angeklagt (vorher: verrat)

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scarlett

Beitragvon scarlett » 03.10.2007, 15:30

sie stellten die worte vor gericht.
die nicht gesagten.
die ausgedachten.

angeklagt der wilden
unzucht mit der freiheit. kunst.
und im namen ihrer klarheit.
das war parteilich subversiv.

verhört und durchgepeitscht. verdreht.
in ketten gelegt. von denen
die das recht verbellten.
(den mächtigen. analphabeten)

an feuchten kellerwänden
blätterte die hoffnung.
ab. der nacken beugte sich.
(nicht nur der glut des Baragan*)

und doch. nichts brennt
(auch heute noch) so heftig
wie jener wortverrat.
begangen von dem einen.
obwohl der sprache mächtig.

* Baragan = Tiefebene in südöstlichen Rumänien, Verbannungsort (nicht nur) für politische Häftlinge

(c) Monika Kafka, 2007
Zuletzt geändert von scarlett am 05.10.2007, 22:23, insgesamt 1-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 03.10.2007, 15:48

Liebe scarlett,

ein interessantes Thema hast du dir vorgenommen,.
(Hatte ich auch mal für den Tag der Bücherverbrennung).

Hat es noch die Aktualität? (Ich frage aus Unkenntnis der polit. Situation in Rumänien).

Der letzte Vers wirft bei mir allerdings eine Frage hinsichtlich der Logik auf:

scarlett hat geschrieben:wie jener wortverrat.
begangen von dem einen.
obwohl der sprache mächtig.


Ein Wortverrat ist ausschließlich durch Sprache möglich - oder - durch Schreiben - aber dafür bedarf es auch der (Schrift)sprache. Um die es hauptsächlich geht. Um die Bücher und Schriften, die dem Regime nicht genehm waren.

Die zitierten Zeilen wirken nicht stimmig auf mich.
Vielleicht auch, weil du den Text, wenn ich ihn recht verstanden habe aus der Perspektive des Gesellschaftspolitischen, mit diesem letzten Vers in die Privatsphäre holst.

Liebe Grüße
Gerda

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.10.2007, 16:01

Liebe Gerda,

dieser "eine", der der Sprache mehr als mächtig war, hat an der Sprache selbst dadurch Verrat geübt (und an all den anderen Freunden, die mit ihm vor Gericht standen), indem er Dinge ausgesagt hat, die nicht stimmten (natürlich unter Folter!).

Ja, es stimmt, im letzten Vers geht es dann ins Private, Konkrete, allerdings auch schon in der vorletzten Strophe, wo die Auswirkungen der "Gerichtsverhandlung" anklingen.

Die Aktualität ist irgendwo auf der Welt sicherlich immer gegeben. Für Rumänien stimmt sie natürlich so nicht mehr, allerdings sind die Auswirkungen dieses "Schauprozesses" bis heute spürbar (ich weiß nicht, ob mittlerweile Einsicht in die Prozeßakten der Staatssicherheit Securitate gestattet sind).
Und zwischen den Autoren, um die es ging, herrscht immer noch Eiseskälte, keine Versöhnung, keine Aussprache. Und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird immer noch abfällig über den "Verräter aus den eigenen Reihen" geredet (der übrigens als einziger das Land nach seiner Kerkerstrafe nicht verlassen hat, sondern immer noch dort lebt, Seelsorge betreibt und Bücher schreibt, die im renommierten Zsolnay Verlag erscheinen).

Jetzt klarer?

Dank dir für die prompte Rückmeldung, Gerda.

sonnige Grüße,
Monika
Zuletzt geändert von scarlett am 03.10.2007, 16:11, insgesamt 1-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 03.10.2007, 16:08

Liebe scarlett,

durch deine Erläuterungen ist es klar. Nun frage ich mich, ob ich vielleicht hätte länger darüber nachdenken müssen, bzw. ob es wichtig ist so detailliert Bescheid zu wissen ... :confused:
Ich für mein Teil warte mal auf andere Kommentare, bevor ich evtl. dazu schreibe, wo der Text imho deutlicher sein dürfte.

Liebe Grüße
Gerda

scarlett

Beitragvon scarlett » 03.10.2007, 16:10

Liebe Gerda,

noch eine Frage zum Titel (hatte ich vorher vergessen):

erst hieß es "angeklagt", dann "verrat".

Jetzt grüble ich über "wortverrat".

Was meinst du dazu?

Grüße,
Monika

Gast

Beitragvon Gast » 03.10.2007, 16:17

Liebe scarlett,

ich glaube ich bin ein schlechter Ratgeber in diesem Fall, weil das Wort "Wortverrat" für mich nicht aussagekräftig ist, es kommt bei mir seltsam gekünstelt an ... :confused:
Warte bitte auf andere Stimmen.

von hier gibt es nur graue Grüße
aber herzliche :smile:
Gerda

scarlett

Beitragvon scarlett » 05.10.2007, 22:21

Liebe Gerda,

da keine andere Stimmen will ich annehmen, daß das Gedicht wohl doch nicht so gelungen ist.

Was den Titel angeht: ich werde ihn ändern, da "wortverrat" mir selber mittlerweile als nicht so glücklich vorkommt.
Ich werde den Ursprungstitel wählen, "angeklagt".

Hab lieben Dank für deine Anmerkungen und daß du dich überhaupt geäußert hast hierzu.

Grüße,
scarlett

Ich bitte um Sperrung des Fadens, da ich hierzu nichts mehr schreiben werde.


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