Ich hab mit meinem Tiger...

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Louisa

Beitragvon Louisa » 10.04.2008, 01:25

Ich hab mit meinem Tiger
heut die letzte Nacht gerungen.
Wir leckten uns das Abschiedsblut
von den spracherschlafften Zungen.

Wohin streifst du?
"Immer tiefer ins Dickicht hinein,
bis dorthin, wo Du vergessen hast,
dass meine Augen im Dunkeln vielleicht
wieder aus dem Blattwerk funkeln."

Und wohin streife ich?
Zurück zur festen Straße, denn
von dort kam ich gekrochen.
Auf meinem Rückweg nage ich
an meinen Illusionenknochen.

Ich hab mit meinem Tiger
heut die letzte Nacht gerungen.
Auf meinen Brüsten schmerzen
noch seine Krallenspuren.
Das verheilt bald,
nur die Zeit behält Blessuren.


Änderungen:

1. Aus den "Illusionenknochen" wurde ein "Perspektiveknochen" und wieder "Illusionenknochen" :spin2:

2. Die erste Zeit habe ich im letzten Vers gestrichen (danke, max!)

3. Der Dialog in S2 ist jetzt sogar in Dialogform :smile: .

4. siehe Lisas Meinung zu "gekrochen" und "Heimweg"
Zuletzt geändert von Louisa am 15.04.2008, 18:00, insgesamt 5-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.04.2008, 21:36

Hallo Max,

weiter oben schrieb ich dazu ja auch:
"Finde ich interessant, weil es ja nicht stimmt."

Kleine Frage, ist dir der Rest klar?

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Max

Beitragvon Max » 12.04.2008, 21:48

ganz kleine Antwort: ich dachte mehr oder weniger schon ... Louisa beschreibt ja die Liebe eben als Kampf mit dem Tiger, der aus eienr anderen Welt stammt .. ähm was genau soll ich eigentlich beantworten ;-) (bin gespannt ob der smiley auch klein ist)

Liebe Grüße
max

Sam

Beitragvon Sam » 13.04.2008, 04:37

Warum lobt eigentlich niemand diese Zeile:

Wir leckten uns das Abschiedsblut


?

Vielleicht gefällt sie ja auch nur mir.

LG

Sam

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 13.04.2008, 11:22

Sam hat geschrieben:Warum lobt eigentlich niemand diese Zeile:

Wir leckten uns das Abschiedsblut


?

Vielleicht gefällt sie ja auch nur mir.

LG

Sam


Nein, Sam, mir auch! Überaus!

LG
ELsa
Schreiben ist atmen

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.04.2008, 22:00

Hallo Moshe!

Ein bisschen was habe ich vergrößert, aber vielleicht kannst du mich auf weitere Fehler hinweisen :smile: ...

Ich schrieb das kleine Werk in meinem einwöchigen Berlin-Aufenthalt. Man kommt in diese Stadt und schleppt danach die Ruinen seiner ganzen Welt im Handgepäck zurück :smile: ... Chaos pur! Wenigstens etwas :smile: ...

Dank dir!

Hallo Smile!

Ja, ich nage an Knochen und schmecke mein Blut auf der Zunge. Du anscheinend nicht :smile: ?

Menschlich und tierisch liegt ja oft ganz nah aneinander, besonders in der Liebe, glaube ich...

Ich kann mich zum Beispiel im Zusammenhang an meine Worte an den "Tiger" erinnern: "Auf Deiner Wange klebt mein Blut." und an einen eher tierischen Laut seinerseits :smile: ...

Gefällt dir S2 so besser? Ich denke man versteht es jetzt ganz gut... Dass der tierische Tiger spricht :smile: ...

Hallo Max!

Das hast du schön erklärt mit der Zeit, die man von sich selbst trennt, um den Schmerz zu ertragen. Ich mache das ja beim Schreiben ganz gerne... Irgendwann habe ich wohl auch einmal gemeint mein Erinnern fragt mich etwas... Das ist ja ähnlich :smile: ...

Du hast Recht mit dem Kunstprodukt. Man kann ja die Zeit gar nicht von sich trennen. Ohne sich selbst gäbe es auch kein Zeitempfinden... Aber für mich sind das immer noch zwei Worte: Zeit und ich... Zwei Worte kann man trennen :smile: ...

Das ist wie Eigelb und Eiweiß. Eigentlich können sie nicht ohne einander existieren und tun es doch, wenn man einen Grießpudding zubereiten will :smile: .

=> Grießpudding gleich Gedicht :smile: !

Danke auch an Sam :smile: und Elsa.

Ich mag die Zeile auch :mrgreen: ...

Ich hoffe ich konnte es verbessern.

Vielen Dank :blumen: !

tristisa :sad:

Max

Beitragvon Max » 13.04.2008, 22:32

Liebe Louisa,

das hast Du gut erklärt mit dem Griespudding ... Und doch kann man Eiweiß und Eigelb nicht trennen ohne das Ei kaputt zu machen.
Da hat man dann einen Griespudding, aber auch ein kaputtes Ei. So ähnlich ist es eben mit dem Dichten ... je besser der Griespudding, desto kaputter das Ei.

Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.04.2008, 22:37

Hihi... das Ei ist sowas von zersplittert, das kannst du mir glauben :smile: ... Eierschalen sollen ja gut für die Komposterde sein...

Dann wachsen irgendwann wieder Blumen :smile:

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 13.04.2008, 22:40

Hallo Louisa,

ja, S2 finde ich jetzt klarer.

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.04.2008, 13:20

ahhhhhhhhhhhhhh! gerade habe ich einen ellenlangen kommentar aus dummheit gelöscht!! also nochmal! grrr

Liebe Louisa,

Ich hab mit meinem Tiger
heut die letzte Nacht gerungen.
Wir leckten uns das Abschiedsblut
von den spracherschlafften Zungen.

spracherschlafft hat den Vorteil, dass es viel erklärt in einem Wort: die worte waren vergebens, weil sie vergebens waren, erfolgt das (gewalttätige) Ringen auf körperlicher Ebene, zudem passt es rhythmisch durch seine Silbenanzahl sehr gut. Ich finde aber, dass das Kompositum im Kontext der schlichten Sprache und generell etwas dicke und wenig integriert wirkt.

Weiterhin kommen Strophe 2 und 3 toll daher - sie haben einen ganz unauffälligen Rhythmus, der aber trotzdem toll wirkt - das ganze wirkt ja fast erzählt, wie eine Prosastelle, und doch, nicht zuletzt durch die (versteckten) Reime, klar, trägt es einen ganz anders durch die Zeilen:

Wohin streifst du?
"Immer weiter ins Dickicht hinein,
bis dorthin, wo Du vergessen hast,
dass meine Augen im Dunkeln vielleicht
wieder aus dem Blattwerk funkeln."

vielleicht "tiefer" statt weiter"?

Und wohin streife ich?
Zurück zur festen Straße, denn
von dort bin ich hergekrochen.
Auf meinem Heimweg nage ich
an meinem Perspektiveknochen.

1. hergekrochen klingt mir zu melodramatisch - gekommen? oh, das reimt sich nicht mehr..hm, aber herekrochen klingt wirklich künstlich, finde ich

(von dort kam ich gekrochen?)
Und Heimweg - vielleicht lieber Rückweg? (das ist eine Gewissensfrage ,-))

2. Perspektiveknochen - wenn dann mit Fugenelement: Perspektivenknochen? So klingt es etwas schwer zu lesen. Mir hat Illusionenknochen auch klanglich besser gefallen. Wenn das inhaltlich für dich nicht stimmt (es nicht die Illusionen sind, an dem das Ich nagt nach dem Abschied, sondern etwas anderes), muss natürlich Illusion ersetzt werden, aber ich würde etweas anderes nehmen als Perspektivenknochen, ich finde das klint sprachlich komisch.


Ich hab mit meinem Tiger
heut die letzte Nacht gerungen.
Auf meinen Brüsten schmerzen
noch seine Krallenspuren.
Das verheilt bald,
nur die Zeit behält Blessuren

Kluges Ende mit frischer Wende und originellem Reim!

Was ich mich noch frage: Manchmal wird das Ich (klar im übertraenem Sinne) als Tigerin dargestellt: "nagt an Knochen" und manchmal aber scheint die Gewalt gerade darin zu liegen, dass es kein Tiger ist (brüste, kommen von der festen straße spricht eher für Mensch). Mir scheint auf der Bildebene bist da nicht ganz konsequent.

Mir gefällt der Text, vor allem, weil ich finde, dass du ein Bild ausgesucht hast, dass das Erzählte gut trifft. Bis auf die Paarungszeit meiden sich Dschungelkatzen soweit ich weiß unbedingt, sie haben sogar in Gebieten, wo sich die Territorien überschneiden eigene Pfade und meiden die der anderen. Auch das Dickicht, die vergessenen, leuchtenden Augen und die Gewalt gefallen mir.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.04.2008, 17:02

Liebe Louisa!

Na das gefällt mir schon sehr gut.

Die letzte Strophe ist ein wenig schwerfällig. Eine Idee:

'Ich hab mit meinem Tiger
heut die letzte Nacht gerungen.
In meinen Brüsten
schmerzen noch die Krallenspuren.
Nur die Zeit behält Blessuren.'

MlG

Moshe

P.S.: Irgendwie denke ich immer unwillkürlich an den 'Leoparden' mit Ventura.

Louisa

Beitragvon Louisa » 15.04.2008, 18:11

Danke Lisa. Ja, das ist teuflisch, wenn dieser Kasten alle Worte verschluckt :smile: ...

Mmm...das Wort "spracherschlafft" scheint Dir fehl am Platze? Sollte es nur "erschlafften" heißen?

Die anderen Vorschläge habe ich nickend und erfreut übernommen. Danke!

Zu dieser Vermischung der Tier-und Menschwelt: Also :smile: ... das scheint ja für alle ein kleines Problem darzustellen, aber für mich stimmt es doch so... Weil das ganze Gedicht doch klar erkennbar nur in einer Metaphernkapsel existiert. Es "gibt" ja keinen Tiger. Der Tiger an sich ist doch schon ein Bild und der Tiger ist ein Mensch. Das Ich bewegt sich ja in dieser Kapsel mit und ist natürlich auch ein Mensch, aber im Rahmen dieses Bildraumes habe ich viele Vokabeln aus der Tiersprache mit den vielleicht zu verkopften der Menschensprache vermischen wollen... Es war für mich eher wie ein Spiel. Das war eigentlich ein Anreiz... Dieses "Ungreifbare" wie eine Illusion durch die Tiersprache "Der Knochen, an dem ich nage" erfühlbarer zu machen.

Ihr meint, dass funktioniert so nicht, ja :smile: ? Dann weiß ich schon mehr...

Nebenbei kann ich mich nur wiederholen: Ich scheine keine Manieren zu haben, aber huhu :smile: !? Ich nage wirklich manchmal an Knochen! Habt ihr schon mal ein Brathähnchen gegessen :smile: ? Und ich hatte wirklich Krallenspuren auf meiner Haut :smile: ! Und es fühlt sich für mich auch ehrlich so an, als wäre ich durch den Großstadtjungel zu diesem Tiger gekrochen ud nicht gegangen...

Wahrscheinlich bin ich ein Tier :smile: .

Hihi....das mit der Paarungszeit ist lustig. Dann kann ich ja nur auf die nächste warten...oder auf ein friedlicheres Tier ... Vielleicht ein Kamel. Sind die romantischer :smile: ?

Danke, Lisa :blumen:

Coucou Moshe!

Wieso denn "in" den Brüsten :smile: ?

Und was ist Ventura :smile: ?

Ich überdenke das noch!

Ihr habt mir sehr geholfen, vielen Dank!
l

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.04.2008, 18:35

Stimmt. Ich war nicht präzise: Er war ein Panther:

http://de.wikipedia.org/wiki/Lino_Ventura

Du bist eine prima Tigerin und Kamele sind auf jeden Fall romantischer.
Vielleicht machst du mal Urlaun/Urlaub auf der anderen Seite des Meeres und lässt dich mal von einem Kamel reiten.

MlG

Moshe

Louisa

Beitragvon Louisa » 15.04.2008, 20:31

Danke für die Weiterbildung :blumen:

Mitte Juli trampe ich mit einer Freundin durch Europa...unser Ziel ist Marokko :smile: ... Gibt es da Kamele :smile: ?

(aram, falls du das liest: Wenn die Wohnung da schon fertig ist bezahle ich dir die Miete, auch wenn ich weg bin :smile: ... Ich hoffe das war jetzt nicht zu indiskret...Es werden nur 3, 4 Wochen sein!)

Ich habe heute im Zoo ein trauriges Dromedar gesehen und es lange beobachtet...Vielleicht stelle ich das Gedicht dazu gleich einmal ein :pfeifen: ...

Ich glaube diese Kamele haben auch einen angenehmen "Reitstil" :smile: ... Obwohl ich immer überzeugt davon war, dass Tiger am Besten zu mir passen... MM... Er war wahrscheinlich die Mischung aus Schwein und Tiger *beleidigt nur aus innerer Frustration* :smile: ...

Schönen Abend euch allen!
l

Last

Beitragvon Last » 21.06.2008, 14:37

Hallo Louisa,

ich mag dieses Gedicht. Obwohl ich die Bilder zuerst nicht rational erklären kann, sie mir zunächst nicht viel sagen, entwickelt deine Sprache einen Sog, der mich schließlich doch ins Dickicht geführt hat. Die Bilder erheben ja gar keinen Anspruch erklärt zu werden, es wird lediglich ein Moment gezeichnet, der seine Position sucht. Dabei lugt der Sinn bloß hinter den Zeilen hervor. Toll.

Die Form des Gedichts ist rund. Von der lyrischen Anfangsstrophe driften Strophe 2 und 3 etwas ab. Sie zeigen eine Tendenz zum Prosaischen, die Lisa ja schon angesprochen hat. Das hat sprachlich eine Anmut, diese leichten, teilweise versteckten Reime und ihre weiblichen Kadenzen. Du schilderst zärtlich ein Geschehen, das eigentlich nicht zärtlich ist, das Ringen mit einem Tiger.
Genau an dieser Stelle setzt die Wirkung des Textes ein. Seine Erklärung, warum das geschehen ist und warum es geschehen musste. Diese Zärtlichkeit, ihr Sog ist dafür verantwortlich.
Obwohl man nun auseinander gehen muss, gab es diese Hingabe (in welchem Zusammenhang auch immer). Dieser Moment ordnet sich in die Zeit ein. Sowohl mit seiner Zärtlichkeit, als auch mit seiner Vergänglich- und Verletzbarkeit. Das Zeitliche greift also das emotionale Zwischenstadium auf, erweitert und unterstreicht es. So schließt sich in der letzten Strophe der Kreis.

Ich bin in dem Sinne begeistert von deinem Text, dass er ein Gefühl beschreibt. Keinen Zustand und keine Situation. Deshalb ist er zwar schwer, vielleicht gar nicht zu verstehen, aber man nimmt ihn trotzdem auf. So sollte es bei Gedichten der Gattung Liebeslyrik auch sein.
Schon der Kuss der ersten Strophe ist ein ganz besonderer. Einer der alles sagt, was die Worte nicht sagen können, der aber wegen der fehlenden Worte überhaupt erst stattfindet. Gleichzeitig spielst du auf eine Redensart an. „Wer einmal Blut leckt, will noch mehr..“ Bei diesem Blutlecken bleibt es, dieses Blutlecken ist Thema des Gedichts und es ist Abschiedsblut. Ein starkes Bild.
Dann das Verlassen in verschiedene Richtungen. Der Tiger zurück ins unerforschte Dickicht, das Ich zurück auf die sichere Straße. Das Nagen am Illusionenknochen veranschaulicht schon, was die letzte Strophe beschreibt. Die Wunde ist das Hätte-Wäre-Könnte der Erinnerung, die das Wissen wie es war/ist aufreißt.

Mit dem „hergekrochen“ habe ich persönlich nur ein kleines Problem. Ich stimme Lisa zwar zu, dass es etwas zu dick aufträgt, aber ich möchte weder auf den Reim noch auf die Knochen verzichten. Das lyr. Ich ist nicht so feige, dass es sich als Wurm sehen müsste, aber ich kann damit leben, wenn es das trotzdem tut. Die Akzente liegen woanders und die sind gelungen!
Die anderen Änderungen segne ich ab, besonders die Illusionenknochen tun dem Text gut.

LG
Last


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