Malerleid

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Heidrun

Beitragvon Heidrun » 31.08.2007, 12:25

*malerleid

ein rahmen aus hoffnung
noch locker bespannt

die muse?
sie reitet darüber hinweg

wie weiß diese leinwand
das lauernde tuch
wie zäh ist die lähmung
der hände

die schächte der augen
mit schwermut verhängt
die leere des linnens
im nebel gebannt

und stunden sich ziehen

das taglicht?
durchdrungen vom abend

© Heidrun Dehnhardt, August 2007




malerleid (originalfassung)

ein rahmen aus hoffnung
noch locker bespannt

die muse...
sie reitet darüber

wie weiß diese leinwand
das lauernde tuch
wie zäh ist die lähmung
die hände ummartert

die schächte der augen
mit schwermut verhängt
die leere des linnens
im nebel gebannt

und stunden sich ziehen
äonenlang

das taglicht...
durchdrungen vom abend

© Heidrun Dehnhardt, August 2007
Zuletzt geändert von Heidrun am 03.09.2007, 13:19, insgesamt 3-mal geändert.

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 31.08.2007, 16:54

Hallo Heidrun,

Malblockade? Ein interessanter Gedanke und stellenweise für mich überzeugend dargestellt. Manches ist mir zu wuchtig, wie die mit Schwermut verhängten Augenschächte. Und die Inversion "und Stunden sich ziehen" find ich unschön.

Die Stelle "wie weiß diese leinwand, das lauernde Tuch" und die letzten beiden Zeilen ist sehr gelungen.

Mir ist aufgefallen, dass du hier in dem Gedicht auch "martern" verwendest, das hat mir schon in deinem anderen Gedicht nicht behagt. Liegt wahrscheinlich an meiner falschen Jugendlektüre, dass mir da der Wilde Westen in den Sinn kommt und aus dem Text herausnimmt.

meine Meinung also: Glanzlichter ebenso wie Schatten.

Gruß

reimerle

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 31.08.2007, 21:04

Tja,

es ist wie im "richtigen Leben: Licht & Schatten (lächelt).

Im Augenblick habe ich tatsächlich eine kleine Schwäche für das Wort "martern", wie zuvor auch schon für andere Begriffe. Däs gibt sisch...

Nun zur "Wucht" meiner Sprache. - Mir fällt auf, dass im Salon allgemein eine Aversion gegen eine deutliche Sprache herrscht. Diese teile ich nicht. - Das Phänomen beobachte ich auch anderswo. - Manchmal denke ich, wir sind ein Volk von "Luschen" geworden, unklar, vorsichtig, andeutend. - Stärke macht zunehmend Angst. Das meine ich jetzt keineswegs persönlich.

Ich denke, dass meine Begabung (falls vorhanden) gerade in der bildhaften Sprache liegt. Handwerklich fehlt mir noch einiges, aber sprachlich m. E. nicht so sehr viel.

Und es ist ein schweres Leiden, wenn ein Maler vor der Leinwand steht und es tut sich nichts. Noch schlimmer, wenn sich das Bild als Mist herausstellt. Da enstehen Schwermut, Heulen und Zähneklappern (grinst). Ich selber habe schon viele Bilder mit den Füßen zertrampelt, dass die Ölfarbe nur so gespritzt ist (lacht). Das ist so und nicht nur bei mir.

Bei einem neuen Gedicht werde ich aber an deine Worte denken, das wird vermutlich auch nicht von Malern handeln.

Auf jeden Fall danke ich dir aufrichtig für deine konstruktive Kritik.

Ganz liebe Grüße
Heidrun

Trixie

Beitragvon Trixie » 31.08.2007, 23:01

Hallo Heidrun!

Also, ich finde das sehr schön und melodisch und gar nicht so sehr überladen. Was du, meiner Meinung nach, weglassen könntest wäre genau jenes gemartert. Einfach:
wie zäh ist die lähmung
der hände

das würde völlig ausreichen und immernoch sehr deutlich zeigen, was du meinst!
auch das äonenlang könntest du weglassen. wenn sich stunden ziehen, dann tun sie es ja schon. die äonen klingen dann eher wie eine übertreibung im stile von "mir gehts ja sooo schlecht, wirklich ganz furchtbar schrecklich wirklich schlecht" - will sagen: unglaubwürdig ;-) .
sehr schön finde ich die reitende muse. vielleicht hätte ich mir da noch ein bisschen was gewünscht dazu...eine wiederaufnahme? oder einfach "darüber hinweg" statt nur "darüber", weil das klingt so, als würde sie ihre spuren hinterlassen...hm. aber auch ohne ist es hübsch.


liebe grüße
trixie

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 01.09.2007, 07:29

Danke, danke, danke,
liebe Trixie!

Du hast Recht; so klingt es viel schöner, ohne an Ausdruck (Stärke) zu verlieren.

Das "hinweg" hatte ich auch in einem früheren Entwurf benutzt, dann aber (leider) wieder rausgestrichen.

Ich bin richtig glücklich über deinen Vorschlag und nun rundherum zufrieden.

Herzliche Grüße
Heidrun

Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.09.2007, 17:50

Hallo Heidrun,

die zweite Fassung gefällt mir. Des Malers Leid lässt sich gut nachvollziehen. Die kleinen Änderungen haben deinem Gedicht gutgetan, auch wenn ich die erste Fassung nicht als zu "wuchtig" empfand. Ich kann mir schon vorstellen, dass es dir, als Malerin, genau so ergeht. Auch lässt sich dein Gedicht gut übertragen auf eine Schreibblockade.

Ich frage mich, warum du die Pünktchen gesetzt hast. Hat es einen ganz besonderen Grund? Auf jeden Fall gehört jeweils ein Leerzeichen davor.
Gern gelesen und dazu genickt,-)
Saludos
Mucki

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 01.09.2007, 19:18

Liebe Mucki,

herzlichen Dank für deine anerkennenden Worte :-) .

Die Pünktchen habe ich gesetzt, damit beim lauten Lesen eine Sprechpause entsteht, weil diese beiden Sätze ja ebenso Fragen sein könnten ... trotzige Fragen, an die Muse, bzw. das Tageslicht.

Lieb auch, dass du mir den Pünktchenpausentipp gegeben hast. Das wusste ich nicht :sad:

Einen schönen Sonntag
Heidrun

Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.09.2007, 19:53

Hallo Heidrun,

ja, das dachte ich mir. Wenn die Pünktchen quasi eine "offene Frage" in den Raum stellen sollen, setze ich auch welche. Und da passen sie auch gut in dein Gedicht.
Übrigens, mit den Pünktchen war ich auch immer unsicher. Sieh mal in der Rubrik "Schreibwerkstatt". Da habe ich einen Faden eröffnet mit dem Thema "Deutsche Grammatik etc." Und da haben wir die "Pünktchenfrage" endlich geklärt *g*
Saludos
Mucki

Herby

Beitragvon Herby » 02.09.2007, 01:07

Liebe Heidrun,

zu später bzw. früher Stunde ein paar Gedanken zu Deinem Gedicht. Ich habe es mit viel Nachempfinden und Verständnis gelesen. Es ist tröstlich zu wissen, dass es neben dem Dichterleid auch das Malerleid gibt. Vielleicht können wir ja mal eine interdisziplinäre Selbsthilfegruppe für solch grausliche Zeiten gründen. ;-)

Die geänderte Version gefällt mir, abgesehen vom Inhalt, sprachlich gut, da Du Deinen Versen einerseits einen sehr fließenden Rhythmus gibst. Die Inversion, an der reimerle sich stößt, finde ich nicht nur nicht störend, sondern sogar sehr passend. Ich vermute mal, sie hängt nicht zuletzt auch mit dem Metrum zusammen, das ich im Moment nicht benennen kann (Daktylus, Anapäst??). Würdest Du sie der gängigen Syntax anpassen, fiele der Satz völlig aus dem Rhythmus raus. Andererseits steht dieser fließende Rhythmus aber irgendwie im Gegensatz zu dem beschriebenen Stillstand im Schaffen des Malers, wo ja eben nichts mehr (aus dem Pinsel) fließt.

reimerles Einwand mit der Sprachwucht kann ich nachvollziehen, obwohl ich sie selbst als nicht so störend empfinde, bis auf eine Ausnahme: "die Schächte der Augen" ruft in mir unwillkürlich das Bild eines Totenkopfes hervor, was ich tatsächlich auch als im Kontext zu wuchtig und unangemessen finde. Diese Schächte sind dann mit Schwermut verhängt, die Hände gelähmt, Augen und Hände - beides für einen Maler zentrale Elemente. Mir ist klar, was Du ausdrücken willst, aber die Wortwahl "Schwermut" und "gelähmt" erzeugt durch ihre (psycho-)pathologischen Konnotationen eben diese Wucht.

In einem Punkt muss ich nachfragen:

Nun zur "Wucht" meiner Sprache. - Mir fällt auf, dass im Salon allgemein eine Aversion gegen eine deutliche Sprache herrscht. Diese teile ich nicht. - Das Phänomen beobachte ich auch anderswo. - Manchmal denke ich, wir sind ein Volk von "Luschen" geworden, unklar, vorsichtig, andeutend. -


Mir ist nicht klar, worauf genau Du Dich beziehst, die Formulierung "der Salon allgemein" ist mir zu ungenau und verallgemeinernd. Vor allem frage ich mich auch, was die Wucht mit Deutlichkeit zu tun hat. Sind nur wuchtige Worte deutlich? Beides geht nach meinem Empfinden nicht zwangsläufig miteinander einher.

Liebe Nachtgrüße
Herby

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 02.09.2007, 18:42

Lieber Herby,

gern nehme ich zu deinem Kommentar Stellung, über den ich mich sehr gefreut habe.

Zunächst zur "Wucht". Diese empfinde ich ja selber eben nicht als solche, sondern nur als deutliche, bilderreiche Sprache.

Du hast allerdings Recht, wenn du mich der Verallgemeinerung zeihst. Tatsächlich bin ich erst einige Tage hier und kann dies noch gar nicht beurteilen. - Mein Vorurteil (?!) hat sich in der lebhaften Diskussion um Caty`s Arbeitergedichte herausgebildet, die sich u. a. auch an deren deutlicher, kompromissloser Sprache entzündet hatte. Dies war zumindest mein Eindruck.
----

Mit dir kann man sich bestimmt sehr amüsant duellieren, ausgerüstet mit einem leichten Wort-Florett, nicht wahr?

Ein Grund lässt sich finden!

Ich gehe schon `mal 10 Schritte zurück ...
Heidrun

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annette
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Beitragvon annette » 03.09.2007, 09:20

Liebe Heidrun,

ich finde das Thema der leeren Leinwand gut umgesetzt (die analoge weiße Seite kennt sicher jeder hier gut).
Besonders gefällt mir die reitende Muse, wo bei ich mich frage: Das Darüberhinwegreiten bedeutet, dass sie die Leinwand streift, aber nicht lange genug verweilt, damit das Bild begonnen werden kann?
Auch das lauernde Tuch ist sehr schön!

Ein paar kleine Zweifel: Ich stutze bei Vers 7: Ist wirklich die Lähmung zäh? Die Lähmung macht doch eher die Hände oder ihre Bewegung zäh. Ich musste an die stilistische Figur der Vertauschung (Enallagé) denken, aber das passt für mich hier nicht ganz.
Ein paar Alternativvorschläge, von denen ich aber auch nicht ganz überzeugt bin: :confused:
„beharrlich die lähmung / der hände“
„wie zäh die gelähmten / hände“
„wie nutzlos die hände / vor lähmung“

die schächte der augen sind mir auch zu totenkopfartig. Vielleicht eher „die leere der augen“ oder „die schweigenden augen“?

Noch zur genannten „Wucht“ Deiner Sprache. Meiner Meinung nach entsteht der Eindruck unter anderem durch die relativ vielen Substantive hier. Die lese ich hier aber als Stilmittel, weil substantivische Sprache einen Text statisch, unbeweglich macht – genau wie die Situation, die Du beschreibst, also durchaus angemessen.

Was ich vielleicht noch als „wuchtig“ empfinde, sind die sehr eindeutigen Begriffe „Leid“ und „Schwermut“. Ich frage mich, ob Du die nicht metaphorischer ausdrücken könntest.

Dann frage ich Dich noch, warum Du den Text in der zweiten Fassung zentriert gesetzt hast. Habe ich die Erklärung überlesen? Für mich liest sich das nicht so gut.
Und schließlich noch das Sternchen vor dem Titel – ist das irgendwo erklärt?

Lieber Gruß - annette

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 03.09.2007, 12:04

Guten Tag, Annette,

auch dir schicke ich meinen herzlichen Dank für dein aufmerksames Lesen. - Deinen Kommentar möchte ich von hinten aufdröseln.

Das Sternchen soll zusätzlich darauf aufmerksam machen, dass es sich um eine überarbeitete Fassung handelt, die mir, trixieseidank, gelungen ist.

Der Text war von Anfang an zentriert; die Urfassung steht nun, zwecks weiterer Abgrenzung, linksbündig.

Ansonsten möchte ich das Gedicht jetzt so belassen, weil ich deine und Herby`s Kritik an den "Augenschächten" nicht teilen kann. Wie bereits erwähnt, bin ich vollends zufrieden.

Sicherlich würdet ihr beide das Gedicht anders abfassen, aber letztendlich sollte es doch mein eigenes Fühlen widerspiegeln, bzw. das des LI.

Trotzdem freue ich mich über jeden Kommentar und werte diesen stets als freundliches Interesse meinen Texten gegenüber.

Schöne Grüße
Heidrun

Gast

Beitragvon Gast » 03.09.2007, 12:32

Liebe Heidrun,

nun hast du zu deinem Text schon ausführliche Rückmeldungen erhalten und ich kann mich besonders Annettes und Herbys Anmerkungen gut anschließen. Trixies Streichvorschlag fand ich zunächst gut, sehe es aber wie Annette, nicht logisch, dass die Lähmung selbst als zäh bezeichnet ist. Wahrscheinlich meinst du zäh im Sinne von andauernd.
Ich möchte aber zu einem anderen Punkt noch etwas schreiben. Er betrifft "Die Pünktchen", die man für Worte setzt, die der Leser selbst zu vervollständigung eines Textes ergänzen soll/kann.
Auch wenn etwas offen, für den Leser selbst zu interpretieren, fraglich bleiben soll sind sie gebräuchlich. Sie stehen für die Auslassung eines Textes.
Hier nun, muss ich sagen finde ich sie deplatziert, denn ich seh nichts, was der Leser ergänzne müsste. Hinter Muse, z. B. könntest du einen Gedankenstrich machen, wenn du meinst der Leser solle eine Zäsur machen, kurz verhalten, allerdings wird der Leser das ohnehin tun, weil ja ein Zeilenumbruch hinter Muse folgt. Das Gleiche gilt für die Stelle hinter Taglicht.
Ich finde ... sind hier schliocht fehl am Platz..
Denn es geht nicht um Wortergänzungen sondern um "innehalten" wenn ich das richtig lese und verstehe.
Nun denn, bin ich ohnehin sehr sprsam mit stilistischer Gestaltung durchSatzzeichen, deswegen würde ich wohl auf alles verzichten und dem Leser überlassen wie er liest.
Manchmal ist es nicht gut den Leser zu sehr zu führen, dann wir er verwöhnt und träge. ;-)

Liebe Grüße
Gerda

Heidrun

Beitragvon Heidrun » 03.09.2007, 12:43

Danke, Gerda,

für deinen Tipp, die "verwöhnten und trägen Leser" haben es mir besonders angetan (grinst).

In einem früheren Entwurf gab es anstatt der vermaledeiten Pünktchen (diese verfolgen mich schon seit Monaten!) Fragezeichen. Aber das erscheint mir noch plumper. Auch bin ich mir nicht sicher, ob sie in einem ansonsten interpunktionsfreien Text "zulässig" sind.

Was meinst du dazu?

Liebe Grüße
Heidrun


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