Im Bassin

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 09.12.2007, 17:04

Wir hören der leisen Brandung
in der Heizung zu...
und die andern Hochhausgletscher
schmelzen vor unserem Fenster.

Ich habe gelesen der Sohn
deines Sohnes, dessen Sohn,
dessen Sohn, dessen Sohn
wird nicht mehr hier wohnen,
denn die Stadt taut ab.

Ich habe gehört Frau Leiner
aus dem zwölften Stock
schlägt ihren Mann,
wenn er schläft

Sodass der immer glaubt
alles sei nur ein böser Traum
und manchmal heult er so, dass
es bei uns von der Decke tropft.

Wir hören der leisen Brandung
in der Heizung zu...
und hören auf etwas zu tun,
aber wer nicht arbeiten geht,
weiß kaum zu unterscheiden
zwischen beginnen und aufhörn.

Die Barrakudas im Heizungsrohr
bleiben manchmal stehn, drehen um
und schwimmen im Kreis.

Weißt Du, ich lasse jetzt
das Modellflugzeug hinaus.
Vielleicht fängt es einen,
der vom Dach springt auf.

und das Modellflugzeug bleibt
über Moskau stehn, dreht um
und fliegt im Kreis.

Du meinst wir zwei
werden dasselbe tun
in unserem Wohnzimmeraquarium,
geradeaus, zurück oder im Kreis...

hören wir der leisen Brandung
in der Heizung zu...





Vorerst gestrichen (dank einem Berliner, dessen Namen ich vergessen habe):

1.

Ich habe gelesen das Leben
nach dem Leben bleibt
genauso grau

2.

und hören auf etwas zu tun.
Zuletzt geändert von Louisa am 14.12.2007, 12:02, insgesamt 4-mal geändert.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 09.12.2007, 20:12

Hallo Louisa,

da stecken einige unverbrauchte, neue Bilder drin. Die Barracudas gefallen mir. Herr Leiner, dessen Tränen durch die Decke tropfen, spricht mich auch an.

Ein guter Text, den ich gerne gelesen habe.

Jürgen

Louisa

Beitragvon Louisa » 09.12.2007, 20:48

Merci beaucoup!

Da wird der Weihnachtsmann sicherlich fleißig bei Dir sein :smile: ...

l

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 09.12.2007, 21:43

Liebe Louisa,

die Barracudas brauchen noch ein "r".

Mir gefallen deine Bilder wie fast immer (die Mademoiselle hat vielleicht Ideen, unglaublich!), aber ich kann es diesmal nicht als Gedicht sondern als Prosastück lesen:

Wir hören der leisen Brandung in der Heizung zu ... und die andern Hochhausgletscher schmelzen vor unserem Fenster.

Ich habe gelesen der Sohn deines Sohnes, dessen Sohn, dessen Sohn, dessen Sohn wird nicht mehr hier wohnen, denn die Stadt taut ab.
Ich habe gehört Frau Leiner aus dem zwölften Stock schlägt ihren Mann, wenn er schläft, sodass der immer glaubt alles sei nur ein böser Traum und manchmal heult er so, dass es bei uns von der Decke tropft.

Wir hören der leisen Brandung in der Heizung zu ... und hören auf etwas zu tun, aber wer nicht arbeiten geht, weiß kaum zu unterscheiden zwischen beginnen und aufhörn. Die Baracudas im Heizungsrohr bleiben manchmal stehn, drehen um und schwimmen im Kreis.

Weißt Du, ich lasse jetzt das Modellflugzeug hinaus. Vielleicht fängt es einen, der vom Dach springt auf. Ich habe gelesen das Leben nach dem Leben bleibt genauso grau und das Modellflugzeug bleibt über Moskau stehn, dreht um und fliegt im Kreis.

Du meinst wir zwei werden dasselbe tun in unserem Wohnzimmeraquarium, geradeaus, zurück oder im Kreis ... hören wir der leisen Brandung in der Heizung zu ...

und hören auf etwas zu tun.


So lese ich es, Louisa. Wunderschön, wundertraurig, wunderfein.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Louisa

Beitragvon Louisa » 10.12.2007, 02:20

Ich lese es eher als Lied :smile: !

Vorhin trug ich es im allgemeinen Berliner Mitte-Zirkel vor :pfeifen: ... Dort gefiel es ebenfalls :banana_1: ...

Aber diese Strophe:

Ich habe gelesen das Leben
nach dem Leben bleibt
genauso grau


...stieß auf kleine Kritik, weil sie zu direkt ist. Finde ich eigentlich mittlerweile auch. Durch die Bilder wird eigentlich schon erzählt, dass es grau ist und nur noch grauer werden kann oder :smile: ?

Graue Grüße aus der Weihnachtsbäckerei

Der Nikolaus :smile:

PS: Vielen Dank Wunder-Elsa :blumen:

PS II: Ach ja: Die letzte Zeile könnte ich auch streichen oder?

carl
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Beitragvon carl » 10.12.2007, 10:25

Wir hören der leisen Brandung
in der Heizung zu...
und die andern Hochhausgletscher
schmelzen vor unserem Fenster.

Ich habe gelesen der Sohn
deines Sohnes, dessen Sohn,
dessen Sohn, dessen Sohn
wird nicht mehr hier wohnen,
denn die Stadt taut ab.

Ich habe gehört Frau Leiner
aus dem zwölften Stock
schlägt ihren Mann,
wenn er schläft

Sodass der immer glaubt
alles sei nur ein böser Traum
und manchmal heult er so, dass
es bei uns von der Decke tropft.

Die Barracudas im Heizungsrohr
bleiben manchmal stehn, drehen um
und schwimmen im Kreis.

Wir hören der leisen Brandung
in der Heizung zu...
und hören auf etwas zu tun,
aber wer nicht arbeiten geht,
weiß kaum zu unterscheiden
zwischen beginnen und aufhörn.

Du meinst wir zwei
werden dasselbe tun
in unserem Wohnzimmeraquarium,
geradeaus, zurück oder im Kreis...

Weißt Du, ich lasse jetzt
das Modellflugzeug hinaus.
Vielleicht fängt es einen
der vom Dach springt auf.

Ich habe gelesen das Leben
nach dem Leben bleibt
genauso grau

hören wir der leisen Brandung
in der Heizung zu...
und hören auf etwas zu tun.

Louisa

Beitragvon Louisa » 10.12.2007, 12:20

Würde es zuviel Arbeit für Dich bedeuten Deine Auslassungen zu begründen :smile: ?

Ich streiche nämlich ungern etwas weg, worüber ich mir den Kopf zerbrochen habe :smile: .

Das Modellflugzeug über Moskau ist mir zudem sehr wichtig und ich finde es auch ein schöneres Bild als die Barracudas... Oder?

- Dass Du diese aber an eine andere Stelle geschoben hast, gefällt mir gut. Das werde ich wahrscheinlich übernehmen.

Fischige Grüße,
l

carl
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Beitragvon carl » 10.12.2007, 12:51

Liebe Louisa,

ich finde, Dein Gedicht entwirft ein tolles und hermetisches Bild vom Leben im Bassin. Die Hochhausgletscher bringen sehr gut den Zeitfluss ins Bild, dass sich nichts ändert am Alltag außer in der Langsamkeit eines schmelzenden Gletschers, bis er zur Gestaltlosigkeit nivelliert ist.
Da hinein passt das Modellflugzeug so gut wie die Taube Noahs, die er aus der Arche losschickt, ob irgendwo Land in Sicht ist. Und evtl. bringt das Modellflugzeug ja einen Geretteten mit wie die Taube den Ölzweig...
Wenn es aber gleich bis Moskau fliegt, dann scheint mir die Enge aufgebrochen, das Leben hinter Glas. Das Flugzeug schafft es immerhin raus aus dem Hochhausviertel. Und immerhin ist einiges los auf der Strecke Berlin-Moskau, selbst, wenn es dann nicht mehr weiß.
So ist mein Empfinden bei dieser Strophe.
Die Frage wäre für mich jetzt nicht, od das Bild schöner ist als das der Barracudas in den Heizungsrohren (finde ich nicht), sondern ob Du Dein 'Märkisches Viertel' so aufbrechen willst...

Grüße, Carl

Louisa

Beitragvon Louisa » 10.12.2007, 13:42

Könnte man beim FLugzeug über Moskau nicht genauso gut an diesen Herrn denken: http://www.aerenlund.dk/rusland/images/mathias_rust.jpg

Oder aber an die politische Lage Russlands, die sich ebenso im Kreis bewegt :smile: ?

Natürlich hat das Flugzeug etwas Hoffnungsvolles, aber da diese Hoffnung für mich sehr stark mit Naivität in Verbindung steht, halte ich es für einen guten Bruch, wenn selbst das Hoffnungsflugzeug am Ende nur noch im Kreis segeln kann....

Eben deshalb sieht ja auch das Jenseits nicht besser aus als das Diesseits :smile: ...

Das scheinbar Fröhliche an diesem Text hat für mich immer einen ironischen Beigeschmack.

Eigentlich mag ich gar keine Texte verteidigen oder erklären, aber ich wollte noch einmal erläutern, wieso ich das Bild "schöner" finde :smile: ...

Carl, meinst Du auch ich sollte die letzte Zeile und die Lebens-Strophe streichen?

Danke für Deine spannende Interpretation und die Mühe :blumen:
l

carl
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Beitragvon carl » 10.12.2007, 16:03

Liebe Louisa,

dank für die Blumen ;-)
Was die Lage in Russland mit Deinem Gedicht zu tun hat, ist mir zwar ein Rätsel, aber warum nicht?!
Zur Lebensstrophe: das kommt darauf an, wohin Du sie stellen willst. Ein Eigengewicht hat sie nach meinem Empfinden nicht. Aber sie kann als Puffer oder Meditationspause zwischen 2 Strophen wichtig sein.
Die letzte Zeile finde ich gut!
Das Lyr.Ich und andere Protagonisten tun in diesem Gedicht einiges, und solange sie's noch tun, solange besteht Hoffnug auf Veränderung. Sobald sie aufhören, schmelzen sie nur noch. Das "Fröhliche" habe ich eher als Leichtigkeit empfunden, mit der etwas namenlos Ungeheuerliches ausgesprochen wird.
Ich würde die letzte Strophe nur anders schreiben:
"hören wir der leisen Brandung
in der Heizung zu -
und hören auf etwas zu tun."

Louisa

Beitragvon Louisa » 10.12.2007, 22:14

Lieber Carl,

mit Russland wollte ich nur andeuten, dass sich in diesem Modellfluzeug viele verschiedene Deutungsmöglichkeiten befinden... Deshalb mag ich es doppelt erwähnen...

Mm...ich muss mir noch weitere Gedanken über die Lebens-Strophe machen. Morgen wurschtel ich ein bisschen an diesem Text herum, ja :smile: ?

Das Lyr.Ich und andere Protagonisten tun in diesem Gedicht einiges...


Was tun die Protagonisten denn :smile: ?

Ich finde es liegt sehr viel Lethargie in ihrem "Tun" :smile: ...
Ein "Modellflugzeug" stellt für mich auch das Unbehagen vor einem echten Aufbruch dar. Alles bleibt nur ein Modell, ein Traum oder ein Gerücht :smile: ... Die zwei schauen zu wie alles schmilzt und leidet, aber sie hören lieber der Heizung zu :smile: ...

Aber ich will Dir gar nicht Deine Sichtweise streitig machen, ich finde sie interessant.

Bei der letzten Zeile liegt das Problem darin, dass sie nur eine Wiederholung ist. Sollte ich sie nicht doch besser streichen :16: ?

Danke für Deine Anregungen und bis Morgen!

l auf dem Weg zu den Hochhausgletschern :pfeifen:

carl
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Beitragvon carl » 11.12.2007, 09:35

Liebe Louisa,

die Protagonisten tun eine Menge, lesen, träumen, wenn auch Alpträume, ihren Mann schlagen, weinen, im Kreis schwimmen, aus dem Fenster springen: eben leiden, wie Du in Deinem letzten Kommentar schreibst.
Und natürlich ist ein Modellflugzeug untauglich dafür, einen Absturz zu verhindern.
Du beschreibst sehr gut, was Du erlebst in so einem Hochhausviertel, ohne geregelte Arbeit, ohne Aussicht auf Veränderung.
Jetzt nimm ernst, was Deine Intuition aufgefasst hat: löse Dich von dem Bewusstsein, dass für Dich alles nur von absehbarer Dauer ist.
Dass Du noch ein Leben außerhalb des Bassins hast.
Wenn Du das auf Dich wirken lässt, müsste eigentlich der blanke Horror ausbrechen.
Dann bleibt nur der Sprung aus dem Fenster.
Und jetzt kannst Du Dein Erleben von dem Lyr.Ich trennen und es gnadelos diesem Horror überlassen.
Das könntest Du z.B. tun, indem Du es mit der letzten Zeile aufhören lässt, sich gegen sein Schicksal zu wehren (was die andern Protagonisten ja immer noch tun). Das Argument der Wiederholung leuchtet mir nicht ein: in diesem Gedicht wiederholt sich einiges. Und das passt gut...
Ich sehe nicht wieso meine Lesart so verschieden von Deiner eigenen sein soll. Sie ist vielleicht konsequenter...
Deshalb würde ich raten, das Flugzeug nicht entkommen, sondern es unverrichter Dinge aus Moskau zurückkehren zu lassen.
Ich will Dich aber zu nichts überreden.

Mich würde viel mehr intressieren, was andere bei diesem Gedicht empfinden. Die Worte sagen ja immer mehr, als man selber beabsichtigt.
Was sind denn hier schmelzende Gletscher? Besichtigt man die bloß als Durchreisende mit leichtem Schaudern, oder ist das Lyr.Ich tatsächlich darin eingefroren?

Grüße, Carl

Perry

Beitragvon Perry » 11.12.2007, 10:57

Hallo Louisa,
mir gefällt die Beiläufigkeit mit der das Leben in deinem Hochhausbassin erzählt wird. Da ist von Tradition und Beziehungsstress, von Verharren in Gleichgültigkeit und grauer Eintönigkeit die Rede. Der Höhepunkt ist sicher der halbherzige Ausbruchsversuch. Du verwendest mit Hochhausgletscher, Barrakudas und Modellflugzeug originelle Bilder, wobei mir persönlich die Spannweite vom schmelzenden Gletscher zum Amazonasfisch etwas zu weit ist. Ich denke, der Text würde ohne das Gletscherbild genauso funktionieren, obwohl die tauenden Glasriesen natürlich ein imposantes Bild sind. Insgesamt ein bemerkenswerter Text, von dem ich mich gern inspirieren lasse.
LG
Manfred

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 11.12.2007, 16:35

Mir gefällt es so wie es ist.
Der Bezug ist für mich das Leben in Norm-Platten-Bauten oder ähnlichen Beton-Monstern, samt Norm-Leben. Um diese Versorgungslage auszuhalten ist viel Phantasie erforderlich, die hier gut gelingt, einschließlich der angedeuteten Agression.

MlG

Moshe


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