Ein einfaches Märchen

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moshe.c

Beitragvon moshe.c » 22.12.2007, 17:23

Fünf kleine Drachen und ein freudiges Lachen


Eines Tages versammelten sich fünf weiße Klein-Drachen an ihrem üblichen Treffpunkt.
„Nun ist es wieder soweit, wir sind wieder dran, und das so kurz vor Weihnachten“, murmelte Egon, der kleinste Drache.
„Das ist ja nicht das Schlimmste, aber diese Kälte macht mir immer wieder zu schaffen“, pustete Mathilde, der zarteste Drache.
„Jaja“, sagte der Karl-Drache, „wir werden langsam alt.“
„Hauptsache, ihr schnattert nicht so dummes Zeug, wenn wir unterwegs sind!“, fauchte der Oberdrache, der mit dem grünen Seidenband um den Hals, und fauchte eine grüne Wolke in die Runde.
Sie rappelten sich, streckten die Drachenflügel aus und flogen ins Winterparadies.
Dort landeten sie auf einer eisigen Wiese vor einem Schuppen, auf dem stand: 'NUR FÜR DIENST-DRACHEN'. Sie holten die Gespanngeschirre heraus, legten sie sich an, und flogen ans Ufer des Paradiessees, der ganz zugefroren war.
Durch das Eis sah man die bunten Paradiesfische ganz ruhig dahinschwimmen, die dort auf das Ende des Winters hofften. Die Drachen ließen sich am Ufer des Sees nieder und kuschelten sich so gut es ging aneinander. Hin und wieder fauchten sie sich mit dem bisschen Wärme an, das sie noch hatten, damit keinem zu kalt wurde.
Sie warteten so geduldig fünf Tage und fünf Nächte. Nicht der kleinste Laut war zu hören. Die sonst so vorlauten Paradiesvögel hatten sich in ihre Winternester zurückgezogen und gaben dort nicht den kleinsten Piepser von sich. Sie fürchteten die Drachen, denn es war schon vorgekommen, dass ein Drache nach ihnen geschnappt hatte. Deshalb durften die Drachen normalerweise auch nicht ins Paradies. Am Morgen des sechsten Tages, als es am kältesten war, bildete sich über der Mitte des Sees eine kleine Wolke, kaum handflächengroß, und als die Sonne aufging, fing sie an, ihre Farben und Formen zu verändern. Gegen Mittag sah man in der Wolke ein wunderschönes Kissen, weiß und blau geädert, mit einem Kranz von gelben Weihnachtssternen darum. Nachmittags um drei Uhr fing ein Chor von lieblichen Nixen an zu summen und gegen Abend lag auf dem Kissen ein kleines Mädchen.
Die Haut zartestes Schneeweiß, die Haare duftiges Ebenholz, die Lippen anmutig geöffnet, rosen – purpur – rot, und die Augen brannten wie Lapislazuli.
„Die wird aber schön“, flüsterte Egon.
„Aber sie wird so groß, und dann haben wir es wieder so schwer“, hauchte Mathilde.
„Pscht, Ruhe da!“, fauchte leise der Oberdrache und blies eine gelbe Rauchwolke zu den beiden.
Unter dem Gesang der Nixenstimmen hob sich beim Mondaufgang das Kissen, von der Wolke getragen, und schwebte ans Ufer zu den fünf kleinen Drachen.
Hätte einer von ihnen zum Mond geschaut, so hätte er das Gesicht des Riesen-Drachen gesehen, aber niemand sah dort hinauf.
Lautlose Blitze zuckten ringsum, als das Kissen mit dem Mädchen darauf, bei ihnen landete. Die Drachen knoteten mit Silberfäden ihr Geschirr daran, streckten die Schwingen aus, bildeten ein Dreieck und fingen ganz, ganz sachte an zu fliegen. Dabei bewegten sie ihre Schwingen im Takt einer lautlosen Melodie.
Als sie schon hoch in der Luft waren, schwebten von links und rechts die Nixen heran, die dann einen dichten Schirm bildeten, damit nicht der kleinste Hauch des Sonnenwindes das Kissen zum Schwanken brachte.
Nach drei Tagen des Fluges erschien in der Ferne ein roter Planet, der rasch näher kam. Die Drachen runzelten die Stirn und der ganze Zug kam zum Halten. Sie flüsterten untereinander.
„Wir sind falsch“, flüsterte Heinz, der dickste Drache, der bisher noch garnichts gesagt hatte.
„Stimmt“, murmelten die anderen.
Der Oberdrache sah sich fragend um. Sein Auftrag war es gewesen, zu einem blauen Planeten zu fliegen und nicht zu einem roten.
„Typisch!“, wisperten die Nixen. „Jetzt wissen sie schon wieder nicht, wo es lang geht. Hie, hie, diese kleinen Drachen.“
Der Oberdrache holte die Karte heraus, studierte sie genau, vermaß die Sterne und sagte zu den Nixen: „Ihr da oben, seid mal ganz ruhig. Ihr wisst doch überhaupt nicht, wo es lang geht.“ Er holte tief Luft und pustete bunte Wölkchen aus den Nüstern. „Wir haben uns nur ein wenig geirrt. Zwei Zentimeter nach rechts, und los.“
Und tatsächlich – nach kurzer Zeit kam ein blauer Planet in Sicht und die Drachen umkreisten ihn zielstrebig mit ihrer kostbaren Facht, gingen tiefer und tiefer, landeten im Schnee eines Gartens, spannten ab und trugen das Kissen auf ihren Köpfen zu einem schneebedeckten Haus, das innen von Kerzen erleuchtet war, und wenn man genau hinsah, erkannte man auch einen Weihnachtsbaum. Einer der Drachen legte einen Adventskranz auf die Schwelle vor die Tür und dann betteten sie das Kissen mit dem Mädchen vorsichtig darauf.
Der Oberdrache, der mit dem grünen Seidenband um den Hals, hauchte das Mädchen feurig-vorsichtig an. Dann gingen die Drachen ein paar Schritte zurück und bliesen aus allen ihren Nüstern ein buntes 'FROHE WEIHNACHTEN', das so laut war, dass das Haus wackelte.
Eilig rafften sie sich zusammen und machten sich schnell davon in die Lüfte.
Beim Abflug hörten sie noch das glückliche Lachen der Eltern und den ersten Schrei des kleinen Mädchens.

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Allen Mitgliedern des Blauen Salons meine besten Wünsche

Moshe

african queen

Beitragvon african queen » 23.12.2007, 18:57

Hallo Moshe,
das ist die schönste Weihnachtsgeschichte, die ich je gelesen habe.
Die würde doch ganz wunderbar in ein Kinderbuch passen, woraus die Eltern ihren Kindern
an Weihnachten vorlesen. Bilder von blauen und roten und bunten Planeten dazu und natürlich
Drachen, einen davon kann ich Dir posten.
Ein ganz bezauberndes Märchen Moshe.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.12.2007, 20:20

Lieber Moshe,

ohja, das ist fein! ich hab es meinem Enkel vorgelesen, er hat gejubelt! was will man mehr von einer Geschichte?

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.12.2007, 22:08

Liebe african queen!

Danke erstmal für die Beurteilung des Märchens.
Ich denke, der Zauber liegt darin, daß ich hier eine Geburt, die ja im Kern Weihnachten ist, auf andere Art und mit einem Mädchen wiederhole.

Sodann danke ich dir für den wunderbaren Drachen, der hier sehr gut passt.

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Liebe ELsa!

Das ist natürlich eine Nachricht, die mich sehr freut. Was kann man mehr bekommen, als daß Kinder sich an einem Märchen begeistern, das man für sie schrieb.

Besten Dank

Moshe

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 23.12.2007, 23:11

Hallo Moshe,

danke für deine einnehmende und rührende Geschichte. Ich habe allerdings den Eindruck, daß ein prächtigeres Gewand sie erst zur Kaiserin werden lassen würde - kannst du nicht ein Bilderbuch daraus machen?

Viele Grüße und frohe Weihnachten

Merlin

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.12.2007, 23:17

Lieber Moshe,

ein wunderbares Märchen hast du da geschrieben. So müssen Märchen sein,-)
Ist es eines von denen, die du auch veröffentlicht hast?
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 25.12.2007, 21:58

Hallo Merlin!

Daran arbeite ich, bzw. versuche es zu organisieren.


Liebe Mucki!

Ja, dieses Märchen wurde veröffentlicht.

:-)

Moshe

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 26.12.2007, 16:00

Hallo Moshe,

wenn es schon veröffentlicht wurde, erübrigt sich dann auch weitere Textarbeit? Warum nicht in den "Blauen Schlegel" damit? Bild


Salutschi

Pjotr

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 26.12.2007, 16:52

Lieber Pjotr!

Textarbeit ist immer willkommen, auch an Texten die bereits veröffentlicht wurden.

(Ich nehme an, du hast Ideen, auf die ich gespannt wäre.)

Deinen Gedankengang zum Schlegel verstehe ich nicht.
Was meinst du damit?

Fragender Moshe.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 26.12.2007, 17:45

Ich dachte an die Rubrik "Blauer Schlegel", in der es statt um Textarbeit eher um Rezensionen und Interpretationen von quasi fertigen Texten geht. (Aber wenn Du sagst, Textarbeit sei Dir trotzdem willkommen, ist meine Frage schon beantwortet.)


Salve

Pjotr

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 26.12.2007, 17:52

Hey Pjotr!

Meine Texte sind dann fertig, wenn ich fertig bin = gestorben.

:blink2:

Moshe,

aber ich kann mich da ja auch mal versuchen.....


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