nachmittags im cafe

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 23.03.2008, 21:30

nachmittags im cafe


alles was bleibt ist
die frage nach dem begehr
zwei cappuccino
wie immer

hängt die morgenpost
im zeitungshalter
an der getäfelten wand
ungelesen

bleibt alles
körniger bodensatz
vertrocknete zeit in
deiner unberührten tasse

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.03.2008, 21:59

Lieber Manfred,

für mich passt der Schluss nicht so richtig. Mit einer unberührten Tasse verbinde ich, dass sie voll ist/bleibt, dann aber verstehe ich den Bodensatz und das Vertrocknete nicht.

Auf dem Schlauch stehende Grüße

leonie

Louisa

Beitragvon Louisa » 23.03.2008, 22:37

Huhu!

Existiert das Wort "Begehr" , ja? (ich kannte es nicht, nur "Begehren" :eek: )

Ich musste etwas schmunzeln bei "Zwei Capuccino wie immer", weil: Oh-lala! Gleich zwei auf einmal!?

Schön, dass die Morgenpost ungelesen bleibt :daumen: ! Das ist ein echtes Plus für das Gedicht!

Das die Wand "getäfelt" ist, fand ich jetzt nicht sonderlich aufregend :smile: ...

Ich verstehe die letzte Strophe auch nicht ganz, denn das hieße ja: "WENN ich zwei Capuccino trinke und die Morgenpost nicht lese ist mein Nachmittag sozusagen unvollkommen." :smile:

-Jedenfalls hört sich "vertrocknete Zeit" (übrigens ganz gut!) nicht gerade nach erfüllter an...

Das sehe ich aber ganz und gar nicht so!

Für mich hat dieses Werk perfekt die Stimmung eines Deutschen im "Café" eingefangen. Ich weiß nicht weshalb, aber auf mich wirkt das unglaublich deutsch, sehr heimatlich :smile: ! Die anderen Cafégäste scheinen nicht zu existieren, man trinkt gleich die doppelte Portion und dann noch dieses bürgerliche Wurschtblatt!

Spannender wäre es deshalb für mich, wenn es hieße: "Deutsche nachmittags im Café" ...dann müsste es aber noch ein bisschen pfeffriger werden...

Aber an sich sind hier einige Begriffe enthalten, die mich schon einmal interessieren. Man merkt, dass es authentischer ist, als andere Sachen von Dir...

Ostergrüße!
l

Trixie

Beitragvon Trixie » 23.03.2008, 23:04

halli hallo!

jaaa, anfangs dachte ich auch, dass die letzten beiden zeilen unlogisch seien.
ok, das gedicht steht nicht in der liebeslyrik, aber dennoch könnnte es ja auch sein, dass:

das lyrich sich jeden nachmittag zwei cappuccino bestellt, in der hoffnung, dass da noch jemand (die kellnerin vielleicht, hehe) mittrinkt. oder es ist ein anderer gast, nämlich der, der:

die morgenpost liest. ich lese das nämlich so - "wenn die morgenpost ungelesen bleibt, dann bleibt alles - nämlich die tasse unberührt mitsamt inhalt, kaffeesatz und vertrockneter zeit"

der bodensatz bleibt natürlich am boden, sinkt hinab, wenn man den kaffee nicht umrührt und trinkt. und die vertrocknete zeit sehe ich als etwas wie ein hinwegtäuschen über etwas hoffnungsloses. also: das lyrich sieht gar nicht (ein), dass der/die andere nicht kommt und somit ist die hoffnungslose zeit (vertrocknet) im noch immer stehenden cappuccino drin, die man ja nicht sieht, also für das lyrich nicht existent, weil immernoch hoffnung besteht, dass die morgenpost vllt. nicht ungelesen bleibt und er somit das geheimnisvolle lyrdu an seiner seite hat, um mit ihm den cappuccino zu trinken.

ich glaube, das war jetzt ziemlich verwirrend, ich glaube auch nicht unbedingt an diese leseart, aber man könnnnte es so interpretieren, oder?

hm, ist nett, wenn es sich "nur" um nachmittage im café handelt, dann passt es für mich handwerklich ganz gut!

liebe grüße
trixie

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.03.2008, 23:53

Mal ehrlich,

wer würde denn zwei Cappuccino auf einmal für sich alleine bestellen? Der wird doch kalt. Wenn, dann bestellt man zei nacheinander.

Ich denke, es wird schon mit einem lyrDu gerechnet, das nicht kommt...

Ich bleibe dabei: Unberührt und vertrocknet passen nicht zusammen.

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.03.2008, 01:01

Es ist doch ein Du vorhanden, hier:

bleibt alles
körniger bodensatz
vertrocknete zeit in
deiner unberührten tasse

Ich lese das Gedicht sehr ähnlich wie Trix. Das Ich wartet vergebens auf jemanden, mit dem es früher immer in dieses Cafe gegangen ist. Es kann nicht loslassen und geht nach wie in das Cafe und bestellt die zwei Cappuccino, die es früher auch immer bestellt hat, vielleicht auch mit der Hoffnung, dass das Du wieder zurückkehrt.
Saludos
Mucki

Louisa

Beitragvon Louisa » 24.03.2008, 10:14

Ja, aber man kann das auch so lesen, als würde es ein Selbstgespräch sein. Komisch. Bei seinem letzten Gedicht ging es mir genauso.

Als ob es eigentlich gar kein "konkretes Du" gäbe, sondern eben nur ein erfundenes. Das merkt man, finde ich, sehr deutlich.

Man muss ihn ja schon mit der Lupe suchen, den Gegenüber... Da müssten noch ein paar mehr Einzelheiten dazu, denke ich. Oder die Betonung, dass der eine Capuccino für den anderen ist, sollte stärker sein.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 24.03.2008, 11:33

Hallo am Ostermontag, lieber Manfred,

Eine traurige Geschichte, verlorene Träume lese ich in deinem Gedicht.
Ein LyrIch, das der Vergangenheit nachhängt.

die frage nach dem begehr
Ich finde, dieser altmodische Ausdruck passt nicht recht zum Modegetränk (früher bestellte man ja einfach Kaffee oder Espresso in unseren Breiten).

hängt die morgenpost
im zeitungshalter
an der getäfelten wand
ungelesen
Diese Strophe finde ich sehr gelungen!

bleibt alles
körniger bodensatz
vertrocknete zeit in
deiner unberührten tasse
Da habe ich auch Probleme mit der vollen Tasse und dem vertrockneten Bodensatz. Wenn es so wäre, müsste LI ja auch die 2. Tasse selbst austrinken, oder?

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Max

Beitragvon Max » 24.03.2008, 15:12

Lieber Manfred,

ich denke, der wesentlich Kritikpunkt wurde schon von leonie angesprochen. Für mich kann eine unberührte Cappucino-Tasse in einem Café nur voll sein, so dass vom dem Bodensatz nichts zu sehen ist.

Die Frage nach dem "Begehr" ist sicherlich in einer etwas altertümlichen Frage formuliert, so dass ich mich unwillkürlich gefragt habe, ob Du mit diesem Satz noch eine zweite Sache ausdrücken möchtest - nur habe ich nichts finden können.

Gut hingegen finde ich die Übergänge zwischen den Strophen, wie da die Schlusszeile einer Strophe in den Beginn der nächsten greift.

Liebe Grüße
Max

Perry

Beitragvon Perry » 24.03.2008, 18:20

Hallo ihr Lieben,
da viele ähnliche Fragen aufgekommen sind, möchte ich euch gemeinsam antworten. Die Frage nach dem Begehr soll andeuten, dass es für das LyrIch eigentlich kein wirkliches Begehren mehr gibt, außer ein Ritual zu pflegen. Trixie lag mit ihrer Auslegung schon gut, genau hat aber Mucki meine Intention getroffen. Das LyrDu existiert nur noch in der Gedankenwelt des LyrIch, die Wandvertäfelung und die ungelesene Morgepost sollen die Geborgenheit und Abgeschiedenheit dieser Scheinwelt verdeutlichen. Der Bodensatz ist in seiner Tasse, während ihre unberührt bleibt. Da das Schlussbild hier aber nicht ganz eindeutig ist, denke ich gerne über eine Verbesserung nach.
Danke für euer Interesse und die Anregungen.
LG
Manfred
PS:
Hallo Louisa,
meine Texte sind meistens soweit autobiographisch berührt, dass ich kein LyrDu erfinden muss.
Hallo Trixie,
danke fürs "handwerklich gut."
Hallo Max,
freut mich, dass dir die übergreifende Strophenbildung gefallen hat.


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