über-flug (vorher: usinger land/ bzw. irritation)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Gast

Beitragvon Gast » 28.10.2007, 11:17

Bei der Accountlöschung bat die Autorin darum, dass ihre Texte gelöscht werden. Dieser Bitte kommt die Administration nach.
Zuletzt geändert von Gast am 08.12.2007, 11:59, insgesamt 7-mal geändert.

Sebastian

Beitragvon Sebastian » 28.10.2007, 11:29

Liebe Gerda,

Herrlich :). Die erste Strophe zeichnet ein lebendiges, romantisches Bild, von der Stimmung her fast toskanisch (die kupfer- und bronzetöne). Dadurch wird das Thema Natur,Tierreich, Zivilisation bereits gut eingeführt. Der plötzliche tönende Einfall der Kraniche, die Irritation, die das aufgebaute Bild einreisst ... wunderbar. Ich würde daran nichts mehr ändern (können ... dürfen).
Und eine feine lyrische Parabel auf den Don-Quichote-Kampf des Menschen gegen seine selbsterzeugten Widerstände scheint es mir auch noch.

liebe Grüße

Sebastian

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.10.2007, 13:47

Hallo Gerda,

du hast diese Irritation gut eingefangen. Das geht hier seit einigen Nächten ganz extrem ab. Die Vögel haben ihre Orientierung verloren. Einher mit diesen Formationen, die auf und ab trudeln, geht ein unglaublich lautes Geschrei. Ein Spektakel ist das, welches einen richtig erschreckt. Und dieses würde ich noch ein bisschen mehr ausbauen in deinem Text, dafür etwas weniger von den Farben reinnehmen.
Ich frage mich auch, ob diese Sätze:

bisher ist kein blatt patiniert - doch
der erste nachtfrost kommt bestimmt


drin sein müssen. Schwerpunkt ist ja der kritische Fokus auf die Irritiation der Vögel. Was meinst du?
Saludos
Mucki

Gast

Beitragvon Gast » 28.10.2007, 13:56

Liebe Mucki,

ich danke dir herzlich, du bekommst es ja real mit, klar ... ;-)

Ich möchte den Leser erst ein wenig in "Herbstgold" wiegen ... Du verstehst.?!

So, als ob man auf einem Herbstspaziergang sich in der Natur ergeht ... das ist mir wichtig für den
Beginn ... möchte den Leser sanft stimmen, das Kritische soll kein Aufruf sein, sondern ein aufmerksam Machen ... zum Nachdenken anregen.


Lieber Sebastian,

das freut mich natürlich, dass du den Text positiv aufgenommen hast und das pessimistische Prinzip darin aufgedeckt hast.
Ich danke dir herzlich fürs "herrlich".


Liebe Sonntagsgrüße euch Beiden
Gerda

Max

Beitragvon Max » 30.10.2007, 18:24

Liebe Gerda,

das habe ich erst jetzt entdeckt.

Das Thema finde ich originell, die Art des Gedichts gefällt mir.

Den Einwand Muckis aber, den Text auf den inhaltlichen Höhepunkt hin zu konzentrieren, finde ich gut und nachvollziehbar (obwohl ich Deine Erklärung schon verstehe). Ich denke, dass der Text gewönne, wenn Strophe 1 etwas weniger wiegen würde ...
Schließlich glaube ich auch, Du solltest die rein beschreibende Ebene nicht verlassen. d.h. insbesondere, Du solltest die letzte erklärende Zeile einfach weglassen. Die Irritation (siehe Titel) wäre beim Leser größer und würde ihn schon selbst auf die fällige Erklärung stoßen lassen.
Spannend, dass sich Mobilfunkt verdichten lässt ...

Liebe Grüße
Max

Gast

Beitragvon Gast » 30.10.2007, 22:19

Lieber Max,

vielen Dank für deine Rückmeldung.
Ich seh schon, das wird schwierig werden mit diesem Text ... ;-)

Ich überlege natürlich, ob der Text überhaupt trägt, wenn "Die Formation nur ein bisschen über den Parabolantennen trudelt" ...

Ahnt der Leser, der möglicherweise zwar ein Handy besitzt, aber Zugvögel nur aus dem Fernsehen kennt, was das bedeuten kann?
Ich glaube, da werde ich länger grübeln müssen. Irgendwo stimmt es schon, dass der Satz zu erklärend ist ...
Zum Anfang sag ich erst mal nichts mehr. ;-)

Liebe Grüße
Gerda

Übrigens bin ich heute Nachmittag durch messing-, kupfer- und bronzefarbenes Laub gelaufen ... traumhaft
Hier ein Link zu interessanten Fotos von Kranichen
http://www.zelinski-naturfotos.de/
Dateianhänge
kraniche.jpg
kraniche.jpg (10.53 KiB) 513 mal betrachtet

Mucki
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Beitragvon Mucki » 30.10.2007, 22:45

Hallo Gerda,

das Bild ist ja traumhaft schön. Danke für den tollen Link. Hab ich mir gleich unter meine Bookmarks gesetzt.
Ich habe dort eben den Hörruf der Kraniche angehört. Es hört sich wirklich wie ein Grüs Grüs an ;-)
Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 31.10.2007, 00:02

Liebe Gerda,

ich stimme Sebastian UND Max zu ,-) (ja, das geht!). Allerdings handelt es sich um eine gekürzte Zustimmung: Ich würde den Text nicht mehr auf den Höhepunkt zuspitzen, der ist für mich klar ausgearbeitet und poetisch noch dazu. Aber dass das Ende (viel zu) explizit ist, dem stimme ich zu, besonders weil meiner Meinung nach dadurch das Poetische davor extrem seiner Wirkkraft beraubt wird. Und weil ich finde, dass du dem Leser das Mindestmaß an Wissen, das er zum Verständnis deiner Bilder im Text bezüglich Zugvögel und Technik braucht, locker zutrauen kannst. Also wer das nicht weiß, der muss schon vor die Wand gelaufen sein oder – anders gesagt – dem kann eh nicht mehr geholfen werden.

Das Gedicht verliert für mich an der Stelle, von der es von der Zeige(Bild)-ebene auf die Beschreibungsebene wechselt. Der erste Teil ist poetisch und assoziationsweckend, auch ganz im Sinne der Intention, dass der Leser sich (so verstehe ich die kompositorische Absicht) in die typischen Herbstschilderung fallen lässt wie es die Vögel in den Himmel tun, um dann ähnlich ins Trudeln zu geraten wie die Kraniche (so vollzieht der Leser(Mensch) noch einmal das, was den Tieren auch geschieht, in diesem Sinne verstehe ich auch Sebastians Verweis auf den Menschen und dass das Gedicht auch von dessen selbsterzeugten Widerständen handelt):


messingfarben bricht sich das licht
leuchtet auf im laub
kupferrot und bronze
bisher ist kein blatt patiniert - doch
der erste nachtfrost kommt bestimmt


Die nächste Passage ist für mich auch noch fertig ausgearbeitet:

kranichschwärme ziehen
ihr grus grus grüs tönt durchs usinger land
über den parabolantennen


Doch die letzte Zeile gerät dann schon ins Erklären, die Wortfolge nimmt Satzkontur an, bricht aus dem Bild. Dabei finde ich gerade, dass die für sich umgebrochene Zeile:

über den parabolantennen


einen hervorragenden Umschlagpunkt bietet, an den sich (in Form doppelter Lesart) abstrakt/bildlich/komprimiert anschließen lässt. In etwa:


kranichschwärme ziehen
ihr grus grus grüs tönt durchs usinger land
über den parabolantennen
plötzliches Trudeln der Formation


(oder du spielst hier mit dem Auseinanderbrechen des V’s, „V fällt aus dem Himmel“ oder dergleichen)

Die folgenden Worte (irritiert,sinkt, steigt weiter etc.) würde ich durch ihre Substantive ersetzen bzw. das irritiert nicht (wenn du den Titel so lässt!) nochmals erwähnen, denn damit entqualifizierst du den Titel, enthebst ihn seiner Funktion (ich würde den Titel abstrakter halten, er winkt mir etwas zu sehr mit dem Zaunfahl, zumal die erste Strophe ja mit den falschen Erwartungen des Lesers spielen will und der Leser durch den Titel schon auf ein „es kommt doch anders“ vorbereitet ist (ich könnte mir etwas mit „usinger land“ vorstellen – mir ist aber noch keine passende Ergänzung eingefallen, durchaus aus dem Text eine Stelle fände ich möglich. Oder etwas mit „Turbulenzen? Eine pfiffige Kombination aus dem technikbereich mit diesem Wort?))


Den Schluss würde ich dann einfach weglassen. Das, was der Text zeigen soll, zeigt er wirklich auch ohne das schon sehr deutlich, finde ich. Ich lese ihn in erster Linie als noch Kennzeichen eines jungen Textes, bei dem du noch nicht sehen konntest/sehen kannst, dass der Text (und wirklich in Deutlichkeit!) schon sagt, was die Passage noch einmal erklärt.

Um zu zeigen, was ich meine, hier ein Entwurf, der aber bitte als Zeigecharakter zu verstehen ist, nicht als Textvorschlag, dafür habe ich nicht im Mindesten lange genug daran gefeilt (und überhaupt ,-)).



messingfarben bricht sich das licht
leuchtet auf im laub
kupferrot und bronze
bisher ist kein blatt patiniert - doch
der erste nachtfrost kommt bestimmt

kranichschwärme ziehen
ihr grus grus grüs tönt durchs usinger land

über den parabolantennen

plötzliches trudeln der (V-)formation
im sinken
dicht über dem horizont dann erst
die neu entworfene/gezeichnete/in den Himmel geschriebene spitze richtung süden


(entworfen kennzeichnet dann noch mal das unnatürliche, denn Tiere sind ja zu so etwas nicht in der Lage)

Vielleicht helfen dir diese Eindrücke ja ein bisschen auszuloten, was für dich welches Gewicht hat. Ich finde die Problematiken des technischen Fortschritts an solchen Beispielen immer gut veranschaulicht, weil die begrenzte Reaktionsbreite von Tieren und ihren Instinkten und nicht reflektierten Fähigkeiten schön zeigen, wie mächtig der Eingriff ist. Auf uns wirkt das ja genauso mächtig, nur merken wir gar nicht, wie auch wir ins Trudeln geraten, weil unsere Fähigkeit das Anpassen ist (und über die Beschäftigung damit vergessen wir auf die Konsequenzen zu gucken).

Hat Freude gemacht, in den gelungenen Text hineinzutauchen.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 31.10.2007, 10:26

Liebe Mucki,

schön, dass ich dir damit auch eine Freude machen konnte, ich war sehr beglückt, diese Seiten gefunden zu haben.



Liebe Lisa,

oh, das ist eine Freude, eine solche Stellungnahme zu lesen. Ganz herzlichen Dank.
Du hast meinen grauen Zellen den nötigen Input gegeben, da noch einmal intensiv zu überlegen.
Nun kann ich auch sagen, dass Max Recht hat damit, dass der letzte Satz überflüssig ist.

Nur geht es eben nicht auf, wenn ich ihn schlicht striche, da muss mehr passieren, so fein wie du das durchleuchtet hast, wird mir nun klar, wie ich den Text möglicherweise "hinbekomme".
Danke auch für das "Gelungen" ... obwohl es noch hapert ;-)
Dein Vorschlag ist schon außerordentlich gut ...


Liebe Sonnenscheingrüße aus dem Usinger Land
nach Idstein und Berlin/Münster
Gerda

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 31.10.2007, 12:14

Hallo Gerda,
Hallo Mucki,

beim Durchlesen bin ich über eure Ausführungen über die Kraniche gestolpert. Nun haben wir zwischen Bodensee und Stuttgart mittlerweile fast so viele Sendemasten wie Bäume rumstehen, aber eure Beobachtungen konnte ich nicht machen. Sind Zugvögel lernfähig? Lassen sie sich irgendwann nicht mehr von den Masten aus dem Konzept bringen? Gilt das nur für Kraniche?

Neugierige Grüße
Marlene

Gast

Beitragvon Gast » 31.10.2007, 12:30

Liebe Marlene,

da ich keine Zugvogelfachfrau bin, :blink2: muss ich das auch nachschlagen, habe allerdings neulich irgendwo einen Zeitungsbericht gelesen, der genau das zum Thema hatte.
Es ist bekannt, das Zugvögel das Vermögen, zu navigieren und zu orten weitergeben an nachfolgenden Generationen. Hoffentlich habe ich das jetzt überhaupt richtig ausgedrückt.
Ich möchte das Thema aber nicht in diesem Faden naturwissenschaftlich umfassend diskutieren, weil ich das gar nicht vermag, und bitte dich, da auch ich nichts anderes tun kann, zu googlen.
Auf Anhieb, bei der Eingabe: Zugvögel und Umlernen, habe ich gefunden:

http://www.neueenergie.net/index.php?id=658
Möglich, dass auch Infos unter dem o. g. Link für die Fotos zu finden sind.


Liebe Grüße
Gerda

Max

Beitragvon Max » 01.11.2007, 18:36

Liebe Gerda, liebe Lisa,

oh Lisas Version habe ich ja jetzt erst hier gefunden ... Ich habe den Eindruck, dass das Gedicht sehr in die richtige Richtung läuft so ... anders als die Kraniche.

Liebe Grüße
max

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 02.11.2007, 13:01

Hallo Gerda,

danke für den Link. :blumen:

Liebe Grüße
Marlene

Gast

Beitragvon Gast » 05.11.2007, 21:54

Liebe Alle,

ich habe, angeregt durch Lisas Hinweise umformuliert

Liebe Grüße
Gerda


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