Zeit heilt alle Wunden

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Schigulla

Beitragvon Schigulla » 05.12.2007, 17:46

Liebe Lesenden und Schreibenden dieses Forums.

Leider ist meine Geschichte, mit der ich am diesjährigen Wettbewerb des Blauen Salons teilgenommen hatte, nicht in die Gewinnerliste gekommen.
:sad:

Trotzdem (oder erst recht?) möcht ich sie Euch gerne an dieser Stelle zu Lesen geben und wünsche Euch viel Spaß damit:


Zeit heilt alle Wunden

[align=justify]Cliff lebt schon ziemlich lange bei mir, mehrere zig Jahre. Das erklärt übrigens auch seinen Namen, zu dem ich durch eine damals im Fernsehen ausgestrahlte Science Fiktion Serie angeregt wurde. Wie Cliff in Wirklichkeit heißt, weiß ich gar nicht. Er hat es jedenfalls nie für nötig gehalten, mir seinen Namen zu nennen.

Genauso wenig kann ich Ihnen auch nur annähernd mitteilen, wie alt Cliff ist. Natürlich hat er mittlerweile all die Jahre auf dem Konto, die er bei mir lebt. Aber ob er bei seinem Einzug bereits alt war oder noch sehr jung? Ich glaube, ich habe damals einfach nicht darauf geachtet und heute erinnere ich es nicht mehr.

Cliff ist sehr still. Ich habe nie erlebt, dass er mal laut wurde, selbst nicht in Situationen, in denen Sie und ich vermutlich vor Zorn oder auch vor Lachen gebrüllt hätten. Cliff würde das niemals tun, es entspräche überhaupt nicht seinem Naturell. Mir tut das gut.

Nun, nicht dass Sie jetzt denken, Cliff sei ein komischer Vogel. Nicht nur, dass ihm das gar nicht gerecht werden würde, es würde ihn vermutlich verängstigen. Sehr wahrscheinlich allerdings wüsste er mit der Redewendung gar nichts anzufangen.

Nein, Cliff ist sehr normal. Er hat seine Macken, so wie viele von uns auch, aber die sind in unserem Zusammenleben recht erträglich.

Cliff schläft zum Beispiel immer nackt. Es stört mich eigentlich nicht, ich finde es eben nur erwähnenswert. Cliff tut das bestimmt nicht, um zu provozieren oder um irgendwelche Reize auszulösen, weder bei mir noch bei anderen. Er ist halt einfach nur völlig ungeniert.

In dieser unverkrampften Haltung geht er auch mit seiner schweren Verletzung um. Der Unfall, der sich während unserer ersten Begegnung ereignete, hat ihn damals ein ziemliches Stück seines Hinterteils gekostet. Und obwohl er mir das, der ich doch leider der Verursacher war, hätte vorwerfen können, habe ich nie auch nur die Spur einer Verbitterung an ihm bemerkt, weder mir gegenüber noch gegenüber anderen.

Leider, und das führe ich nun doch auf seine Behinderung zurück, hat er sich nie etwas aus einer, wie soll ich es ausdrücken, erotischen Beziehung gemacht. Nein, nein, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, mir war nicht an so einer Beziehung zu ihm gelegen. Ich hätte es aber wirklich sehr begrüßt, schon zur Entlastung meines latenten Schuldgefühls ihm gegenüber, dass er mal eine nette Bekanntschaft macht. Ich wäre sogar sehr erfreut darüber gewesen und, wenn nötig, hätte auch seine Freundin gerne noch bei uns leben dürfen. Oder auch sein Freund, falls ihm eher danach der Sinn gestanden hätte.

Nun, in all den Jahren gab es nichts, woran ich das hätte erkennen können, er blieb alleine. Was hätten Sie in so einem Fall unternommen? Hätten Sie es übers Herz gebracht, dessen ungeachtet Ihr Privatleben auszuleben? Immer in dem Gefühl, etwas zu haben, was er sich selber versagt? Was er sich versagen muss wegen eines körperlichen Mangels, den Sie verursacht haben? Ich habe das nicht gekonnt. Mein Liebesleben ist daher leider in all den Jahren genauso ereignislos verlaufen wie seines. Und selbst wenn Cliff es sich jetzt noch anders überlegen würde, was ich ihm so sehr wünschen würde, ich habe mit diesem Thema inzwischen meinen Frieden gemacht.

Aber ich will Ihnen ja nicht über mich erzählen, sondern über Cliff. Er ist zum Beispiel ganz verrückt nach Obst. Und hierin ist er ein richtiger Genießer: Es ist eine schiere Freude, ihn zu beobachten, wenn er etwa Birne oder Apfel zu sich nimmt. Er isst nicht nur mit dem Mund. Nein, alle Sinne sind einbezogen, er nimmt die Frucht mit seinem ganzen Leib auf, lebt in diesem Augenblick inmitten seines ganz persönlichen Schlaraffenlandes. Und das alles bei tadellosen Manieren, Sie würden niemals ein Schlürfen oder Schmatzen von ihm hören. Wenn mir der Begriff gerade bei ihm nicht so wehtun würde, könnte ich ihn als Feinschmecker formvollendet nennen.

Aber glauben Sie jetzt nicht, dass er derjenige ist, der bei uns das Essen zubereitet oder den Tisch richtet. Nein, diese Aufgabe überlässt er mir, und zwar ebenso gerne wie die anschließend erforderlichen Tätigkeiten des Abräumens, Abwaschens und so weiter. In Bezug auf die Mahlzeiten ist das Aufessen die einzige Funktion von Cliff.

Damit ich Sie nun nicht auf einen falschen Weg bringe: Cliff neigt kein bisschen zu Übergewicht. Im Gegensatz zu mir, der ich inzwischen einige Jahresringe um die Hüften aufgebaut habe, ist Cliff rank und schlank, wie am Tag unseres ersten Treffens. Zudem ist er beweglich bis zum Schwindelerregen: Wenn er will, kann er sich so lang ausstrecken, dass ich mich frage, ob er nicht gleich zerreißt. Und umgekehrt kann er sich – ja man muss es tatsächlich so nennen – beinahe wie ein Tau zusammenrollen. Dass er mit diesen beweglichen Eigenschaften ein sehr guter Kletterer ist, wird Sie vermutlich jetzt nicht weiter überraschen. Cliff kommt immer noch auf Bäume hinauf, als werde er von ihnen hoch gesogen. Ganz besonders unser kleiner Apfelbaum bei der Terrasse hat es ihm angetan. Trotzdem, da bin ich äußerst besorgt, achte ich sehr darauf, wohin er steigt. Ich fühle mich dafür verantwortlich.

Dabei fällt mir ein, dass ich Ihnen noch schuldig bin zu erzählen, wie Cliff und ich uns trafen:

Ich war damals ein Lausbub von etwa acht oder neun Jahren. Und ich liebte die Äpfel, die im Garten eines Nachbarn wuchsen. An die war sehr schwer heranzukommen, und daher war ich, wenn ich schon mal die Gelegenheit hatte, nicht sehr wählerisch in Bezug auf die Qualität meiner Beute. Eines Tages hatte ich, nach langer Zeit mal wieder, eine solche günstige Gelegenheit, die ich mit einem schnellen Griff auf eine Frucht und mit noch viel schnellerer anschließender Flucht ausnutzte. Erst am Rand unserer großen Dorfwiese, weit weg vom Ort des „Vergehens“ traute ich mich, das Laufen zu beenden. Langsam wieder zu Atem kommend hielt ich stolz und glücklich meinen Apfel in der Hand, der bei näherem Hinsehen gar nicht so verlockend aussah. Aber egal, es war meiner. Ich machte einen herzhaften Biss, sah auf das leckere Obst hinunter – und lernte Cliff kennen.

Ich hätte damals nicht für möglich gehalten, dass ein angebissener Wurm so alt werden kann.[/align]

aram
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Beitragvon aram » 05.12.2007, 20:01

hallo schigulla,

willkommen im salon.

beim lesen dieses textes stellte sich ab dem 2.satz (dass cliff schon lange beim erzähler lebt, 'erklärt' seinen namen - ?) eine gewisse ratlosigkeit ein, die mir auch am ende bleibt.

bereits der zweite absatz macht klar, dass es sich bei cliff wohl nicht um einen menschen handelt - trotzdem bemühen die weiteren passagen eifrig analogien - erotische beziehung, das essen zubereiten, usw. - was will der text damit vermitteln?

der sich 'anbiedernde' icherzähler (aber ich will ihnen ja nicht..., aber glauben sie jetzt nicht, dass... etc.) erzeugt eine eindringlichkeit, der wenig erzählgehalt gegenübersteht - cliff dies, cliff das - wirkt eher wie ein selbstgespräch des erzählers auf mich, da er mich als leser mit dieser pseudo-vertrautheit gerade auf distanz hält.

dann die rubrikeinordnung - ich finde den text weder witzig, noch satirisch - dass am ende die auflösung kommt, erwarte ich, und so ist es dann auch - keine überraschung, keine witzige wendung im text - da kann der 'angebissene wurm' das originalitätsdefizit der story zumindest für mich nicht ausgleichen.

für meinen geschmack also ein versuch, der insgesamt nicht aufgeht.


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