Nachbars Garten, III (vorher: Blick über den Zaun III)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 18.01.2008, 22:17

Blick über den Zaun:
zwei Sektgläser am Gartentisch
der Mann bei der Arbeit.

(c) Monika Kafka, 2007
Zuletzt geändert von scarlett am 20.01.2008, 10:39, insgesamt 1-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 21.01.2008, 11:26

Hallo Ferdi,

dein Engagement für Scarletts Gedicht ehrt dich. Und es freut mich für Scarlett, dass sie soviel Zuspruch findet. Natürlich besteht nun die Gefahr, wieder in eine Grundsatzdiskussion zu verfallen, wenn ich jetzt erklärte, warum mir hier was nicht gefällt. Dabei geht es ja nicht um die Gattung "Kurzlyrik". Sondern darum, wieviel Gestaltungskunst ich, ganz subjektiv als Leser, in den Versen erkennen kann. In diesem Fall eben so gut wie keine. Beinahe jedes Wort ist hier austauschbar. Es könnte ein Zaun sein, oder eine Hecke, genauso gut könnte man aus dem Fenster in Nachbars garten schauen. Dort stehen dann auf einem Gartentisch zwei Sektgläser. Könnten auch Champagnergläser sein, oder nur Gläser. Und der Mann ist auf der Arbeit. Das kann man nicht beobachten, nur wissen. Selbst wenn der Betrachter die Frau mit jemanden anderen im Garten sieht, so muss zumindest die Beobachtung oder das Wissen vorausgehen, dass der Mann auf der Arbeit ist. Man hätte auch schreiben können: der Mann ist nicht zu Hause. Der Mann ist gerade weggefahren. Der Mann ist auf Geschäftsreise etc.
Verstehst du, was ich meine? Ich kann es mir zusammenwürfeln, wie ich will.

Was mir hier fehlt, ist ganz einfach die Kunst. Vielleicht war degradiert die falsche Wortwahl. Wenn ja, dann entschuldige ich mich hiermit bei Scarlett. Aber ich glaube, sie weiß, dass ich sowas nie persönlich, sondern immer nur rein textbezogen meine.

Liebe Grüße

Sam

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.01.2008, 11:45

Ja, ja textbezogen ... Sam, es ist trotzdem nicht sehr angenehm, es tut auch weh, ich hab mir ja schon was dabei gedacht, ich hab ja nicht nur einfach wild irgendwelche Worte aneinander gereiht.
Entschuldigung angenommen.

Ich glaube nicht, dass hier jedes Wort austauschbar ist in dem Sinne, wie du es schreibst.
Und dabei so viel Freiraum läßt.
Deshalb tausche ich auch nichts aus in dem Sinne, wie Max es vorgeschlagen hat - genau das würde ja dem Text die Offenheit nehmen, es auf eine, auf eine bestimmte Richtung festlegen.

Wenn man davon ausgeht, dass ein Nachbar in der Regel schon etwas um die Gepflogenheiten seines Mitnachbarn weiß (die sind meistens sogar sehr gut informiert!), so ist selbst die eine Interpretationsmöglichkeit, die du angesprochen hast (eine von vielen), nicht von der Hand zu weisen, ja, es hat in diesem Sinne auch etwas mit Wissen zu tun: da ist einer, der beobachtet UND auch etwas weiß. Was ist daran verwerflich? Es ist ja nur EINE mögliche Richtung, in die der Dreizeiler gehen könnte.

Aber ich habe verstanden, dass dir gerade die Tatsache, dass es sich der Leser "zusammenwürfeln" kann, nicht gefällt (Max ebenfalls nicht). Ok. Nicht weiter tragisch. Andere sehen das anders, ganz anders. Die stoßen sich ggf daran, dass ein Text zu sehr einengt, keinen Raum für Eigenes läßt oder nur eine ganz bestimme Deutungsmöglichkeit. Aber: was nun "Kunst" dabei ist, oder sogar "Lyrik" - wer mag das entscheiden, wenn nicht nur jeder für sich?

Ferdi, auch du siehst das genauso, wie ich es ursprünglich gesehen habe. Danke für dein Bemühen, das zu versprachlichen. Ebenfalls an Max und auch an dich Sam für die Beschäftigung damit, auch wenn wir hier auf keinen grünen, gemeinsamen Zweig kommen werden.

Mittlerweile ist mir der Text mehr als verleidet.

LG,
sca

Niko

Beitragvon Niko » 21.01.2008, 12:20

hallo scarlett!
mir gefallen diese ganz lapidar scheinenden kurzen fragmente. weil es dann möglich ist, unmengen an szenen einzudenken (ähnliches hatte ich auch vor kurzem bei einem kurzlyrikstück von gerda). gerade die kurzlyrik muss sich ja was einfallen lassen, um in dem ganzen minimalismus auch noch gehaltvoll was rüber zu bringen. find ich hier famos gelöst!
ich finde es ein wenig zu weitgehend, den autoren zum stichwortgeber zu degradieren. wenn man selbst etwas nicht nachvollziehen kann, muss man nicht pauschal etwas verdammen, finde ich.

lieben gruß: Niko

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 21.01.2008, 13:23

scarlett hat geschrieben:Blick über den Zaun:
zwei Sektgläser am Gartentisch
der Mann bei der Arbeit.

(c) Monika Kafka, 2007


Liebe Monika,

mir ist der Text sonnenklar. Ich sehe da eine Geschichte dahinter. Ich eben.

Und ich staune immer wieder (kürzlich auch bei Gerda) wie ihr das hinkriegt, mit so wenigen Mitteln Geschichten im Leser hervorzurufen.

Die Nachbarin kann ja eine ganz Gemeine sein, die dem Mann es dann am Abend steckt, wenn er von der Arbeit heimkommt, dass seine Gemahlin ... uiui.

:-)

Lieben Gruß
Elsa
Schreiben ist atmen

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.01.2008, 13:48

Lieber Niko, liebe Elsa

schön, dass ihr wiederum die andere Seite vertretet und durchaus etwas mit dem Kurzen anfangen könnt, dahinter etwas sehen könnt.
Wie gesagt, beliebig ist das ja nicht, was ich da geschrieben habe.
Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass der Text dermaßen polarisiert.

Danke euch und liebe Sonnengrüße,

Monika

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 21.01.2008, 13:50

Liebe Monika,

polariserende Texte sind nur gut für die AutorInnen ;-)

Das bleibt nämlich in Erinnerung.

Herzlich
ELsa
Schreiben ist atmen

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Beitragvon Pjotr » 21.01.2008, 14:24

Hallöchen,

von den unendlich vielen Deutungsmöglichkeiten lautete die meinige spontane (üblicherweise optimistische) Deutung so: Das Lyrich schaut über den Zaun und sieht einen Mann mit einer anderen Person beim schönen Zeitvertreib. Daraufhin bilanziert das Lyrich ironisch jenen Zeitvertreib als "Arbeit". Das diese letzte Zeile mir als Bilanz und nicht als weiteres Beschreibungsdetail erscheint, liegt an dem haiku-artigen Aufbau.

Demnach klingt der Text für mich eigentlich gar nicht vieldeutig (gut!), er zielt auf und lebt von seiner Pointe, und die besteht schlichtweg aus dem lapidaren Tonfall des Lyrichs bei der Aufdeckung eines "Pseudo-Arbeiters".

Ich gehe davon aus, dass meine Deutung eher zu den naiveren und schlichteren zählt. "Sage mir, wie du deutest, und ich sage dir, wer du bist." Ich lese hier kein Drama, ich lese hier einfach einen poetischen Scherz. Das Kreieren von Scherzen ist vielfach schwieriger als das von Melancholie (wie in der Musik: trauriges kompliziertes ist schwerer zu komponieren als freudiges eingehendes). Ich finde den kleinen scherzhaften Dreizeiler gelungen und ziemlich witzig (vorausgesetzt, er wird akustisch nicht in einem verromantisierten Tonfall gelesen, -- aber das letztere gilt wohl doch, befürchte ich: melancholisch, und deshalb liege ich mit meiner schlichten Deutung wahrscheinlich wieder meilenweit neben der des Zielpublikums).

Egal, auf meiner genannten Ebene, und das ist, ohne Ironie, ein gute Ebene, ist der Text ein guter! Halleluja.


Ahoi

Pjotr

scarlett

Beitragvon scarlett » 21.01.2008, 15:33

Nein, Pjotr, du liegst überhaupt nicht falsch. Das ist eine der möglichen Sichtweisen.
Und dass es mit einem "Augenzwinkern" zu lesen ist, sagte ich ja in einem der allerersten Postings.
Und: ich würde es sicherlich NICHT in einem verromantisierenden Tonfall lesen - und schon gar nicht melancholisch. Eher so nüchtern wie möglich, mit wenig Betonung, mit gleichbleibender Stimme - damit der Hörer nicht in eine bestimmte Richtung geleitet wird. (Nur ob ich mir ein LÄcheln am Schluss verkneifen könnte, weiß ich nicht ... *g* allein schon deshalb würde ich es nicht vorlesen wollen)

Danke für deine Rückmeldung und LG,
sca

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Beitragvon ferdi » 22.01.2008, 13:09

Hallo Sam!

So ein bisschen Grundsatzdiskussion kann ja nicht schaden - ich hoffe, Scarlett sieht es uns nach :-)

Ich weiß jetzt nicht, ob das an einem Unterschied in den regionalen Umgangssprachen liegt - aber ich bin doch sehr irritiert darüber, dass du schon wieder (obwohl etwa ich durch meine Beispiele darauf hingewiesen habe, dass es nicht notwendigerweise so ist) "Der Mann ist bei der Arbeit" gleichsetzt mit "Der Mann ist auf der Arbeit". Ersteres ist hier in der Gegend ein allgemeiner Ausdruck, der nicht impliziert, dass der Mann an seinem Arbeitsplatz (in der Stadt oder sonstwo) ist, sondern einfach, dass er arbeitet: Sein neues Buch schreibt, den Rasen mäht, den verstopften Abfluss säubert - irgendwas, aber auf jeden Fall nicht notwendigerweise weg sein muss. "Auf Arbeit sein" meint hier dagegen wirklich: "fort von zu Hause, an einem entfernten Arbeitsplatz."

Aber eigentlich wollte ich anmerken, dass nicht "jedes Wort austauschbar" ist. Und das gleich auf mehreren Ebenen nicht! Zum Beispiel auf der phonetischen: Jedes Gedicht schafft einen Klangraum. Und da macht es ja wohl einen gewaltigen Unterschied, ob da ein knappes, recht hartes Wort wie "Sekt" steht oder ein voluminöses, weicheres wie "Champanger" (und das solche Überlegungen sehr wohl etwas mit Scarletts Darstellungsabsicht zu tun haben können, siehst du ja an ihrer Anmerkung, sie würde den Text "nüchtern" lesen wollen).

Vor allem aber: Die Autorin hat geschrieben, was sie geschrieben hat. Das gilt es doch zu beurteilen! Ihre Auswahl aus den möglichen Elementen und deren Zusammenspiel im Text. Alles andere bleibt außen vor. Sonst könnte ich ja auch unter ein Frühlingsgedicht schreiben: "Taugt nichts, du hättest stattdessen ja auch ein Wintergedicht schreiben können!"

Du siehst, dein Ansatz zur Betrachtung der Dinge ist mir sehr fremd. :-) Ich halte ihn nicht für richtig; zumindest sehe ich überhaupt nicht, wie er helfen kann, einem absichtsvoll gestalteten Text gerecht zu werden.

Ferdigruß!

Niko

Beitragvon Niko » 22.01.2008, 16:48

mit "bei der arbeit" und "auf der arbeit" ("auffe aaabaait" wie der dortmunder sacht) kann ich ferdi nur zustimmen. wollt ich nur mal einwerfen...

lieben gruß: Niko


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