Worte

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Sebastian

Beitragvon Sebastian » 28.10.2007, 13:29

Ursprünglich der edelste
reine, klare
Kehlenlaut,
schäumt auf
die Wortfabriken
unter traurigem Geächze
tragen Bänder die Produkte
in einer lauten Wiederkehr
den Schacht hinauf.

Später dann der wildeste,
grobe, fahrig
krächzend Kehlenton.
Schaumblasen müssen platzen
in den Industrieruinen
türmen sich die Wörter auf.

Zuletzt die Hülsen bleiben,
verstummen sich zur Melodie
des nie Gefragten
rosa Unschuld
zieht sich in sich selbst zurück.

Das Licht steht in den Hallen still
Die Bänder tragen keine Nähe

Madame, mein Glück in diesem Weltenlauf
ist, dass ich das Gesprochne hör
nicht sehe.

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Erste Version

Ursprünglich der edelste
reine, klare
Kehlenlaut,
schäumt auf
die Wortfabriken.
Fliessbänder ächzen
wandern einen Schacht hinauf.

Später dann der wildeste,
grobe, fahrig
krächzend Kehlenton.
Schaumblasen müssen platzen
in den Industrieruinen
türmen sich die Wörter auf.

Zuletzt die Hülsen bleiben,
verstummen sich zur Melodie
des nie Gefragten
rosa Unschuld
zieht sich in sich selbst zurück.

Sie wollten mir noch etwas sagen?

Welch Botschaft ich verstehe?

Madame, mein Glück in diesem Weltenlauf
ist, dass ich das Gesprochne hör
nicht sehe.
Zuletzt geändert von Sebastian am 05.11.2007, 12:20, insgesamt 1-mal geändert.

Maija

Beitragvon Maija » 02.11.2007, 10:12

je mehr ich darüber nachdenke, glaube ich, dass du hier über eine stillgelegte Zeche


Dies sah ich von Anfang an, so. Meiner Meinung nach, hat Sebastian die Bilder[Gedanken) in einer guten Form eingefangen und am Inhalt kann ich nichts bemängeln. (Nur s. 28. 11.07) ;-)

Was das ganze Industriegetöse dabei für eine Rolle spielt, erschließt sich mir allerdings nicht.


Hier ist der Ort sicherlich gemeint. Wörter (das letzte Wort: Liebe) im Industriegetöse gehen verloren.

Gruß, Maija

Maija

Beitragvon Maija » 02.11.2007, 10:21

Madam noel, mein Glück, das ich dich höre und sehe! :lachen0023:

Sebastian

Beitragvon Sebastian » 02.11.2007, 10:30

Liebe Mucki,

zunächst einmal danke für die genesungswünsche, hat geholfen :-)

Zitat von Mucki Der vorherige Bann ist nicht mehr da, weil LI nun die "wahre" Stimme des LyrDu hört


Genau an dieser Stelle hast du den zentralsten Punkt aufgegriffen. Den Kontrast zwischen einer illusionären Stimme der Liebe (ich hatte den Widerspruch des reinen Kehlenlautes gewählt um zu zeigen, dass die Illusion einem rauen Kern entspringt) hin zu einem krächzenden, destruktivem Klang. Komplimente, Schwüre, Beteuerungen verschwimmen, deutliche Worte verletzen und zerstören bisheriges, die Realität holt alles ein und zerstört die sorgsam aufgebauten Illusionen.
Zurück bleiben ihrer Bedeutung entrissene Wörter ... Hülsen.

Zitat von Mucki "Weltenlauf" lese ich hier als "zwei Welten. LI stellt für sich fest, dass beide in verschiedenen Welten leben.


Richtig :-) Wobei es weniger auf die verschiedenen Welten zweier Menschen bezogen ist, als auf die zwei verschiedenen "Welten der Liebe" (Illusion und Realität), die unausweislich aufeinander folgen.
In dieser Unausweichlichkeit der verschiedenen Phasen einer Beziehung ist auch das Industriebild aus dem Gedicht zuhause.

Auf die Zecheninterpretation wäre ich nie gekommen :-) Ich finde sie aber sehr spannend.

Zitat von Mucki Hier würde ich ganz zu Anfang, als LI betört ist vom Klang der Stimme/Worte, ein passendes (ruhiges) Gegenbild einsetzen


Sehr guter Vorschlag, danke dafür.


Liebe noel,

Zitat von noel man kann beim hören sehen


Man kann, aber nicht jeder ist dazu in der Lage oder will es. Bezogen war es darauf, dass dem LI nicht die Kerne und Spannbreite eines Wortes und der Erfahrungen, Emotionen, die ihm innewohnen, offen vor Auegn liegen. Sein Glück, da er sonst das Risiko Liebe nicht erneut eingehen könne.
Danke im Übrigen für deine sehr interessanten Links.

---

Das Industriebild habe ich vor allem deshalb gewählt, weil die Fliessbänder einen unausweislichen Drang nach vorne darstellen. Sie symbolisieren die Komponente Zeit.
Nach den Kommentaren bin ich gerade allerdings etwas nachdenklich ob man schreiben kann "Fliessbänden wandern einen Schacht hinauf". Strenggenommen wandert natürlich das Produkt auf den Bändern, aber wandern die Bänder mit (da werde ich nochmal in mich gehen müssen).
Das Industriebild war mir jedoch auch daher wichtig, wiel ich die "Phasen"-haftigkeit der Liebe, die technische Seite, die diesem Gefühl heute vielerorts aufgezwungen wird, aufzeigen wollte.

Maijas Zitat vom

"Notschrei" an die Liebe


ist daher sehr richtig.

Danke für die vielen Kommentare, werde mich heute abend nochmal hinsetzen und in Ruhe alle Anregungen in eine Überarbeitung einfliessen lassen.

liebe Grüße

Sebastian

Gast

Beitragvon Gast » 02.11.2007, 13:08

Hallo Sebastian,

ich habe die Bilder in deinem Text auf der metaphorischen Ebene gelesen, ohne mir jetzt eine Zeche vorzustellen.
Das "Glückauf", war allerdings der Gruß des Bergmanns, mit dem er sich nach "Unter Tage" verabschiedet hat, insofern finde die Interpretation naheliegend.

Gut, dass du dir die "Fließbandstelle" noch einmal ansehen willst, denn da wäre m. E. eine kleine Umstellung/Änderung notwendig.

Ich kann zum Nietzschebezug nichts weiter sagen, außer dass du wohl beabsichtigt hast, ihn im letzten Vers herbeizuführen. (Weltenlauf)

Wäre interessant dazu aus deine Feder noch etwas zu lesen.

Liebe Grüße
Gerda

Mucki
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Beitragvon Mucki » 02.11.2007, 14:51

Hallo Sebastian,

du siehst mich verblüfft. Eigentlich wollte ich, nachdem ich eindeutig das Bild der Zeche vor mir hatte, noch dazu schreiben: Vergiss den Stuss, den ich in meiner ersten Interpretation geschrieben habe. Und nun lese ich, dass ich teilweise doch richtig lag. :eek:

Hm, das Industriebild als "technische Seite der Liebe" zu wählen, ist ein ziemlich starkes, fast zu starkes Bild m.E. Zumal du es ja nicht nur einmal bemühst. :12:
Also, darüber muss ich jetzt erst mal grübeln ,-)
Saludos
Mucki

Gast

Beitragvon Gast » 02.11.2007, 15:53

Liebe Mucki,

empfindest du die Bilder als "bemüht" verwendet, im Sinne von "an den Haaren herbeigezogen"?
Würde mich interessieren, weshalb, weil ich es nicht so empfinde.

Lieber Sebastian,

ich lese den Text, sinngemäß so, dass sich (Liebes)Worte abnutzen, Routine werden durch den wiederholten Gebrauch, genau wie automatisierte Herstellungsprozesse in einer industrialisiertenWelt .

Liebe Grüße
Gerda

Mucki
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Beitragvon Mucki » 02.11.2007, 15:58

Hallo Gerda,
empfindest du die Bilder als "bemüht" verwendet, im Sinne von "an den Haaren herbeigezogen"?

Nein, im Sinne von "zu oft verwendet" und dadurch zu stark, zu präsent, im Text.
Saludos
Mucki

Gast

Beitragvon Gast » 02.11.2007, 16:03

Danke, okay, jetzt habe ich verstanden. LGG

Sebastian

Beitragvon Sebastian » 03.11.2007, 19:24

Liebe Gerda,

deine Frage zum Nietzschebezug ist mir ganz verschütt gegangen, verzeih.
Dieser Bezug war von mir nicht beabsichtigt, ich sehe ihn auch nicht wirklich, wäre interessant, wenn Maija das nochmal ausführen könnte, falls wir sie da überhaupt richig verstanden haben. :12:

liebe Grüße

Sebastian

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 03.11.2007, 21:32

Lieber Sebastian!

Meinen generellen Glückwunsch zu diesem Text.
Für mich ist es eine Aussage über Sprache, und deren Veränderung.

Natürlich ist da nicht nur Philosophie involviert, aber auch.

Die dritte Strophe bedarf für mich in den letzten drei Zeilen noch einer Überarbeitung. Das ist mir nicht schlüssig.

Das Ende ist mehr als gelungen.

(Kicher: Herzlich willkommen!!!!!!)

So long

Moshe

Sebastian

Beitragvon Sebastian » 05.11.2007, 12:18

Ich habe mich mal an einer Überarbeitung versucht, in die viele der Anregungen hier eingeflossen sind. Allerdings weiss ich noch nicht ganz, ob der Bruch nach der dritten Strophe ähnlich deutlich und klar bleibt, wie in der ersten Version. Dennoch empfinde ich diese Version als stimmiger, danke also schonmal für die Anregungen :-)

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Ursprünglich der edelste
reine, klare
Kehlenlaut,
schäumt auf
die Wortfabriken
unter traurigem Geächze
tragen Bänder die Produkte
in einer lauten Wiederkehr
den Schacht hinauf.

Später dann der wildeste,
grobe, fahrig
krächzend Kehlenton.
Schaumblasen müssen platzen
in den Industrieruinen
türmen sich die Wörter auf.

Zuletzt die Hülsen bleiben,
verstummen sich zur Melodie
des nie Gefragten
rosa Unschuld
zieht sich in sich selbst zurück.

Das Licht steht in den Hallen still
Die Bänder tragen keine Nähe

Madame, mein Glück in diesem Weltenlauf
ist, dass ich das Gesprochne hör
nicht sehe.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 05.11.2007, 14:51

Lieber Sebastian!

Kurz gesagt: Nöh, war vorher besser.

Ich hake weiter an der unveränderten dritten Strophe. Um es zu erläutern hier meine Überlegungen:

Zuletzt die Hülsen bleiben,
verstummen sich zur Melodie
der nie gefragten
rosa Unschuld
in sich selbst zurück.

Für mich ist das ein Text über Worte und Inhalte und Hintergründe (Wie der Titel sagt) und nicht über eine Industrieanlage.

Mit bestem Gruß

Moshe

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 05.11.2007, 15:22

Hallo Sebastian,

ich fürchte die Bildebene (nicht die Interpretation, die Aussage, die zweite Ebene) funktioniert bei mir noch immer nicht. (Hat sich ja auch nicht verändert :rolleyes: . )

Ein Laut (Geräusch) schäumt Fabriken (etwas Hartes) auf?

In den Fabriken werden Worte hergestellt, die über Bänder den Schacht hinauf transportiert werden. Das kann ich sehen, aber entstehen die Wort nicht durch die Laute? Warum funktionieren die Bänder noch, obwohl doch die Fabrik aufgeschäumt ist?

Später dann ein anderer Laut (der ursprüngliche verändert oder ein neuer?)

Die Schaumblasen (aufgeschäumten Fabriken) platzen, darin türmen sich dann Worte.

Dann bleiben Hülsen (von was??? bildlich) ich verstehe schon, was du meinst, aber woher kommen diese Hülsen nun im Bild, was war in ihnen, weshalb ist es herausgefallen, in diesem Hülsenberg?

verstummen sich zur Melodie...das ist einfach :eek:

Für mich funktioniert das so nicht. Aber macht ja nichts, für die anderen stimmt es ja wohl.


Liebe Grüße smile

Maija

Beitragvon Maija » 06.11.2007, 17:39

Hallo,

wäre interessant, wenn Maija das nochmal ausführen könnte


Entschuldigung, mein Passwort war weg. Über Gerda habe ich mich auch gewundert.(s. Nietzsche)
Aber nun beim zweiten Adlerblick könnte man meinen... - Gerdas Blicke stimmem. (z. B. Weltenlauf, dass ich das Gesprochne hör) Wer Ohren hat der höre!
Gerda liest Nietzsche? :daumen:
Aber überall seh ich Nietzsche nun auch nicht. Überlegt mal wieviele Wörter er in seine Werke verarbeitet hat. Das nun alle Wörter immer gleich auf einem großen Dichter, Philosophen...verweisen, daran glaube ich nicht.
Mir gefällt die erste Version auch besser.(s. Moshe) Mein Anfangsbild war doch richtig und nun alle Bilder - Gedanken zerpflücken, nein das will ich nicht! Dann zerstört man ja Sebastians Gesamtbild!

Was schrieb einmal Bertolt Brecht: "Zerpflüge eine Rose, und jedes Blatt ist schön."

Gruß, Maija


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