Die Füchsin

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 10.03.2011, 23:15

Die Füchsin (13.3.2011)

Sie steht in ihrem Ankleidezimmer, eine große, schöne Frau um die Fünfzig, die zu einem Fest eingeladen ist. Sie trifft ihre Vorbereitungen. Die Haare hat sie im Nacken zusammengesteckt, ein Band aus weißen Perlen umschließt den Haarknoten. Sorgfältig zieht sie die Träger ihres Abendkleides auf den Schultern zurecht. Sie setzt sich an den Schminktisch und malt ihr Gesicht; sie legt Lippenstift auf, pudert die Wangen rötlich und die Augenlider silbern. Mit sanfter Hand streichelt sie die Falten auf ihrer Stirn weg und lächelt ihrem Spiegelbild zu.
Dann nimmt sie von der Stuhllehne den Fuchs. Eigentlich ist es eine Füchsin, aber das weiß die Frau nicht. Leise summend legt sie sich den Pelz um die Schultern und besieht sich im Spiegel. Stolz dreht sie den Kopf hin und her.

Die Frau schreitet durch den festlichen Abend, in die Füchsin gehüllt. Sie redet und lacht, trinkt Champagner und fühlt bewundernde Blicke auf sich ruhen. Die Füchsin liegt still und duldsam auf den nackten Schultern.
Lange nach Mitternacht kehrt die Frau heim. Summend geht sie durch ihr stilles Haus und öffnet die Hintertür. Der Wald unweit des Hauses atmet ihr Kälte entgegen. Die Frau nimmt die Füchsin von ihren Schultern und entlässt sie in die Freiheit.

Im Morgengrauen schleicht die Füchsin über taufeuchte Wiesen heimwärts, steif und matt. Sie trägt das Gesicht der Frau, sorgfältig über ihr eigenes gezogen. Durch die leeren Augenhöhlen der Frau sucht sie ihren Weg in den Wald.
Viel später rollt die Sonne endlich über den Himmel und saugt die letzten Frühnebel aus den Wiesen. Die Luft ist klar. Im Wipfel eines Baums hängt das leere Gesicht der Frau, sich selbst überlassen. Unter der Erde schläft die Füchsin, tief verkrochen in ihrem Fell.


Alte Fassung:
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Zuletzt geändert von Zefira am 13.03.2011, 23:35, insgesamt 3-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.03.2011, 09:47

Hallo Zefi,

Oh, wie schön eine neue Zefigeschichte! Ein wenig erinnert es mich an die Tierheimgeschichte, in dieser Verbindung von Mensch und Tier und diesem Gruselmoment. Das ist eigentlich nicht so meine Richtung, aber du verlierst mich trotzdem nicht, weil dir wieder eine feine Mischung gelingt, die auch darüberhinaus etwas anspricht.

Diesmal habe ich aber ein paar sprachliche Anmerkungen. Da scheint es mir im Vergleich zu deinen sonstigen Geschichten noch etwas "unrund". Vielleicht übersehe ich da aber auch etwas. Ich bin mal in der Geschichte:
Mit sanfter Hand streichelt
Du arbeitest mit vielen Adjektiven. An manchen Stellen, würde ich das versuchen zu reduzieren. Hier liegt das "sanfte" ja schon im "streicheln". Ich würde eher die Aufzählung weiterführen. "... silbern, streichelt die Falten ..."
Dann nimmt sie von der Stuhllehne den Fuchs. Oder ist es eine Füchsin? Die Frau weiß es nicht, und es ist ihr gleichgültig.
Das "dann" würde ich weglassen und einfach weitererzählen. Die Frage, ob es eine Füchsin oder ein Fuchs ist und ihre Gleichgültigkeit scheint mir nicht glaubwürdig, schon im Titel wird die Füchsin ja benannt und diese Frage wird auch im Laufe der Geschichte nicht irgendwie aufgegriffen oder thematisiert.
Leise summend legt sie sich den Pelz um die Schultern und besieht sich im Spiegel. Stolz dreht sie den Kopf hin und her.
Hier erscheint mir "leise" überflüssig.
Wenn ich das zusammenziehe sähe es dann so aus:
Sie nimmt die Füchsin von der Stuhllehne, legt sie sich um die Schultern und besieht sich im Spiegel. Stolz dreht sie den Kopf hin und her.
Gelassen und königlich schreitet die Frau durch den festlichen Abend,
"Gelassen" würde ich wieder weglassen, das schwingt im "schreiten" schon mit.
Spät in der Nacht kehrt die Frau heim. Leise summend geht sie durch ihr stilles Haus und öffnet die Hintertür
Ev. "Tief in der Nacht" statt "spät"?
Ist die Wiederholung von "leise summend" und "still" Absicht? Vielleicht: "Das Lied zuende summend geht sie durch ihr schweigendes Haus und..."
Der Wald unweit des Hauses atmet ihr kalte Nachtluft entgegen. Die Frau nimmt die Füchsin von ihren Schultern und entlässt sie in die Freiheit.
Die Wiederholung von "Nacht" würde ich streichen, nur "kalte Luft" genügt.
Stunden vergehen. Im Morgengrauen schleicht die Füchsin über taufeuchte Wiesen heimwärts, steif und matt, aber unversehrt. Auf ihrer Stirn trägt sie das Gesicht der Frau, sorgfältig über ihr eigenes gezogen. Durch die leeren Augenhöhlen der Frau sucht sie ihren Weg in den Wald.
Hier würde ich auch das "Stunden vergehen." rausnehmen. Durch das "Morgengrauen" wird das doch klar? Schade finde ich das "aber unversehrt", weil das für mich etwas vom Zauber, dem Grat, auf dem sich die Geschichte bewegt, nimmt, das so zu betonen. "Auf ihrer Stirn" hat mich bildlich verwirrt, das würde ich auch streichen.
Viel später steigt rollt die Sonne endlich über den Himmel und saugt die letzten Frühnebel aus den Wiesen. Die Luft ist klar. Hoch oben im Wipfel eines Baums hängt das leere Gesicht der Frau, endlich sich selbst überlassen. Die Füchsin schläft längst, tief verkrochen in ihren Bau und ihrem Fell.
Statt "viel später" (Vielleicht verstehe ich die zeitliche Bedeutung innerhalb der Geschichte nicht?) ev.: "Als die Sonne endlich über den Himmel rollt und die letzten Frühnebel aus den Wiesen gesaugt hat, ist die Luft klar. Sonst entweder "steigt" oder "rollt"?
"Hoch oben" wird durch den "Wipfel" klar.
Ich würde am Ende nur das Fell nehmen, sonst klingt es so "angehängt" und erhält dadurch eine Betonung, die ähnlich auf mich wirkt, wie das "aber unversehrt".
"... tief verkrochen in ihrem Fell."

Ich hoffe der Kleinkram täuscht nicht darüber hinweg, dass ich die Geschichte wieder sehr gern gelesen habe!

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 11.03.2011, 12:07

Hallo Zefira,
eine schöne Idee, den um den Hals gelegten Pelz lebendig sein zu lassen! Auf die Weise dürften dann Pelze ja wieder getragen werden ... Schwierigkeiten habe ich am Schluss mit dem Gesicht der Frau, das die Füchsin über der Stirn trägt - wie eine Maske. Ist das nicht eine Drehung zu viel, hebt das nicht ab auf eine allzu symbolische Ebene?

Hallo Flora,
Du hast den Text wie ein Gedicht behandelt, in dem jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muss, keines zu viel sein darf. Ich finde Deine Kürzungsvorschläge alle gut begründet - aber ich fürchte, der Prosafluss würde darunter leiden. Für meine Begriffe verträgt Prosa durchaus auch ein paar Redundanzen!
Gruß
Quoth
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.03.2011, 14:04

Hallo Quoth,

vielleicht so, je kürzer die Prosa, desto (ge)wichtiger das einzelne Wort. Wobei ich da wahrscheinlich wirklich keinen großen Unterschied mache im Lesen und Wahrnehmen. Es muss sowohl Lyrik, als auch Prosa für mich in sich stimmig sein und ebenso wie ich mich über einzelne Worte und Wendungen freuen kann, so können sie mich eben auch stören.

Ich denke nicht, dass Prosa durch Redundanzen und einer Häufung von Adjektiven gewinnt, vor allem nicht, wenn sie mir beim Lesen als solche auffallen und ich nicht den Eindruck habe, dass bewusst damit gearbeitet wurde.
Der Fluss würde hier denke ich nicht leiden, im Gegenteil, mich haben diese Worte ja gerade ausgebremst.

Bei Zefi kommt natürlich hinzu, dass ich von ihren Geschichten verwöhnt bin. .-)

Liebe Grüße
Flora
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Zefira
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Beitragvon Zefira » 12.03.2011, 00:38

Hallo,
ich empfinde den Text im Moment auch als unrund, muss aber wohl noch etwas sacken lassen.
Es ist ein alter Text, der auch schon veröffentlicht wurde, aber sprachlich gefiel er mir nicht mehr, deshalb habe ich eine vielleicht zu schnelle "Neufassung" vom Stapel gelassen. In der ursprünglichen Fassung hatte ich statt der Füchsin einen Fuchs benannt - irgendwie funktioniert es für mich eindeutig besser, wenn auch der Fuchs eine Frau ist.
Evtl. wollte ich den Text in Münster lesen, aber dafür ist noch ein wenig Zeit.
Übrigens hatte ich keinen Protest-Text gegen Pelztragen im Sinn (als ich den Text schrieb, trug ich selbst hin und wieder noch Pelz). Mir ging es um das Tragen einer Haut bzw. eines Gesichts, das einem nicht gehört.
Ich geh noch mal drüber. Vielen Dank einstweilen!
Nachtgruß von Zefira
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.03.2011, 07:59

Hallo Zefi,

irgendwie funktioniert es für mich eindeutig besser, wenn auch der Fuchs eine Frau ist.
Für mich auch.

Ich kann mir den Text gut bei einer Lesung vorstellen.

Liebe Grüße
Flora
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 12.03.2011, 10:38

Schön seltsam, mit einem Hauch Horror. Kurzfilmkino. Ich finde die Stimmung klasse, und der Text kommt mir doch ziemlich rund vor, nur der kleine Abschnitt mit der Menschenmaske auf der Füchsin könnte für meinen Geschmack noch ein bisschen genauer und eleganter beschrieben werden (und das "steigt rollt" halt noch ...).

Könnte mir ganz gut Zefira in der Hauptrolle vorstellen.


Cheers

Pjotr


Ja, in der Menschenrolle, natürlich :-)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 12.03.2011, 11:50

Pjotr hat geschrieben:Könnte mir ganz gut Zefira in der Hauptrolle vorstellen


Zefira hat geschrieben:eine große, schöne Frau um die Fünfzig


:confused2: naja, um die 50 stimmt ... :totlach:
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Beitragvon Pjotr » 12.03.2011, 12:12

Der Rest auch.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.03.2011, 19:36

Liebe Zefira,

das ist ein ganz toller Text, kräftig und unheimlich, auf verschiedene Art unheimlich, geheimnisvoll. Dieses Hin.und Her zwischen, wer nun die Füchsin ist und wer den andern im Gesicht/um die Schultern trägt, der angrenzende Wald und das Schminken, ich finde das sehr gekonnt und tief gezeichnet.

Ich würde diesen Text sehr sehr gern in Münster hören!

Ich bin beim Lesen an keiner Stelle hängen geblieben und brauchte auch nirgendwo mehr oder weniger, ich fands einfach genau richtig, wie es ist.

Nun hab ich neben dem Mond einen neuen Zefiralieblingstext.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 13.03.2011, 12:12

Hallo Zefira, mein Problem scheint nicht Deines zu sein. Trotzdem will ich es noch mal weiter verfolgen und eine Lösung vorschlagen: Am Anfang müsste die Frau sich nicht nur schminken, sondern auch maskieren. Mit einer Halbmaske, wie man sie z.B. im venezianischen Karneval trägt. Diese Halbmaske könnte die Füchsin dann am Ende mitgenommen haben und durch deren leere Augenhöhlen schauen. Es würde das (für meine Begriffe) zu aufdringlich Symbolische der jetzigen Version mildern. Aber das ist eine inhaltliche Angelegenheit. Stilistisch sehe ich ebenso wenig wie Lisa Verbesserungsbedarf.
Gruß
Quoth
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Gerda

Beitragvon Gerda » 13.03.2011, 13:16

Liebe Zefi,

die Idee ist sehr reizvoll, die Geschichte indes für mich noch leicht unrund, das heißt nicht, dass sie mir nicht gefällt.
Ich denke ganz ähnlich wie Lisa, dass noch Überarbeitung notwendig ist.
Quoth hat schon Hinweise gegeben
Ich versuche noch ein paar Dinge anzusprechen, die hoffentlich noch nicht genannt wurden
Gleich anfangs stolpere ich über die Formulierung:
Zefira hat geschrieben:Sie malt ihr Gesicht.

Das ist nicht gemeint, vermute ich sondern "anmalen". Der Satz könnte aber auch genauso gut wegfallen, meine ich, weil im Folgenden alles zum Schminken Wichtige beschrieben wird.
an der folgenden Stelle weiß ich nicht, ob die Satzstellung so günstig ist.
Zefira hat geschrieben:Dann nimmt sie von der Stuhllehne den Fuchs. Oder ist es eine Füchsin?

Flüssiger für mich: Dann nimmt sie den Fuchs - oder ist es eine Füchsin - von der Stuhllehne.
Der Schluss, den ich in dieser Form auch auf der phantastischen Ebene noch als in sich nicht schlüssig empfinde, wurde schon diskutiert.
Die poetische Betrachtung gefällt mir sehr, nur solltest du dich im Fall der Sonne zwischen den Verben ( rollt, fände ich die besssere Wahl) entscheiden, oder ein Komma einfügen.
Zefira hat geschrieben:Viel später steigt rollt die Sonne endlich über den Himmel und saugt die letzten Frühnebel aus den Wiesen. Die Luft ist klar.


Liebe Sonntagsgrüße ... hier ist die Luft unklar ;-)
Gerda

Klara
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Beitragvon Klara » 13.03.2011, 13:29

Ich würde diesen Text sehr sehr gern in Münster hören!

Ich auch!
:)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 13.03.2011, 15:17

Hallo Gerda, Zefi,

Gerda hat geschrieben:Gleich anfangs stolpere ich über die Formulierung:

Zefira hat geschrieben:
Sie malt ihr Gesicht.

Diesen kleinen Widerhaken empfinde ich als sehr wichtig für den weiteren Verlauf der Geschichte.
Hiervon ausgehend habe ich auch mit der Wendung am Ende kein Problem und würde auch auf keinen Fall versuchen, das auf eine "logischere" Ebene zu heben und der Frau eine "echte" Maske verpassen, wie Quoth es vorschlägt.

Liebe Grüße
Flora
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