Der Deut
Ein Mädchen hatte eine Seite oder mehrere meines Manuskripts überarbeitet, sie brachte mir die Blätter, begleitet war sie von einem älteren Mann, um mich zu fragen, oder vielmehr mir darzulegen, dass die Blätter nur so aufgenommen werden würden in das Buch. Jedes Wort war umgeschrieben, mein ich glaube eher notizhaftes Manuskript war ganze Sätze geworden, alles wirkte viel leichter. Ein dunkler Garten schien umgebaut zu einem begehbaren Park, und anstelle meiner Teiche hatte man Springbrunnen gesetzt. Alles war farbiger, begleitet von einem mondänen, moderaten Ton. Der ältere Mann stand zur Unterstützung des Mädchens, und er "hielt" mein Lesen, vor Zustimmung strömte er förmlich aus, nur so dürfe der Text sein. Aber kaum hatte ich eine der bunten Zeilen gelesen, fuhr ich auf vor Wut. Ich warf das Manuskript auf den Tisch. "Warum denn!", sagte ich. Es sei sonst so traurig, sagte das Mädchen. "Traurig?", sagte ich, "Was ist denn das für ein Wort!". Und das Mädchen wendete sich ab. Wenn ich die Korrekturen nicht akzeptierte, würde sie das Buch nicht nehmen.
Später riss ich das Manuskript auseinander, es fiel herab im Raum und verteilte sich über die Tische. - Ich war nicht der einzige Autor. Bei mir saß ein älterer Herr, der einen wissenschaftlichen Artikel geschrieben hatte, und von oben herab kam die Zusage, dass dieser aufgenommen war. Als selbstverständlich nahm der Autor die Nachricht auf. Ich war wütend geworden. Mein Blut kochte. Aber wie oft im Traum, verlor ich doch nicht meine Gestalt. Ich dachte sorgfältig darüber nach, was denn der Grund für die Ablehnung war. Und ich meinte zu sehen, sie liege in einem Publikum, vielmehr in einer Publikumsgestalt, die nichts so wenig wollte, als traurig zu werden. Aber dass sie als Maß gelten sollte, das wollte ich nicht akzeptieren. So viele Gedanken wurden ausgeschlossen, auch so viele Möglichkeiten. Und zur anderen Seite war es mir eine pure Frechheit, in einem Original, in einem Ursprung so herumzufälschen wie das Mädchen.
"Dürfte ich Ihnen etwas erzählen?", fragte ich den älteren Herrn. Er saß seitlich von mir, in einer eigentümlichen Abwesenheit. In Momenten war es sehr laut, weil in großen Schüben, wie in einem Bahnhof, Aufbruch und Ankunft ineinander fielen, und der ältere Herr wirkte etwas benommen von der Szenerie und musste mich erst entdecken. Als ich aber meine Frage wiederholte, wurde er aufmerksam, und ein wenig vorgelehnt sagte er: "Ja, bitte". Ich sagte: "Danke. - Dürfte ich Sie bemühen... Stellen Sie sich bitte vor - Sie haben ein Buch. Das Buch ist voller Nähe. Sie schrieben es zu keinem anderen Zweck, als für ein Zugeständnis - die Linien einer Sprache zu verfolgen, von der Sie glaubten, dass sie, obwohl ganz bei Ihnen, nicht bloß eine eigene - sondern die große Möglichkeit einer gemeinsamen Sprache wäre. - Hören Sie?" "Ich höre", sagte er. "Alles beginnt mit einer Geschichte - Sie ist das große Volumen - Und Sie wollen so viel beginnen - Es kommt Ihnen auch vieles zu - Sie befinden sich in einem Wachsen - Nie war ihnen das Leben eine solche Möglichkeit - Was Stunden waren, wird Ihnen zur Reise - Was Ihnen nur ein Mal geschah, geschieht und wird Ihnen geschehen - Ein nicht endendes Buch - wird unter Ihrer Hand - Und nicht länger ist es Blätter, sondern eine Welt... Es wird eine Welt - Und sie steht in den Wänden - Und Wände spalten sie auf - Sie ist ein großes Zugeständnis - und sie bräuchte nichts als ein Gramm - einen Deut - Die Welt existiert - Um zu sein, bräuchte sie nur ein kleines - vielleicht nur ein kleines Gramm - an Zugeständnis - Und Sie kommen in die Verhandlung - Und geraten in alle Gesetze - Und alles wäre schon da, alles was Sie wollen - Es fehlt das Winzigste - und es wird nicht gegeben. Sie bekommen es nicht. Sie könnten sein, weit, weit über jedes hinaus, läge nur - in dieser dunklen großen Schale Ihrer Welt - das einzige Gramm. - Und Sie bekommen es nicht. - Stattdessen agieren die Wände. Stattdessen wird, aus dem, was sein könnte, gegen Sie, die Prothese gemacht. Die Ihre Ihnen eigene Welt soll passend sein, und dass sie ist, achtet man nicht. Sie dient, in ihrem verdunkelten Stoff, den Schnittmustern. Sie dient allen Dingen; ihr aber, um nur ein Gramm, dient nichts. Ihr Wert steht verborgen. Ihr Wert wird gehandhabt mit allen Werten. Ihr Wert wird verschleppt. Ihr Wert geht verloren. Dass Sie sind, wird Ihnen zur Qual. Denn Sie sind die Dinge. Und der Umgang ist das nicht gewohnt. Er weiß nicht, dass die Dinge sind, sein können, dass ich bin, was ich bin. Und so geht alles zugrunde. Die Welt geht verloren. Das Dasein verloren. Auch aus Ihrer Welt war die dunkle, für Sie umso dunklere Kleidung zu machen. Auch aus Ihrem Denken wird der Hut. Aus Ihrem Gefühl der dunkle Mantel. Aus Ihrem Wort die Ansteckblume - im Loch. Was möglich war - Und verstehen Sie, was immer noch möglich ist - tragen Sie, als den uralten Stoff, aller Dunkelheit. - Sie tragen eine Welt an der Haut - und sie muss doch der Anzug sein - Sie tragen denselben, wie der neben Ihnen, der seine Welt nicht begann. Sie tragen in allem dasselbe... Und sprechen Sie mit ihm, hört er nicht, dass Sie eine Welt tragen... Er glaubt, Sie trügen, nur wenig verschieden, dasselbe wie er. Und Sie können sich nicht lösen. Sie versuchen sich zu erklären. Sie werden sich nicht lösen. Sie sprechen sich, und Sie werden sich nur fremder, je mehr der andere Sie zu verstehen glaubt. Sie entfernen sich in den Zuschnitt Ihrer Kleidung Ihrer Welt. Sie verlieren - die Dimension. Und Sie entdecken sich nicht mehr. Und so geht alles ins Dunkle."
Ich hatte längst nicht mehr gesprochen. Soweit ich noch weiß, sprach ich nur die ersten Sätze. Alles Weitere sprach ich für mich, und dann für ein Mädchen, das jetzt an mir schlief. Ich weiß nicht, ob sie nicht dieselbe war, die mir am Anfang die Blätter gegeben hatte. Aber sie war jetzt um vieles jünger, sie war sehr blond, sie war fast ein Kind, und sie war so schläfrig, so schläfrig, dass sie nichts im Weiteren des Traumes weckte. Auch war ich aufgestanden, ich saß nicht mehr neben dem älteren Herrn, inzwischen schien auch mein Zug gekommen, oder meine Fahrt, und als ich aufsah nach den letzten Sätzen, war ich unterwegs nach Hause.
Eine Allee aus kleinen Bäumen stand am Weg, dahinter erkannte ich die Häuser. Mir fiel auf, wie viele (merkwürdige) Vögel in den Bäumen hingen, die Bäume waren schwarz wie von Trauben, und große Schwärme, wie Wolken, lösten sich aus ihnen, die schwenkten in die nächsten Bäume, aus denen sich wieder Wolken/Schwärme hoben. So fiel eine Vielfalt an Schatten über uns, und irgendwo ferner, anscheinend gedämpft durch die Fensterscheiben, war ein ungeheures Zwitschern zu hören. Plötzlich, fast senkrecht, jagte, durch eine der Wolken, die sich in diesem Moment erhob, ein Falke herab, und in seinen Krallen verströmte sich, in einer farbigen Spur, der erfasste Vogel im Himmel - leuchtete, vor Intensität und Farbe. Und der große Falke barg ihn. Er schloss seinen Flug, die Flügel, um dieses Licht. Und war irgendwo höher verschwunden.
(Hat der Text etwas Einleuchtendes, oder bleibt er zu verborgen? Der Text gehört zu einer Sammlung; nun weiß ich nicht, ob man ihn so einzeln ins Licht stellen kann. (Für jede Fehlerkorrektur wäre ich dankbar.))
Der Deut
Lieber Peter,
also ich fluche jetzt mal an einer Stelle auf den Verlag (der deine Texte hätte drucken können, wäre er nicht so gemein und unverlagig), an der ich mich anschließend über einen Text freuen kann, der noch im Forum stehen bleiben kann.
Für mich ist dies der direkteste Text, den ich von dir kenne (ich wollte erst "klar" schreiben, aber das wäre ganz falsch). Und ich glaube, dass er für sich allein stehen kann (man ihn versteht und dass er durch sein Arrangement etwas erleuchtet). Das Arrangement: Ein Traum eines Menschen antwortet denen, die sprachlos machen, weil sie nicht sprechen. Das traurige daran: Die Unmöglichkeit (oder Einsamkeit), das schöne daran: Die Kraft, die Welten und das darin umzudrehen: In der Welt des Mädchens und des Mannes kann das lyr. Ich nicht antworten, weil die Welt so ist, wie sie ist (ihn nicht hören will (Publikumsgestalt), in der Welt des Traumes ist alles einen Deut umgedeutet und wird doch zu etwas ganz anderem: jetzt ist die Gesetzmäßigkeit der Welt die des lyr. Ichs und es kann sprechen (wenn auch das nochmal aufgehoben und so die Umdeutung wieder parallel zur Ausgangssituation stellt! @Problem/Leiden wird aufrecht erhalten, nicht weggeträumt in der Phantasie: denn das eigentliche sagt das lyr. ich ja zu sich selbst oder sagt es (damit: denn seine Sprache ist ja die gemeinsame) gar nicht.), das Mädchen und der mann sind in seiner Gesetzmäßigkeit (deshalb glaube ich auch, dass das Mädchen an seiner Seite schläft, weil es ihr Wunsch ist und nicht der des lyr. Ichs).
Mit dieser Umkehrung im Traum (ohne dass es "aufgeht" @Parallelisierung) wird für mich eben vom lyr. Ich gezeigt, wie sehr eine Winzigkeit (ein Deut) an Veränderung der Sprache das Gesamte zu etwas vollständig anderem macht.
Der Deut scheint mir eine Dunkelheit, weil nichts Gemeinsames ist (keine Sprache). Ein Monster (würde ich sagen, du wohl nicht .-)).
Ich liebe besonders, wie der Text weder im Abstrakten noch im Konkreten hängt, wie er Schmerz zulässt und doch nicht abrückt. (Und das ist vielleicht auch der Grund, warum dieser Text um einen Deut direkter ist, als das, was ich bisher von dir kenne. Als sei er krank gemacht worden.
Liebe Grüße,
Lisa
KLeines, das mir aufgefallen ist:
also ich fluche jetzt mal an einer Stelle auf den Verlag (der deine Texte hätte drucken können, wäre er nicht so gemein und unverlagig), an der ich mich anschließend über einen Text freuen kann, der noch im Forum stehen bleiben kann.
Für mich ist dies der direkteste Text, den ich von dir kenne (ich wollte erst "klar" schreiben, aber das wäre ganz falsch). Und ich glaube, dass er für sich allein stehen kann (man ihn versteht und dass er durch sein Arrangement etwas erleuchtet). Das Arrangement: Ein Traum eines Menschen antwortet denen, die sprachlos machen, weil sie nicht sprechen. Das traurige daran: Die Unmöglichkeit (oder Einsamkeit), das schöne daran: Die Kraft, die Welten und das darin umzudrehen: In der Welt des Mädchens und des Mannes kann das lyr. Ich nicht antworten, weil die Welt so ist, wie sie ist (ihn nicht hören will (Publikumsgestalt), in der Welt des Traumes ist alles einen Deut umgedeutet und wird doch zu etwas ganz anderem: jetzt ist die Gesetzmäßigkeit der Welt die des lyr. Ichs und es kann sprechen (wenn auch das nochmal aufgehoben und so die Umdeutung wieder parallel zur Ausgangssituation stellt! @Problem/Leiden wird aufrecht erhalten, nicht weggeträumt in der Phantasie: denn das eigentliche sagt das lyr. ich ja zu sich selbst oder sagt es (damit: denn seine Sprache ist ja die gemeinsame) gar nicht.), das Mädchen und der mann sind in seiner Gesetzmäßigkeit (deshalb glaube ich auch, dass das Mädchen an seiner Seite schläft, weil es ihr Wunsch ist und nicht der des lyr. Ichs).
Mit dieser Umkehrung im Traum (ohne dass es "aufgeht" @Parallelisierung) wird für mich eben vom lyr. Ich gezeigt, wie sehr eine Winzigkeit (ein Deut) an Veränderung der Sprache das Gesamte zu etwas vollständig anderem macht.
Der Deut scheint mir eine Dunkelheit, weil nichts Gemeinsames ist (keine Sprache). Ein Monster (würde ich sagen, du wohl nicht .-)).
Ich liebe besonders, wie der Text weder im Abstrakten noch im Konkreten hängt, wie er Schmerz zulässt und doch nicht abrückt. (Und das ist vielleicht auch der Grund, warum dieser Text um einen Deut direkter ist, als das, was ich bisher von dir kenne. Als sei er krank gemacht worden.
Liebe Grüße,
Lisa
KLeines, das mir aufgefallen ist:
Ein Mädchen hatte eine Seite oder mehrere meines Manuskripts überarbeitet, sie brachte mir die Blätter, begleitet war sie von einem älteren Mann, um mich zu fragen, oder vielmehr mir darzulegen, dass die Blätter nur so aufgenommen werden würden in das Buch. Jedes Wort war umgeschrieben, mein ich glaube eher notizhaftes Manuskript war ganze Sätze geworden, alles wirkte viel leichter. Ein dunkler Garten schien umgebaut zu einem begehbaren Park, und anstelle meiner Teiche hatte man Springbrunnen gesetzt. Alles war farbiger, begleitet von einem mondänen, moderaten Ton. Der ältere Mann stand zur Unterstützung des Mädchens, und er "hielt" mein Lesen, vor Zustimmung strömte er förmlich aus, nur so dürfe der Text sein (das hielt verstehe ich nicht). Aber kaum hatte ich eine der bunten Zeilen gelesen, fuhr ich auf vor Wut. Ich warf das Manuskript auf den Tisch. "Warum denn!", sagte ich. Es sei sonst so traurig, sagte das Mädchen. "Traurig?", sagte ich, "Was ist denn das für ein Wort!". Und das Mädchen wendete sich ab. Wenn ich die Korrekturen nicht akzeptierte, würde sie das Buch nicht nehmen.
Später riss ich das Manuskript auseinander, es fiel herab im Raum und verteilte sich über die Tische. - Ich war nicht der einzige Autor. Bei mir saß ein älterer Herr, der einen wissenschaftlichen Artikel geschrieben hatte, und von oben herab kam die Zusage, dass dieser aufgenommen war. Als selbstverständlich nahm der Autor die Nachricht auf. Ich war wütend geworden. (das Plusquamperfekt passt hier nicht zu den vorigen Sätzen?) Mein Blut kochte. Aber wie oft im Traum, verlor ich doch nicht meine Gestalt. Ich dachte sorgfältig darüber nach, was denn der Grund für die Ablehnung war. Und ich meinte zu sehen, sie liege in einem Publikum, vielmehr in einer Publikumsgestalt, die nichts so wenig wollte, als traurig zu werden. Aber dass sie als Maß gelten sollte, das wollte ich nicht akzeptieren. So viele Gedanken wurden ausgeschlossen, auch so viele Möglichkeiten. Und zur anderen Seite war es mir eine pure Frechheit, in einem Original, in einem Ursprung so herumzufälschen wie das Mädchen.
"Dürfte ich Ihnen etwas erzählen?", fragte ich den älteren Herrn. Er saß seitlich von mir, in einer eigentümlichen Abwesenheit. In Momenten war es sehr laut, weil in großen Schüben, wie in einem Bahnhof, Aufbruch und Ankunft ineinander fielen, und der ältere Herr wirkte etwas benommen von der Szenerie und musste mich erst entdecken. Als ich aber meine Frage wiederholte, wurde er aufmerksam, und ein wenig vorgelehnt sagte er: "Ja, bitte". Ich sagte: "Danke. - Dürfte ich Sie bemühen... Stellen Sie sich bitte vor - Sie haben ein Buch. Das Buch ist voller Nähe. Sie schrieben es zu keinem anderen Zweck, als für ein Zugeständnis - die Linien einer Sprache zu verfolgen, von der Sie glaubten, dass sie, obwohl ganz bei Ihnen, nicht bloß eine eigene - sondern die große Möglichkeit einer gemeinsamen Sprache wäre. - Hören Sie?" "Ich höre", sagte er. "Alles beginnt mit einer Geschichte - Sie ist das große Volumen - Und Sie wollen so viel beginnen - Es kommt Ihnen auch vieles zu - Sie befinden sich in einem Wachsen - Nie war ihnen das Leben eine solche Möglichkeit - Was Stunden waren, wird Ihnen zur Reise - Was Ihnen nur ein Mal geschah, geschieht und wird Ihnen geschehen - Ein nicht endendes Buch - wird unter Ihrer Hand - Und nicht länger ist es Blätter, sondern eine Welt... Es wird eine Welt - Und sie steht in den Wänden - Und Wände spalten sie auf - Sie ist ein großes Zugeständnis - und sie bräuchte nichts als ein Gramm - einen Deut - Die Welt existiert - Um zu sein, bräuchte sie nur ein kleines - vielleicht nur ein kleines Gramm - an Zugeständnis - Und Sie kommen in die Verhandlung - Und geraten in alle Gesetze - Und alles wäre schon da, alles was Sie wollen - Es fehlt das Winzigste - und es wird nicht gegeben. Sie bekommen es nicht. Sie könnten sein, weit, weit über jedes hinaus, läge nur - in dieser dunklen großen Schale Ihrer Welt - das einzige Gramm. - Und Sie bekommen es nicht. - Stattdessen agieren die Wände. Stattdessen wird, aus dem, was sein könnte, gegen Sie, die Prothese gemacht. Die Ihre Ihnen eigene Welt soll passend sein, und dass sie ist, achtet man nicht. Sie dient, in ihrem verdunkelten Stoff, den Schnittmustern. Sie dient allen Dingen; ihr aber, um nur ein Gramm, dient nichts. Ihr Wert steht verborgen. Ihr Wert wird gehandhabt mit allen Werten. Ihr Wert wird verschleppt. Ihr Wert geht verloren. Dass Sie sind, wird Ihnen zur Qual. Denn Sie sind die Dinge. Und der Umgang ist das nicht gewohnt. Er weiß nicht, dass die Dinge sind, sein können, dass ich bin, was ich bin. Und so geht alles zugrunde. Die Welt geht verloren. Das Dasein verloren. Auch aus Ihrer Welt war die dunkle, für Sie umso dunklere Kleidung zu machen. Auch aus Ihrem Denken wird der Hut. Aus Ihrem Gefühl der dunkle Mantel. Aus Ihrem Wort die Ansteckblume - im Loch. Was möglich war - Und verstehen Sie, was immer noch möglich ist - tragen Sie, als den uralten Stoff, aller Dunkelheit. - Sie tragen eine Welt an der Haut - und sie muss doch der Anzug sein - Sie tragen denselben, wie der neben Ihnen, der seine Welt nicht begann. Sie tragen in allem dasselbe... Und sprechen Sie mit ihm, hört er nicht, dass Sie eine Welt tragen... Er glaubt, Sie trügen, nur wenig verschieden, dasselbe wie er. Und Sie können sich nicht lösen. Sie versuchen sich zu erklären. Sie werden sich nicht lösen. Sie sprechen sich, und Sie werden sich nur fremder, je mehr der andere Sie zu verstehen glaubt. Sie entfernen sich in den Zuschnitt Ihrer Kleidung Ihrer Welt. Sie verlieren - die Dimension. Und Sie entdecken sich nicht mehr. Und so geht alles ins Dunkle."
Ich hatte längst nicht mehr gesprochen. Soweit ich noch weiß, sprach ich nur die ersten Sätze. Alles Weitere sprach ich für mich, und dann für ein Mädchen, das jetzt an mir schlief. Ich weiß nicht, ob sie nicht dieselbe war, die mir am Anfang die Blätter gegeben hatte. Aber sie war jetzt um vieles jünger, sie war sehr blond, sie war fast ein Kind, und sie war so schläfrig, so schläfrig, dass sie nichts im Weiteren des Traumes weckte. Auch war ich aufgestanden, ich saß nicht mehr neben dem älteren Herrn, inzwischen schien auch mein Zug gekommen, oder meine Fahrt, und als ich aufsah nach den letzten Sätzen, war ich unterwegs nach Hause.
(absatz fort?)
Eine Allee aus kleinen Bäumen stand am Weg, dahinter erkannte ich die Häuser. Mir fiel auf, wie viele (merkwürdige) Vögel in den Bäumen hingen, die Bäume waren schwarz wie von Trauben, und große Schwärme, wie Wolken, lösten sich aus ihnen, die schwenkten in die nächsten Bäume, aus denen sich wieder Wolken/Schwärme hoben. So fiel eine Vielfalt an Schatten über uns (uns?), und irgendwo ferner, anscheinend gedämpft durch die Fensterscheiben, war ein ungeheures Zwitschern zu hören. Plötzlich, fast senkrecht, jagte, durch eine der Wolken, die sich in diesem Moment erhob, ein Falke herab, und in seinen Krallen verströmte sich, in einer farbigen Spur, der erfasste Vogel im Himmel - leuchtete, vor Intensität und Farbe. Und der große Falke barg ihn. Er schloss seinen Flug, die Flügel, um dieses Licht. Und war irgendwo höher verschwunden.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Liebe Lisa,
:-). Ja, es ist die Umkehrung, so geht mein Lesen auch um den Text, und mir erscheint er auch etwas zu laut (oder du sagst direkt), zu sehr, würde ich sagen: von einer Wut getragen. (Aber ich kenne da z. B. eine Dichterin, die schreibt überhaupt nur in ihrer Wut und zu ihrer Wut hin, und stellt damit wieder ihre Orte her; und so auch der Text oben.)
Umkehrung zur Parallele finde ich einen feinen Gedanken in deinem Lesen. Dieses zu Hause, das da auftaucht, lese ich nun auch so, dass es gewissermaßen die Höhe über dem Ursprung des Konfliktes ist, eine Wiederholung, die sich aber an den höheren Ort setzt; der wäre eben das zu Hause.
Wusstest du, dass der Deut früher eine Währung war? Ein dunkles Stück Münze.
Ich halte diesen Text für eine Fiktion, für ein Was-wäre-wenn es da etwas gäbe, das in die Ansammlung der Puzzleteile, in deren fehlende Mitte, das letzte gäbe, das von uns spräche. Ich denke, dass es solche Verwandlungen gibt.
Zu deinen Korrekturen muss ich nochmal überlegen. Eigentlich war das so gewollt, was du markierst...
Liebe Grüße,
Peter
:-). Ja, es ist die Umkehrung, so geht mein Lesen auch um den Text, und mir erscheint er auch etwas zu laut (oder du sagst direkt), zu sehr, würde ich sagen: von einer Wut getragen. (Aber ich kenne da z. B. eine Dichterin, die schreibt überhaupt nur in ihrer Wut und zu ihrer Wut hin, und stellt damit wieder ihre Orte her; und so auch der Text oben.)
Umkehrung zur Parallele finde ich einen feinen Gedanken in deinem Lesen. Dieses zu Hause, das da auftaucht, lese ich nun auch so, dass es gewissermaßen die Höhe über dem Ursprung des Konfliktes ist, eine Wiederholung, die sich aber an den höheren Ort setzt; der wäre eben das zu Hause.
Wusstest du, dass der Deut früher eine Währung war? Ein dunkles Stück Münze.
Ich halte diesen Text für eine Fiktion, für ein Was-wäre-wenn es da etwas gäbe, das in die Ansammlung der Puzzleteile, in deren fehlende Mitte, das letzte gäbe, das von uns spräche. Ich denke, dass es solche Verwandlungen gibt.
Zu deinen Korrekturen muss ich nochmal überlegen. Eigentlich war das so gewollt, was du markierst...
Liebe Grüße,
Peter
Lieber Peter,
ich finde den Text auch direkt. Aber nicht zu direkt. Das Thema scheint mir aus anderen Texten von Dir vertraut.
Hinter der Wut der Schmerz: So nah dran zu sein und doch entzieht sich der Schlüssel in dem Moment, in dem man ihn schon berührt.
Entzieht er sich oder wird er verweigert?
Was Haut sein könnte, wird Prothese, (ver)bergendes Kleid, vertraut, funktional und doch nicht man selbst.
Das Falkenbild ist faszinierend und erschreckend zugleich:
Das Leuchten, Geborgensein: Möglich erst im Moment des (gewaltsamen) Todes?
Ich würde gern mehr schreiben, aber das, was ich schreiben möchte, entzieht sich meinen Worten. Das habe ich schon öfter bemerkt, das Deine Texte bewirken, dass sich etwas von dem, was dort angedeutet wird, tatsächlich vollzieht. Es ist mir fast ein wenig unheimlich.
Liebe Grüße
leonie
ich finde den Text auch direkt. Aber nicht zu direkt. Das Thema scheint mir aus anderen Texten von Dir vertraut.
Hinter der Wut der Schmerz: So nah dran zu sein und doch entzieht sich der Schlüssel in dem Moment, in dem man ihn schon berührt.
Entzieht er sich oder wird er verweigert?
Was Haut sein könnte, wird Prothese, (ver)bergendes Kleid, vertraut, funktional und doch nicht man selbst.
Das Falkenbild ist faszinierend und erschreckend zugleich:
Das Leuchten, Geborgensein: Möglich erst im Moment des (gewaltsamen) Todes?
Ich würde gern mehr schreiben, aber das, was ich schreiben möchte, entzieht sich meinen Worten. Das habe ich schon öfter bemerkt, das Deine Texte bewirken, dass sich etwas von dem, was dort angedeutet wird, tatsächlich vollzieht. Es ist mir fast ein wenig unheimlich.
Liebe Grüße
leonie
Liebe Leonie,
schön, dass du wieder liest.
Ich dachte eben, dass der Deut auch dieser Moment sein könnte zwischen Haut und Kleidung, der aber von einer Welt durchbrochen steht...
Dieser tatsächliche Vollzug, den du ansprichst, schwebt mir auch selbst manchmal vor, und ich denke, dass der Text zumindest danach sucht, sich, vielleicht könnte man so sagen: selbst zu wiederholen. So hätte dann die Redestimme im Text eine Anwesenheit im Bild; das Bild eine Anwesenheit in der Redestimme. (Vielleicht ist sie ja selbst dieser Falke im Flug...)
Danke dir fürs Lesen und Kommentieren.
Liebe Grüße,
Peter
schön, dass du wieder liest.
Ich dachte eben, dass der Deut auch dieser Moment sein könnte zwischen Haut und Kleidung, der aber von einer Welt durchbrochen steht...
Dieser tatsächliche Vollzug, den du ansprichst, schwebt mir auch selbst manchmal vor, und ich denke, dass der Text zumindest danach sucht, sich, vielleicht könnte man so sagen: selbst zu wiederholen. So hätte dann die Redestimme im Text eine Anwesenheit im Bild; das Bild eine Anwesenheit in der Redestimme. (Vielleicht ist sie ja selbst dieser Falke im Flug...)
Danke dir fürs Lesen und Kommentieren.
Liebe Grüße,
Peter
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