Anrufung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 04.07.2007, 18:24

Anrufung

Das Gläschen,
dem er gerne zusprach,
wenn es so rot, so rot
vor ihm die Tafel schmückte,
das Gläschen war schon leer,
doch war der Durst geblieben.

Ob Durst es war?
Es war wohl mehr die Gier
noch einzufangen etwas von dem Leben,
das sich so rar gemacht
und täglich weiter
zu entfernen drohte.

Ob ich es nochmals fülle?
Dass mich der Teufel hole,
soll ich denn sklavisch einer Regel dienen?
Ein zweites also, Prost!

Zufrieden hörte es der Teufel
und bediente sich.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 04.07.2007, 18:40

Nastrovje, Schwarzbeere,

Dein Gedicht klingt in meinen Ohren recht musikalisch und originell formuliert. Nur diese eine Zeile erscheint mir ein bisschen wie ein Stilbruch:

soll ich denn sklavisch einer Regel dienen?

Sie klingt mir ein wenig holprig im Vergleich zum flüssigen Rest. (Etwaige Doppeldeutigkeiten in meinem Wortlaut hier sind rein zufällig, aber dieser Zufall finde ich jetzt durchaus passend.)

Salve

Pjotr

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.07.2007, 19:05

Hallo Schwarzbeere,

schön, mal wieder etwas von dir zu lesen,-)
Deine Zeilen gefallen mir gut, aber vor allem die im wahrsten Sinne des Wortes teuflische Pointe! :mrgreen:
Saludos
Mucki

Herby

Beitragvon Herby » 04.07.2007, 22:38

Hi Schwarzbeere,

ja, diese Anrufung des Reufels liest sich tatsächlich flüssig, wie Pjotr treffend formuliert. :engel: Jedoch ist mir nicht klar, worin die klangliche Holprigkeit des von ihm angesprochenen Verses liegen soll.

Vor allem die zweite Strophe gefällt mir gut:

Ob Durst es war?
Es war wohl mehr die Gier
noch einzufangen etwas von dem Leben,
das sich so rar gemacht
und täglich weiter
zu entfernen drohte.


Da steckt viel Wahrheit drin!

Liebe Grüße
Herby

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 04.07.2007, 23:06

Herby hat geschrieben:ja, diese Anrufung des Reufels liest sich tatsächlich flüssig, wie Pjotr treffend formuliert. :engel: Jedoch ist mir nicht klar, worin die klangliche Holprigkeit des von ihm angesprochenen Verses liegen soll.


Nicht der ganze Vers, nur jene eine Zeile. Die Zeilen davor und danach klingen für mich nach mindestens 0,3 Promille, jene Zeile hingegen nach 0,0 Promille, ein Hauch zu "konstruiert", zu lang, zu kompliziert, nicht ganz authentisch im Verhältnis zu der ihr umgebenen flüssigen Spontaneität, die eher in kurzen, einfach formulierten Stoßgedanken resultiert.

Soweit nur mein persönliches Empfinden. Es ist auch nur eine winzige Nuance.


Skoll

Pjotr

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 05.07.2007, 09:43

Hallo Schwarzbeere,

musste beim Lesen an Rumpelstielzchen denken, nur dass niemand daran denkt, das kleine Monster beim Namen zu nennen, um es unschädlich zu machen.

Heute back ich,
morgen brau ich,
übermorgen hole ich der Königin ihr Kind.

Und alle gucken zu.

Liebe Grüße
Marlene

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 06.07.2007, 23:38

Pjotr,

wenn du von Promille sprichst, dann bekommt das Geschichtchen eine andere Farbe, sozusagen, denn ich fände eine teuflische Intervention bei einem Säufer ziemlich banal, wenn ich die andere, großschnäuzige Interpretation in Anlehnung an die (fast)Schlussszene des Don Giovanni anmaßend vorschlage. Ist aber auch durchaus möglich und verlockt mich, vielleicht gleich zwei Lesarten zu versuchen – wenn ich einmal bei Stimme und in Stimmung bin, wozu mir ein kleines Gläschen Ermunterung spenden könnte.

Wenn ich also das sich in der 3. Strophe aussagende Ich als tragischen Untergeher (man weiß, dass ich T. Bernhard verehre) mit heldischer Auflehnung gegen seine Verurteilung sehen will, dann kann ich diese inkriminierte Zeile sowohl von einem Bruno Ganz schauerlich finster wie von einem Hans Moser nuschelnd in meinen virtuellen Ohren klingen und kratzen lassen, und beides ist wahr – oder auch nicht!

Da ich schon von Kratzen rede: Liebe Marlene, hätte ich meine Webcam aktiviert, dann könntest du sehen, wie ich „auf der Leitung“ sitze, da ich mit dem Rumpelstilzchen Verdauungs– bzw Verständnisprobleme habe. Solltest du etwa auf einem Kreuzzug gegen die zahmen Verehrer des Dionysos sein und die untätigen Zuschauer gegen meinen harmlosen und noch dazu verdammten Rotweingenießer aufhetzen, dieses etwas spöttische lyrische Ich mit einem verkrüppelten Kidnapper zu vergleichen? Aber ich bitte dich,so böse kannst du doch nicht sein?
Und wenn schon, ich sende dir trotzdem beste Nachtgrüße! (Falls du jemand siehst, der auf einer Waldlichtung um eine Feuerchen hüpft, darfst du ruhig die Feuerwehr verständigen, denn das bin nicht ich!)

Euch, Mucki und Herby, danke ich für die freundlichen und ermutigenden Kommentare, die zwar nicht „meiner Kehle Brand löschen“, mich aber mit geistiger Labung erquicken!

Schwarzbeere

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 09.07.2007, 11:01

Hallo Schwarzbeere,

nein, ich bin auf keinem Kreuzzug, und ein Gläschen hin und wieder trinke ich auch. Aber ein Gläschen ist bekanntlich nur dann ein Gläschen, wenn es bei einem Gläschen bleibt. Übrigens, der Kleine, der immer ums Feuer rumhüpft, ist selber bei der Feuerwehr.

Liebe Grüße
Marlene

Stefan

Beitragvon Stefan » 31.08.2007, 19:07

Hallo Schwarzbeere!

Zuerst muss ich sagen, dass mir das Gedicht ziemlich gut gefällt. Da will ich gar nicht viel konkreter werden, denn es bleibt ein runder Eindruck, der wohl irgendwie durch gelungene Form oder Klangeinheit entsteht.
Inhaltlich ist es in meinem Lesen eher ein Trunk-, als ein Teufelswerk. Daran ändert der letzte Vers bei mir nichts, für mich ist der eine mögliche Möglichkeit, aber in meiner interpretatorischen Freiheit bewegt er mich nicht zu einer völligen Umdeutung. Der Aha-Effekt stellte sich also nicht ein.
Trotzdem gefällt es mir. Wenn ich mich nicht täusche, ist sogar ein Reim drin, nämlich zwischen "leer" und "Gier". Nicht in der strengen Definition, aber im klanglichen Kontext gibt es hier ein Reimphänomen, das ich sehr passend finde, gerade zwischen diesen beiden Wörtern. Vielleicht liegt es auch daran, dass "mein" Teufel im Detail, nicht in der Gesamtaussage liegt. Siehe auch "Leben - geblieben", dasselbe passende Phänomen.

Gratuliere zu diesem Gedicht!
Gruß

Stefan

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 09.09.2007, 18:38

Lieber Stefan,

du hast mir mit deinem "ziemlich gut" ziemlichen Spaß gemacht, und als ich deinen Kommentar in meinem Sommerquartier zu lesen begann, erwartete ich eigentlich eine Fortsetzung der mir als zynische Verspottung erscheinenden ersten Zeilen, was sich in der Folge als falsch herausstellte, da du gegen Ende sogar höchstfreundlich applaudierst.
Dieser Text wurde, wie du sehen kannst, unter "Humoriges" eingestellt und erhebt keinerlei Anspruch auf Tiefe oder Witz: lediglich ein kleiner Scherz, wenn du willst.
Ich danke dir jedenfalls für deine Analyse, die dem Text mehr Bedeutung zuspricht, als er es vielleicht verdient.

Freundliche Grüße. Schwarzbeere


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