Oldenburg

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.08.2006, 19:22

Oldenburg

Diese Stadt
in deren Gärten
Bronzefohlen grasen

Schleiereulen schlummern
ihre Krallen in den Wall

Du ahnst das Gewitter
unter ihre Schwingen

Doch über dir
- bloßes Wolkengeflecht

Weit hinter den in Regen stehenden Dobbenwiesen
siehst du die Busse an den Grenzen deiner Kindheit zerschellen

Du bist 15
und rechnest immer noch in Pfennigen

Dein Hab und Gut kennt kein anderes Maß
Und keiner kennt dich

Die Halbwälder
der norddeutschen Tiefebene

wehen Schmerz



*vorher peinlicherweise in statt im (danke an paul für die Grammatiknachhilfe :hut0039: ) edit: 10.9.2006: wieder in "in" geändert nach Diskussion mit carl und scarlett
** zunächst Bronzefohlen äsen (danke scarlett, max und steyk!)
Zuletzt geändert von Lisa am 10.09.2006, 22:24, insgesamt 5-mal geändert.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 14.08.2006, 19:34

Liebe Lisa,

da gibt es also auch noch andere Orte auf der Welt...

Bevor ich etwas dazu schreiben, muss ich Dir noch drei Fragen stellen:

Meinst Du: "Du ahnst das Gewitter unter ihre Schwingen" oder "Du ahnst das Gewitter unter ihren Schwingen"? Es ergibt sich ja in beiden Fällen ein Sinn.

Und: "in Regen stehenden Dobbenwiesen" oder "im Regen stehenden Dobbenwiesen"?

Schließlich: Sind die Dobbenwiesen ein Eigenname? So wie die Rieselfelder?

Fragt sich

Paul Ost

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 14.08.2006, 19:48

Ich kenne Oldenburg nicht, aber es scheint eine Stadt zu sein, die nicht nur eine Geschichte atmet ...

Die ist es ganz berührend gelungen, einen Bogen in die Vergangenheit und zu den Gefühlen eines/einer 15Jährigen zu schlagen. Diese Grenze zwischen Kindsein und Erwachsenwerden mit einem lokalen Bild zu verbinden, ist so ungewöhnlich, dass es mich fast die Luft anhalten lässt. Welch außergewöhnliches Gedicht.

Meine Hochachtung, herzlichst, KÖ

Nifl
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Beitragvon Nifl » 14.08.2006, 19:48

(ein altes Bild ...dazu noch unpassend ... wieder rausgenommen)

Es weht Heimweh ... durch deine Zeilen.

Gefällt mir irgendwie der Text. Auch (ja ja der Typ findet immer was zu nifln) ... wenn die pathetische Farbe der Anfangszeilen nicht recht zu den finanziellen Problemen in der Jugend am Ende passen wollen (oberflächlich betrachtet) ...

LG
Nifl
Zuletzt geändert von Nifl am 17.08.2006, 13:16, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.08.2006, 21:02

Hallo,
hui, so schnell die Rückmeldungen, danke!

Paul: also Dobbenwiese ist ein Eigenname, genau. Und ich meine meine auch unter ihre Schwingen...das ist etxra. Bei dem in/im bin ich aber unsicher...kann ich in nicht sagen? :icon_redface2: . Muss es im heißen?

Nifl: Der Anfang sollte gar nicht pathetisch sein...Bronzefohlen sollte einen Kontrast zu richtigen (lebendigen) Fohlen darstellen...wird das nicht deutlich? Nochmal: :icon_redface2: :eusa_shhh: ...das Bild ist aber gebastelt, ja?? Sonst muss es seeeeeeeeehr unheimlich an diesem ort gewesen sein :icon_smurf: . Tolles Bild!

Kö: wow, danke!

Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

scarlett

Beitragvon scarlett » 14.08.2006, 21:15

Liebe Lisa,

ein sehr schöner, leicht melancholisch ausklingender Rückblick auf vergangene Kind- und Jugendzeit. Die Bilder finde ich gut gewählt ebenso die Art, wie du den Blick des Lesers lenkst: vom weitläufigen Außen verengt sich die Perspektive zunehmend auf das "Kind", auf Empfindungen, Gefühle. Sehr, sehr gut gemacht, finde ich!

Einzig mit dem "äsen" hab ich Schwierigkeiten: äsen Pferde??? ich dachte nur Wild... (Rehe v. a.)

Ich finde, du kannst schon hinter den in Regen stehenden Wiesen sagen..., warum nicht?
Das "du ahnst das Gewitter// unter ihre Schwingen" ist allerdings schon gewagt- aber warum nicht? Der Sinn ist dadurch ein anderer und auf den kommt es dir an - ich finde, er wird auch vom Gedicht irgendwie "getragen": ich verstehe es als hineinprojizieren, d h das lyrDu tut das.

Es gibt wohl zur Zeit mehrere, die auf "Spurensuche" gehen.... :daumen:

Liebe Grüße,

scarlett

steyk

Beitragvon steyk » 15.08.2006, 07:26

liebe lisa,
das ist ein wunderbar melancholischer rückblick. du hast wieder interessante und berührende bilder gezeichnet.
zu der kleinen ungereimtheit, die mir beim lesen aufgefallen ist
-unter ihre schwingen-
und der kleine streit mit dir selbst um
-den in-m regen-
hast du ja schon stellung bezogen. ihren schwingen geht mir besser in den kopf, aber vielleicht bin ich zu konservativ?
im regen ist meiner meinung nach richtig.
danke für die aufklärung der dobbenwiesen. ich bin da ziemlich ins grübeln gekommen.

scarlett – du hast recht. rehe äsen, pferde grasen. tatsächlich bin ich
momentan auch auf spurensuche und schreibe wieder kreuz und quer.

gruß stefan

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.08.2006, 10:11

Liebe scarlett,
danke für den Hinweis - mir viel das schon beim Schreiben auf, aber irgendwie mochte ich den Klang so gern...-aber nun ja, natürlich hast du recht. ich stehe nun vor einem Problem: was ist besser:

Bronzefohle grasen (grasen die in Gärten?) oder bronzerehe äsen? Natürlich will mir das Fohlen bildlich mehr gefallen, weil es sich tatsächlich um ein Fohlen handelt, welches im Botanischen Garten steht. Aber das reh schließt sich eher ins Bild und rettet das äsen, was ich in diesem Zusammenhang gerne behielte. Zudem dachte ich als Kind immer, es handelte sich um ein reh (weil das Fohlen einen recht kleinen Kopf hat - es wäre also nur halb verfremdet...:-)

Danke, dass du die Blickführung so schön nachgezeichnet hast, die ist mir wichtig.

Zu dem Gewitter unter ihre Schwingen ahnen: Mir gefällt eine solche Formulierung an dieser Stelle, weil sie für mich die schwere Magie ausdrückt, die auf allem lastete zu dieser Zeit. Anscheinend ist mir die Waghalsigkeit gar nicht bewusst. Aber nun ja, so muss das halt :hut0039:

Mit der Spurensuche hast du recht....ich glaube es gibt nur wenige (neben den Vergessenden), die das nicht sind...

Steyk, nun, wo dein Finger extrem trainiert zu sein scheint (du formatierst sogar fett), kommt der Gips ja schon bald ab! Ich denke, es wird eine Riesenbefreiung sein (ich hatte nur einmal einen Gips und es war wunderschön, als er ab war).

Liebe Grüße,
Lisa
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steyk

Beitragvon steyk » 15.08.2006, 10:27

hi lisa, zum formatieren brauche ich nur den mauszeiger.

pferde grasen natürlich auch in gärten, wenn dort etwas wächst was ihnen schmeckt.
z.b. gras ;-)

gruß stefan

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.08.2006, 10:47

Deine Bilder sind wie immer sehr schön und tiefsinnig, Lisa.
Nur diesmal bleibe ich gleich zu Anfang an der Abfolge hängen. Der Text beginnt mit 'Diese Stadt'... dann folgt ein Nebensatz, aber der Hauptsatz setzt sich nicht fort. Vielleicht wäre es sinnvoll, zumindest am Schluss wieder bezug zu nehmen auf das Substantiv, so dass sich der Kreis dort schlösse. Oder gibt es eine besondere Intention, die du verfolgst? Oder lese ich etwas falsch?

Gruß vom Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.08.2006, 10:57

Lieber Tom,
vielleicht hilft es dir, wenn du dir die Einganszeilen als eine Art Vorsatz vorstellst (so würde er gelesen werden), solch einen, wie er oft Büchern voransteht...er ist eine Art Darstellung wie die Vorstellung in den Kopf des lyr. Ichs kommt...er fasst alles schon etwas zusammen, was folgt...


Oldenburg

           Diese Stadt
           in deren Gärten
           Bronzerehe äsen


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wehen Schmerz

Vielleicht hilft das?

steyk: *grins* sehr schön :-). Aber es ist ja ein öffentlicher Garten!
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savage

Beitragvon savage » 15.08.2006, 10:59

Hallo Lisa, wieder ein wunderbarer Text von dir. Eine Reise in die
Vergangenheit in tollen Bildern. Super!
Alles andere wurde hier schon gesagt.

savage

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.08.2006, 11:21

Aha, ja. Was hälst du davon, die Formatierung in das Original zu übernehmen?
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.08.2006, 13:17

Lieber Tom,
ich habe das selbst schon beim Verfassen des Textes überlegt, weiß aber noch nicht, ob ich das will. Mal schauen, ob die anderen eine Meinung dazu haben. Aber danke, dass du diese Stelle aufgespürt hast, ich dahcte, man überliest sie!

Liebe grüße,
Lisa
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