Nachtschatten

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 20.12.2007, 06:35

Nachtschatten

Von berstendem Grün unsere Sommer.
Wir badeten in teerschwarzen Abwässern.
Die Vögel waren verschwunden. Man sprach
Von Spatzenragout. Sie brachten zertretene
Rosen vom Schwarzmarkt. Da liebte ich herzlos
Die giftige Nachtschattenblume.

Das Radio spielte die neue Negermusik. Wir fraßen
Unsere Ängste in den Ruinen aus ärmlichen
Wohnstuben wuchs uns der blaue Holunder es war
Eine graue Zeit. Einmal sah ich den Vogel Erbarmen
In den Trümmern. Da liebte ich die Schattenblume
Schmerzensreich.
Zuletzt geändert von Caty am 06.01.2008, 07:44, insgesamt 2-mal geändert.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.12.2007, 21:51

Ein grandioser Text!

Und er hat einen Rhytmus, daß, wenn ich könnnte, eine Band gründen würde, um ihn umzusetzen.

Kennst du SIOUXIE AND THE BANSHEES???????

Nur das zweite 'Nachtschattenblume' stört mich.

MlG

Moshe,

der manchmal denkt: Du bist ein wunderbares Ergebnis deiner Zeit, aber ein wenig abseits aufgewachsen. Das ärgert sich dann in sich selbst......

In den 80igern in GB wäre bestimmt ein guter Standort zum Wurzeln für dich gewesen. :12:

Caty

Beitragvon Caty » 03.01.2008, 14:16

Moshe, ich kenne Siouxie and the banshees nicht. Mich stört die zweite Nachtschattenblume gar nicht, sie ist ein Stilmittel, greift das Thema der 1. Strophe wieder auf. Und jetzt bin ich sprachlos, mein lieber, guter Moshe: Was soll das heißen "wunderbares Ergebnis meiner Zeit"? Noch bin ich sehr lebendig und stehe mit beiden Füßen mitten im Leben. Und "abseits aufgewachsen"? Willst du damit sagen: Die sagt nicht ja und Amen, duckt sich nicht vor jedem Scheißer? Da hättest du recht, ich war immer auffällig, ich galt als eigenwilliges Kind, Alptraum meine Physiklehrers. Ich lief nie mit der Herde, wollte es irgendwann nicht, das war, als ich zu Verstand kam - bis heute. Aber was soll ich in GB. Ich bin so eine deutsche Pflanze, die sterben würde ohne ihre deutschen Wurzeln. Ich weiß, in keinem anderen Land der Welt wäre ich ich. Ich beneide Menschen, die Länder wie Hemden wechseln können, sie haben eine große Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft. Glaub mir, ich würde da nur Ärger machen. Caty *gg*

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 05.01.2008, 16:14

wow! die worte schmelzen auf der zunge. und dann spult sich die geschichte wie im zeitraffer ab. all das wie eine truhe auf dem dachboden, aber die dinge darin sind unverstaubt. danke für diesen blick zurück.

chiqu.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 05.01.2008, 22:34

Ach Caty!

Nun gefällt es auch Chiquita, wie du siehst, und reißt ihn mit.
Muß man denn so eng lokal begrenzt sein, um eine Aussage zu verstehen?
In anderen Ländern leben auch Menschen, die Wurzeln haben, und die sind garnicht sosehr verschieden von den eigenen.
Ich habe nicht gesagt, daß du dort hin ziehen solltest, sondern lediglich daß dort etwas empfunden und umgesetzt wurde, wie du es hier machst.
Das war ein Lob und keine Aufforderung dich zu verändern, schon garnicht umzuziehen, zumal du da zu spät kommen würdest vom Timing.
In L.A. gab es diese Färbung, diese Aussage, deines Textes, auch bei Ablegern von MAZZY STAR und wenn ich weit zurückschaue sehe ich die Gruppe IDEAL aus Hannover.

Mit Hemden-wechseln hat das nichts zu tun, sondern mehr mit einer Art von Empfinden, das es eben auch wo anders gibt. Ich finde so etwas verbindend über geographische und zeitliche Grenzen hinaus, und das gefällt mir.

MlG

Moshe

Anton

Beitragvon Anton » 06.01.2008, 00:20

Hallo Caty,

ich finde es schön; vielleicht ein, zwei 'Beiworte' weniger?


"...

Wir fraßen
Unsere Ängste in den Ruinen aus
Wohnstuben wuchs uns der blaue Holunder es war
Eine graue Zeit. Einmal sah ich den Vogel [welcher, da könnte der Leser drauf kommen]
In den Trümmern. Da liebte ich
die Nachtschattenblume."

'Schmerzensreich' ist, finde ich, unnötig(zu sagen).

Auch Hilbig sah den Vogel..

Gruß,
Anton

Caty

Beitragvon Caty » 06.01.2008, 07:32

Lieber Chiquita, lieber Moshe, lieber Anton,

danke für eure Kommentare. Dass dich, Chiquita, der Text anspricht, ehrlich, da bin ich ein bisschen erstaunt, du schreibst so ganz andere Gedichte. Aber es freut mich, dass ich in dir einen Leser gefunden habe.

Moshe, ich spreche nur für mich, ich weiß nichts von der großbritannischen Lyrik, wollt nur sagen, dass ich ganz von hier bin, hatte auch weder Lust noch Gelegenheit, mich westwärts zu orientieren, ich bin einfach nur sehr inländisch, und wenn du willst, auch sehr östlich. (Fühlst du dich angesprochen? Das wäre ein Missverständnis.)

Anton, ich habe schon ein bisschen korrigiert. Ob dus glaubst oder nicht, aber ich habe von Hilbig noch nichts gelesen (wird nachgeholt), der Vogel Hoffnung existiert irgendwie in der Lyrik, ich weiß momentan die Quelle nicht. Aber das gefällt mir nicht. Gut, dass du das angesprochen hast, habe es geändert. Schmerzensreich ist für mich wichtig, möchte ich nicht herausnehmen.

Ich bedanke mich herzlich für eure Mitarbeit. Ein bisschen verspätet, aber von Herzen: Ein schönes 2008 wünsche ich euch.

Caty

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 06.01.2008, 16:39

wie langweilig, caty, wenn ich nur gedichte mochte, wie ich sie schreibe.

Max

Beitragvon Max » 06.01.2008, 20:56

Liebe caty,

das finde ich einen sehr intensiven und authentischen Text, der durch eine zeitgemäße Wortwahl sehr gut die Zeit erlebbar macht.
Ich verstehe, dass Du das "schmerzensreich" beahlten möchtest, könntest Du Dir aber vielleicht vorstellen, die (wohl schon verkürzte) 'Schattenblume' einfach in eine Blume zu verwandeln und den Leser dadruch den Bezug selbst herstellen zu lassen?

Liebe Grüße
Max

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 07.01.2008, 13:08

das ganze gedicht läuft auf den vogel schmerzensreich zu. den würde ich auch nicht streichen.
aber doch ein vogel - in unserer gesellschaft fast vergessen.

Caty

Beitragvon Caty » 07.01.2008, 17:19

Nee, Max. Kannst du nicht verstehen. Nachtschatten, die einzige Blume, die bei uns in den ersten Nachkriegsjahren wuchs - in den Ruinen, auf abgefallenem Putz und Steinen. Weiß der Himmel, wie die da hinkam. Wir wohnten damals mitten in der total zerbombten Stadt, im Zentrum. Ich liebte diese einzige Blume, die ich kannte, geradezu. Als ich erfuhr, dass sie giftig ist, faszinierte sie mich noch mehr. Das ist das Reale. Das Nichtreale ist die Assoziation zu Nacht und Schatten. Moshe hat recht gehabt, die Nachtschattenblume ist schon wieder zuviel. Also hab ich die Schattenblume Schmerzensreich daraus gemacht, einmal technisch wegen des Stabreims, andererseits natürlich ist das auch inhaltlich begründet. Du bist offensichtlich jünger als ich, hast vielleicht keine so klare Vorstellung von dieser Zeit wie ich, denke ich mal. Der Nachtschatten steht für mich für die Zeit, ein Symbol. Und schmerzensreich war sie ohne Frage. Ich denke, man kann an diesem Gedicht noch ne ganze Menge hin- und herbauen, ob es aber dadurch besser wird, steht auf einem anderen Blatt.

Vogel Schmerzensreich ist auch gut, Chiquita. Aber ich lass das Gedicht jetzt so. Vielleicht später mal.

Caty

Herby

Beitragvon Herby » 07.01.2008, 21:17

Hallo Cathy,

obwohl oder weil (?) ich diese dunkle Zeit nicht erlebt habe, erreicht mich dein Text hier, anders als andere von dir, sehr intensiv. Wohl auch wegen des Eindrucks der Authentizität, den Max schon beschrieb und den ich teile.

Du schreibst:

Ich denke, man kann an diesem Gedicht noch ne ganze Menge hin- und herbauen, ob es aber dadurch besser wird, steht auf einem anderen Blatt.


Ich würde es so lassen, wie es ist.

Lieben Gruß,
Herby

Max

Beitragvon Max » 07.01.2008, 21:46

Liebe caty,

danke für die Erklärung .. wusste ich wirklich nicht.

Liebe Grüße
Max


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste