Hallo Renée,
das habe ich sehr gerne gelesen und die Geschichte gefällt mir wirklich gut. Auch wenn ich auf Grund mangelnder Kenntnis ein wenig Mühe hatte, die rein berufliche Beziehung zwischen Anton und Max im medizinischen Ausbildungsbetrieb aufzudröseln. Aber, soweit meine ich es verstanden zu haben, war er für ihn und die anderen Studenten, darunter Leonore, verantwortlich. Daraus hat sich dann eine Freundschaft zwischen Max und Anton entwickelt, die aber eigentlich keine richtige Freundschaft ist. Zumindest eine Ungleichgewichtige, und beim mehrmaligen Lesen meine ich auch dahinter gekommen zu sein, warum. Aber das ist eigentlich nur ein Nebenschauplatz. Denn Hauptfigur ist zweifelsohne Leonore, die du mit ein paar Pinselstrichen sehr interessant und vielschichtig gezeichnet hast. Sie ist die wirklich schillernde Person in dieser Dreier- (mit Paul sogar Vierer) beziehung. Sehr distingiert, eigensinnig, divenhaft, aber von einer unabstreitbaren Ausstrahlung. Und niemand von den hier auftretenden Herren, kommt wirklich an sie heran (stünde der Text im Publicus, so hätte meine Besprechung bestimmt den Titel: Die unerreichbare Frau o.ä.).
Leonore ist der Stern, um den sich die Planeten Max und Anton drehen und der auch das Verhältnis der beiden zueinander bestimmt.
und nichts hättest du lieber gemacht, als an ihr herumzufingern. Du hättest ihre linke Brusthälfte abladiert, ohne auf Metastasen zu achten. Hastig und voreilig hättest du dafür gesorgt, dass zahlreiche Schnitte und Nähte Nährboden für die gefräßigen Zellen geschaffen hätten. Und wegen deiner Vergesslichkeit hättest du die Nachuntersuchung drei Monate zu spät angesetzt. 

Hier geht es nicht darum, dass Max seinem "Freund" fachliches Unvermögen unterstellt, sondern es ist die pure Eifersucht. Das wird erkennbar an Max Reaktionen auf die Schneegeschichte, an gewissen Äusserungen.
Beide hatten sie Leonore Nahe gestanden, ohne ihr aber wirklich Nahe gekommen zu sein. Hätte sie es bei einem der Beiden je einmal zugelassen, würde jetzt nicht noch soviel ungelöschter Brand zwischen den Männern schwelen.
Die Schneegeschichte selber wirft nochmals ein besonderes Licht auf Leonore und der Beziehung zu ihrere Umwelt. Da ist etwas Unwirkliches, hoffnungslos Verträumtes darin. Eine Wahrnehmung der Welt, die nicht nach Außen mitgeteilt werden kann. Und damit verbunden eine Verschlossenheit, die unmöglich zu durchbrechen war. Unmöglich sie rechtzeitig zu wecken - unmöglich sie zu operieren.
Du hast in dieser Geschichte sehr interessante Charaktere gezeichnet, und das in z.T. wirklich tollen Sätzen.
Dies hier finde ich wirklich sehr gelungen:
Max ballte fest beide Fäuste in den weiten Manteltaschen. Sollte er sagen, wie richtig und mutig es ihm erschienen war, dass gerade sie, die braunäugige, schmale, jungenhafte Kommilitonin, die einzige Französin unter ihnen, dieses exotische, kluge Wesen, das ihnen „le rivage des Syrtes“ vorgelesen hatte, dass dieses schwach scheinende geschmeidige Schilfrohr mit ägyptischen Augen ihnen diesen Streich gespielt hatte. Diese Geschwulst wachsen zu lassen, als handele es sich um die Veredelung einer Rose, als habe sie zur Kreation einer neuen Art beitragen wollen, zur Geschwulstrose, aus deren Schaum eine besondere Variante des Todes hervorgehen würde, ein eigener, besonders weicher und milder Todesschrei. 

Vielen Dank für diesen sehr guten Text!
Liebe Grüße
Sam