Kinderweihnacht

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 17.12.2007, 19:31

Kinderweihnacht

„Maria durch den Dornwald ging, Kyrieleison“, spielten wir auf Blockflöten an den Adventsonntagen daheim.
Die Vorweihnachtsgeheimnisse, ich werde sie niemals vergessen.

Bild

Die Eltern lächelten unschuldig und halfen, Briefe ans Christkind zu verfassen, als ich und meine Geschwister noch zu klein dazu waren. Später schrieben wir sie selbst, auch nachdem uns längst bekannt war, wer Weihnachten ausrichtete. Die verzierten Kuverts deponierten wir aufgeregt zwischen den Fensterflügeln, ehe wir zu Bett gingen. Am nächsten Morgen lag Sternenstaub statt der Briefe dort.
Am Tag des Heiligen Abend brach unvermittelt Hektik daheim aus. Nach einem schnellen Frühstück warf Oma jeden aus ihrem Reich, der Küche, hinaus. Wir Kinder wurden in unsere Paletots geschüttelt und mit Papa vor die Tür gesetzt. Nun war Weihnacht! Nach einem langweiligen Friedhofsbesuch folgte ein Spaziergang auf den Christkindlmarkt. Hier gab es Glanz und Glitzer, nur hier. Und viele Väter mit Kindern, die wie wir die Wohnungen verlassen hatten. Wir schleckten rosarote Zuckerwatte und kandierte Äpfel; die Papas futterten Bratwürstel und prosteten einander mit Glühwein zu. In der Luft lag ein Duft von Zucker, Senf, gebrannten Mandeln und Alkohol. Wir fuhren mit einem kleinen Ringelspiel im Kreis.
Halberfroren kehrten wir am Nachmittag heim.
Bis auf die Bahnhofsrestaurationen, in denen sich die Einsamen und Gestrandeten trafen, war die Stadt gegen siebzehn Uhr leergefegt. Hinter den Fenstern wurde es Licht und das Warten begann. Im Weihnachtszimmer, das seit dem Morgen zugesperrt war, knarrte der Parkettboden verdächtig.
„Psst“, sagte Papa und legte den Zeigefinger an die Lippen, „das Christkind.“
Wir kicherten und mein Herz klopfte schneller. Oma hatte ihre Kocherei beendet und ein elegantes Kleid angezogen. Onkeln und Tanten trafen nach und nach ein. Als alle versammelt waren, verschwand Mama. Wieder knarrte es im Nebenzimmer, bald darauf ertönte endlich das ersehnte leise Glockenklingen. Plötzlich war Mama wieder da und sagte erstaunt: „Mir war, als hätte es eben geläutet? Ich glaube, das Christkind war da!“
Papa öffnete die Türflügel und wir stürzten hinein.
„Ah“, sagten alle und „Oh!“
Im Halbkreis aufgereiht sangen wir falsch und auch richtig „Stille Nacht“, danach „Oh, du Fröhliche“ und zuletzt „Oh Tannenbaum“, während die Kerzenlichter im Hauch unserer Lieder tanzten.
Unter dem Baum stand mein großer Wunsch: Das Schaukelpferd.

Bild

(c)ELsa Rieger
Zuletzt geändert von Elsa am 19.12.2007, 10:29, insgesamt 4-mal geändert.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.12.2007, 20:37

Liebe Elsie,

das hast du schön geschrieben. Die liebevollen Details, ich schwelge sofort in Erinnerungen. Herrlich, das hier:
Im Halbkreis aufgereiht sangen wir falsch und auch richtig „Stille Nacht“,

Dazu die Fotos. Klasse!

Den Beginn:
Ich hielte allen Kindern die Augen zu. Oder ich stellte die Wirtschaft zur Rede. Am liebsten würde ich sie erschießen. Aber das tut man nicht. Schon gar nicht zu Weihnachten. Und außerdem, wen?

würde ich komplett rauslassen. Durch die Geschichte erklärt sich diese Meinung von selbst. Ist so zu wertend.

Hier ein kleines Tippfehlerchen:
kreischt ein Knirps hinter mit

Sehr gerne gelesen ;-)
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 17.12.2007, 21:13

Liebe Mucki,

habe alles korrigiert, ich war über den Anfang auch nicht sicher, nun ist er weg.
Danke für das mir/mit, Adlerauge :-)

Inspiriert haben mich meine alten Kinderbilder dazu, die Erinnerung tauchte auf. Ich freu mich, dass es dir gefällt, danke.

Lieben Gruß
ELsie
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leonie
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Beitragvon leonie » 17.12.2007, 23:02

Liebe Elsa,

ich habe das auch gern gelesen, ich bin auch keine Freundin übermäßigen Weihnachtsschmuck und großer Geschenkeberge (und das ist noch milde ausgedrückt, mich widert dieser Rummel und das Geschäft, das damit gemacht wird, manchmal förmlich an), aber mir hat sich doch eine Frage gestellt: Wenn ich die Photos anschaue, dann vermute ich, dass Du da vielleicht drei bis vier Jahre alt warst.
Ich glaube, in dem Alter freuen sich auch heute noch viele Kinder über ein Schaukelpferd und nicht über Computerspiele. Ich denke, es wäre für den Verlauf des Textes besser, dieselben Altersstufen damals und heute zu vergleichen.
Was hast Du Dir mit 10 gewünscht im Gegensatz zu Deinem Enkel heute? Und war es da immer noch so, dass Deine Mutter sagte, das Christkind sei dagewesen (denn ich vermute, geglaubt hast Du es da nicht mehr, oder?), wenn das Glöckchen klingelte...

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 17.12.2007, 23:12

Liebe leonie,

Ja, da war ich sicher nicht älter. Dein Argument ist richtig, man sollte die gleiche Altersstufe nehmen.
Merlin hat sich mit vier ein ferngesteuertes Flugzeug gewünscht.
Meinst du, ich sollte das anführen?

Natürlich habe ich mit 10 nicht mehr ans Christkind ..., aber
Später schrieben wir sie selbst, auch nachdem uns längst bekannt war, wer Weihnachten ausrichtete.
das erwähne ich ja im Text.

Danke und lieben Gruß
Elsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.12.2007, 23:57

Liebe Elsie,

gerade durch den letzten Satz wird sehr gut noch mal der Bogen zum Beginn gezogen. Ich würde deshalb einfach aus diesem Satz hier:

"Mein zehnjähriger Enkel wünscht sich heuer Klonkrieger und ein paar Playstationspiele."

das Alter rausnehmen und nur schreiben: Mein Enkel wünscht sich heuer etc....
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 18.12.2007, 00:30

Liebe Mucki,

genau, das ist es!

Mein Sohn hat auch mit Starwarsfiguren gespielt.
Das mache ich und sonst denke ich geht das so.

Lieben Gruß
ELsie
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.12.2007, 00:41

Liebe Elsie,

ich finde auch, dass das so rund ist. Du hast ja in der Geschichte ansonsten keinerlei Altersangaben.
Buenas noches,-)
Mucki
P.S. Apropos Fotos. Habe vorgestern auch alte Fotos von mir gesehen. U.a. auch zwei von Weihnachten. Puh, da werden wirklich Erinnerungen wach. Vor allem, da ich Weihnachten auf zwei extrem verschiedene Arten verbrachte, in Hamburg mit viel Schnee und in Chile am Pool mit 45 Grad, hi,hi

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 18.12.2007, 09:05

Liebe Mucki,

das muss ja wild gewesen sein, Schnee/Hitze, von allem etwas :-)

Lieben Gruß
ELsie
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leonie
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Beitragvon leonie » 18.12.2007, 10:20

Hallo Ihrs,

also , ich fände das ferngesteuerte Flugzeug (ruhig ohne Altersangabe) fast besser, weil es dann stimmiger ist. Denn auch, wenn kein Alter da steht, weiß frau doch, dass Schaukelpferd damals und Computerspiele heute nicht wirklich dieselbe Altersstufe erfreuen...

Liebe Grüße aus dem sonnigen Norden

leonie

Nicole

Beitragvon Nicole » 18.12.2007, 12:16

Hallo Elsa,

also mal vorweg. ich mag Deine Geschichte. Vor allem Deine eigene Weihnachtserinnerung, ich finde da vieles wieder, das ich aus meiner Kindheit kenne.
ABER: ich finde auch vieles wieder, das ich mit meiner Tochter zelebriere. Unabhängig davon, daß sie einen Nintendo (DS lite heißt das Teil, das sich der Kniprs zu Beginn Deiner Geschichte wünscht vermutlich, ist der Neueste und den hat auch Sophie) besitzt und hierfür auch ein neues Spiel zu Weihnachten bekommen wird.
Ich mag den völlig auf Konsum ausgerichteten Vorweihnachtskaufhausrummel auch nicht besonders. Ich mag es auch nicht, wenn bereits 2 Monate vor Weihnachten die ersten Werbefilmchen laufen, die den Kindern suggerieren "das mußt du unbedingt haben." Ich kann aber verstehen, daß die Kinder darauf reinfallen. Trotzdem. wenn ich mit Sophie über den Weihnachtsmarkt schlendere oder durch die Stadt, freue ich mich daran, wie sie vor schönen Dekorationen stehen bleibt und staunt. Und unser Weihnachtsritual ist dem Deiner Kindheit, so wie du es geschildert hast, sehr ähnlich. Sophie schreibt auch einen Brief ans Christkind (schreibt-malt, was man halt im ersten Schuljahr so kann) und der verschwindet auch auf "magische Weise". Sie putzt, so wie ich früher für Nikolaus die Stiefel (ihre Reitstifel, größere hat sie nicht gefunden :-) )und legt ihm ein schönes Bild hin. In diesem Jahr (es hat geregnet und ich hatte ihr geraten, die Stiefel nicht vor die Haustür, sondern vor ihre Zimmertür zu stellen...) hat sie dann noch jede Menge Zettelchen gemalt mit dicken roten Pfeilen drauf und die auf den Weg von der Haustür zur Kinderzimmertür geklebt, damit der Nikolaus den Weg auch ja findet..... Und auch wenn der Gabentisch sicherlich heute ganz anderes gefüllt wird als früher, denke ich, es obliegt uns (Eltern, Tanten, Onkel,...) die weihnachtseigene Magie für die Kinder her zu zaubern. Und das trotz oder mit oder auch unter Zuhilfenahme dessen, was uns "der Markt" heute an Möglichkeiten bietet.

Liebe Grüße in Deine Vorweihnacht,

Nicole

Klara
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Beitragvon Klara » 18.12.2007, 12:36

Hallo Elsa,
das ist gut geschrieben, rührend sogar, liest man gerne.
Allerdings: Es verklärt doch ziemlich, oder?
Und: Auch zu "deiner Zeit" gab es schon Wirtschaft, Kapitalismus etc., das, was wir jetzt haben, ist nur die Schraube weitergedreht.

Diese Verklärung gefällt mir nicht.

Den Gegensatz kann ich aber (ähnlich wie Nicole) nicht nachvollziehen: Klonkrieger und Playstation sind die Fortführung des Schaukelpferds. Wahrscheinlich hat irgendeine besorgte Fortschrittsskeptikerin zur Erfindung des Schaukelpferds auch befürchtet, dass die Kinder nun ihre eigene Phantasie nicht mehr benutzen: Besenstiel tut's doch auch. (Die Anthroposofen gehen so weit, dass die Puppen keine Gesichter haben dürfen...) Warum soll es "besser" ("natürlicher", "wärmer" etc.) sein, sich ein Schaukelpferd zu wünschen als einen Klonkrieger (whatever that may be)?

Nein, ich verstehe schon, aber die Geschichte ist mir nicht schlüssig, und ich mag auch dieses Gegeneinanderrechnen von damals und heute nicht. Der Enkel steht in deiner Geschichte so nackt da, als wäre er SCHULD an dem ganzen Mist, und auch ohne diese Kritik wäre der Text runder, wenn der Enkel schon zu Beginn auftauchte und nicht ein wildfremder Junge.

Übrigens entstehen Wünsche nicht im luftleeren Raum. Wenn Kinder zum Beispiel nonstop fernsehen und in der restlichen Zeit ausschließlich mit Kindern zusammen sind, die ihrerseits nonstop fernsehen und von ihren Eltern mit entsprechendem Material aus dem Schlaraffenland der freien Marktwirtschaft versorgt werden, saugen sie dieses scheinbare Brauchen aus der Werbung auf wie mit dem Strohhalm. In Wirklichkeit ist niemand gezwungen, seinen Kindern Nintendo, Handy und Co. zu kaufen. Und ich sehe auch kein Argument dafür. Wir kommen bislang - trotz manchmal auftretender Wünsche unserer Kinder - bestens ohne dieses Zeug aus. Ich habe nämlich eine so große Abneigung dagegen, dass ich mich schlicht weigere, mir so etwas ins Haus zu holen (wenn es nach mir ginge, könnte auch gleich der Fernseher auf den Müll, aber da stehen fünf gegen eine...). Und wenn meine Kinder - die Älteste ist zwölf - mir später als einzigen Vorwurf machen, dass ich ihnen zumindest diesen Mist nicht gekauft habe - das nehme ich dafür gerne in Kauf .-)

Grüße
Klara

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 18.12.2007, 22:51

Liebe Nicole, liebe Klara,

Danke für eure "Gegenerzählungen", das habe ich gern gelesen.

Verklärt man nicht immer seine Kindheit? Ich finde schon. Das Argument, die Zeiten ändern sich, was früher ein Schaukelpferd war, ist heute nun mal der Klonkrieger, alles richtig. Aber da es eine persönliche Geschichte ist, und ich nicht gern einen Klonkrieger bekommen hätte, steht das nun eben so da.

Mein Enkel, mit dem ich ja zusammenlebe, hat auch ein Nintendo DS Lite, in Wahrheit weiß ich, wie das Teil heißt.

Keinesfalls möchte ich ihn, Klara, nackt dastehen lassen, es ist die Erinnerung, meine Erinnerung, die mir die Geheimnisse damals viel schöner erscheinen lassen, als sie heute sind. Das ist alles.

Ich werde den letzten Satz streichen, eigentlich ist er wirklich überflüssig.

Liebe Grüße,
Elsa
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Nicole

Beitragvon Nicole » 19.12.2007, 09:09

Liebe Elsa,

ja, man verklärt Erinnerungen und das ist auch gut so....
Ich freue mich schon wie ein Schneekönig, wenn wir dieses Jahr zu meinen Eltern fahren um Weihnachten zu feiern. Dort wird dann wieder der uralte, noch von meiner Oma gestickte Adventskalender hängen und auf dem Tisch stehen sicher wieder die inzwischen völlig zerzausten und "verliebten" Weihnachtsengel, die schon als ich noch ganz klein war, immer auf dem Tisch standen.
Und das ist auch mit das wichtigste, das ich versuche für meine Tochter zu erzeugen: Rituale, die jedes Jahr wieder kehren.

Liebe Grüße,

Nicole


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