Pandora

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 06.06.2006, 17:36

Pandora

Ich habe in deinem Nacken
das Wort gelesen,
halb verdeckt vom Haar.

Erst war ich verwundert,
doch trat der Sinn zu mir:
Pandora.

Mit meinem letzten Kuss,
mit deinem ersten Schweigen,
ward mir bewusst:
Ich muss in diesem trüben
Leben treiben.

Es ist so kalt,
drum schließe deinen Mund,
lösch’ dich aus meinen Augen ---

Ich will für immer
verborgen bleiben.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.06.2006, 18:22

Tja, nun sitze ich eine viertel Stunde davor und lese es immer wieder, kann nur sagen: ' So etwas
Gutes habe ich schon lange nicht mehr gelesen'.
Es ist perfekt ausbalanciert in allen Aspekten.

Warum hast du es nicht unter Liebeslyrik gepostet?

Du mußt ein Richtigmünzer sein,

moshe.c

Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 06.06.2006, 18:52

Dankeschön!

Ich sehe das Pandora-Motiv nicht
ausschließlich als Liebes-Motiv,
daher habe ich es hier eingestellt.

momo

Beitragvon momo » 06.06.2006, 19:01

ich bin sehr erstaunt, und zwar über die ähnlichkeit des bildes in deinem gedicht und in meinem gleich folgenden, das ich vor ein paar monaten geschrieben habe:

würde ihr haar ein gesicht enthüllen
in den nacken gestempelt
aber glauben sie ich will nicht
darunterschneiden

vielleicht aber doch wohl
lüftend
darüber bewusst werden und
vielleicht aber doch wohl nichtmal dies

aber ich sollte doch ich wollte
sie
kennen und nicht teilssie umseilen
aber ich sollte doch nicht wollte

wollten sie sollte ich
glauben sie ich will auch
keinen spiegel zur hand oder nur
manchmal



die zeile und überhaupt das motiv "pandora" gefällt mir sehr - der name allein ist gedicht, das blattwerk drum herum muss sorgfältig gemacht sein.
für meinen geschmack ist es ein wenig zu explizit. ich würde wohl noch mehr bilder suchen, um alltäglichere sätze zu vermeiden. aber auf keinen fall das projekt fallen lassen, hoffentlich auch nicht genervt auf diesen hinweis reagieren! denn: "dein erstes schweigen" ist auch eine zeile, die ich wundervoll gelungen finde...

liebe grüsse
momo

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.06.2006, 19:29

Immer wieder überraschend wie Gedanken/Gefühle zwischen Dichtern/innen schwingen, ganz ohne Raum und Zeit.

moshe.c

steyk

Beitragvon steyk » 06.06.2006, 19:44

Wunderbar. Habe schon lange nicht mehr etwas ähnlich Gutes gelesen.
Ich bin übrigens - wie moshe - der Meinung, daß der Text auch sehr gut in die Liebeslyrik paßt.
Falls ich dich noch nicht hier im Salon begrüßt haben sollte: Herzlich Willkommen. Bin auf mehr von dir gespannt.
Gruß aus Berlin
Stefan / steyk

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leonie
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Beitragvon leonie » 06.06.2006, 19:47

Lieber Falschmünzer,
Auch ich bin begeistert!
leonie

pandora

Beitragvon pandora » 06.06.2006, 20:57

hallo falschmünzer,

was für ein schöner titel... *g*
mir gefällt die melodie des gedichtes, ein seltener wohlklang. ich habe schon fast an versteckte reime geglaubt, sie aber nicht gefunden.

dies hier ist wieder so eine ambivalente stelle, die mich innehalten lässt:

Es ist so kalt,
drum schließe deinen Mund,
lösch’ dich aus meinen Augen ---


ich sage: innehalten. ich sage nicht: anhalten. sie stört mich nicht.
dieses ineinanderübergehen/dieser perspektivenwechsel scheint mir dein personal trademark zu sein. eine ganz besondere prägung.

PANDORA

Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 06.06.2006, 21:31

Ich danke dir und den anden anderen nochmals
für die Willkommensgrüße!

Die Sache mit den Perspektiven stimmt tatsächlich.
Ich fühle mich gern in andere hinein, vielleicht
auch nicht nur in Menschen ...
Andererseits fühlt man sich doch selbst oft sehr
gespalten - als schaue man sich aus verschiedenen
Blickwinkeln an.

Es gibt Reimworte in dem Gedicht,
die die Rede etwas binden:
"Haar" ist ein unreiner Reim auf "Pandora",
ähnlich ist es mit "Kuss" und "bewusst"
und "Schweigen" und "treiben",
sowie die Endsilben von "Augen" und "bleiben".
Soviel dazu ...

Louisa

Beitragvon Louisa » 06.06.2006, 23:40

Hallo Falschmünzer,
ich finde diese Stelle am Schönsten:

Es ist so kalt,
drum schließe deinen Mund,
lösch’ dich aus meinen Augen ---

Ich will für immer
verborgen bleiben.


-Weil man hier einen direkten Bezug zur Mythologie sehen könnte, die Hoffnung bleibt ja auch lange zeit in ihrer "Büchse" verborgen.

Wolltest Du diesen Bezug zeiegn oder ging es einzig und allein um die "Frau" an sich.

Ansonsten finde ich das auch sehr gelungen!

Liebe Grüße, louisa

Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 10.06.2006, 15:49

In Hinblick auf die "Büchse der Pandora" ist die letzte
Zeile natürlich ambivalent.
Vorrangig will aber das lyrische Ich, besser der Sprecher,
sich aus allem Welt-Behafteten zurückziehen,
dem "Übel" entsprechend, das ihm angetan wurde.


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