wer Held sagt, sagt auch Verbrecher.

Um etwas literarisch zu werden ein kleiner Hinweis .... un clin d'oeuil ...



Friedrich Schiller: Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande:
Ihn schlugen die Häscher in Bande,
»Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!«
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
»Die Stadt vom Tyrannen befreien!«
»Das sollst du am Kreuze bereuen.«

»Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit
Und bitte nicht um mein Leben:
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.«

Da lächelt der König mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
»Drei Tage will ich dir schenken;
Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,
Eh' du zurück mir gegeben bist,
So muß er statt deiner erblassen,
Doch dir ist die Strafe erlassen.«

Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut,
Daß ich am Kreuz mit dem Leben
Bezahle das frevelnde Streben.
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
So bleib du dem König zum Pfande,
Bis ich komme zu lösen die Bande.«

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
Und liefert sich aus dem Tyrannen;
Der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
Eilt heim mit sorgender Seele,
Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,
Von den Bergen stürzen die Quellen,
Und die Bäche, die Ströme schwellen.
Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
Da reißet die Brücke der Strudel herab,
Und donnernd sprengen die Wogen
Dem Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand:
Wie weit er auch spähet und blicket
Und die Stimme, die rufende, schicket.
Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
Der ihn setze an das gewünschte Land,
Kein Schiffer lenket die Fähre,
Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
Die Hände zum Zeus erhoben:
»O hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
Die Sonne, und wenn sie niedergeht
Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
So muß der Freund mir erbleichen.«

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
Und Welle auf Welle zerrinnet,
Und Stunde an Stunde ertrinnet.
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
Und wirft sich hinein in die brausende Flut
Und teilt mit gewaltigen Armen
Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort
Und danket dem rettenden Gotte;
Da stürzet die raubende Rotte
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord
Und hemmet des Wanderers Eile
Mit drohend geschwungener Keule.

»Was wollt ihr?« ruft er vor Schrecken bleich,
»Ich habe nichts als mein Leben,
Das muß ich dem Könige geben!«
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
»Um des Freundes willen erbarmet euch!«
Und drei mit gewaltigen Streichen
Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
Und von der unendlichen Mühe
Ermattet sinken die Kniee.
»O hast du mich gnädig aus Räubershand,
Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
Und soll hier verschmachtend verderben,
Und der Freund mir, der liebende, sterben!«

Und horch! da sprudelt es silberhell,
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
Und stille hält er, zu lauschen;
Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
Und freudig bückt er sich nieder
Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und malt auf den glänzenden Matten
Der Bäume gigantische Schatten;
Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
Will eilenden Laufes vorüber fliehn,
Da hört er die Worte sie sagen:
»Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.«

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen;
Da schimmern in Abendrots Strahlen
Von ferne die Zinnen von Syrakus,
Und entgegen kommt ihm Philostratus,
Des Hauses redlicher Hüter,
Der erkennet entsetzt den Gebieter:

»Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
So rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den mutigen Glauben
Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.«

»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,
Ein Retter, willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue!«

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:
»Mich, Henker«, ruft er, »erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!«

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Augen tränenleer,
Und zum Könige bringt man die Wundermär';
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen,

Und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: »Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn -
So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte.

(Da fing das ganze Theater überhaupt erst an ,,,)

lG
Renée
Zuletzt geändert von Renée Lomris am 05.05.2011, 18:10, insgesamt 1-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 05.05.2011, 17:01

zum einen denk ich: wenn es so sein sollte, dass bin laden für soviel elend federführend war, dann hab ich kein problem damit, dass es diesen menschen nicht mehr gibt. abertausende sind durch sein befehlen gestorben. auf grausame art und weise. man sagt mit einem aufschrei, dass der mann ja garnicht bewaffnet war, als man ihn erschoss! - hatten die menschen im world trade-center eine chance, sich zu wehren?

es ist immer eine zwiespältige sache: ein vergewaltiger und serienmörder, den sollte man, finde ich, einsperren und bei wasser und brot bis zum dahindämmern vegetieren lassen. ich habe kein mitleid mit einem menschen, der das leben anderer zerstört hat. und zwar unwiederbringlich und auf ewig.

klar: es klingt gescheit, das rufen nach einer fairen verhandlung. ist natürlich auch für alle beteiligten eine gerechtere sache. aber - wäre es das auch für bin laden? sein verständnis für recht ist eins, dem westliche gerichte (und er käme vor ein westliches gericht)nichts abgewinnen können. kultuirelle - religiöse schluchten.

aber da sind auch die racheengel der dempokratischen völker, die auf der hatz nach dem schreckgespenst bin laden alles platt machen, was sich in den weg stellt. auch hier unzäliges leid. und letztlich die frage, ob bin laden vielleicht ein opfer ist, das man benutzt, um einen feldzug gegen einen nebulösen terrorismus zu rechtfertigen, der vielleicht nur zur stärkung der eigenen (außenpolitischen) macht und der wirtschaft dient? und ein "legitimes" mittel, um demokratie immer mehr einzuengen?

man weiß es nicht. töten ist nie eine lösung gewesen. es hat halt die dinge vereinfacht. und wie oben schon jemand schrieb: das recht der stärkeren...

Sam

Beitragvon Sam » 05.05.2011, 18:26

Hallo Klara,

Klara hat geschrieben:ich weiß, wir werden in diesem Punkt bzw. dieser grundsätzlichen Haltungsfrage wohl nie einer Meinung sein bzw. zueinander finden und womöglich immer wieder aneinandergeraten. Das macht aber nichts, oder?


Nein, ganz bestimmt nicht. Ich bin froh, dass du diesen Text eingestellt hast. Oftmals verspüre ich auch den Impuls, mir gewisse Dinge einfach von der Seele zu schreiben, aber in den meisten Fällen bin ich zu feige dazu.


Hallo Pjotr,

den Begriff der Stärke hatte ich ins Spiel gebracht, in Klaras Text ist er nicht zu finden. Und die Formulierung "Recht des Stärkeren" ist allgemein verständlich und bedarf (zumal in einer Stellungnahme) nicht der näheren Erläuterung. Eben das meinte ich mit sophistisch, weil du nicht inhaltlich, sondern auf einer rethorischen Basis argumentierst, die mit dem diskutierten Gegenstand nichts zu tun hat. Genauso kannst du verlangen, den Begriff "legitim" in einen ganz konkreten Bezugsrahmen zu setzen. Das ist aber nicht nötig, weil er, so wie ich ihn gebraucht habe, sehr gut verstanden werden kann (und du hast ihn ja genau so verstanden). Ich bin auch gegen Wischiwaschi, aber auch gegen begriffliche Erbsenzählerei, wenn sie nicht notwendig ist.

Und eine Weltformel, Allaussage oder Erkenntnisverkündung kann ich in Klaras Text überhaupt nicht erkennen. Hast du mal gesehen, wieviele Fragezeichen in dem Text stehen?

Gruß

Sam

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 05.05.2011, 18:38

Hi,
es geht hier um Einen. Wenn Bush nach 9/11 von Krieg sprach, so kam das bei vielen vermutlich metaphorisch an - gemeint war, es herrscht jetzt Kriegsrecht, wir behandeln "die" jetzt mit militärischen Mitteln, dh. Bomber, Raketen,
"Kollateralschäden". Als Kontrahent dieser Kriegserklärung wurde das Objekt Al Kaida konstruiert - ein völkerrechtlich mehr als fragwürdiger Ansatz. Jedenfalls hat dort das begonnen, was jetzt einen sichtbares, Mitgefühl-erweckendes Opfer in Osama gefunden hat, die Opfer aller Seiten in Afghanistan, Irak, Pakistan (auch die amerikanischen) taugen da weniger. Obama hat den Truthahn Osama nicht begnadigt, sondern ein unpassendes Thanksgiving ausgerufen, die Kanzlerin plapperte es nach; ich sehe darin eine kleine Tragik, die große spielt abseits des Medienrummels; die spielt nicht nur in Afghanistan sondern genauso im Niger, im Tschad, im Sudan, alles Länder wo radikalisierter Fundamentalismus sich einen religiösen Legitimations-Mantel sucht, ohne dass es den Westen groß beschäftigt.

Mich störte die "Freude" auch massiv, wenn ich mich auch bei manchen der öffentlich kritisierenden Christen fragte, wie das Unrecht-Schreien mit der gleichzeitig fraglosen Verurteilung und Bestrafung von Osama zusammengeht - Bestrafung im Diesseits und (haben die Katholiken nicht für solche Leute ihr permanentes Folter-Camp namens Hölle im metaphysichen Souterrain?) Jenseits.
Grüße
Franz

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Beitragvon Nifl » 05.05.2011, 19:09

Meiner Meinung nach ist er in dem Krieg gefallen, den er selbst angezettelt hat. In einem Krieg herrschen andere Gesetze. Die Analogie zu Hitler sehe ich auch ganz stark. So einem Wahnsinn muss man mit allen Mitteln entgegenwirken. Ein Prozess (siehe auch Napoleon/Hitler) hätte die ganze Gewaltspirale noch weiter angeheizt und noch mehr Menschen hätten sterben müssen.
Aber: Einen Tod feiern oder sich darüber freuen, finde ich dennoch schlimm und widerspricht meiner innersten Moral zutiefst.
LG
Nifl
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 05.05.2011, 19:29

Sam hat geschrieben:Hallo Pjotr,

den Begriff der Stärke hatte ich ins Spiel gebracht, in Klaras Text ist er nicht zu finden. Und die Formulierung "Recht des Stärkeren" ist allgemein verständlich und bedarf (zumal in einer Stellungnahme) nicht der näheren Erläuterung. Eben das meinte ich mit sophistisch, weil du nicht inhaltlich, sondern auf einer rethorischen Basis argumentierst, die mit dem diskutierten Gegenstand nichts zu tun hat. Genauso kannst du verlangen, den Begriff "legitim" in einen ganz konkreten Bezugsrahmen zu setzen. Das ist aber nicht nötig, weil er, so wie ich ihn gebraucht habe, sehr gut verstanden werden kann (und du hast ihn ja genau so verstanden). Ich bin auch gegen Wischiwaschi, aber auch gegen begriffliche Erbsenzählerei, wenn sie nicht notwendig ist.

Und eine Weltformel, Allaussage oder Erkenntnisverkündung kann ich in Klaras Text überhaupt nicht erkennen. Hast du mal gesehen, wieviele Fragezeichen in dem Text stehen?

Gruß

Sam


Ich bezog mich auf dieses Fazit:

Sam hat geschrieben:Es gibt keine Gerechtigkeit. Nur das Recht des Stärkeren.

Und auf den darauf folgenden Austausch, weswegen ich ich es auch nicht explizit zitierte; ich dachte, der Bezug sei klar.


Ganz ehrlich, ich kann immer noch nichts anfangen mit "Stärke" und "legitim", so wie die Wörter hier verwendet werden. Vor allem "legitim" sehe ich als einen Begriff, der immer dann auftaucht, wenn eine Begründung fällig ist, aber keine da ist.

Gerechtigkeitssinn, beispielsweise, ist eine Stärke; sie ist eine Stärke, wenn es darum geht, das Wohl einer Gesellschaft, bestehend aus vielen Individuen, aufzubauen. Anders funktioniert eine Herde nicht. Deinen Satz angewendet: Es gibt nur das Recht der Gerechten. Das ist doch prima. Es gibt eine Gerechtigkeit. Tautologie. Wenn du mit Stärke allerdings nur Muskelkraft und Panzer meinst, dann ...

Klara
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Beitragvon Klara » 05.05.2011, 21:47

hatten die menschen im world trade-center eine chance, sich zu wehren?

Das ist kein Argument, sondern ein - nachvollziehbares! - Gefühl. Auge um Auge, Zahn um Zahn - so funktioniert aber sogar die US-Rechtsprechung nicht (mehr). Es ist die alte Frage: Bin ich berechtigt (verpflichtet?), dem Gewalttäter dasselbe Übel anzutun? Max und Moritz zum Beispiel: mussten sterben für ihre Untaten. Die Moral von der GEschicht? Quäle deinen Lehrer nicht! Oder: Fühle dich in deine Mitmenschen ein.

Es geht aber gar nicht um Mitleid, oder um dieses oder jenes Urteil, sondern um ein grundsätzlcihes Verständnis.

Nifl, der Krieg - wenn es denn einer war bzw. ist - hat wohl andere, aber dennoch Gesetze. Es gibt Militärgerichte, Standgerichte, ERschießungen etc. Es gibt auch Kriegsverbrechen.

Und man sollte die Frage nie vergessen, wem ein Krieg nützt. Cui bono. Würde z.B. einer der noch nicht verhungerten, noch nicht an Drogen gestorbenen Kindersoldaten in einem der sinnlosen und allzu profitablen Kriege in Afrika (ich sehe das ähnlich wie du, RäuberKneißl...) einen der Waffenhändler/Tretminenproduzenten, darunter auch hehre deutsche Firmen, ohne die die Kriege gar nicht möglich wären, erschießen - wäre das dann "legitime" Rache? Notwehr? Verbrechen? Strafe? Wer hat den Krieg erklärt? Ist es auch Krieg, wenn er nicht erklärt wurde? Für wen gegen wen wird er geführt? Vor allem: Zu wessen Nutzen? Wessen Macht gilt es zu schützen? Die tötenden Kinder haben davon außer vermutlich keinen Fitzel, gewinnen nichts als Einbildung in Kraft und besagte "Stärke" und perpetuieren Elend, werden vermutlich nicht mal lange genug leben, um eigenen Kindern das Töten beizubringen, weil sie gar keine haben können. Sie kämpfen nicht für sich selbst, sondern ums Überleben. Auch die Al Kaida-Kämpfer rekrutieren ihre Waffenträger aus solchen Reihen der scheinbar Chancenlosen. Wo insgesamt so grundsätzlich so vieles nicht stimmt, lässt sich gut Krieg führen. Cui bono? Woher kommen die Waffen? Wer bezahlt wen warum? Wie wohlfeil sind die Moralpredigten der Anti-Terror-Kämpfer, wie rein ihre Westen in Wirklichkeit - und wie teuer das Waschmittel der Geldwäscher? Geht es um Gott oder Freiheit oder Recht oder Wahrheit? Wer soll an was glauben? Wer hat die Glauben-Machen-Macht?

Die RAF hatte "dem Staat" auch den Krieg erklärt - war es deshalb tatsächlich einer? Reicht es, wenn ein gewaltbereiter Irrer den Krieg erklärt oder bleibt er trotzdem ein Verbrecher, unabhängig von seinen Motiven? "Terrorismus" ist eine Definitionsfrage. Die Anti-Terror-Kämpfer-Staaten terrorisieren bis heute auf unterschiedliche Weise nicht wenige Staaten, unzählige Menschen. Natürlich immer im Namen von irgendwas, zur Verteidigung von irgendwas. Immer ist es alternativlos. Pinochet zu stützen z.B., Vietnam auszuräuchern, Guantanamo. Tschetschenien. Immer muss ich, Guter, mich gegen die Bösen wehren. Und bloß nicht mit ihm reden, ihn nicht fragen, was in ihm vorgeht, denn er ist Feind, und muss es sein, damit ich Guter sein kann. Dran glauben kann. Dran glauben lassen kann.
Bei der RAF hat hat die damalige BRD tatsächlich sich in einen "Krieg" hineinhysterisieren lassen, nicht zuletzt, weil die Gegenseit starke moralische Argumente hatte. Weil die Nazis weiter leben und bestimmen durften, zu viele. Weil das Unrecht noch nicht Unrecht genannt wurde, nicht genug geahndet worden war. Weil ein Wirtschaftswunder-Weiterso wichtiger war als ein Filbinger oder der eigene Opa als Nazi. Sie hatten theoretisch mit zu vielem "recht", so dass ihr eigenes blindkurzschlüssig praktiziertes Unrecht (auch dies, damals, wohl eine Art Selbstjustiz, im Sinne von Tod den Mördern, die immer weitermorden, indirekt und wirkungsvoll) viel größer wurde, viel mächtiger, als es wirklich war. Viel wichtiger als objektiv nötig sozusagen. Weil sie nicht als einfache Verbrecher behandelt wurden, sondern als politisch Agierende. Man ist der Propaganda der RAF aufgesessen in einem Abwehr-Reflex. Interessant. Wie lautet die Propaganda der heutigen Terroristen? Wird ein Mord mörderischer, wenn er im Namen von Al Kaidas Gott geschieht? So dass ich, US-Amerikaner, für meinen eigenen Gott (Freiheit oder was auch immer) den Angreifer meines Gottes töten darf - und muss? Werde ich dann nicht selbst - zum Terroristen? Sind das nicht zwei Seiten einer verrotteten Medaille?

Befand sich die BRD im Krieg gegen ein paar Studenten? Befand sich/befindet sich Amerika+Großbritannien+Frankreich+alleanderen im Krieg gegen eine Terrorgruppe namens Al Kaida? Was bedeutet dann überhaupt Krieg? Heute? Nicht mehr der Macht- und Territorialkampf zweiter Staaten - sondern der Kampf um Deutungshoheit? Worum geht dieser Krieg? Wer ent-erklärt ihn jetzt, wo der Er-klärer bin Laden nichts mehr (v)erklären kann? Hat jetzt die Anti-Terror-Front gesiegt? Braucht es eine weiße Fahne? Wer könnte sie hissen? Wer zahlt die Reparationen an wen? Wer handelt den Friedensvertrag aus - und wer unterzeichnet ihn?

Wenn Terroristen Krieger sind, sind es keine Verbrecher, und wenn sie Verbrecher sind, ist es kein Krieg. Der Anschlag auf das World Trade Center (ca. 2800 Tote) - war er schlimmer als die Bombe auf Hiroshima (mindestens 90.000 Tote)? Wenn doch beides im Krieg passiert und "Unschuldige", also Zivilisten tötete. Hätte ein japanisches Sonderkommando daraufhin Truman im Kreise seiner Familie, unbewaffnet, beim Frühstück zum Beispiel, die Kaffeetasse in der Hand, erschießen "dürfen", weil im Krieg andre Gesetze gelten und der Schuldige schon ausgesmacht ist, jeweils?
Kann man Verbrecher mit verbrecherischen Mitteln zur Strecke bringen? Sollte man fordern, dass, wer kein Mitleid mit mir hatte, als ich am Boden lag, von mir kein Mitleid erwarten darf, wenn er am Boden liegt - oder dreht das die Gewaltspirale nur immer weiter? Im Übrigen geht es ja nicht um Gefühle. Gefühle sind immer nur die Gleitmittel der Botschaft, Transporteure der Motivation zum Töten.

Ich fürchte, die Kanzlerin hat sich nicht mal "gefreut", sondern aus taktischen Gründen dieses Gefühl behauptet, weil sie bei kurz zuvor gefallenen Entscheidungen im Verbund mit den Westmächten ja vorher nicht gerade heldenhaft auftrat. (Übrigens, bei aller Skepsis, war diese seltsame, unpopuläre Enthaltung eine der wenigen Entscheidungen des Außenministers, die man durchaus respektabel finden kann.)

töten ist nie eine lösung gewesen. es hat halt die dinge vereinfacht.
Dafür hätte ich gern ein Beispiel: Wann haätte Töten je irgendetwas, im Zusammenleben von Menschen, vereinfacht?

herzlich
klara
Zuletzt geändert von Klara am 05.05.2011, 21:57, insgesamt 9-mal geändert.


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