wortsterne

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 14.09.2007, 21:24

dein buchenland war irgendwann
ein teil auch meines landes
und doch hab ich es nie gesehn
(das rad der geschichte
du weißt es schon
läßt sich nicht rückwärts drehn)

nur worte kamen mir von dort
schon früh berühmt und viele
schmeckten bitter –
nur langsam hellte sich
das land der mensch
jenseits der sprache und der gitter

dich fand ich spät
doch in mir lag schon lang
in sehnsucht eingehüllt
was du zu deiner zeit geträumt
so klar so tröstlich gar
nicht fremd als wären wir verwandt

ich hätte mit dir
gern worte geflochten
aus jiddisch rumänisch und deutsch
was blieb
sind deine wortsterne nur
als brücke zu taubstummer zeit

dritte strophe vorher:

dich fand ich spät
doch in mir war was du
schon lange hast geträumt
so klar so tröstlich gar nicht fremd
als wären wir verwandt


Mit dank an annette!

(c) Monika Kafka, 2007
Zuletzt geändert von scarlett am 17.09.2007, 16:58, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.09.2007, 22:49

Liebe Monika,

hach, endlich kann ich dich mit deinem wirklichen Namen ansprechen. Ich musste schon immer aufpassen, mich nicht zu vertippen,-)

Deine Zeilen finde ich sehr ausdrucksstark. Sie gehen ganz schön rein ...
Das muss ich noch öfter lesen.

Hier frage ich mich, warum du an dieser Stelle eine Inversion setzt:

schon lange hast geträumt


Saludos
Mucki

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 15.09.2007, 11:34

Hallo Scarlett,

Deinen neuen Avatar finde ich sympathisch, so frech und selbstbewusst. -- Mal eine allgemeine Frage zu Deinen Gedichten: Ist es Absicht, dass Du sie relativ regelmäßig mit Baumbildern beginnst? Vielleicht als so eine Art persönliche Stilsignatur, ähnlich wie Elke Heidenreich ihre Kolumnen konsequent mit "also" beginnt, oder Märchen mit "es war einmal"? Wenn das so zu begreifen ist, finde ich diesen Einleitungs-Stil ziemlich gut.


Cheers

Pjotr

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annette
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Beitragvon annette » 15.09.2007, 16:08

Liebe scarlett,

ich nehme an, das Ich spricht von Celan und der Text gefällt mir!
Was mich etwas verwirrt ist das Hin und Her in der Beschreibung des Wachsens von Vertrautheit. ein Teil auch meines Landes in der zweiten Zeile klingt schon recht nahe, in der zweiten Strophe beschreibst Du dann erst wieder eine Fremdheit, die sich nur langsam löst. (Ist der parallele Beginn der Verse 7 und 10 mit "nur" beabsichtigt?)
Strophe 3 betont dann wieder die späte Annäherung.

Ich würde die Strophe 3 streichen, sie scheint mir schwächer als die anderen, und sowohl das späte Finden als auch das Gefühl von Verwandtschaft drückst Du in Strophe 2 und 4 für meinen Geschmack viel treffender und lyrischer aus.

Warum taubstumme Zeit? Weil sie vergangen ist?
Strophe 4 gefällt mir sehr! Und jenseits der Sprache und der Gitter als Anspielung auf das "Sprachgitter" ist toll!

Viele Grüße - annette

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.09.2007, 10:38

Liebe Kommentatoren,

die Arbeit hatte mich jetzt drei Tage lang voll im Griff (Schulbuchgeschäft und dazu noch langer Einkaufsabend in München!), deshalb kommt meine Antwort erst heute.

Liebe Mucki,

ja ich habe halt beschlossen, unter meine Texte in Zukunft meinen richtigen Namen zu schreiben.

Es freut mich, daß dir das Gedicht gefällt, daß es dich anspricht.

Die Inversion habe ich erst gar nicht bemerkt, die Zeile floß mir einfach in der Form aus der Feder, ich denke, das waren rein rhythmische Gründe. Anders geht es, für mich zumindest, überhaupt nicht.

Lieben Dank dir für deine Rückmeldung.

Hallo Pjotr,

ob sich das Verwenden von Baumbildern zum eigenen Stil entwickeln wird, weiß ich nicht, kann gut sein.
Generell ist es eher so, daß ich speziell mit Bäumen und Blumen sehr viel verbinde, daß sie mir oft Ausdruck von (Seelen-) Zuständen sind und ich eine ganz bestimmte Konnotation mit ihnen erreichen will.

In diesem Fall ist es allerdings ein wenig anderes: das "Buchenland" ist die Bezeichnung für die Bukowina, jenes Stückchen Land, das im laufe der Geschichte mal zu Österreich gehört hat, mal zu Russland, mal zu Rumänien und aus dem so berühmte Dichter wie Celan und Ausländer (um nur die bekanntesten zu nennen) hervorgegangen sind. Und eben auch Selma Meerbaum - Eisinger, die nur gut fünfzig Gedichte in ihrem kurzen Leben schreiben konnte.

Danke und schönene sonntag dir.

P.S. Freut mich, daß zumindest mein Avatar etwas Frechheit und Selbstbewußtsein spiegelt...hihi

Liebe Annette,

das Gedicht spricht eigentlich von Selma Meerbaum-Eisinger. Aber auch von der Bukowina und von den anderen Dichtern, von denen sicherlich Celan am direktesten angesprochen wird, auf ihn verweist ja auch das "gitter", allerdings kann/soll das "gitter" auch ganz konkret gelesen werden: das Trennende - einmal zeitlich (das Ich lebt ja nicht zur gleichen Zeit wie Selma und Celan), dann auch geographisch (es wird ja impliziert, daß das Land nicht mehr zum Land des Ich gehört) und nicht zuletzt soll damit auch auf das Ghetto, das Eingeschlossen sein der Juden hingewiesen werden.

Das Ich kennt also dieses Land, die Bukowina, nicht direkt; es kamen von dort "schon früh" (d h das Ich war jung, vielleicht zu jung für die Verse?) nur Worte zu ihm (Gedichte...berühmt), die schmeckten bitter ...
Daß hinter diesen Worten Menschen mit ihren ganz speziellen Schicksalen stecken, ja das Schicksal einer ganzen Landschaft ... das hat das Ich erst langsam, später, Schritt für Schritt für sich herausgefunden (man könnte auch ahnen, daß es sich viel später mit dieser Literatur, die nciht nur Celan und Ausländer anzubieten hat, beschäftigt hat).
Erst im Zuge der Beschäftigung mit diesem Landstrich und seinem Schicksal, mit seinen Menschen, "fand" das Ich dann auch die Gedichte der jung verstorbenen Selma Meerbaum, von denen es so tief berührt war ... usw.

Also dieses Hin und Her zwischen Fremdheit und Vertrautheit ist inhaltlich begründet und wenn man hinter "Buchenland" die Bukowina erkennt und etwas darüber weiß, dann sollte es eigentlich funktionieren.
Allerdings ist mir bewußt, daß das genau der Dreh- und Angelpunkt des Gedichtes ist (und vielleicht auch seine Schwachstelle).

Aber: verstehst du es jetzt besser? Ist es so (mit diesen Infos) nachvollziehbar(er)?

Der parallele Beginn in 7 und 10 ist beabsichtigt.

Zur "taubstummen zeit": einerseits weil sie vergangen ist und allein die Worte noch als Brücke zurück dienen, andrerseits aber auch ein HInweis darauf, daß auch dort, wie woanders auch, die Stimmen in jener Zeit nicht gehört worden sind, auch dort hat keiner was "gesehen und gehört" vom unsäglichen Leid, das dort geschehen ist.... du verstehst?

Ich danke dir herzlich für die Beschäftigung mit diesem Gedicht und die positive Rückmeldung.

Liebe Grüße euch allen,
scarlett

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Beitragvon annette » 16.09.2007, 12:48

Liebe Scarlett,

scarlett hat geschrieben:das Gedicht spricht eigentlich von Selma Meerbaum-Eisinger. Aber auch von der Bukowina und von den anderen Dichtern, von denen sicherlich Celan am direktesten angesprochen wird, auf ihn verweist ja auch das "gitter", allerdings kann/soll das "gitter" auch ganz konkret gelesen werden


Ja, so hatte ich es auch verstanden. Deshalb gefällt mir die Zeile in ihrer Mehrdeutigkeit ja so gut.

scarlett hat geschrieben:Aber: verstehst du es jetzt besser? Ist es so (mit diesen Infos) nachvollziehbar(er)?

Das Buchenland hatte ich schon so verstanden und die anderen Hinweise, die mit Celan zusammenhängen auch, sonst wäre ich nicht auf Celan gekommen. Selma Meerbaum kenne ich allerdings nicht.
Auch das langsam wachsende Verständnis des Ich für dieses Land hatte ich so gelesen und finde es gut und nachvollziehbar dargestellt.

Gibt es einen konkreten Hinweis auf Meerbaum im Text, so wie das Sprachgitter auf Celan? Ich würde mir so etwas in der dritten Strophe wünschen. Denn hier wird sie ja direkt angesprochen, wenn ich Dich richtig verstehe und dadurch wird die dritte Strophe auch erst wichtig. Wenn man das Sprachgitter kennt, bleibt man aber leicht (so wie ich) bei Celan hängen. Und dann erscheint diese Strophe redundant.

Ich werde jetzt nach Texten von Selma Meerbaum Ausschau halten.

Danke für die Anregung!
Grüße - annette

scarlett

Beitragvon scarlett » 16.09.2007, 21:13

Liebe Annette,

nein, ein direkter Bezug zu Selma ähnlich dem zu Celan ist im Gedicht nicht enthalten (außer Buchenland usw.)
Aber du bringst mich da auf eine gute Idee, nur weiß ich noch nicht, wie ich das einbauen soll. Ich denke da an den Titel, den sie selbst ihren Gedichten gegeben hat: Blütenlese. Da läßt sich eventuell doch was machen ...
Danke für den guten Tipp, ich verstehe jetzt auch besser, wie du das mit der dritten Strophe gemeint hast.

Liebe Grüße,
scarlett

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Beitragvon annette » 17.09.2007, 09:26

scarlett hat geschrieben:Danke für den guten Tipp, ich verstehe jetzt auch besser, wie du das mit der dritten Strophe gemeint hast.

Ja, der Vorschlag, etwas zu streichen, kommt meistens sehr grob an. Sorry dafür.

Aber mir ist jetzt erst klar, dass diese Strophe natürlich diejenige ist, die den eigentlichen Kern des Textes ausmacht, nämlich das Verhältnis des Ich zu S.M. beschreibt. Da mir die Präsenz von S.M. im Text nicht klar war, hab ich das so nicht lesen können. Und deshalb solltest Du ihre Anwesenheit hier etwas expliziter machen. Ein eigener Titel (zB Blütenlese) ist eine gute Idee, denke ich.

Der Text würde sich auch gut im Thema des Monats machen, oder?

Lieber Gruß - annette

scarlett

Beitragvon scarlett » 17.09.2007, 16:54

Liebe annette,

danke für deine anregungen und deine explizite hilfe.

Ich habe nun etwas geändert und eine verszeile von S. M - E eingefügt und ich übernehme auch gerne deinen vorschlag bezüglich der zeitstruktur.

Du hast recht, der text würde auch gut zum thema des monats passen.

Liebe grüße,
scarlett


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