Geröll

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Lydie

Beitragvon Lydie » 08.08.2009, 22:01

Wir gehen auf schmalem Grat.
Das verbindet uns.
Der Himmel, der Abgrund.
Ausgeklügelt jedes Wort.
Ich lese im Geröll.
Ein Fuss vor den anderen.
Steinschlag. Stille.

carl
Beiträge: 850
Registriert: 31.03.2006
Geschlecht:

Beitragvon carl » 09.08.2009, 00:18

Von unsern schatten warf
Das licht einen nach osten
– als jets umsonst
Ihren kurs bestimmten
Auf blauem löschblatt abend –

Umsonst. Denn von dort wuchs
Im roten spiegel der andere.

Da hatten wir zwei
Den ganzen grat entlang
Zwischen abend und morgen.

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 09.08.2009, 11:18

Liebe Lydie,

Dein Text ist mir schon gestern aufgefallen, als ich noch kurz reinschaute. Und ich finde ihn heute morgen noch genauso fein. Besonders die ersten drei Zeilen haben es mir angetan!

Für mich könnte die vierte Zeile wegfallen (gerade im Zentrum ein so reflektierender Satz, für mich nimmt er den Bildern etwas weg, reduziert den Assoziationsspielraum) und stattdessen eine Leerzeile stehen.

Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße

leonie


Lieber carl,

magst Du den Text nicht als eigenen einstellen? Ich denke, er ist mehr als ein Kommentar.

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 09.08.2009, 11:24

Liebe Lydie,

auch ich habe den gestern schon gestern Nacht gesehen. Er hat ganz starke Passagen. Beispielsweise mag mag ich

Wir gehen auf schmalem Grat.
Das verbindet uns.


oder

Ausgeklügelt jedes Wort.


oder

Ich lese im Geröll.


sehr. Das Ende habe ich zunächst zu dramatisch gelesen, bis ,mir auffile, dass es meine Interpretation ist, die es dramatisiert.

Hat mir sehr gefallen!

Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 09.08.2009, 11:27

PS: Carl, ich fände auch, dass Dein Text einen eigenen Eintrag verdient, dann kann man ihn auch besser kommentieren :-)

Liebe Grüße,
Max

Lydie

Beitragvon Lydie » 09.08.2009, 14:57

Hallo Ihr Drei!

Zunächst einmal freut mich eure jeweilige Reaktion einfach nur ungemein!

Lydie

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 09.08.2009, 15:04

Liebe Lydie,

ich vermute, dass Du den Text bewusst nicht unter Liebeslyrik eingestellt hast, oder? Weil er auf Beziehungen im weitesten Sinne bezogen ist?

fragt leonie

Lydie

Beitragvon Lydie » 09.08.2009, 15:17

Hallo Leonie,

Das ist eine gute und berechtigte Frage. Ich habe gezögert und mich dann so entschieden. Nein, er ist auf eine ganz bestimmte Beziehung bezogen. Aber an der vielleicht etwas Umfassenderes deutlich wird.

Ich habe mich vermutlich nicht richtig getraut, ihn in der Kategorie Liebeslyrik unterzubringen.

Danke der Nachfrage!

Lydie

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 09.08.2009, 15:30

Liebe Lydie,

dein Gedicht habe ich bereits mehrfach gelesen. Und jedes Mal frage ich mich, warum du "Ich lese im Geröll" schreibst? Ich möchte es immer durch "Ich lese in Sandkörnern" oder "Ich lese in jedem Sandkorn" ersetzen, da es m.E. besser zu "Ausgeklügelt jedes Wort", also diesem ganz vorsichtigen, behutsamen und feinen Vorgang passt.
In der letzten Zeile assoziiere auch ich eine Dramaturgie, nämlich, dass LI vom Steinschlag erschlagen wird. Deshalb die "Stille" danach.

Soweit meine Gedanken.

Saludos
Mucki

Lydie

Beitragvon Lydie » 09.08.2009, 16:02

Lieber Max,

Zunächst einmal herzlichen Dank für deine Rückmeldung, die mich, wie gesagt, sehr freut.
Du hast dir genau die Stellen rausgepickt, die auch mir am besten gefallen. Zum Ende des Gedichts sag ich in der Antwort auf Gabriella noch was.

Und du? schreibst vor allem Prosa? keine Lyrik?

LG

Lydie

Lydie

Beitragvon Lydie » 09.08.2009, 16:07

Liebe Gabriella,

Nun, Geröll, weil es in den Bergen ist. Und weil es grob und unbearbeitet, unmittelbar ist, als Gegenstück zum "ausgeklügelten Wort". Es ist ja ein Stück Dialog mit jemandem in diesem Gedicht, ein Wir und dann ein Ich. Vom Ich wird gesagt, dass es im Geröll liest. Und damit bewegt es sich von dieser "Gratstelle" zwischen Himmel und Erde in Richtung Erde weg, trifft eine gewisse Wahl.
Im Geröll, da geht etwas vom Berg ab, elementar. Geröll, das scheint zunächst keinen Sinn zu machen, eben nur Geröll, zufällig herab- und dahingestürzt, der Schwerkraft nach. Die Dramaturgie des Endes hängt damit zusammen: im Geröll lesen heisst durch Geröll gehen, ganzheitlich. Ein Fuß vor den anderen. Und Steinschlag gibt es da eben auch. Und danach Stille.

GLG,

Lydie

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 09.08.2009, 16:54

Ich finde "Geröll" genau richtig, weil es die Gefährdung ausdrückt, nicht umsonst hast Du es ja auch als Titel ausgewählt finde ich.

LG

leo

Lydie

Beitragvon Lydie » 09.08.2009, 17:02

Danke Leo, ja genau.

Lydie

Benutzeravatar
fenestra
Beiträge: 1369
Registriert: 21.06.2009
Geschlecht:

Beitragvon fenestra » 09.08.2009, 21:38

Liebe Lydie, sprachlich finde ich das sehr gelungen, trotzdem stört mich etwas, ich glaube, es ist vor allem die zweite Zeile. Sie hat etwas von "wir sitzen alle im selben Boot", das kennt man schon. Und dass ein Grat zwischen Himmel und Abgrund entlang geht, ist eigentlich auch klar.

Ohne diese Zeilen würde ich den Text einprägsamer und origineller finden:


Wir gehen auf schmalem Grat.
Ausgeklügelt jedes Wort.

Ich lese im Geröll.
Ein Fuss vor den anderen.

Steinschlag.


Stille.







Aber doch noch ein Gruß nach der Stille :)

fenestra


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 5 Gäste