Konjunktive - Versuch einer Utopie

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Klara
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Beitragvon Klara » 11.01.2008, 10:55

Das übersteigerte, von vornherein zum Scheitern verurteilte Konzept der romantischen Liebe in der uns prägenden Kultur, das auf die unerfüllte Sehnsucht nach Berührung antwortet und zugleich deren Nicht-Erfüllbarkeit perpetuiert, wäre überflüssig, wenn es genug gute Berührung gäbe.

Erzwungener Verzicht bzw. zuvor das individuell wie kollektiv früh erfahrene Versagen von Berührung jedem Bedürfnis zum Trotz, das daraus hervorgehende Leid und dessen immer wieder versuchte Kompensation durch "Liebe" würden ebenso unnötig wie das krampfhafte Vermeiden von "Liebe" bzw. Nähe.

"Sex" wäre kein problematisches Idol außerhalb mehr, das kontrolliert und abgespaltet werden muss, sondern als wesentlich in die Körper integriert.

Liebe wäre keine Sehnsucht mehr, sondern in den Leben vorhanden.

Das Leben wäre kein Bedauern mehr, auch kein Warten mehr, sondern berührende Gegenwart. Der Begriff "Seele" verlöre seine Bedeutung.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.01.2008, 12:43

Hallo Klara,

stolperte ich nicht über die zu Beginn arg verschachtelten Sätze, würde es mir vielleicht gelingen, den Kontext besser zu verstehen, bzw. befände ich mich in der Lage, dir die unter Umständen sich aus oben genannten Grunde eventuell falsch konkludierte Frage zu stellen: was wäre eine "gute Berührung" und wie wäre Liebe als Substitut ohne Berührung möglich, impliziert doch Liebe gerade intensive Berührung? Und wieso verlöre Seele seine Bedeutung? Wäre ein Leben ohne Seele denn nicht ein Absurdum, da ohne Seele jede Sehnsucht, jede Berührung, sei sie mit oder ohne Liebe, obgleich ich Liebe ohne Berührung, wie geschrieben, als für nicht möglich halte, kein Leben mehr?
Insofern gäbe ich dir Recht, dass deine Zeilen in der Tat eine Utopie darstellen, wenn es denn so wäre.
Konjunktivistische Grüße ,-)
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 11.01.2008, 13:08

Liebe Klara,

Ohoh, das sind ja geistige Fallen, deine Schlangensätze zu Anfang, ich sehe das wie Mucki, man könnte die doch teilen?

Zum Text. Du meinst also, Berührung an sich ist Liebe? Das kann ich so nicht sehen. Berührung ist Resultat von liebevollen Gefühlen anderen gegenüber. Bei Erwachsenen meist mit sexueller Energie gepaart. Ich würde nie jemanden berühren wollen, für den ich keine Gefühle hege.

Das hakt für mich oder ich verstehe es nicht.

Lieben Gruß
ELsa
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aram
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Beitragvon aram » 11.01.2008, 13:30

hallo klara, finde die kritisierten sätze leicht lesbar und verständlich.
ein (inhaltlicher) entwurf zu einem bedeutenden thema in wenigen sätzen /aussagen. klar und intendiert genug um ein verständliches anliegen zu transportieren, unscharf/ offen / vielleicht auch widersprüchlich genug, um diskussion anzuregen. gefällt mir in dieser art.

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leonie
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Beitragvon leonie » 11.01.2008, 13:38

Liebe Klara,

Also, ich bin da auch erst beim zweiten Lesen durchgestiegen. Stilistisch ist es gruselig, finde ich, aber da ich weiß, Klara, dass Du das selber auch weißt, nehme ich an, dass das Absicht ist. Obwohl sich mir der Sinn hier nicht ganz erschließt.

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.01.2008, 13:38

aram hat geschrieben:unscharf/ offen / vielleicht auch widersprüchlich genug, um diskussion anzuregen.

Jep! Eine sehr interessante und auch philosophische Diskussion könnte sich hieraus entwickeln, wenn ich nur an das Stichwort "Seele" denke. :daumen:
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 11.01.2008, 13:49

Lieber Aram,

dann bist du ein sogenannter "Blitzgneisser", wie wir in Wien zu sagen pflegen ;-)

Ich musste es 3x lesen, um den Sinn zu begreifen.

Einfach gestrickte Grüße aus naßkaltem Grau,
ELsa
Schreiben ist atmen

Hoedur

Beitragvon Hoedur » 11.01.2008, 14:38

Hallo Klara,

ich stimme Leonie zu und frage mich nach dem Sinn.
Ich finde keinen literarischen Text, eine Aussage
- keine klaren Worte.

Lg
Hoedur

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 11.01.2008, 14:38

Hallo zusammen,

stilistisch habe ich kein Problem mit dem Text, wohl aber inhaltlich. Oder ich verstehe etwas falsch.

Da sich schon Kindergartenkinder wohlmeinender Berührung häufig entziehen (und es wird ja immer wieder propagiert, dass man das zu respektieren habe), entsteht die Berührungsangst offenbar sehr früh. Ich sehe in diesem Punkt aber keinen Unterschied zwischen Kindern, die im Babyalter häufig am Körper getragen werden, und solchen, die nicht.
Vielleicht kann jemand gesicherte Erkenntnisse dazu beisteuern.

Ich neige eher zu der Annahme, dass es ein instinktives Distanzbedürfnis gibt, das sich herausbildet, sobald der Mensch das Tragealter hinter sich hat. Natürlich gibt es ein früh erfahrenes Versagen von Berührung, aber auch früh erfahrene aufgezwungene Berührung.



Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Klara
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Beitragvon Klara » 11.01.2008, 15:01

Hallo,

ich bin ein bisschen verärgert... was da oben steht, ist das Ergebnis von Jahren. Glaubt es oder lasst es. Dann mal eben drüberzulesen und zu sagen "versteh ich nicht", "zu kompliziert" - hm. Das ärgert mich. Das Thema liegt mir sehr am Herzen. (Merci, aram, dass es bei dir nicht so ankommt wie für die anderen.)

Sicherlich ist es nicht "die Wahrheit", sondern will provozieren. Anders entstünde ja kein Nachdenken und keine Debatte. Aber nur, weil ein, zwei Nebensätze da stehen - in einem essayistisch gemeinten Kurztext! - die Stilkeule LITERATUR drüber zu hauen - das finde ich enttäuschend. Ich versuche, außerhalb zu denken. Deshalb muss ich diesen Stil nehmen. Ich muss mich dem eigenen Denken entfremden.

Das soll natürlich auch provozieren ,-) Nämlich weil dieses ich sag mal abendländische Konzept der Liebe so kompliziert daher kommt, während Berührung im Grund einfach ist. So einfach ist das natürlich nicht -

Dein Einwand ist interessant, Zefira, aber es ging mir um etwas Anderes. Keinesfalls um erzwungene Berührung, auch nicht um einen Verhaltenstherapeutischen Entwurf, sondern um den Beginn eines Erklärungsversuchs, gekleidet ins utopische Sprechen.

Natürlich ist es individuell, was "gute Berührung" heißt, aber ebenso natürlich heißt es nicht erzwungene Berührung und auch nicht nur eine Art der Berührung.

Ich kann ja mal versuchen zu übersetzen:

Das romantisch verklärende Konzept der Liebe erfüllt die mit ihm geweckten Bedürfnisse nicht. Wer berührt wird und genügend berührt wurde, hätte solcherlei Sehnsucht und Kompensation nicht mehr nötig. Dieses Konzept ist kulturell-gesellschaftlich bedingt - möglicherweise ist unsere effektive Kultur und Wirtschaft erst dadurch möglich, weil das Bedürfnis nach Anerkennung und Berührung kompensiert werden muss. Weil ein grundsätzliches Fehlen herrscht. Ich behaupte das. Oder meint ihr, es gibt genug Zärtlichkeit unter den Menschen? Oder stimmt ihr nicht zu, dass diese Zärtlichkeit so stark normiert ist, dass sie kaum außerhalb von Eltern-Kind-Liebe und geschlechtlicher Liebe möglich ist? Als instinktive HANDLUNG? Ja: dass das Bedürfnis gar nicht mehr als solches erkannt wird?!

Klara

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.01.2008, 15:30

Hallo Klara,
Dieses Konzept ist kulturell-gesellschaftlich bedingt - möglicherweise ist unsere effektive Kultur und Wirtschaft erst dadurch möglich, weil das Bedürfnis nach Anerkennung und Berührung kompensiert werden muss. Weil ein grundsätzliches Fehlen herrscht.

Ja, da stimme ich dir zu, Klara.
Es fehlt an Berührung zwischen den Menschen. Durch dieses Manko entsteht die Kompensation in der Arbeitsleistung. Leisten, leisten, leisten, um auf diese Weise Anerkennung zu erlangen (andere Form der Berührung, als Ersatz). Ehrgeiz wird geschürt, Karrieregeilheit, Machtstreben, Ellenbogengesellschaft. Und das macht uns kaputt.
Saludos
Mucki

aram
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Beitragvon aram » 11.01.2008, 15:34

dann bist du ein sogenannter "Blitzgneisser"

liebe elsa, vielleicht bin ich solche sätze einfach nur gewohnt - diverse sachtexte z.b. verwenden standardmäßig komplexere satzstrukturen - von philosophie und juristerei rede ich da noch gar nicht.

~

die inhaltliche diskussion finde ich wichtig, allersdings zwangsläufig sehr umfangreich - die themengebiete, aus denen der text destilliert sind riesig - nur mal was die geschichte der romantischen liebe betrifft z.b. - das lässt sich m.e. nicht sagen, darin drückt sich nichts anderes aus als sehnsucht nach berührung.
Zuletzt geändert von aram am 11.01.2008, 15:40, insgesamt 1-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 11.01.2008, 15:35

Hallo Klara,

ich finde deinen Text sehr interessant und bis auf zwei Kleinigkeiten auch gut, zum Thema und der Art der Argumentation passend geschrieben.
Ich muss bestimmt noch länger darüber nachdenken, aber spontan kommen mir da ein zwei Sachen in den Sinn, die deine Argumentation vielleicht etwas problematisch machen.

1. Die Berührungarmut in unserer Kultur ist kein abendländisches, sondern ein (in unserem Kulturkreis) nordeuropäisches Problem. Je weiter man in den Süden kommt, desto mehr berühren sich die Leute und desto näher stehen sie zusammen, wenn sie miteinander sprechen. Geht man dann weiter nach Afrika, kann man erleben, wie sogar Männer händehaltend Spazieren gehen und sich angeregt unterhalten. In erweitertem Sinne ist es auch religiöses, nämlich protestantisches Problem, da der Protestantismus im Laufe der Jahrhunderte jede Affektivität und körperliche Spontaneität stigmatisiert und aus dem Verhaltensmuster der Menschen weggepredigt hat.

2. Die von dir angerissene Utopie ist die einer sich ständig berührenden und damit gegenseitig beruhigenden Gesellschaft. Und die Hauptbeunruhigung in jeder Gesellschaft, weil es die Hauptbeunruhigung eines jeden Einzelnen ist, findet sich in der Frage nach dem Sinn unserer Existenz. Wird dieser Sinn im erfüllten Berührungswunsch gesehen und als erfüllt erlebt, erübrigen sich all die anderen Modelle, die über die Jahrhunderte dessen Platzhalter waren. Sei es die Religion oder eben die romantische Liebe. Dadurch würde aber nicht die Seele überflüssig. Sie wäre nur gefüllt und beruhigt und damit so eins mit dem sie umgebenden Körper, dass man ihrer Existenz nicht mehr warhnehmen würde.

Dies nur auf die Schnelle, als spontane Gedanken. Ich werde bestimmt noch weiter darüber nachdenken.

Liebe Grüße

Sam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.01.2008, 15:39

Hallo Klara,

da du hier in meinen Augen zwei Themen miteinander vermischst, zitiere ich dies hier gesondert:
Das Leben wäre kein Bedauern mehr, auch kein Warten mehr, sondern berührende Gegenwart. Der Begriff "Seele" verlöre seine Bedeutung.

Die Seele steht für mich auf einer anderen Ebene. Wieso meinst du, dass der Begriff "Seele" seine Bedeutung verlieren würde?
Oder konkreter gefragt: was verstehst du unter dem Begriff Seele in diesem Zusammenhang, den du ja nicht einfach so hergestellt hast.
Saludos
Mucki


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