Der Tanzpalast

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 20.02.2008, 15:26

3. Fassung

(inspiriert von Brecht/Weill, Bills Ballhaus in Bilbao aus Happy End und der Figur Seeräuber-Jenny aus Dreigroschenoper)

Der cremeweiße Hosenanzug mit glänzenden Satinrevers ist für die magere Gestalt zu weit, zu groß.
Ein heißer Windstoß fährt über den Platz. Jenny stemmt sich gegen die Böe, sie ist schwach und zart geworden in letzter Zeit.
„Irgendwie halte ich das nicht mehr gut aus ...“ Sie leckt über die ausgetrockneten Lippen. Etwas steif in den Beinen geht sie weiter. Es ist mehr ein Schlurfen, denn die weißen Satinpumps sitzen nicht richtig, auch sie sind zu locker geworden. Jenny muss sich sehr konzentrieren auf ihrem Weg über die Plaza Nueva, denn der Boden ist aus glatt polierten Quadern. Der weiße Strohhut rutscht bei dem nächsten Windstoß tief in ihr Gesicht.
„Sogar der Schädel fängt an zu verschwinden ...“, sagt sie und rückt ihn wieder zurecht.
Das Gebäude, auf das Jenny zustrebt, sticht aus dem gediegenen, gutbürgerlichen Ensemble rund um den Platz hervor. Verziert mit unzähligen Türmchen und Balkons, sieht es aus wie eine Hochzeitstorte mit rosarotem Zuckerguss. Jenny schüttelt den Kopf darüber. „Sehr alt sind wir in Wahrheit und müde, so müde ... wir sind maskiert, damit niemand es bemerken kann, was wir so alles erlebten, überlebten. Nur du und ich wissen noch, wie wir wirklich sind.“
Einer der Fensterläden aus Holz schlägt im Wind, Jenny grinst, auch wenn sie erschöpft ist. Sie hat eine lange und anstrengende Reise hinter sich. Dazu die Erregung, hierher zu kommen – zuletzt war sie vor fünfzig Jahren hier gewesen.

Im Moment wünscht sie sich nichts anderes, als in einem bequemen Fauteuil zu versinken und einen kühlen, sahnigen Cocktail Blue Hawaii zu schlürfen. Früher gab es hier in diesem Etablissement, das sie jetzt betritt, nur Rum oder billigen Brandy.
Der livrierte Portier hält Jenny die Tür mit einer Verbeugung auf. Nach der abendlichen Hitze, dem Wind, umfängt sie Kühle.
„Klimatisiert, oh du mein Gott“, sagt sie und betritt den Saal. Ihre Füße versinken im plüschigen weinroten Teppichboden. Jenny amüsiert sich über ihr eigenes Erstaunen. „Was ist“, sagt sie zu sich selbst, „dachtest du wirklich, es würde sein wie damals?“
Früher hieß der Laden Bills Ballhaus. „Tanzpalast, blödes Wort.“
Üppige Fauteuils anstatt der rauen Holzbänke, noble Wandleuchten haben die rußenden Petroleumlampen abgelöst.
Ja, das Klavier. Es steht noch dort, wo es immer schon gestanden hat, doch jetzt ist es ein eleganter, schwarz glänzender Flügel statt des alten Pianos.
„Das ist es schon. Eben anders.“ Jenny sucht sich einen Fauteuil nahe dem Klavier aus.

Mit einem Seufzen sinkt sie in den weichen Samt. Sogleich steht ein Kellner mit dem Bestellblock neben ihr.
Jenny lacht: „Hoppla, so etwas bin ich hier nicht gewöhnt!“
„Wie belieben?“, fragt der Kellner.
„Nichts, junger Mann. In meinem Alter neigt man zu Selbstgesprächen. Ich möchte einen Cocktail. Blue Hawaii. Haben Sie Zigarillos da?“
„Selbstverständlich.“
„Bringen Sie mir fünf Stück.“
Während sie auf die Bestellung wartet, schaut sie dem Pianisten zu, der lustlos langweilige Schlager klimpert. Auch er sieht müde aus und ist nicht mehr jung, aber um vieles jünger als Jenny.
Sie trinkt, legt dann den Strohhut ab und ordnet ihr hitzefeuchtes Haar.
Allmählich füllt sich der Tanzpalast mit Gästen. Diskrete Blicke streifen die alte Frau, die hustend ihren ersten Zigarillo nach vielen Jahren raucht.

Jenny ist zweiundachtzig Jahre alt und sieht aus wie hundert. Obwohl sie das weiß, hat sie die Lippen dunkelrot ausgemalt. Sie kramt einen kleinen Spiegel aus der Tasche und wirft einen Blick hinein. Der rauchgraue Lidschatten hat sich im Seidenpapiergeknitter um die Augen abgesetzt, sie tupft darauf herum. Auch wenn sich Jenny nicht für die mitleidigen, teils spöttischen Blicke der Leute interessiert, die in ihren Augen genau so langweilig sind wie der Rest dieses Etablissements, möchte sie so hübsch aussehen, wie es nur möglich ist. Für sich.

Nach dem dritten Cocktail, dem zweiten Zigarillo ohne Hustenanfall, fühlt sie sich soweit gestärkt, dass sie zum Klavier geht und den Pianisten um eine Rumba bittet. Sie stellt sich in die Mitte der noch leeren Tanzfläche und wartet darauf, dass der Klavierspieler beginnt.
„Rumba perfidia!“ Sie streift die Pumps mit dem ersten Tanzschritt ab, schließt die Augen. Dass der ganze Saal zusieht, stört sie nicht, denn nun schwebt sie in eine andere Zeit. Außer der Rumba dringt das besoffene Grölen, Gläserklirren von einst zu ihr, ja, sie riecht sogar den Staub, den Rauch.
Jemand klatscht, Jenny öffnet die Augen, merkt, dass sie sich immer noch wiegt, obwohl die Rumba längst verklungen ist. Sie steht in dem sterilen Tanzpalast, schlüpft in die Schuhe. Der ältere Herr applaudiert immer noch, Jenny nimmt ihn mit einem Zwinkern zur Kenntnis.

Sie wendet sich an den Pianisten: „Früher spielte hier Joe. Kennst du ihn?“
„Joe? Klar! Da war ich noch ein Kind. Es war uns streng verboten, nur die Zehenspitzen hier hereinzusetzen“, lacht er.
Sehr vorsichtig fragt Jenny: „Lebt er noch?“
„Er kommt nur noch selten hier vorbei – herein schon lange nicht mehr. Er starrt auf das Haus und dann fährt er wieder weg.“
„Ich möchte ihn noch einmal sehen ...“, sagt Jenny.
„Er wohnt nicht weit von hier ... soll ich ihn anrufen?“
„Bitte“, lächelt sie.

Als der Rollstuhl bei ihrem Tisch stoppt, grinst das ganze ledrige Gesicht Joes unter dem Panamahut: „Jenny, zum Teufel, Jenny ...“
„Joe, verdammt ...“
Jenny wischt die Tränen weg.
„Was warst du doch einst für eine hübsche Hure, Jenny. Meine Güte, bist du alt geworden.“
„Ja, Joe, lieber Joe, so wie du, du Komiker.“ Sie nimmt seine Hand und streichelt sie.
„Ach du Scheiße, Jenny, dieser Anzug ... ist es der von damals? Du hast ihn ja fast jede gottverdammte Nacht getragen!“
„Genau diesen Anzug, nur habe ich ihn gut ausgefüllt seinerzeit, was?“
„Jenny, ich fragte mich immer, wie du das geschafft hast damals, dass er so weiß bleiben konnte in dem Dreck hier?“
„Meerschaumpulver, Joe. Meerschaum draufgestreut am Morgen, dann schlief ich wie ein Murmeltier meinen Rausch aus. Abends ausbürsten, Flecken weg. Meerschaum saugt allen Dreck auf – jedenfalls aus Textilien ...“
Joe entzieht ihr die Hand, Jenny ahnt, was er wissen möchte. „Ich habe ihn geliebt. Er konnte nicht mehr heim ins Nazideutschland, wir lebten in Brasilien.“
„Der Doktor damals, er war ja verrückt nach dir ...“
„Und er hat mir das Brandysaufen abgewöhnt.“ Sie zieht einen Flunsch und Joe kichert.
Wieder greift sie nach seiner Hand, er überlässt sie ihr nun.
„Er war gut zu mir. Wir hatten es gut.“
„Er ...“
„... ist tot, ja.“
Minutenlang sehen sie einander an, erinnern sich schweigend an die Zeit vor Ewigkeiten.
Joe hustet. „Deswegen bist du so plötzlich verschwunden, Jenny. Niemand wusste etwas, als hätte dich der Teufel geholt. Was ja bei deinem Lebenswandel durchaus ...“
Jenny weiß, dass Joe sie geliebt hatte. Sie selbst fühlte immer nur Freundschaft. Ein paar Mal schliefen sie miteinander, er musste nicht bezahlen.
„Ach, Joe, das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir morgen. Nein, es war nicht der Teufel. Er war mein Engel.“
Jenny sieht Joe in die Augen: „Ich bin zum Sterben zurück gekommen.“
„Ich weiß, Jenny. Aber es eilt ja nicht.“
Ihr Lachen, rau und verdorben, erfüllt den Tanzpalast.
Dann zwickt sie in Joes dünnen Schenkel.
„Joe? Mach die Musik von damals nach!“
Der alte Mann lächelt und rollt zum Klavier.




Vielen Dank für die Unterstützung von Wolfgang, Herby, Nicole, Trixie!





2. Fassung
Der cremeweiße Hosenanzug mit glänzenden Satinrevers ist für die magere Gestalt zu weit, zu groß.
Ein heißer Windstoß fährt über den weiten Platz. Jenny presst Jacke und Hose an ihren Leib, während sich ihre Rückseite aufplustert. Sie stemmt sich gegen die Böe, sie ist schwach und zart geworden in letzter Zeit.
„Irgendwie halte ich das nicht mehr gut aus ...“ Sie leckt über die ausgetrockneten Lippen. Etwas steif in den Beinen geht sie weiter. Es ist mehr ein Schlurfen, denn die weißen Satinpumps sitzen nicht richtig, auch sie sind zu weit, zu groß geworden. Jenny muss sich sehr konzentrieren auf ihrem Weg über die Plaza Nueva, denn der Boden ist aus glatt polierten Quadern. Der weiße Strohhut rutscht bei dem nächsten Windstoß tief in ihr Gesicht.
„Sogar der Schädel fängt an zu verschwinden ...“, sagt sie und rückt ihn wieder zurecht.
Das Gebäude, auf das Jenny zustrebt, sticht aus dem gediegenen, gutbürgerlichen Ensemble rund um den Platz hervor. Verziert mit unzähligen Türmchen und Balkons, sieht es aus wie eine Hochzeitstorte mit rosarotem Zuckerguss. Jenny schüttelt den Kopf darüber. „Sehr alt sind wir in Wahrheit und müde, so müde ... wir sind maskiert, damit niemand es bemerken kann, was wir so alles erlebten, überlebten. Nur du und ich wissen noch, wie wir wirklich sind.“
Einer der Fensterläden aus Holz schlägt im Wind, Jenny grinst, auch wenn sie erschöpft ist. Sie hat eine lange und anstrengende Reise hinter sich. Dazu die Erregung, hierher zu kommen – zuletzt war sie vor fünfzig Jahren hier gewesen.

Im Moment wünscht sie sich nichts anderes, als in einem bequemen Fauteuil zu versinken und einen kühlen, sahnigen Cocktail Blue Hawaii zu schlürfen. Früher gab es hier in diesem Etablissement, das sie jetzt betritt, nur Rum oder billigen Brandy.
Der livrierte Portier hält Jenny die Tür mit einer Verbeugung auf. Nach der abendlichen Hitze, dem Wind, umfängt sie Kühle.
„Klimatisiert, oh du mein Gott“, sagt sie und betritt den Saal. Ihre Füße versinken im plüschigen weinroten Teppichboden. Jenny amüsiert sich über ihr eigenes Erstaunen. „Was ist“, sagt sie zu sich selbst, „dachtest du wirklich, es würde sein wie damals?“
Früher hieß der Laden Bills Ballhaus. „Tanzpalast, blödes Wort.“
Üppige Fauteuils anstatt der rauen Holzbänke, noble Wandleuchten haben die rußenden Petroleumlampen abgelöst.
Ja, das Klavier. Es steht noch dort, wo es immer schon gestanden hat, doch jetzt ist es ein eleganter, schwarz glänzender Flügel statt des alten Pianos.
„Das ist es schon. Eben anders.“ Jenny sucht sich einen Fauteuil nahe dem Klavier aus.

Mit einem Seufzen sinkt sie in den weichen Samt. Sogleich steht ein Kellner mit dem Bestellblock neben ihr.
Jenny lacht: „Hoppla, so etwas bin ich hier nicht gewöhnt!“
„Wie belieben?“, fragt der Kellner.
„Nichts, junger Mann. In meinem Alter neigt man zu Selbstgesprächen. Ich möchte einen Cocktail. Blue Hawaii. Haben Sie Zigarillos da?“
„Selbstverständlich.“
„Bringen Sie mir fünf Stück.“
Während sie auf die Bestellung wartet, schaut sie dem Pianisten zu, der lustlos langweilige Schlager klimpert. Auch er sieht müde aus und ist nicht mehr jung, aber um vieles jünger als Jenny.
Sie trinkt, legt dann den Strohhut ab und ordnet ihr hitzefeuchtes Haar.
Allmählich füllt sich der Tanzpalast mit Gästen. Diskrete Blicke streifen die alte Frau, die hustend ihren ersten Zigarillo nach vielen Jahren raucht.

Jenny ist zweiundachtzig Jahre alt und sieht aus wie hundert. Obwohl sie das weiß, hat sie die Lippen dunkelrot ausgemalt. Sie kramt einen kleinen Spiegel aus der Tasche und wirft einen Blick hinein. Der rauchgraue Lidschatten hat sich im Seidenpapiergeknitter um die Augen abgesetzt, sie tupft darauf herum. Auch wenn sich Jenny nicht für die mitleidigen, teils spöttischen Blicke der Leute interessiert, die in ihren Augen genau so langweilig sind wie der Rest dieses Etablissements, möchte sie so hübsch aussehen, wie es nur möglich ist. Für sich.

Nach dem dritten Cocktail, dem zweiten Zigarillo ohne Hustenanfall, fühlt sie sich soweit gestärkt, dass sie zum Klavier geht und den Pianisten um eine Rumba bittet. Sie stellt sich in die Mitte der noch leeren Tanzfläche und wartet darauf, dass der Klavierspieler beginnt. Jenny hebt die Arme und legt sie um den Nacken ihres imaginären Partners.
„Rumba perfidia!“ Sie streift die Pumps mit dem ersten Tanzschritt ab, schließt die Augen. Dass der ganze Saal zusieht, stört sie nicht, denn nun schwebt sie in eine andere Zeit. Außer der Melodie dringt das besoffene Grölen, Gläserklirren von einst zu ihr, ja, sie riecht sogar den Staub, den Rauch.
Jemand klatscht, Jenny öffnet die Augen, merkt, dass sie sich immer noch wiegt, obwohl die Rumba längst verklungen ist. Sie steht in dem sterilen Tanzpalast, schlüpft in die Schuhe. Der ältere Herr applaudiert immer noch, Jenny nimmt ihn mit einem Zwinkern zur Kenntnis.

Sie wendet sich an den Pianisten: „Früher spielte hier Joe. Kennst du ihn?“
„Joe? Klar! Da war ich noch ein Kind. Es war uns streng verboten, nur die Zehenspitzen hier hereinzusetzen“, lacht er.

Sehr vorsichtig fragt Jenny: „Lebt er noch?“
„Er kommt nur noch selten hier vorbei – herein schon lange nicht mehr. Er starrt auf das Haus und dann fährt er wieder weg.“
„Ich möchte ihn noch einmal sehen ...“, sagt Jenny.
„Er wohnt nicht weit von hier ... soll ich ihn anrufen?“
„Bitte“, lächelt sie.

Als der Rollstuhl bei ihrem Tisch stoppt, grinst das ganze ledrige Gesicht Joes unter dem Panamahut: „Jenny, zum Teufel, Jenny ...“
„Joe, verdammt ...“
Jenny wischt die Tränen weg.
„Was warst du doch einst für eine hübsche Hure, Jenny. Meine Güte, bist du alt geworden.“
„Ja, Joe, lieber Joe, so wie du, du Komiker.“ Sie nimmt seine Hand und streichelt sie.
„Ach du Scheiße, Jenny, dieser Anzug ... ist es der von damals? Du hast ihn ja fast jede gottverdammte Nacht getragen!“
„Genau diesen Anzug, nur habe ich ihn gut ausgefüllt seinerzeit, was?“
„Jenny, ich fragte mich immer, wie du das geschafft hast damals, dass er so weiß bleiben konnte in dem Dreck hier?“
„Meerschaumpulver, Joe. Meerschaum draufgestreut am Morgen, dann schlief ich wie ein Murmeltier meinen Rausch aus. Abends ausbürsten, Flecken weg. Meerschaum saugt allen Dreck auf – jedenfalls aus Textilien ...“
Joe entzieht ihr die Hand, Jenny ahnt, was er wissen möchte. „Ich habe ihn geliebt. Er konnte nicht mehr heim ins Nazideutschland, wir lebten in Brasilien.“
„Der Doktor damals, er war ja verrückt nach dir ...“
„Und er hat mir das Brandysaufen abgewöhnt.“ Sie zieht einen Flunsch und Joe kichert.
Wieder greift sie nach seiner Hand, er überlässt sie ihr nun.
„Er war gut zu mir. Wir hatten es gut.“
„Er ...“
„... ist tot, ja.“
Minutenlang sehen sie einander an, erinnern sich schweigend an die Zeit vor Ewigkeiten.
Joe hustet. „Deswegen bist du so plötzlich verschwunden, Jenny. Niemand wusste etwas, als hätte dich der Teufel geholt. Was ja bei deinem Lebenswandel durchaus ...“
Jenny weiß, dass Joe sie geliebt hatte. Sie selbst fühlte immer nur Freundschaft. Ein paar Mal schliefen sie miteinander, er musste nicht bezahlen.
„Ach, Joe, das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir morgen. Nein, es war nicht der Teufel. Er war mein Engel.“
Jenny sieht Joe in die Augen: „Ich bin zum Sterben zurück gekommen.“
„Ich weiß, Jenny. Aber es eilt ja nicht.“
Ihr Lachen, rau und verdorben, erfüllt den Tanzpalast.
Dann zwickt sie in Joes dünnen Schenkel.
„Joe? Mach die Musik von damals nach!“
Der alte Mann lächelt und rollt zum Klavier.





1. Fassung
Der cremeweiße Hosenanzug mit glänzenden Satinrevers ist für die magere Gestalt zu weit, zu groß.
Ein heißer Windstoß fährt über den weiten Platz. Jenny presst Jacke und Hose an ihren Leib, während sich ihre Rückseite aufplustert. Sie stemmt sich gegen die Böe, sie ist schwach und zart geworden in letzter Zeit.
„Irgendwie halte ich das nicht mehr gut aus ...“ Sie leckt über die ausgetrockneten Lippen. Etwas steif in den Beinen geht sie weiter. Es ist mehr ein Schlurfen, denn die weißen Satinpumps sitzen nicht richtig, auch sie sind zu weit, zu groß geworden. Jenny muss sich sehr konzentrieren auf ihrem Weg über die Plaza Nueva, denn der Boden ist aus glatt polierten Quadern. Der weiße Strohhut rutscht bei dem nächsten Windstoß tief in ihr Gesicht.
„Sogar der Schädel fängt an zu verschwinden ...“, sagt sie und rückt ihn wieder zurecht.
Das Gebäude, auf das Jenny zustrebt, sticht aus dem gediegenen, gutbürgerlichen Ensemble rund um den Platz hervor. Verziert mit unzähligen Türmchen und Balkons, sieht es aus wie eine Hochzeitstorte mit rosarotem Zuckerguss. Jenny schüttelt den Kopf darüber. „Sehr alt sind wir in Wahrheit und müde, so müde ... wir sind maskiert, damit niemand es bemerken kann, was wir so alles erlebten, überlebten. Nur du und ich wissen noch, wie wir wirklich sind.“
Einer der Fensterläden aus Holz schlägt im Wind, Jenny grinst, auch wenn sie erschöpft ist. Sie hat eine lange und anstrengende Reise hinter sich. Dazu die Erregung, hierher zu kommen – zuletzt war sie vor sechzig Jahren hier gewesen.

Im Moment wünscht sie sich nichts anderes, als in einem bequemen Fauteuil zu versinken und einen kühlen, sahnigen Cocktail Blue Hawaii zu schlürfen. Früher gab es hier in diesem Etablissement, das sie jetzt betritt, nur Rum oder billigen Brandy.
Die vergangenen Jahrzehnte hat sie in Brasilien als Ehefrau eines Lungenarztes verbracht, der aus dem Nazideutschland emigriert war. Sie hatte ihn damals hier kennen und lieben gelernt. Ihm zuliebe verzichtete sie auf den Brandy und lernte Cocktails schätzen. Auch das Rauchen gab sie für ihn auf; sie hatte ihn so sehr geliebt; er kannte ihre Geschichte und hatte sie trotzdem geheiratet.
Seit drei Wochen ist er tot. Nach dem Begräbnis reiste sie an ihre Geburtsstätte hier in Bilbao.

Der livrierte Portier hält Jenny die Tür mit einer Verbeugung auf. Nach der abendlichen Hitze, dem Wind, umfängt sie Kühle.
„Klimatisiert, oh du mein Gott“, sagt sie und betritt den Saal. Ihre Füße versinken im plüschigen weinroten Teppichboden. Jenny amüsiert sich über ihr eigenes Erstaunen. „Was ist“, sagt sie zu sich selbst, „dachtest du wirklich, es würde sein wie damals?“
Früher hieß der Laden Bills Ballhaus. „Tanzpalast, blödes Wort.“
Üppige Fauteuils anstatt der rauen Holzbänke, noble Wandleuchten haben die rußenden Petroleumlampen abgelöst.
Ja, das Klavier. Es steht noch dort, wo es immer schon gestanden hat, doch jetzt ist es ein eleganter, schwarz glänzender Flügel statt des alten Pianos.
„Das ist es schon. Eben anders.“ Jenny sucht sich einen Fauteuil nahe dem Klavier aus.

Mit einem Seufzen sinkt sie in den weichen Samt. Sogleich steht ein Kellner mit dem Bestellblock neben ihr.
Jenny lacht: „Hoppla, so etwas bin ich hier nicht gewöhnt!“
„Wie belieben?“, fragt der Kellner.
„Nichts, junger Mann. In meinem Alter neigt man zu Selbstgesprächen. Ich möchte einen Cocktail. Blue Hawaii. Haben Sie Zigarillos da?“
„Selbstverständlich.“
„Bringen Sie mir fünf Stück.“
Während sie auf die Bestellung wartet, schaut sie dem Pianisten zu, der lustlos langweilige Schlager klimpert. Auch er sieht müde aus und ist nicht mehr jung, aber um vieles jünger als Jenny.
Sie trinkt, legt dann den Strohhut ab und ordnet ihr hitzefeuchtes Haar.
Allmählich füllt sich der Tanzpalast mit Gästen. Diskrete Blicke streifen die alte Frau, die hustend ihren ersten Zigarillo nach vielen Jahren raucht.

Jenny ist zweiundachtzig Jahre alt und sieht aus wie hundert. Obwohl sie das weiß, hat sie die Lippen dunkelrot ausgemalt. Sie kramt einen kleinen Spiegel aus der Tasche und wirft einen Blick hinein. Der rauchgraue Lidschatten hat sich im Seidenpapiergeknitter um die Augen abgesetzt, sie tupft darauf herum. Auch wenn sich Jenny nicht für die mitleidigen, teils spöttischen Blicke der Leute interessiert, die in ihren Augen genau so langweilig sind wie der Rest dieses Etablissements, möchte sie so hübsch aussehen, wie es nur möglich ist. Für sich.

Nach dem dritten Cocktail, dem zweiten Zigarillo ohne Hustenanfall, fühlt sie sich soweit gestärkt, dass sie zum Klavier geht und den Pianisten um eine Rumba bittet. Sie stellt sich in die Mitte der noch leeren Tanzfläche und wartet darauf, dass der Klavierspieler beginnt. Jenny tanzt anmutig mit ihrem imaginären Partner, der ganze Saal sieht zu.
Als die Rumba vorbei ist, gibt es Applaus von einem älteren Herrn, den Jenny mit einem Zwinkern zur Kenntnis nimmt. Sie wendet sich an den Klavierspieler. „Früher spielte hier Joe. Er ist noch ein paar Jahre älter als ich. Kennst du ihn?“
„Joe? Klar! Der spielte hier, da war ich noch ein Kind. Es war uns streng verboten, nur die Zehenspitzen hier hereinzusetzen“, lacht er.
Sehr vorsichtig fragt Jenny: „Lebt er noch?“
Der Klavierspieler nickt. „Er kommt nur noch selten hier vorbei – herein schon lange nicht mehr. Er starrt auf das Haus und dann fährt er wieder weg.“
„Ich möchte ihn noch einmal sehen ...“, sagt Jenny.
„Er wohnt nicht weit von hier ... soll ich ihn anrufen?“
„Bitte“, lächelt sie.

Als der Rollstuhl bei ihrem Tisch stoppt, grinst das ganze ledrige Gesicht Joes unter dem Panamahut: „Jenny, zum Teufel, Jenny ...“
„Joe, verdammt ...“
Jenny wischt die Tränen weg.
„Was warst du doch einst für eine hübsche Hure, Jenny. Meine Güte, bist du alt geworden.“
„Ja, Joe, lieber Joe, so wie du, du Komiker.“ Sie nimmt seine Hand und streichelt sie.
„Ach du Scheiße, Jenny, dieser Anzug ... ist es der von damals? Du hast ihn ja fast jede gottverdammte Nacht getragen!“
„Genau diesen Anzug, nur habe ich ihn gut ausgefüllt seinerzeit, was?“
„Jenny, ich fragte mich immer, wie du das geschafft hast damals, dass er so weiß bleiben konnte in dem Dreck hier?“
„Meerschaumpulver, Joe. Meerschaum draufgestreut am Morgen, dann schlief ich wie ein Murmeltier meinen Rausch aus. Abends ausbürsten, Flecken weg. Meerschaum saugt allen Dreck auf – jedenfalls aus Textilien ...“

Minutenlang sehen sie einander an, erinnern sich schweigend an die Zeit vor Ewigkeiten.
Joe hustet. „Wohin bist du nur so plötzlich verschwunden, Jenny? Niemand wusste etwas, als hätte dich der Teufel geholt. Was ja bei deinem Lebenswandel durchaus hätte möglich sein können.“
Jenny weiß, dass er sie geliebt hatte. Sie selbst fühlte immer nur Freundschaft. Ein paar Mal schliefen sie miteinander, er musste nicht zahlen dafür.
„Ach, Joe, das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie dir morgen. Nein, es war nicht der Teufel. Er war mein Engel.“
Jenny sieht Joe in die Augen: „Ich bin zum Sterben zurück gekommen.“
„Ich weiß, Jenny. Aber es eilt ja nicht.“
Ihr Lachen, rau und verdorben, erfüllt den Tanzpalast.
Dann zwickt sie in Joes dünnen Schenkel.
„Joe? Mach die Musik von damals nach!“
Der alte Mann lächelt und rollt zum Klavier.


(c)ELsa Rieger
Zuletzt geändert von Elsa am 24.02.2008, 10:17, insgesamt 12-mal geändert.
Schreiben ist atmen

wonigo

Beitragvon wonigo » 20.02.2008, 23:12

Hallo, Elsa,

habe den Tanzpalast mit Spannung und Bewunderung gelesen! Kann noch keine Einschätzung geben, dazu muss ich meine Emotionen erst herunterfahren und nochmal und nochmal lesen (was ich mit viel Freude tun werde). Es ist diese ruhige Abgeklärtheit, die uns Alte so ausfüllt und die du wunderbar geschehen lässt (nicht beschreibst, sondern geschehen lässt). Ich bin ja auch in dem Alter wie die beiden (meine Frau ist mir sogar zwei Jahre voraus und ich krieg und krieg sie nicht ein) aber bitte: wie hundert sehen meine Frau und ich nicht aus. Aber deine Jenny sehe ich vor mir, ausgepowert (um den Ausdruck "verlebt" zu vermeiden) und der Joe bin ich. Ich weiß, wie es ist Freunde, die man vor hundert Jahren hatte, wieder zu treffen. Es gibt nicht mehr viele - leider ...

Vielen Dank, Elsa
Wolfgang

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 21.02.2008, 08:43

Lieber Joe, äh, Wolfgang,

Ein schönes Kompliment für mich, wenn ich deine Emotionen hochfahren konnte mit der Geschichte, danke dir!

Ihr seht vielleicht nicht wie hundert aus, weil ihr euch nicht so verlebt habt in jungen Jahre wie Jenny ;-)
Dass du deine Frau nicht einkriegst, was für ein Glück, hm?

Die Freundeszahl verringert sich, wenn wir älter werden, ja, ich fange auch schon an, die zu zählen, die ich noch sehen kann.

Herzliche Grüße,
ELsa
Schreiben ist atmen

Nicole

Beitragvon Nicole » 21.02.2008, 09:54

Hi Elsa,

von mir auch erstmal nur ein kurzes "sehr gerne gelesen, mag ich sehr!"
Ich mag aber gerne später noch etwas genauer zu Deinem Text schreiben.
Viele Grüße in Deinen Tag,

Nicole

wonigo

Beitragvon wonigo » 21.02.2008, 11:02

Ich bins schon wieder, Elsa.

Habe sogar im Bett noch gegrübelt, warum mich die Geschichte so gepackt hat. Ich weiß es jetzt - ist aber nicht zum Ausstreuen geeignet.

Zum Text:
Den Abschnitt "Die vergangenen Jahre ... ... Geburtsstätte in Bilbao." den - bitte, Elsa - schmeiß raus. Du wechselst die Erzählebene, kommst sogar in einen Polizisten-Protokoll-Stil.
Was in diesem Abschnitt steht könnte in das Gespräch Jenny/Joe einfließen. Der Dialog am Schluss ist wunderschön. Vor allem: "Ich weiß, Jenny. Aber es eilt ja nicht."
ein paar Vorschläge:
Joe: Der Doktor damals ...
Jenny: Ich hab ihn geliebt. wir haben in Brasilien gelebt.
Nach Pause: Er war gut zu mir. Wir hatten es gut.
Joe: Er...
Je: ist tot, ja.

Dann ... das ist eine lange Geschichte ...

Versuchs mal, Elsa. Und vielen Dank nochmal.

Frage: wie nahe bist du mit der Geschichte an Brecht/Weill dran (nur wegen der Urheberrechte. Bei mir liegt Bilbao zu lange zurück, um mich an Einzelheiten erinnern zu können.

Herzliche Grüße
Wolfgang

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Beitragvon Elsa » 21.02.2008, 20:58

Liebe Nicole, danke schön!

Lieber Wolfgang,
Das ist mir eine Freude, dass dich Jenny bis ins Bett ...

Endlich hab ich den Dreh von dir serviert bekommen, diesen dummen Infodump-Abschnitt besser zu verarbeiten, danke. Ich habe ihn immer gehasst, aber nicht die Kurve gekriegt, wohin damit.

Bis auf den Satz: „Joe? Mach die Musik von damals nach!“ hat die Geschichte, abgesehen von den Namen der Figuren und dem Brandy nichts mit dem Song zu tun. Ich denke, das ist okay.

Neue Fassung ist oben!

Vielen Dank und herzliche Grüße,
ELsa
Schreiben ist atmen

wonigo

Beitragvon wonigo » 21.02.2008, 21:33

Liebe Elsa,

hast du prima hingekriegt!! Bin der Meinung, das Ding ist rund. Trotzdem wird es immer noch was zu putzen und zu wienern geben. Ich halte jetzt meine Gusche. Bin gespannt auf weitere Meinungen.

Herzliche Grüße
Wolfgang

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Beitragvon Elsa » 22.02.2008, 00:04

Lieber Wolfgang,

*strahl*!

Danke nochmals für deine konstruktive, weil praktische Hilfe. Natürlich wird es nie so sein, dass etwas "fertig" ist, man kann immer dies und das ...

In Wien heißt heißt es: Jetzt hoit i mei Goschn :-)

Liebe Gute Nacht Grüße,
ELsa
Schreiben ist atmen

Herby

Beitragvon Herby » 22.02.2008, 23:17

Liebe Elsa,

das ist ein Text, der mir nachgeht, seit ich ihn zum ersten Mal gelesen habe: gut strukturiert, flüssig geschrieben und die Konturen der Charaktere mit Leben gefüllt, dazu ein schöner Blick für Details.

Beim Ende des Textes angekommen, dachte ich: "Schade", und das aus zwei Gründen. Zum einen hätte ich gerne mehr gelesen, länger gelesen, mir gewünscht, dieser Text wäre "nur" ein Auszug eines größeren Werkes. Aber manchmal liegt ja gerade in der Beschränkung das Positive und jedes Mehr wäre ein Weniger. Besser, der Leser bleibt hungrig zurück als dass er irgendwann übersättigt abbricht. Zum anderen bezieht sich mein "Schade" auf den von dir gewählten Schluss ganz generell. Er ist anrührend und rund, und gerade das stört mich etwas daran.

„Joe? Mach die Musik von damals nach!“
Der alte Mann lächelt und rollt zum Klavier.


Der Schluss passt, keine Frage. Es geht ja nur um die Musik von damals, und die lässt sich sicherlich wiederholen, indem Joe sie spielt. Aber mit ihr ist ja für Jenny mehr als der akkustische Genuss verbunden, die Musik um der Musik willen zu hören ist ja nicht Hauptmotiv ihrer Bitte. Was ich sagen will: ich habe Zweifel ob Vergangenes, vergangene Erinnerungen so einfach wiederholbar sind. Die Melodien von damals mögen die gleichen sein, aber sie klingen nach so vielen Jahren anders, evozieren Anderes, vielleicht sogar Fremdes. Ich will aber hier gerne zugeben, dass ich solchen runden Textenden (kann man sie in deinem Fall happy end nennen??) gegenüber zwiegespalten bin. Einerseits tun sie in ihrer Hamonie der Leserseele gut, andererseits machen sie es schwer (verhindern?), den Fortgang weiter zu spinnen. Meine Güte, hoffentlich hab ich mich jetzt nicht zu verquast ausgedrückt.

Dann möchte ich noch eine Stelle aus deinem Text ansprechen:

Sie stellt sich in die Mitte der noch leeren Tanzfläche und wartet darauf, dass der Klavierspieler beginnt. Jenny tanzt anmutig mit ihrem imaginären Partner, der ganze Saal sieht zu.


Der letzte Satz hat etwas Protokollartig-Knappes, was aus dem Textganzen heraus fällt, den Fluss bremst. Könntest du hier nicht noch etwas ausarbeiten?

Liebe Grüße ins Wochenende
Herby

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Beitragvon Elsa » 23.02.2008, 11:10

Lieber Herby,

Vielen Dank für deine Betrachtungen.

Nun, es ist eine kleine Erzählung, ein Lebensausschnitt und kein Roman, aber ich finde es schön, dass du Jenny und Joe gern etwas länger begleiten würdest.

Was ich sagen will: ich habe Zweifel ob Vergangenes, vergangene Erinnerungen so einfach wiederholbar sind. Die Melodien von damals mögen die gleichen sein, aber sie klingen nach so vielen Jahren anders, evozieren Anderes, vielleicht sogar Fremdes.
Du hast recht, es ist nicht wiederholbar, was einst war. Aber das wissen wohl beide. Wiederholbar ist aber, wenn wir das limbische System im Gehirn betrachten, das Gefühl, das es damals gab. Kommt übrigens auch in Casablanca vor: Machs nochmal, Sam.
Es ist die Suche nach etwas Verlorenem. Daher denke ich nicht, dass ich einen runden Schluß geschrieben habe. Es gibt viele Setups, dass Jenny nun - so es das Schicksal will - nicht wie zu Beginn vor hat zu sterben, sondern noch eine feine Zeit mit Joe verbringen möchte. Insofern denke ich, der Leser könnte das schon weiterspinnen.

Ich stimme dir zu, die Tanzszene ist öde. Ich habe oben in blau eine Möglichkeit eingearbeitet und würde mich freuen, wenn du mir dazu Feedback geben könntest.

edit: das ist übrigens die Rumba perfidia: Rumba

Herzlichen Gruß
Elsa
Schreiben ist atmen

Herby

Beitragvon Herby » 23.02.2008, 14:28

Liebe Elsa,

leider ganz kurz nur für den Moment, da wenig Zeit. Der zugefügte blaue Text macht es für mich runder. Lediglich an einer Stelle zögere ich noch. Du schreibst:

denn nun schwebt sie in eine andere Zeit. Außer der Melodie dringt das besoffene Grölen, Gläserklirren von einst zu ihr, ja, sie riecht sogar den Staub, den Rauch.


Wenn sie sich so tief in eine andere Zeit, in die Vergangenheit tanzt, dann passt für mein Empfinden der abrupte Anschluss stilistisch nicht ganz:

Als die Rumba vorbei ist, schlüpft sie in die Schuhe. Von einem älteren Herrn gibt es Applaus, den Jenny mit einem Zwinkern zur Kenntnis nimmt.


Eher könnte ich mir vorstellen, dass sie sogar noch kurz weiter tanzt, obwohl die Musik schon aufgehört hat zu spielen und sie erst durch den Applaus des älteren Herrn wieder in die Realität zurückgeholt wird.

Liebe Grüße
Herby

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.02.2008, 17:03

Lieber Herby,

Stimmt. Erledigt.

Vielen Dank und liebe Grüße,
Elsa
Schreiben ist atmen

Nicole

Beitragvon Nicole » 23.02.2008, 19:48

Hi Elsa,
so nun ich nochmal...

Ich mag die Stimmung sehr. Du erzeugst ein melancholisches Bild, eine Reise in die Vergangenheit und tust das, ohne kitschig zu werden. Das ist schwierig, Dir aber hier gut gelungen. Und ich mag (prinzipiell und sowieso) Geschichten mit einem schönen Ende. Und dies hier ist schön. Sie kommt nach 60 Jahren zurück und Joe ist noch am Leben, kann sie treffen....Es ermöglichst ihr einen Abschluß.
An manchen Stellen finde ich die eine oder andere Formulierung ein wenig ungeschickt
Jenny presst Jacke und Hose an ihren Leib, während sich ihre Rückseite aufplustert.

Ich weiß, was Du beschreibst, ich sehe es auch, aber sicher könnte man das etwas "glatter" formulieren. Es tut aber der Geschichte an sich keinen Abbruch....Ich bin mir auch nicht sicher, ob Füße wirklich im Alter kleiner werden (oder in Krankheit) und es hätte der schlabbernden Schuhe nicht bedurft um das Bild klar zu zeichnen. Es spielt aber auch keine Rolle, das Du es tust.
Du erzählst die Geschichte mit viel Liebe, warmherzig, mit ein bißchen Ironie und Witz und viel Charme. Wenn ich es versuche in ein Wort zu fassen: warm. Die Geschichte fühlt sich warm an, wenn ich sie lese.
des halb mag ich sie so.
Liebe Grüße, Nicole

Trixie

Beitragvon Trixie » 23.02.2008, 22:21

Hallo Elsa!

Hmm, ist es so, wenn man alt ist? Hmmm, das klingt einerseits traurig und andererseits realistisch, wahrhaftig. Es bewegt meine Gedanken, rührt meine Gefühle an. Darf ich trotzdem Kritik üben? Auch, wenn es mir sehr schwer fällt, denn es ist einfach...so schön.
Es gibt ein paar Kleinigkeiten, die mich beim ersten, kritischen Lesen etwas gestört haben. Zum Beispiel, dass du am Anfang schreibst "zu weit, zu groß", dann der "weite Platz" und die Schuhe sind dann auch nochmal "zu weit und zu groß". Könntest du nicht den Anzug nur zu weit sein lassen? Das reicht für mich völlig. Die Schuhe dafür eher "zu groß", das klingt für mich logischer. Und den Platz, naja, vielleicht ausladend oder weitläufig (hmm) oder geräumig (hmmmmm)...
Und anfangs fand ich - nur von der aktuellen Version - die Szene, wo Jenny allein in der Mitte mit einem imaginären Partner tanzt ein wenig arg kitschig und unreal, mal kritisch betrachtet, denn wenn sie so kaputt ist von der Reise und schon zwei Cocktails intus hat und so alt ist und am liebsten sitzen will, naja, tanzen ist anstrengend. Gerade diese relativ schnelle Rumba. Und vor allem noch die Arme hochnehmen, die ganze Zeit oben lassen - so ein Lied geht ja schon gut und gerne mal 3-4 Minuten. Und das sie dann auch noch Applaus bekommt... Ich hätte mir eher vorgestellt, dass sie den Anfang macht und als dann die anderen Leute auf die Tanzfläche kommen, sie erschöpft wieder geht, weil zu viel Gerempel und Gedränge ist oder so. Muss aber nicht sein. Wäre nur für mich noch der letzte nicht-Kitsch-Faktor.
Den Schluss find ich süß. (Pssst, das Zitat heißt "Spiel's noch einmal, Sam" - obwohl es im Englischen Original eigentlich anders heißt. "Play it once, Sam. For old times' sake." Mach's noch einmal, Sam - ist ein Film von Woody Allen aus den 70igern. Aber das ist nur Klugscheißerei...)

So, vielleicht war ja was dabei, was deinen Nerv trifft! Nichtsdestotrotz finde ich diese Geschichte genau wie sie ist zauberhaft und bei jedem Lesen mehr.

Rumba-Gruß
Trixie


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