blinder spiegel

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.04.2009, 00:11


blinder spiegel

schaue dich an
stelle dir tausend fragen
in gedanken
warum worte verschwenden
würdest nicht antworten

du bist meine mutter


© Gabriella Marten Cortes 2009

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 27.04.2009, 18:31

Liebe Mucki!

Die Thematik ist überfällig.

Dennoch ist mein Eindruck, daß da noch ein schweres Moment im Keller ist, welches nicht zu einer freien Formulierung führt.

MlG

Moshe

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.04.2009, 18:39

Hallo Moshe,

genau das "Schwere im Keller" möchte ich hier ja andeuten, aber es kann eben nur angedeutet werden, darf m.E. gar nicht ausformuliert werden. Durch den letzten Satz wird ja klar, dass hier etwas schwer im Argen liegt zwischen LI und der Mutter bzw. umgekehrt zwischen der Mutter und dem LI.

Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 27.04.2009, 19:16

Liebe Mucki!

Ob man 'Mutter' mal zum Monatsthema machen könnte/sollte?

Oder Vater?

Wäre vielleicht in beiden Fällen ein heißes Eisen, oder?

:eek:

MlG

Moshe

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.04.2009, 19:29

Hallo Moshe,

na klar. Am 20. Mai rufe ich wieder zur Themensuche auf. Dann schlag dieses Thema mal vor. Ich fände es auch ausgesprochen interessant. Und ja, ein heißes Eisen ist es allemal, jedenfalls für mich. Es ergäben sich sicherlich sehr vielreiche und spannende Texte dazu.

Saludos
Mucki

DonKju

Beitragvon DonKju » 28.04.2009, 22:14

Hallo Gabriella,

das ist ja nun ein spezielles Thema "Mutter & Tochter" und ich bin mir nicht sicher, ob mein nachfolgender Vorschlag dem Text wirklich gut tut :

blinder spiegel

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bist meine mutter

Die Streichung von "in gedanken" = Das ergibt sich für mich schon aus dem Kontext der jetzigen beiden Mittelzeilen.

Diese bewußte Streichung der Personalpronomen betont für mich das Konfliktpotenzial und die Distanz; War aber das Hin- und Herschwanken zwischen Distanz & Nähe ihr Daseinsgrund, dann müssten sie natürlich bleiben.

Mit lieben Grüßen von Hannes

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.04.2009, 22:23

Hallo Hannes,

"in gedanken" könnte man wirklich streichen, stimmt. Doch das "Du" in der Schlusszeile ist wichtig. Eigentlich wollte ich (vielleicht mach ich es auch noch) ein Ausführungszeichen plus Fragezeichen dahintersetzen, weil die letzte Zeile vorwurfsvoll klingen soll.
Also so:


blinder spiegel

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warum worte verschwenden
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du bist meine mutter!?


Aber darüber denke ich noch nach.
Danke dir!

Saludos
Mucki

Lydie

Beitragvon Lydie » 04.05.2009, 13:50

"blinder spiegel

schaue dich an
stelle dir tausend fragen
in gedanken
warum worte verschwenden
würdest nicht antworten

du bist meine mutter"


Hallo!

Zunächst einmal: Monatsthema "Mutter", ja, das ist eine gute Idee. Ich bin dafür.

Und dann muss ich sagen, dass mir in der Regel bisher im Salon die erste Fassung eines Gedichtes am besten gefällt, weil, manchmal auch im Ungehobelten, Hilflosen, im zu viel oder zu wenig, am unmittelbarsten, am stärksten im Ausdruck.

Was Moshe zu diesem Gedicht schreibt, spricht mich an: die Schwere.

Das "in Gedanken" ist für mich wesentlich. Es ist diese harte Spiegelwelt, Welt des Auges, der Sicht, der Reflexion, fast körperlos, berührungslos jedenfalls. Und hier findet eben nichts in's "Fleisch", wie man es biblisch so schön sagt: keine Berührung, keine Begegnung, kein Wort. Es bleibt im Reflexiven.
Ja, und da ist kein Du, keine Interaktion, keine Antwort zu erhoffen. Es ist die Illusion eines Gegenüber. (Und auch nicht. Denn es (das Selbstbild im Spiegel) schiebt ja etwas dazwischen, was das Ich von sich trennt oder differenziert und zu einem Gegenüber macht, einem durchaus fremden, meistens; es gibt da übrigens ein phantastisches Gedicht von Annette Droste-Hülshoff. Wenn du es nicht hast, schicke ich es dir.) Um so stärker der Gedankenwirbel, die tausend Fragen des von Begegnung und Dialog ausgeschlossenen LI.

Ja, und klar muss ich an Schneewittchen denken. Da ist es ja die Selbstbetrachtung im Spiegel, der Dialog mit dem Spiegel, der zu Mordplänen am wirklichen Menschen (der Stieftochter) führt.

Und überhaupt natürlich das Spiegelthema beim Lernen und Grosswerden, die Imitation, das Nachmachen, die Notwendigkeit des anderen, um selbst zu werden, der Spiegel als einzige Möglichkeit der Selbstwahrnehmung von Aussen. Es ist ja ein psychologisch und philosophisch bedeutungsschweres Bild.

Aber ist der Spiegel blind? Das wäre vielleicht meine Frage. Blind im Sinne, dass er selbst nichts sieht?
Ein blinder Spiegel ist ja zerkratzt, so dass er nicht mehr spiegelt. Ist er nicht eher stumm? Oder eben einfach nur Spiegel?

Lieber Gruss an Dich,

Lydie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.05.2009, 14:40

Hallo Lydie,

über deinen Kommentar muss ich noch nachdenken, da du den Text ganz anders liest, als von mir intendiert. Und die Frage ist jetzt, ob ich diese Lesart, die ja offensichtlich möglich ist, zulassen soll oder nicht. Sprich, ob ich umformulieren muss. LI schaut nicht in den Spiegel, sondern die Mutter ist der Spiegel, der sich "blind stellt", also einen Schleier über alle Antworten legt. Sie verdrängt, lässt das LI im Unklaren.
Ein Mensch ist ja immer ein Spiegel eines anderen Menschen. Doch hier verweigert die Mutter, Spiegel zu sein. Du siehst, es geht in eine ganz andere Richtung.
Hm, muss ich mal sacken lassen.

Und ja, Themenvorschlag Mutter / Vater habe ich mir vorgemerkt. Am 20. Mai, wenn ich die neue Themensuche mit euch starte, setze ich es auf die Liste.

Saludos
Mucki

Lydie

Beitragvon Lydie » 04.05.2009, 14:45

Oh, OK. Das hatte ich tatsächlich völlig anders verstanden. Ich sah dich vor einem Spiegel... Ich meine wirklich einem Spiegel, der dann all das heraufbeschwört.

So oder so ist es aber sehr eindrücklich!

Lydie

Lydie

Beitragvon Lydie » 04.05.2009, 14:50

P.S. Und das Gedicht von Droste-Hülshoff "Das Spiegelbild", kennst du es? Vielleicht passt es jetzt im Grunde gar nicht. Aber es ist ein tolles Gedicht.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.05.2009, 15:17

Hallo Lydie,
Oh, OK. Das hatte ich tatsächlich völlig anders verstanden. Ich sah dich vor einem Spiegel... Ich meine wirklich einem Spiegel, der dann all das heraufbeschwört.

eben, das ist mein Problem. Man kann diesen Text offenbar völlig anders lesen. In diesem Fall ist das aber nicht gut. Es gibt ja Texte, bei denen ich mehrere, auch ganz unterschiedliche Lesarten gar nicht schlecht finde, (wie z.B. bei "jede insel sucht ihre schatten") aber bei diesem hier ist mir die Aussage zu wichtig.
Und das Gedicht von Droste-Hülshoff "Das Spiegelbild", kennst du es? Vielleicht passt es jetzt im Grunde gar nicht. Aber es ist ein tolles Gedicht.

Nein, das kenne ich nicht. Kannst du es mir per pn mal zusenden?
Danke dir!

Saludos
Mucki

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.05.2009, 16:56

Hallo Lydie,

jetzt, da ich das Gedicht von Droste-Hülshoff gelesen habe, ist mir sonnenklar, wie du auf deine Interpretation kamst. ,-)

Frage an die anderen:

Geht aus dem Textlein dies hier hervor?
LI schaut nicht in den Spiegel, sondern die Mutter ist der Spiegel, der sich "blind stellt", also einen Schleier über alle Antworten legt. Sie verdrängt, lässt das LI im Unklaren.
Ein Mensch ist ja immer ein Spiegel eines anderen Menschen. Doch hier verweigert die Mutter, Spiegel zu sein.

Hier wären mir weitere Meinungen wichtig.

Saludos
Mucki

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Beitragvon Zefira » 04.05.2009, 18:26

Hallo Mucki,
für mich klingt die letzte Zeile des Gedichts wie ein Fazit aus dem Vorhergehenden, das heißt, das Gegenüber verhält sich deshalb so, weil es die Mutter ist. Aber anscheinend ist es ja nicht so gemeint, sondern wenn ich Dich richtig verstehe, verhält sich das Gegenüber so, obwohl es die Mutter ist.
Ich würde dann eher so aufbauen:


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oder ähnlich - jedenfalls würde ich den Aspekt "Mutter" früher ins Spiel bringen.

Lieben Gruß von Zefira
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(Ikkyu Sojun)


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