Das Du und das Ich

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 19.01.2008, 06:26

Das Du und das Ich

Von den Steinen
Gekommen bist du mir
Schlafenden Steinen.
Du weißt, dass ich weiß.
Von den Bäumen kam ich dir
Geästen, himmelumarmend.

Windbruch fällt aus dem Laub
Unterm Regen nässt auch
Der härteste Findling.
Lass spüren davon.

Uns empfängt die
schwesterliche Erde, wenn die Zikaden
Rufen den Abschied, wenn uns
Der Mond alt wird, die
Stöhnende Landschaft von neuem
In Wehnacht darniederliegt.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 19.01.2008, 09:52

Liebe Caty,

Wehnacht finde ich klasse.

Manche Menschen möchte man zwischen Mühlrädern zerreiben, um etwas von ihnen zu kriegen, doch je mehr man presst, desto weniger kommt raus. Das fällt mir ein dazu.

wenn die Zikaden
Rufen den Abschied, wenn uns


Warum nicht: wenn die Zikaden/Den Abschied rufen, wenn uns
Das erscheint mir runder.

Sehr gern gelesen,
ELsa
Schreiben ist atmen

Caty

Beitragvon Caty » 19.01.2008, 13:40

Liebe Elsa,

ja, selbstverständlich kann ich den Abschied vorziehen. Voraussetzung: Ich lege keinen besonderen Wert auf "Abschied". Dadurch, dass ich das Wort "ausrahme", bekommt es aber mehr Wichtigkeit, was ich beabsichtigt hatte. Das wäre dann folgendes Bild:
1. Nebensatz 1. Ordnung/Objekt/2. Nebensatz 1. Ordnung/Hauptsatz.
Du siehst, dass das Objekt eine "Sonderstellung" erhalten hat, also herausfällt aus der üblichen Satzanordnung, die das Deutsche im Gegensatz zur englischen oder romanischen oder auch der russischen Sprache erlaubt, aber im Grunde seinen "richtigen" Platz - eine geläufige Methode gerade in der Lyrik, um einen Satzteil zu betonen. Hätte ich den Abschied nicht vorgezogen, würde ich das Prädikat (rufen) betonen, das aber in diesem Zusammenhang unwichtig ist. Caty

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 19.01.2008, 17:07

Liebe Caty,

Damit kann ich leben, jetzt verstehe ich, warum du das Stilmittel einsetzt.

Danke und lieben Gruß
Elsa
Schreiben ist atmen

claire.delalune

Beitragvon claire.delalune » 19.01.2008, 21:45

Hallo Caty,

dein Gedicht ist für mich eins, das ich nicht erklären kann. Das mir im Fühlen aber sehr viel mitteilt.
Ich mag die Formulierungen, es sind wunderschöne Worte darin - "Wehnacht", aber auch "himmelumarmend"...
Ich mag die Stimmung, in die mich der Text beim Lesen versetzt.

Und zu deiner Erklärung - weil ich Elsas Einwand auch aufmerksam gelesen habe - kann ich nur nicken.
Ja, die Setzung eines Wortes macht sehr viel aus in der Betonung und Gewichtung.

Ich hoffe, es ist in Ordnung, daß ich einen eher gefühlsbetonten Kommentar hinterlassen habe. Aber es fällt mir hier wirklich schwer, begründende Worte zu finden.

Lieben Gruß,
Kathrin

Caty

Beitragvon Caty » 20.01.2008, 05:29

Liebe Kathrin, ich freue mich, dass dieses Gedicht dein Fühlen anspricht.
Das wollte ich auch so. Inhaltlich geht es ja ums Fühlen, das des anderen. Das Gedicht hat drei Teile: Das Feststellen, dass der andere anders ist als das Ich. Die Aufforderung, mehr aufeinander einzugehen. Der Ausblick auf das Ende. Nichts Kompliziertes. Danke, Kathrin, noch mal für den Kommentar. Caty

Gast

Beitragvon Gast » 20.01.2008, 11:03

Liebe Caty,

man sagt zwar, dass ein Kommentar mehr über den Verfasser aussagt, als über den kommentierten Text, aber das Risiko nehme ich in Kauf ;-)

Ich habe beim ersten Lesen nicht "Wehnacht" sondern "Wehrmacht" gelesen.
Nach meinem Empfinden liegt die Leseverwandtschaft sowohl als auch die klangliche - der beiden Worte zu nah beieinander, als dass ich mit in das Lob ob dieser Wortschöpfung einstimmen könnte.

Das himmelumarmend kann mich auch nicht begeistern, zu sehr erinnert es mich an den Ausspruch: Ich könnte die ganze Welt umarmen, es liest sich in der Zusammensetzung als Partizip auch nicht gut.

Ansonsten, verwendest du gewohnt gute Bilder. Die Setzung hast du erklärt, aber ich finde, dass man durchaus anders setzen könnte und dann nicht erklären müsste, warum gerade so.
Ich weiß, das würde nicht deiner Art zu schreiben entsprechen, dennoch hier als Beispiel diese Stelle, die du oben erklärt hast.


Uns empfängt die schwesterliche Erde
wenn die Zikaden
den Abschied
rufen
wenn uns
der Mond alt wird
die stöhnende Landschaft von neuem
in Wehnacht darniederliegt.


Dies soll nur zeigen, dass, unter der Prämisse deine Intention richtig verstanden zu haben, eine andere Setzung durchaus möglich wäre - die dann so natürlich nicht zu den vorhergehenden Strophen passte.

Liebe Grüße
Gerda

Caty

Beitragvon Caty » 20.01.2008, 11:57

Aber selbstverständlich, Gerda, man kann jedes Gedicht auch anders schreiben. Es ist nun mal so, dass jeder sein eigenes Gedicht schreibt, du schreibst andere als ich. Dass du Wehrmacht statt Wehnacht gelesen hast - wie kann ich dir da helfen? Das könnte wohl nur ein Optiker. Himmelumarmend - ja, genau diese Aussage ist beabsichtigt, um zu zeigen, dass da zwei sehr unterschiedliche Menschen zusammengekommen sind. Und selbstverständlich ist ein anderer Zeilenbruch möglich. Aber das war nun mal nicht meine, der Verfasserin, Intention. Ehrlich gesagt, Gerda, frage ich mich, was ich mit diesem Kommentar anfangen kann. Ich nehme es als gutgemeinten Versuch. Caty

Gast

Beitragvon Gast » 20.01.2008, 12:08

Liebe Caty,

Caty hat geschrieben:Dass du Wehrmacht statt Wehnacht gelesen hast - wie kann ich dir da helfen? Das könnte wohl nur ein Optiker.


Du ignorierst schlicht meine Begründung.
Es geht nicht draum, dass du mir hilfst - sondern vielleicht überlegst, ob dieses Wort so glücklich gewählt ist. An der Brille liegt es ganz sicher nicht.

Ich habe durchaus über den optischen Eindruck hinaus begründet warum ich diese Wortschöpfung für nicht gelungen halte.

Caty hat geschrieben:Nach meinem Empfinden liegt die Leseverwandtschaft sowohl als auch die klangliche - der beiden Worte zu nah beieinander, als dass ich mit in das Lob ob dieser Wortschöpfung einstimmen könnte.


Mein Kommentar war lediglich als Anregung gedacht, noch einmal über besagte Stellen nachzudenken, ähnlich der Art so wie du es auch manchmal in deinen Kommentaren machst.

Einen schönen Sonntag
Gerda

Caty

Beitragvon Caty » 20.01.2008, 12:24

Ach, Gerda, ich hab doch schon längst verstanden, worum es geht. Also ich komm bei Wehnacht bestimmt nicht auf Wehrmacht, ich bin keine Militaristin. Aber ich habe drei Kinder geboren und weiß, was das ist, eine Wehnacht. Dass dir der Begriff nicht so geläufig ist, finde ich schade. Aber ich werde ihn trotzdem nicht ändern. Es gibt so viele Wörter im Deutschen, die sich nicht nur klanglich ähneln und trotzdem eine völlig andere Bedeutung besitzen. Das ist eine Crux, aber auch eine Chance für den Schreiber, Gerda. Versuch es mal so zu sehen. Aber ich werde über die besagten Stellen nochmal nachdenken. Versprochen. Caty


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