Lied vom Ort, zu dem kein Weg führt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 07.03.2008, 21:12

Ich wär so glücklich mit dir,
wärst du glücklich mit mir.


Ich hab dich sogar dem toten Teil
der Familie vorgestellt, sie hatten Dich gern,
meine rumänische Uroma krächzte aus Gier:
„Hat er auch Geld?“

Ich würd so gern erben oder verarmen mit Dir,
würdest Du erben oder verarmen mit mir.


Ich hab Dir sogar den Schutzwall gezeigt
des Ortes, zu dem kein Weg führt.
Ich hab sein Portal mehr als einmal berührt.

Hinter den Mauern waschen die Frauen im Winter das Licht
und sobald es getrocknet ist, hängen sie sich
die saubere Sonne übers Gesicht.

Ihre Kammern sind verlegt mit altem Parkett,
das von den früheren Paaren
ganz samtig geworden ist.

Ich wär gerne dorthin gezogen mit Dir,
wärst Du mitgekommen mit mir.


In den kleinen Bistros spielen sie Gott
und drehen an jedem Tisch Sanduhren um,
bevor das letzte Korn fällt,
denn ohne Ende hat man mehr Zeit.

Ich hätt so gern Gott gespielt mit Dir,
dächtest Du nicht sofort Du verlierst.


Ich lehn mich am Abend gegen die Mauern
und glaube der Ort ist leer,
denn ich hör sie nicht mehr die Sanduhren drehen
und das Licht sickert unter der Pforte hindurch,
herab in die Kanalisation.
Meine gierigen Finger mochten Dich gern.

Klara
Beiträge: 4533
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 07.03.2008, 21:25

Ach Louisa, das ist so wunder-, wunderschön, dass ich fast meine, du habest Goldhände, oder eine Seele aus Gold, oder beides, und schüttest es so gierig und freigiebig aus - danke!

das ist ein Lied!

Einzige Schwachstelle:
Ich hätt so gern Gott gespielt mit Dir,
dächtest Du nicht sofort Du verlierst.

nicht so elegant, oder? und ein bisschen arg mit dem Zaunpfahl - ! und verlässt die kindlich-weise Grundhaltung, wird pädagogisch und fast beziehungssprechig - °uaah° (grusel).

eher in die Richtung:
"Ich hätt so gern Hölle gespielt mit dir
und du verbrennst dich nicht mal an mir"
?

oder: "Ich hätt so gern Gott gespielt mit dir
aber deine Engel warn nicht dafür"

oder:
"Ich hätt so gern auf Zeit gespielt mit dir
aber deine Ewigkeit wollt nicht mit mir"

(etc.)

.-)
Lieber Gruß nach Süden
Klara

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.03.2008, 21:41

Danke!

Du hast Recht mit der "göttlichen Strophe" :smile: ...

Ich übernehme oder überlege mir das!

:blumen:

l aus dem unsüdlichen Süden

PS: Meine Hände sind aus Fettgewebe und Knochen, glaube ich...hihi...besonders Fett! Was soll man hier eigentlich machen, außer essen und schreiben :smile: ?

Nihil

Beitragvon Nihil » 07.03.2008, 21:59

Liebe Louisa,

das ist eine wunderschöne und traurige Dichtung .. ich glaube, das ist das Traurigste, das ich bisher von Dir gelesen habe .. ich hoffe, das sind nicht die Antispinni-Pillen .. denn: Die Realität wurde nicht dazu erschaffen sie zu ertragen! :rolleyes:

"Ich würd so gern erben oder verarmen mit Dir,
würdest Du erben oder verarmen mit mir."

.. diese Zeilen rahme ich mir ein .. sie haben hohen Seltenheitswert und sind so schrecklich schön romantisch ..


LG

Nihil

P.S.: Ich finde die göttliche Zeile ganz in Ordnung so wie sie ist .. Du solltest nicht wirklich viel daran verändern, finde ich ..

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.03.2008, 22:36

Danke, Nihil, Du kleiner Melancholiker :smile: !

So traurig fand ich das wieder gar nicht :smile: !

*räusper* ...hihi...in meinem bald beendeten Roman gibt es einen Barmann, der gefragt wird, was er denn gerne macht und er antwortet:

"Rad fahren, schwimmen, essen, trinken, rauchen, die Sonne, den Regen, schlafen, denken, lesen, fernsehen, Musik, lachen, weinen, reden, Frauen, Liebe machen, alleine sein, zusammen sein, ausgehen, zu Hause bleiben, singen, schweigen, wandern, malen, arbeiten, faulenzen..."

Bis er unterbrochen wird, da er alles gerne tut, was zum Leben gehört.

Deshalb bin ich nicht mehr richtig traurig :smile: !

Glückliche Grüße!

l plus Anti-Spinni-Pillen :smile:

Nihil

Beitragvon Nihil » 07.03.2008, 22:45

Eine glückliche Louisa, das ist doch schön! :-) Und ich dachte schon es hätte dich in die Niederungen der Melancholie geschneit .. ;-)

LG

Nihil

P.S.: Wie heißt Dein Roman und wird er verlegt werden?

Louisa

Beitragvon Louisa » 07.03.2008, 22:57

Hihi...

Er heißt "Die Miesmuscheln" und wenn er nicht verlegt wird erschieße ich die Verleger dieser Welt

:banana_1:

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9470
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 08.03.2008, 08:56

Hallo Louisa,

das Bild des Ortes mit seinem Schutzwall, zu dem kein Weg führt, der gewaschenen Sonne und vor allem der Sanduhren finde ich sehr beneidenswert gelungen. Schade finde ich, dass diese Bilder für mich von diesem Vorwurf an das Du und der Betonung darauf, was das "Ich" doch alles will und "sogar" tut, beinahe erstickt werden. Vielleicht ist das stimmig mit den gierigen Händen am Schluss, ich denke aber diese feinen Beobachtungen, Ideen könnten etwas mehr Freiheit vertragen.

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.03.2008, 10:27

*grübel*

Aber alles andere wäre doch ein bisschen verlogen oder nicht :smile: ?

Meiner Erfahrung nach steckt in jeder Liebe ein bisschen Gier.

Vielen Dank für die Kritik!
l

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.03.2008, 10:28

PS: Abgesehen davon, bleibe ich hier wie immer in einem leicht ironischen Gestus. Kann man das denn wirklich so ernst und vorwurfsvoll nehmen, wenn ich ihm "sogar" meine tote Uroma vorstelle :smile: ?

Max

Beitragvon Max » 08.03.2008, 11:54

Liebe Louisa,

das finde sehr stark. Gerade was Du oben selbst als den leicht ironischen Gestus beschreibst, gibt dem Gedicht ein Rückgrat:
Du verfällst nicht in süßer Melancholie. Erst stellst Du "ihn" dem toten Teil der Familie vor, doch bevor man sich emotional zu sher verstrickt kommt:

meine rumänische Uroma krächzte aus Gier:
„Hat er auch Geld?“


Außerdem finde ich diese Strophe allein

In den kleinen Bistros spielen sie Gott
und drehen an jedem Tisch Sanduhren um,
bevor das letzte Korn fällt,
denn ohne Ende hat man mehr Zeit.


ein kleines Kunstwerk.

Liebe Grüße von Frankreich nach Monaco
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.03.2008, 12:59

Oh, von Frankreich :smile: ?

Ich werde Leuchtkugeln von hier abschießen :smile: ! S.O.S. !!!

Danke für deine Unterstützung :blumen: !

Ich habe ja gesagt: "Anti-Spinni-Pillen" :smile: !

Bonne journée!
l

PS: Nieselt es bei Dir auch? Mir wird hier langsam langweilig :smile: ...hihi...

Max

Beitragvon Max » 08.03.2008, 13:39

Bonjour Mademoiselle,

ton poém n'a pas besoin de mon support .. il est assez fort.

Hier hat es aufgehört zu nieseln. Aber ein bißchen Regen gehört zur Bretagne. Man merkt den Sommer eigentlich dadurch, dass der Regen 5 Grad wärmer wird. Nur 2003 und 1984 (ja, da gab es die Bretagne schon, nur Dich noch nicht ;-) ...) war es hier warm und trocken.

Liebe Grüße
Max

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9470
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 08.03.2008, 16:29

Hallo Louisa,

einen leicht ironischen Gestus finde ich immer schwierig, weil das meist nur eine praktische Ausrede ist, um sich bei Bedarf dahinter zu verstecken. Vielleicht bin ich aber auch zu blöd, um die Ironie zu erkennen, oder ich würde manches im Text lieber unironisch ernst nehmen. ;-) Sieh es also als Kompliment. :-)

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Bing [Bot] und 11 Gäste