der sackflohblues oder wie ich zum tod kam

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Chiquita

Beitragvon Chiquita » 14.09.2007, 10:38

der sackflohblues oder wie ich zum tod kam





komm, mein kleiner held
und kriech zu mir ins zelt
dort zeig ich dir – oho
den schönsten floh
der welt

ich steige hinab ins
totenreich
zerberus lasse ich links liegen
ich habe eine thermoskanne
mit glühwein dabei
und 2 käsebrötchen
in stanniolpapier
die treppen führen weder
nach unten noch nach oben
gerade so, wie ich es sehen
will
überall brennende fackeln
am wegesrand
bald bin ich rußgeschwärzt
wyatt earp und doc holiday
versperren mir den weg
sie sagen:
„nigger sind hier unerwünscht!“
ich besteche sie mit einem
käsebrötchen
die zeit stöhnt, heult, winselt
sekunden, stunden, tage
driften mir entgegen
zerrgesichter
ich begegne meiner mutter
am windeltisch
ich sehe mich selbst als kleinen bub
am kiosk stehen
wundertüten kaufen
wie ich in gummistiefeln in der
kloake des baches auf abenteuerreise
gehe
jules verne und karl may kreuzen
meinen weg
sie sehen ziemlich mitgenommen aus
ich schenke ihnen mein 2.
käsebrötchen
bald darauf erreiche ich ein
riesenhaftes gewölbe
vor mir liegt das meer der seelen
myriaden stimmen mischen sich zum
meeresrauschen
alles ist in purpurnes licht getaucht
die linie des horizonts
ein geschlossener mund
die oberlippe wie das abendrot
ich setze mich an den strand
gerade so, dass die wellen meine
füße umspülen
es ist zeit für den glühwein
um mein kaltes herz aufzuwärmen
ich trinke
schaue zum horizont
ich rieche mich
es ist nicht das salz
dann stehe ich hinter mir
sehe mich da sitzen wie in einem dieser
bilder von caspar david friedrich
sind das meine träume?
frage ich
meine stimme ist wie aus draht
mein mund öffnet sich
meine lippen klebrig vom
glühwein
plötzlich schrecke ich hoch
der irre tod klopft mir auf die schulter
„hey, mann, haste für mich auch nen
schluck?“
ich reiche ihm den becher
„ich weiß, was du denkst“, sagt er
„du könntest ewig hier sitzen bleiben ...“
„ja“, sage ich trocken
„und was ist mit meiner einführung?“
ich bin plötzlich furchbar müde
und sinke zur seite
um meinen kopf in den schoß
des todes
zu betten





19.02.2003

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 14.09.2007, 11:08

Hallo Chiquita,

Nun habe ich sie gelesen, Deine schräge Reise durch das Totenreich. An einigen Stellen, vor allem an denen mit den Käsebrötchen und dem Glühwein, musste ich schmunzeln. Den Schluss finde ich sehr gelungen.

Nicht nachvollziehen kann ich an einigen Stellen die Setzung. Z. B. Hier:

"ich steige hinab ins
totenreich
"

Meines Erachtens muss "Totenreich" nicht so abgesetzt werden. Lesbarer finde ich es so:

"Ich steige hinab
ins Totenreich
"

Da Du aber an mehreren Stellen solche Setzungen wählst, hast Du Dir wahrscheinlich was dabei gedacht. Nur entzieht sich mir da der Sinn.

Ansonsten: guter Text

Jürgen

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 14.09.2007, 11:15

danke jürgen, ich beließ es bei den ursprünglichen zeilenumbrüchen. aber natürlich ist das gedicht immer noch dasselbe gedicht, wenn man einige zeilen (nach deiner lesbarkeit) umsetzen würde.

gruß
chiqu.

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 14.09.2007, 13:02

Hallo chiquita,

bin auch gern mitgereist/gefahren/gegangen. Mir gefällts wie`s das steht, Vorschläge hab ich keine aber eine Frage zu der Setzung, an der Gurke auch schon geknabbert hat.

ich steige hinab ins (??????)
totenreich

ich les es zumindest so, dass es kein passendes Substantiv gibt und das Lyrich "ins..." hinuntersteigt und dort angekommen konstatiert "totenreich"?

und die Käsebrötchen, weil Hein traditionell ein Knochenkasper ist?

Gruß

reimerle

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 14.09.2007, 14:17

ich hatte, glaube ich, kein problem mit dem totenreich.
das totenreich ist hier bereits die vergangenheit. jegliche vergangenheit.
sie wird umso toter, desto mehr zeit verstreicht.
am ende sterben wir mit allem - mit den käsebrötchen, dem glühwein und überhaupt ...
das zur erklärung, wenn ich mich da selbst richtig erkläre.
denn auch dieses gedicht ist bereits ein stück weges hin zum totenreich gegangen.

danke für`s lesen, reimerle.

chiqu.


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