Der Berg

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 28.10.2007, 14:49

Der Berg

In Tabarz damals wuchs mir der Berg
Ins Haus. Du lagst auf dem Bett
Sagtest: Was fürn Berg.
Ich kämmte mir gerade das Haar
Das lange das schöne und da sah ich
Den Berg im Spiegel, den buckligen
Dämon mit seinen Riesenahornblättern.
Er rauschte, er würgte noch an den Tagsternen.
Und dann kamst du die paar Schritt
Küsstest mich auf den Nacken
Und mein Haar das lange das schöne
Schleierte um deine Augen.

Nihil

Beitragvon Nihil » 28.10.2007, 15:10

Hallo Caty,

ich würde die Zeile "Sagtest: Was fürn Berg" in "Sagtest: Was fürn Berg, Alter" ändern .. ;-)

LG

Nihil

Caty

Beitragvon Caty » 28.10.2007, 15:22

Wieso Alter? Caty

Nihil

Beitragvon Nihil » 28.10.2007, 15:38

Das war ein Scherz! ;-) Ich finde diese Zeile etwas prollig und auch von der Aussage her ein wenig dürftig, d.h. hohl.

LG

Nihil
Zuletzt geändert von Nihil am 28.10.2007, 17:44, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.10.2007, 17:05

Liebe Caty,

den Text finde ich in seiner Umheimlichkeit gepaart mit der drängenden Lesart sehr wirkungsvoll. Du erzeugst die Wirkung, die auch böse Märchentexte erzeugen, aber dein Text ist kein Märchen, sondern ganz in der Realität verhaftet. Ein wenig erinnert mich die Komposition an den fassbinderschen Einsatz von Spiegel.

Die von Nihil mokierte Stelle finde ich auch sprachlich etwas als Fremdkörper, aber auf gelungene Weise.

Den letzten Vers allein finde ich als Schlusssatz nicht so stark, er scheint mir etwas dem "Abschluss" des "rondocharakters" des Textes geschuldet und ich finde bisher auch keine wirkliche Motivation, warum der Text darin mündet, dass das Haar von ihr ihm vor den Augen schleiert. Ich fänds spannender, wenn ihr Haar (über die reizung von ihm) ihre eigenen augen verschleiern würde.

Komposition, Bilderkraft und Setzung wirken hier stark zusammen.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Caty

Beitragvon Caty » 28.10.2007, 17:17

Nihil, jetzt begreife ich. Naja, ich bin eben ein bisschen prollig. Caty

Caty

Beitragvon Caty » 28.10.2007, 17:26

Danke, Lisa, für die Beschäftigung mit dem Text. Den Schlusssatz in deinem Sinne möchte ich nicht ändern, weil ich darin nicht erkenne, dass sich die Aussage erhöht. Im Gegenteil, denn das Haar, das lange, das schöne, ist ja in seinen Augen das lange, das schöne. Und über das Haar drückt sich auch Verbundenheit aus. Ich wollte ja über eine Paarbeziehung schreiben, nicht über weibliche Eitelkeit. Sehe ich da irgendwas falsch? Caty

Gast

Beitragvon Gast » 28.10.2007, 20:02

Liebe Caty,

ich finde das unheimliche, sagenhafte in deinem Text sehr spannend und interessant.
Deine weiche, harmonische Auflösung ist indes für mich noch nicht ganz stimmig.

Auf mich wirkt deine Version, entgegen dem, was du an Lisa schreibst, wie von weiblicher Eitelkeit geprägt. Dass du eine Paarbeziehung beschreibst liest man schon in Z. 2
Lisas Hinweis finde ich durchaus überdenkenswert.

Einen angenehmen Abend
Gerda

Caty

Beitragvon Caty » 29.10.2007, 05:50

Ja, Gerda, ich habe Lisas Hinweis ein zweites Mal überdacht, aber darin noch immer keinerlei Verbesserung gesehen. Ich sehe aber auch nichts Unheimliches, Sagenhaftes in diesem Text. Es wird ein ganz alltäglicher Vorgang beschrieben, der die Liebe zwischen zwei Menschen ausdrückt.
Mehr wollte ich auch nicht. Caty

Gast

Beitragvon Gast » 29.10.2007, 10:26

Liebe Caty,

mein "sagenhaft" war durchaus positiv gemeint ...
"Der Berg und der bucklige Dämon mit Riesenahornblättern", bergen halt in diesem Kontext für mich etwas Außergewöhnliches, da geht meine Phantasie auf Reisen und das ist doch schön, wenn ein Text so anregend wirkt, nicht wahr. ;-)

Liebe Grüße
Gerda

Caty

Beitragvon Caty » 29.10.2007, 10:47

Ja, da hast du völlig recht, Gerda. Hätte dir auch nie Gegenteiliges unterstellt. Caty

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.10.2007, 18:47

Liebe Caty,

ich würde .- deshalb auch der Vergleich mit den Fassbinderschen Spiegeln - nicht sagen, dass der Text primär unheimlich ist, aber dass er mit der Wirkung des Unheimlichen arbeitet, wie ein Märchenmetazitat. In diesem Zusammenhang finde ich das Bild des Haarekämmens auch so gelungen, aber auch wie gesagt das gesamte Arrangement des Textes, weil er dadurch mit "Archetypenhandlungen" arbeitet, um die Verhältnisse eines Paares (und vieler, ich lese das auch exemplarisch) darzustellen. Und das gelingt dem Text vorzüglich, ohne dass er nur annähernd konkret wird und man am Ende trotzdem nicht da steht mit der Frage, was der Text denn überhaupt sagen will. Er spricht im Bild und weil er das kann, kann er sich dem Grusel bedienen, obwohl es um etwas ganz anderes geht.

Mein Variationsvorschlag für das Ende war übrigens durchaus von einer "Paarthema"-Lesart motiviert. Für mich war die unterschiedliche Reaktion auf den Berg im Spiegel interessant bzw. wie die Anwesenheit des Berges bzw. die Wahrnehmung von diesem verändert. (vor allem, weil der Text das gar nicht beschreibt, das unbewusst (werden) und nicht unbewusst werden des Berges kann so h auf ganz verschiedene arten geschehen (leugnen, wirklich angst genommen, bewusst die augen verschließend etc. - das lässt klug die geschlechterspezifischen Motivationen offen so zu handeln, wie sie es tun). Wie gesagt würde ich den Effekt der Haare auch auf jeden Fall auf den Mann weiterhin wie bisher wirken lassen (es muss durch ihr Haar etwas mit ihm geschehen/gemacht werden), aber ich fände es schon interessant, diesen Zwischenzustand der attribute (Haar, Berg) beizubehalten. Wie wäre es daher mit einer solchen Paradoxe am schluss, die meines erachtens auch im vertigohitchcockhaarwirbel vollzogen wird:


Der Berg

In Tabarz damals wuchs mir der Berg
Ins Haus. Du lagst auf dem Bett
Sagtest: Was fürn Berg.
Ich kämmte mir gerade das Haar
Das lange das schöne und da sah ich
Den Berg im Spiegel, den buckligen
Dämon mit seinen Riesenahornblättern.
Er rauschte, er würgte noch an den Tagsternen.
Und dann kamst du die paar Schritt
Küsstest mich auf den Nacken
Mein Haar das lange das schöne
Schleierte um deine Augen
und machte mich blind / und machte, dass ich nichts mehr/ihn nicht mehr/anders sah etc.


Du hättest das Haar(kämen) somit von ihr über ihn zu ihr auf ihn gespiegelt, in ansicht des Berges. Was für meine Begriffe die Beziehungsproblematik (der beiden) treffen würde. Weißt du ein bisschen, wie ich meine?

Liebe Grüße,
Lisa
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Caty

Beitragvon Caty » 31.10.2007, 06:50

Ich glaube zu begreifen, Lisa. Du stellst dir vor, dass das Ich über dem Kuss auf den Nacken das Dämonische des Berges vergisst. Du hast recht, ich habe dieses Motiv zum Schluss nicht mehr aufgenommen. Ich weiß aber auch gar nicht, ob das nötig ist: Dadurch, dass von dem Berg nicht gesprochen wird, wird doch angezeigt, dass er in diesem Moment überhaupt keine Rolle mehr spielt, sondern nur noch das Du, der Kuss und das Haar. Das Paar wendet sich von der (scheinbaren) Bedrohung ab. Das von dir genannte Paradox kann im Film meiner Ansicht nach sehr schön ankommen, das Gedicht aber verkompliziert es meiner Ansicht nach, das ist nicht das, worauf ich hinauswollte. Ich bin der festen Meinung, dass man dem Leser und seinen eigenen Schlüssen vertrauen sollte, der Leser (wie wir ihn uns vorstellen) begreift viel mehr, als wir ihm zutrauen. Ich muss ihm nicht auf die Nase binden: Soundso hast du das zu sehen. Mit ist hier, im Blauen Salon, sowieso aufgefallen, dass es in vielen Gedichten eine nachtrabende Erklärung gibt, so etwas wie ein erklärendes Rattenschwänzchen. Ich halte es für das Gedicht mitunter für zerstörerisch, das Offene des Schlusses wirkt doch viel mehr. (So gehe ich auch an meine Prosageschichten hern, obwohl sie etwas anderen Regeln folgen, dass ich nämlich möglichst den Schluss offenlasse, obwohl natürlich alle anderen Arten des Schlusses auch ihre Berechtigung haben.) Schon die Frage des Leser: Was soll mir denn da gesagt werden?, regt ihn zum eigenen Nachdenken an, und das ist es, was ich in einem Text das Höchste finde.

Nun weiß ich nicht, was du mit dem Fassbinderschen Spiegelmotiv meinst (Fassbinder ist nicht so sehr mein Fall, ich habe ein paar Filme gesehen, da war eine Menge Dekadentes, das mir nicht so sehr zusagt, aber ich habe deshalb auch nicht alle Filme gesehen). Ich nehme aber an, du meinst dieses "doppelte" Spiegelmotiv.

Meinen allerbesten Dank an dich, Lisa, für dein Mitdenken und deinen Vorschlag. Ich finde ihn bedenkenswert, vielleicht greife ich ihn in einem anderen Gedicht auf.

Caty

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Beitragvon Lisa » 03.11.2007, 18:43

Liebe Caty,


Mit ist hier, im Blauen Salon, sowieso aufgefallen, dass es in vielen Gedichten eine nachtrabende Erklärung gibt, so etwas wie ein erklärendes Rattenschwänzchen


Irgendwie fällt dir alles, was man dir vorschlägt und dir nicht zusagt, als allgemeines Kriterium der überwiegenden Texte im Forum auf -- mich langweilt diese Art Zurückweisung und nervt mich auch.

Eine geschlossene Form eines Textes verbinde ich übrigens nicht kausal mit "das ist dann ein erklärender" Text. Das sind für mich ganz verschiedene Ebenen.
Was ich aber verstehen kann, ist die Vorliebe, das Ende offen zu gestalten. Es ist die Frage, ob dieses offene Ende in einer größere Leserfreiheit besteht oder in einer formalen "Schwäche" (unausgeführt). Da ich dich aber für lyrisch geschult/kompentent halte, glaube ich, dass du das besser einschätzen kannst. Mir gefällt der Text auch in seiner jetzigen Form und mein Vorschlag war ja nur eine Idee.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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