Ich habe

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 18.03.2008, 21:55

Ich habe

Ich habe meine Strophe
gefunden,
habe nichts gefunden,
keinen Tisch
auf den ich mein
Gesicht legen könnte
in Zeitungen gewickelt

Und Steine
werden gesprengt, gespalten
zu Sand

Aus Sand esse ich
dein Gesicht

lagunkel

Beitragvon lagunkel » 18.03.2008, 23:56

Lieber mosche,

das ist mir zu kryptisch. Ich kann es rauf und runter lesen, es wird nichts richtig.

Ich will einfach mal meine Leseeindrücke schildern.

Dem Anfang kann ich mich noch annähern. Das LyrIch hat seine Strophe gefunden. Vielleicht die Strophe aus einem gemeinsamen Lied mit einem, dem Leser unbekannten LyrDu...
Sofort danach kommt ein Bruch. Kein Tisch da. Ok. Ich denke: Wozu ein Tisch? Aha, ok, um das Gesicht abzulegen. Nur das Gesicht? naja, vielleicht meint er Kopf, Gesicht klang aber besser - geht auch noch. Warum will er sich denn nun eigentlich legen? Vielleicht um die Strophe entspannt weiter zu singen...
Plötzlich steht da 'in Zeitungen gewickelt'. Da muss ich sofort an tote Fische denken, vom Markt, bei Oma früher, die waren auch immer in Zeitung gewickelt.
Die zu Sand gesprengten, also wirklich komplett kleingebröselten Steine ergeben noch ein Bild, dass sich aber leider nicht einfügen lässt in das nun bereits entstandene Kopfchaos.
Als das LyrIch dann ein Gesicht aus Sand isst - Out of order



mosche, ich will das gerne verstehen, ehrlich, weil es mir im Kopf bleibt (jedenfalls zu großen Teilen). Es klingt so toll.

lg

lagunkel

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 19.03.2008, 17:33

Liebe Lagunkel!

Na das ist ein prima Kommentar! (Bitte schreibe deine Leseeindrücke nicht so klein, denn ich muß dann fasst in den Bildschirm kriechen, um es zu lesen.)

Nun ist es für mich ein merkwürdige Sache, daß man immer alles mit dem Kopf, also mit dem Intellekt verstehen will, auch noch im Bereich Lyrik.
Es liegt in der 'Natur' meiner Person, daß ich auch Texte schreibe, die sich damit auf Anhieb, vom rationalen Verstehen, nicht entziffern lassen.
Das halte ich durchaus für gerechtfertigt.
Der Mensch hat nicht nur eine Seite, die mathematische, alles belegen zu können meinende.
(Fast jeder Morgen beschert uns Träume, und die gehören zu unserem Alltag.)

Ich formuliere hier in einer Sprache, die das Unbewußte, Irrationale, in uns anspricht.

Mir ist dies offensichtlich mit meinem Text bei dir gelungen, denn du schreibst, daß es gut klingt und es in dir hängen bleibt.

Prima! Das ist das Ziel hier.

Das Manches gut klingt, und ggf. gut aussieht, und uns beschäftigt, auch wenn wir es nicht recht verstehen können, ist ja nun nichts Ungewöhnliches.

Das gibt es in vielen Sparten der Kunst. Mit Sicherheit auch in der Lyrik. Worte, Klang und Bilder vermögen in uns Seiten anzusprechen, die sich der rationalen Erklärung entziehen.
(Das gilt auch für den Alltag: Du bist doch Mutter, und schau mal wieviele Momente es gibt, in denen du von deinem Kind ergriffen bist, ohne es genau erklären zu können.)

Meiner Meinung nach sollte man sich diesem Text nähern, indem man die Bilder sieht und zulässt. Vielleicht kann man dann auch eine Bildfolge herstellen, und noch 'vielleichter' dann den Schlüßel finden. Aber der findet sich dann im Leser

meint

Moshe :smile:

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Beitragvon Elsa » 19.03.2008, 17:54

Lieber Moshe,

Das ist in der Tat ein verblüffendes Gedicht :-)

Ich mag es gern, es erinnert mich an eine Sandskulptur, durch das Gesicht am Ende.
Dann blicke ich aufwärts, bemerke, dass der Sand erst durch das Zerschlagen der Steine
produziert wird.
Noch weiter oben legte das LI sein eigenes Gesicht so gern auf etwas (Tisch)
nimmt als Alternative eine Zeitung (?) *grübel*

Und ganz oben ist LI glücklich (meine ich), weil es seine Strophe fand.

Für mich ist das Gedicht wie ein Gemälde von einem Surrealisten.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 19.03.2008, 18:10

Liebe ELsa!

Du bringst es auf den Punkt: Gemälde eines Surrealisten.

Und du bemerkst die Lesart von untern nach oben, wie das Hebräische von rechts nach links.

Chapeau Madam!

Sehr erfreut

Moshe
Zuletzt geändert von moshe.c am 19.03.2008, 21:23, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Elsa » 19.03.2008, 20:12

Lieber Moshe,

Ha, da freu ich mich, denn ein gewisses Rätsel ist dein Text ja schon :-)

Lieben Gruß, Monsieur, von
Elsa
Schreiben ist atmen

lagunkel

Beitragvon lagunkel » 19.03.2008, 20:16

Danke Elsa und mosche,

jetzt kann ich es auch 'einfacher' lesen. Hätt' ich ja auch mal drauf kommen können von unten nach oben zu lesen... :rolleyes:
Danke.
lagunkel

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Beitragvon Elsa » 19.03.2008, 20:18

Liebe Rebekka,

eigentlich haben mich deine Gedanken zu Moshes Gedicht drauf gebracht, es ganz genau zu lesen :-)

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

lagunkel

Beitragvon lagunkel » 19.03.2008, 20:24

Liebe Elsa, dann war es ja fast Teamwork (ich reiß ein, du baust auf - industrial)

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Beitragvon Elsa » 19.03.2008, 20:28

lagunkel hat geschrieben:Liebe Elsa, dann war es ja fast Teamwork (ich reiß ein, du baust auf - industrial)


Hihi, genau! *handschüttel*

ELsa
Schreiben ist atmen

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 19.03.2008, 21:20

Und was lest ihr jetzt? :tiere0053: :d050: :totlach:

Fragender

Moshe :eek:

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Beitragvon Elsa » 19.03.2008, 21:25

Immer noch Surreales, lieber Moshe, das passt!

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

lagunkel

Beitragvon lagunkel » 19.03.2008, 22:07

So ganz surreal ist es jetzt nicht mehr für mich, das war es eher vorher.
Jetzt lese ich, (achtung, das ist wieder ein Leseeindruck, diesmal nicht kleiner, damit du nicht im Bildschirm stecken bleibst):

LyrIch entdeckt bei normaler Tätigkeit (in dem Fall: essen) etwas ungewöhnliches (hier: ein Gesicht), versteht kurz darauf, woraus das, was er tut, geschaffen ist (Sand=gesprengte Steine). *Jetzt will er das gefundene Gesicht gerne aufbewahren, frisch halten. Es in Zeitungen einzuschlagen kommt ihm in den Sinn, will aber nicht gelingen, aus Mangel an Printmedien und in, jetzt wird es kompliziert, Ermangelung eines Tisches, auf das er das Gesicht legen könnte, um es anzuschauen und einzupacken. Alles geht schief, bis ihm plötzlich sein Text wieder einfällt (seine Strophe gefunden). Den sagt er sich immer und immer wieder auf, bis er das Gesicht nicht mehr braucht, als Erinnerung.

*das Gesicht steht hier für mich als eine Erinnerung an etwas. Wie, wenn man in einer alten Kiste kramt und eine Konzertkarte (oder Ähnliches) findet, von einem Konzert, auf dem man sich nicht erinnern kann je gewesen zu sein. Dann schaut man sich das an, hebt es auf, wartet auf Erinnerungen; etwas, was es wieder 'ganz' macht im Kopf

Ist euch übrigens aufgefallen, dass ich bereits in meinem ersten Posting die Leserichtung von unten nach oben erwähnte, wohl aber einfach zu 'schludrig' war, um es 'richtig' zu machen?

So mosche, ich hoffe, jetzt war ich nicht zu kryptisch (wenigstens hat es Normalgröße)

lg

lagunkel

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 22.03.2008, 17:29

Hallo!

Ich plage mich mit der Frage, ob ich hier jetzt antworten soll oder nicht. Das passiert mir selten bis garnicht.
Das kommt auch daher, daß ich mich mit Frage herumschlage, ob ich Texte veröffentlichen soll, deren Kontext für 99 % der Leser einfach nicht ersichtlich ist.
Die Versuche diesen Text zu lesen und interpretieren finde ich gelungen. Intuitiv und analytisch geht es sehr in die richtige Richtung, was für mich selbst erstaunlich ist.

Insbesonders bist du, Lagunkel, in der Lage der Sache unglaublich nahe zu kommen. Aber auch Elsa hat hier in dedektivischer Weise zur Deutung beigetragen.

Die Bilder zog ich aus Zeiten des Versuchs im 19.und 20. Jahrhunderts die hebräische Sprache wieder zu beleben, sie zu modernisieren und deren Bedeutung hervorzuheben. Tchernichowski und Ben Yehuda spielen da ein große Rolle.
Daraus ergibt sich auch eine Ansprache an das Unbewußte, welches bei der Interpretation von Lyrik oft vor der Tür bleibt.

Mit bestem Dank
Moshe,

der dann und wann etwas surrealistiisch sein wird.


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