Beitragvon Lydie » 04.05.2009, 13:50
"blinder spiegel
schaue dich an
stelle dir tausend fragen
in gedanken
warum worte verschwenden
würdest nicht antworten
du bist meine mutter"
Hallo!
Zunächst einmal: Monatsthema "Mutter", ja, das ist eine gute Idee. Ich bin dafür.
Und dann muss ich sagen, dass mir in der Regel bisher im Salon die erste Fassung eines Gedichtes am besten gefällt, weil, manchmal auch im Ungehobelten, Hilflosen, im zu viel oder zu wenig, am unmittelbarsten, am stärksten im Ausdruck.
Was Moshe zu diesem Gedicht schreibt, spricht mich an: die Schwere.
Das "in Gedanken" ist für mich wesentlich. Es ist diese harte Spiegelwelt, Welt des Auges, der Sicht, der Reflexion, fast körperlos, berührungslos jedenfalls. Und hier findet eben nichts in's "Fleisch", wie man es biblisch so schön sagt: keine Berührung, keine Begegnung, kein Wort. Es bleibt im Reflexiven.
Ja, und da ist kein Du, keine Interaktion, keine Antwort zu erhoffen. Es ist die Illusion eines Gegenüber. (Und auch nicht. Denn es (das Selbstbild im Spiegel) schiebt ja etwas dazwischen, was das Ich von sich trennt oder differenziert und zu einem Gegenüber macht, einem durchaus fremden, meistens; es gibt da übrigens ein phantastisches Gedicht von Annette Droste-Hülshoff. Wenn du es nicht hast, schicke ich es dir.) Um so stärker der Gedankenwirbel, die tausend Fragen des von Begegnung und Dialog ausgeschlossenen LI.
Ja, und klar muss ich an Schneewittchen denken. Da ist es ja die Selbstbetrachtung im Spiegel, der Dialog mit dem Spiegel, der zu Mordplänen am wirklichen Menschen (der Stieftochter) führt.
Und überhaupt natürlich das Spiegelthema beim Lernen und Grosswerden, die Imitation, das Nachmachen, die Notwendigkeit des anderen, um selbst zu werden, der Spiegel als einzige Möglichkeit der Selbstwahrnehmung von Aussen. Es ist ja ein psychologisch und philosophisch bedeutungsschweres Bild.
Aber ist der Spiegel blind? Das wäre vielleicht meine Frage. Blind im Sinne, dass er selbst nichts sieht?
Ein blinder Spiegel ist ja zerkratzt, so dass er nicht mehr spiegelt. Ist er nicht eher stumm? Oder eben einfach nur Spiegel?
Lieber Gruss an Dich,
Lydie