Winterbaum

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 03.01.2010, 12:52

Winterbaum
(geänderte Fassung)


Ich wollte wachsen
wie der Baum vor meinem Fenster
und wuchs
in mich hinein.

Meine Zweige streckten sich dir zu,
wie zaghaft sie waren.
Du schnittest sie zurück
mit rostigen Worten.

Was ich dir sagen wollte,
bargen meine Knospen.
Sie fielen in der Wintersonne
deines Lächelns.

Die Jahresringe wurden kleiner.
Ich wollte wachsen
und wuchs
in mich hinein.

Der Baum vor meinem Fenster,
er wird auch morgen noch
dem Schnee von heute trotzen.


► Text zeigen

Trixie

Beitragvon Trixie » 03.01.2010, 13:50

Hallo Herby,

ach, ich weiß, der Text steht erst eine Stunde hier drin, aber worauf noch warten?

Ich hab gerade, durch den wunderschönen Titel neugierig geworden, dieses Gedicht gelesen und ich finde es richtig wehmütig-hoffnungsvoll schön. Du balanciert und drückst hier für mich genau richtig zwischen nicht zu viel Pathos und Schmalz und doch viel viel Gefühl und schöne, außergewöhnliche Worte sehr treffend etwas aus.

Zwei kritische Gedanken habe ich - braucht es das "rostige" Wortmesser? Vom Klang her passt es da hinein, aber das rostig ist mir redundant.
Zweitens - was mir nicht so gut gefällt ist dieses "morgen noch heute", das erinnert mich so arg an so viele Werbungen für Versicherungen und so weiter von wegen "heute schon an morgen denken". Das geht mir leider irgenwie ein bisschen quer, so schön die Idee auch sein mag. Und wieso überhaupt morgen noch heute trotzden? Ist morgen auch noch Schnee? Dann kann man doch das "heute" weglassen? Und wenn morgen kein Schnee mehr ist, muss man doch nicht mehr trotzden? Oder willst du damit was ganz anderes ausdrücken, hmmm.

Besonders angetan hat es mir die dritte Strophe . Und der Titel. Der ist schon ein einziges großes, tiefes Bild für sich und drückt perfekt den Inhalt des Liebesgedichtes aus. Einfach schön.

Dieses Gedicht hat mich wirklich berührt, Herby. *schnief* :-)

Liebe Grüße
die Trix

DonKju

Beitragvon DonKju » 03.01.2010, 14:02

Hallo Herby,

es muß wohl an der Jahreszeit und dem unerwartet vielen Schnee liegen, daß momentan ein melancholisch besinnlicher "Wintertext" dem anderen folgt. Einzig bei der Reprise frage ich mich, ob man diese nicht formal genau so wie die erste Strophe , bis auf eine geänderte zweite Zeile natürlich, schreiben sollte, also eher in dieser Art :

Ich wollte wachsen
obschon die Jahresringe kleiner wurden
und wuchs
in mich hinein.

Vielleicht ist es Dir ja eine Überlegung wert, mit Sonntaggrüßen dazu vom Hannes

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 03.01.2010, 17:58

Kommentar wegen Löschung des Accounts entfernt.
Heidrun
Zuletzt geändert von Heidrun am 20.01.2010, 23:04, insgesamt 1-mal geändert.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 03.01.2010, 18:05

Mir sind die rostigen Wortmesser auch schon zu viel. Wortmesser allein hat Kraft genug, sie auch noch rostig zu machen, nimmt die Stärke wieder weg. "Gilding a Lily" würde ich sagen.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.01.2010, 19:13

Lieber Herby,

ein feines, melancholisches Gedicht hast du geschrieben. Es berührt mich so richtig.
Es ist so zart, dass ich nicht daran rütteln möchte, sondern es einfach nur inhaliere und dem Nachhall dieser wehmütigen Stimmung, die du bei mir erzeugst, nachlausche.

Saludos
Mucki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 03.01.2010, 22:13

Hallo Herby,

da hast du ein wunderbares Bild gefunden, gefällt mir sehr! Ich habe trotzdem, oder gerade deshalb ein paar Anmerkungen, weil ich es so mag. :-)

Von der Abfolge her habe ich ein wenig Schwierigkeiten, weil das Hineinwachsen und das Zweige strecken mir so direkt nacheinander seltsam widersprüchlich erscheint. Ich glaube, ich würde da lieber eine Entwicklung sehen, also die letzen zwei Zeilen der ersten Strophe erst in der vierten Strophe lesen.

Du schnittest sie zurück
mit rostigen Wortmessern.

Die erste Zeile finde ich klanglich arg unschön, auch wenn das natürlich zum Inhalt passt, empfinde ich es hier trotzdem störend.
Bei den rostigen Messern geht es mir so, dass ich das „rostig“ klasse finde, das Wortmesser mir jedoch zu viel ist. Ich denke diese Ebene wird durch die nächste Zeile viel feiner erreicht und auch klar.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass es so wirken würde:

Meine Zweige streckten sich dir zu,
- wie zaghaft sie waren -
Du nahmst das rostige Messer.

Sehr gelungen und berührend finde ich den Einschub „wie zaghaft sie waren“, weil sich da auch die Stimme verändert, eine Pause entsteht.

Was ich dir sagen wollte,
bargen meine Knospen.
Sie fielen in der Wintersonne
deines Lächelns, vor der Blüte.

Oh das ist schön... aber klanglich bin ich nach dem Lächeln am Ruhepunkt der Strophe. Das „vor der Blüte“ erscheint mir dann nachgeschoben und eigentlich auch redundant?


Die Jahresringe wurden kleiner.
Ich wollte wachsen
und wuchs
in mich hinein.

Schön! Das wäre für mich das perfekte Ende. Ich glaube alles, was danach kommt, nimmt diesem Bild für mich nur an Kraft.

Der Baum vor meinem Fenster,
er wird auch morgen noch
dem Schnee von heute trotzen.

Mmmh, das verändert die Stimmung für mich sehr. Das Weiche wird durch das Trotzen aufgehoben. Aber wird das nicht auch schon im Titel gesagt, dass dieser Baum den Winter übersteht? Oder vielleicht könntest du es in die erste Strophe integrieren?


Winterbaum

Ich wollte wachsen
wie der Baum vor meinem Fenster
den Schnee von gestern trägt.

Meine Zweige streckten sich dir zu
- wie zaghaft sie waren -
Du nahmst das rostige Messer.

Was ich dir sagen wollte,
bargen meine Knospen. Sie fielen
in der Wintersonne deines Lächelns.

Die Jahresringe wurden kleiner.
Ich wollte wachsen
und wuchs
in mich hinein.


Wie immer nur zum Anschauen, ob etwas für dich dabei ist. :-)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Herby

Beitragvon Herby » 03.01.2010, 22:30

Liebe Leute,

ich krieg 'ne Krise, ehrlich!

Jetzt sitz ich hier über eine Stunde, tippe eine lange Antwort an euch, klicke auf Absenden - und sie ist sowas von abgesendet, dass sie erst gar nicht mehr erscheint! :angst_2: :a050: :confused-smiley-006:

Das krieg ich jetzt nicht mehr alles zusammen, morgen bin ich den ganzen Tag bis Abends aushäusig, es wird also wohl Dienstag werden, bis ich dazu komme - ich bitte um Nachsicht. So ein Mist!!!

Trotzdem schon mal meinen verkürzten Dank für euer Lesen und eure Aufnahme des Textes.

Lieben Gruß
Herby

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 04.01.2010, 20:13

Lieber Herby,

probier in solchen Fällen unbedingt, entweder im Browser auf zurück zu klicken oder Strg und z zu drücken, eigentlich gehen dann keine Beiträge verloren! Und lass dich nicht von der neuen Funktion verwirren, dass wenn während deines Verfassens des Beitrages jemand anders einen Beitrag in dem gleichen Faden geschrieben hat, du nochmal bestätigen musst, dass du deinen Beitrag so abschicken möchtest!

Aber eigentlich bin ich ja wegen des Gedichtes hier: Ich finde, solch ein sanftes, auch schlichtes Gedicht hast du bisher noch nicht geschrieben, immer war ein "barocker" (so will ich es mal nennen) Ton mit dabei, was oft auch eine tolle Wirkung hat, aber das hier trifft mich besonders. Ich mag es, wie du dem einfachen Bild mit dem Baum gerecht wirst, es durch die anderen Zeilen belebt wird, gezeigt wird, was für ein menschlicher Zustand in diesem einen kleinen Bild erfasst ist.

ich schließe mich an, dass auch mir die rostigen Wortmesser zuviel zusammengepackt ist (zudem schneidet man Bäume eher nicht mit Messern?), ich frage mich, ob du da überhaupt ein Bild verwenden solltest: durch den "botanisch" geprägten Begriff des Zurückschneidens werden die Bilder auf einmal so direkt, ich würde das ganze eher kürzen oder vielleicht einfach etwas mit Scheren schreiben oder nur vom Zurückschneiden und das Instrument weglassen.

Ansonsten aber ist das für mich eigentlich sogar ein Erzählgedicht (man könnte verschieben?), dass durch die Wiederholung für mich wie ein gesprochenes Lied klingt - was ich passend finde für das Bild: dass das Wachsen/die Liebe ja nicht aufhört, sondern nur nach innen geschieht, andauert, fortdauert.

Ein schöner, weicher Text...

liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Herby

Beitragvon Herby » 05.01.2010, 23:49

Hallo in die Runde,

nachdem meine letzte lange Antwort im virtuellen Nichts verschwand (Lisa, ich hatte das versucht mit Browser zurück bzw. Strg+z, vergebens), versuch ich es jetzt noch einmal, wenn auch am Ende eines turbulenten Tages nicht ganz so ausführlich.

Einige von euch haben sich an den "rostigen Wortmessern" gestört. Ich werde es nachher oben mal ohne die Messer einsetzen, die scheinen mir im Nachhinein betrachtet wegen des Verbs tatsächlich entbehrlich. Dagegen kann ich eine Redundanz zwischen "rostig" und "Messer" nicht erkennen, Trixie. Das eine ist ja kein zwangsläufiges Merkmal des anderen, oder?

Aber auch den Zusatz "vor der Blüte" kann ich streichen, ja, Flora. Nur mit deinem Vorschlag zur letzten Strophe hab ich noch Probleme, hier muss ich noch überlegen (Trixie hat ja auch darauf verwiesen).

Was das "schnittest" betrifft, Heidrun, so klang auch mir "schnittst" ziemlich unaussprechlich. Ich hatte es u.a. mit "stutztest" und "kapptest" versucht, ohne dass mich dies sonderlich glückich gemacht hätte, und hielt dann die jetzige Version für das kleinere Übel.

Bilbo, bei deiner Anregung frage ich mich, worin für dich der Unterschied liegt, ob nun die zweite (wie bei dir) oder erste Zeile (wie bei mir) verändert ist, denn davon abgesehen folgt ja diese Strophe der ersten. Da ist mir noch unklar, wie du es meinst.

Dass euch mein Text gefällt und/oder berührt, freut mich sehr. Über den barocken Ton, der bisher in meinen Text mitgeschwungen haben soll, musste ich ja schmunzeln, Lisa. Und auch nachdenken... ;-)

Jedenfalls danke ich euch herzlich fürs Lesen und eure Rückmeldungen.

Lieben Gruß
Herby

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 06.01.2010, 20:34

Lieber Herby,

ich finde die einfachere neue Fassung zwar sprachlich schöner, ich denke aber, dass so etwas der Sinn verloren geht: Warum behindern rostige Worte das Wachsen eines Baumes? Ich kann das nicht mehr zusammenfügen für ein Lesen - (ich habe schon vorher gezuckt, warum es rostige Messer sind, warum schaden rostige Scheren einem Baum mehr als nicht rostige? Oder sollten sie einfach nur alt sein? Aber wie versteht man das dann übertragen? Reagiert das lyr. Du mit rostigen Scheren, weil es alte Muster/Reaktionsweisen sind? Die längst ihre Gültigkeit verloren haben, aber es einfach seine Art zu reagieren ist, die er gelernt hat? Weißt du, was ich meine? Ich würde daher eher das "rostig" auch streichen oder anders ausdrücken, was du sagen möchtest.

Das mit dem "barocken" Ton war natürlich nicht völlig zutreffend gesprochen und eine Kritik war es natürlich auch nicht, wollte ich nur nochmal betonen :-)

Übrigens fiel mir ein, dass "winterwachsen" auch kein schlechter Titel wäre, vielleicht sogar noch etwas treffender, allerdings gefällt mir auch der Winterbaum und er ist eine Spur schlichter.

liebe Grüße,
Lisa
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Heidrun

Beitragvon Heidrun » 07.01.2010, 16:17

Kommentar wegen Löschung des Accounts entfernt.
Heidrun
Zuletzt geändert von Heidrun am 20.01.2010, 23:05, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Lisa » 07.01.2010, 20:57

Liebe Heidrun,

Es geht doch nicht um eine Naturbeschreibung, sondern um die Eliminierung einer zaghaften (menschlichen) Annäherung.



ja, aber da muss doch der Rost als "Schadensmoment" doch irgendwie mit dem Baum zusammenzubringen sein? Sonst könnte man ja ein völlig beliebiges Wort nehmen. Nicht falsch verstehen, meine Fragen sind einfach nur Nachfragen, weil ich einfach noch nicht verstehe, wie das zu lesen ist.

liebe Grüße,
Lisa
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.01.2010, 21:30

Hallo Lisa,

also für mich könnte das "rostige" hier sagen, dass es ein altes Messer ist, nicht gepflegt (ihm also scheinbar keine große Bedeutung, Wichtigkeit zugeschrieben wird vom Besitzer) und in Bezug auf die Äste, dass es keine sauberen Ränder gibt, kein einfacher Schnitt, dass es länger dauert... also, dass der "Schmerz" quälender, größer wird, vielleicht auch bewusster verursacht, oder zumindest in Kauf genommen.
(Diese speziellen Messer gibt es übrigens wirklich, ich glaube sie heißen "Hippe".)

Hallo Heidrun,

Heidrun hat geschrieben:Es geht doch nicht um eine Naturbeschreibung, sondern um die Eliminierung einer zaghaften (menschlichen) Annäherung.

Ja, aber die Naturbeschreibung ist doch das Bild, die Metapher dafür. Warum der Baum und die Äste, aber nicht das Messer?

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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