Beklemmung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 29.08.2007, 10:17

Beklemmung

Morgens hing ein verrückter Vollmond
Über der Stadt sehr groß sehr totenweiß
Und ungeheuer tief wollt schier auf die
Landschaft abstürzen. Am Himmel bis übers
Dach ein drohendes Blau, von feuriger
Gellender Weiße die Hochhäuser. Unsere
Straßenkrähen kreisten ums Kaufcenter
Schrien hässliche Weltuntergangsweisen.
Mir kam viel Schaudern und Ahnen.
Du Herzlieber schliefest noch. Der närrische
Kater sprang durch die Räume gänzlich
Von Sinnen. Ich am Fenster fand nirgendein Wort.

Gast

Beitragvon Gast » 29.08.2007, 13:35

Liebe Caty,

mir gefällt wieder einmal die Stimmung, die du mit deinen Worten heraufbeschwörst. Du erzählst eine Geschichte, fasst deine Beobachtungen und Empfindungen in Prosalyrik zusammen. Dein Gedicht könnte auch in Erzähllyrik passen, aber es ist müßig darüber jetzt zu diskutieren.

Es gibt wenig, was ich anders machen würde, aber erlaube mir einige Hinweise:

In Z 2 hast du 2 x "sehr". Im Grunde braucht es weder das eine noch das andere, m. M.
Vor "totenweiß" ist es meiner Ansicht auf jeden Fall überflüssig, wenn nicht falsch. "toten/weiß" ist schon eine genaue Definition des Weiß', welches du beschreiben möchtest, ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas "sehr" totenweiß sein kann. "toten", ist in diesem Fall bereits eine Steigerung des Adjektivs.

Was ist "ein Blau von gellender Weiße"? (Achtung Wdhlg > Weiß, möglicherweise könntest du mit "bleich" arbeiten).

Gibt es für "Kaufcenter" nicht ein poetischeres Wort? (einkaufszentrum ist nicht besser). Auch wenn du beliebst in Alltagssprache zu schreiben, mir klingt das überhaupt nicht.

Wenn du einerseits "schliefest" schreibst, solltest du dann nicht auch schrieen schreiben?

"Mir kam viel Schaudern und Ahnen" ist natürlich sehr gewaltig und allumfassend, vielleicht ginge das detaillierter, eigener?

Der letzte Satz gefällt mir am besten.
Er ist sehr ausdrucksstark mit dem "nirgendein"

Liebe Grüße
Gerda

Klara
Beiträge: 4533
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 29.08.2007, 13:55

Hallo Caty,

das ist ein guter Text.

Ich teile Gerdas Bedenken bezüglich des "sehr" nicht, und auch das Weiß muss doppelt Weiß bleiben. Die sehrs, die Weiße und all die anderen Worte drücken auf eine so gekonnte Art die titelgebende Beklemmung aus, dass ich fast neidisch werde ;-)

Schade übrigens, dass du dich zu den ausführlichen Kommentaren zu deinem Arbeiter-Gedicht-Text so gar nicht weiter äußerst. Man wüsste dann halt doch gern: Findest du alle Kommentare daneben? Arbeitest du an einer Neufassung? Findest du meine Anregungen doof/deplatziert/unsinnig? Findest du deinen Text fertig? Man wüsste es einfach gern, wenn man sich mit einem Text auseinandergesetzt hat...

Grüße
Klara

Peter

Beitragvon Peter » 29.08.2007, 13:55

Hallo Caty,

obwohl sich die Adjektive überhäufen und man von einer Sache an sich nichts erfährt, entwirft das Gedicht doch, wie ich finde, ein deutliches Bild; es setzt den Gedanken an dieses Fenster, von dem es spricht, und obwohl dort vielleicht auch nichts Besonderes ist, wird man doch hineingezogen. Es ist die Geste, die hier die Sache macht. Die Worte "umschreien" etwas, schieben sich im Schrei an dem Geliebten vorüber, und man ahnt ein bisschen, dass er die Mitte ist, aber weil er schläft, kann er die Worte nicht halten. Mir wurde ein Gefühl im Lesen, aber ich weiß nicht, ob es trifft: Ich dachte an ein Ausrutschen, an ein gewaltiges Ausrutschen, über das alles ins Wanken gerät, vielleicht in diesem ganz banalen Sinn, wie man allgemein sagt, man sei mit dem falschen Fuss aufgestanden. Er verruscht über allen Sinn und über alles Verstehen bis ins Schaudern hinaus.

Liebe Grüße,
Peter

Caty

Beitragvon Caty » 31.08.2007, 06:51

Ist ja toll, dass es so viele Meinungen gibt zu diesem kleinen Text. Ich mache mich mal dran, euch zu antworten:

Gerda,

es ist, obwohl du der Meinung bist, nicht das, was man als Prosalyrik bezeichnet. Es sind mit dem richtigen Namen freie Verse oder Rhythmen. Prosalyrik ist was ganz anderes. Aber das ist meiner Ansicht nach wirklich wurscht.

Zu den Anmerkungen "sehr totenweiß" usw.: Die Lyrik hat eine eigene Sprache, im Unterschied zur Alltags- und Sachsprache ist sie sehr frei. Sie arbeitet mit vielen Satz- und Wortfiguren, die einen Dissens zum gewohnten Deutsch erzeugen. Selbstverständlich würde ich niemals im Alltag so formulieren "sehr totenweiß", sondern sagen "weiß wien Laken". Aber hier geht es um die lyrische Sprache. Sie ist niemals "exakt", hinter ihr steht immer ein "Eindruck", den man mit Hilfe des Wortes zu definieren sucht. Die Steigerung des Weiß erfolgt auf zweierlei Art: einmal mit der Verbindung "toten" und mit "sehr". Was ist dagegen einzuwenden? Wer legt fest, dass man lyrisch nur ein einziges Mal steigern kann? Selbst wenn es diese Festlegung gäbe - ich würde dagegen bewusst verstoßen. Der Ausdruck "gellendes Weiß" ist doch ebenfalls eine Steigerung. Es ist nicht das Gewohnte, aber darum sollte sich doch jeder Lyrikschreiber bemühen, den einen unverbrauchten Ausdruck zu finden, das machst du doch auch, nicht wahr?

Auf dem "Kaufcenter" muss ich bestehen, denn dieses Wort legt den Ort fest: die Stadt. Es klingt nicht sehr poetisch, hat etwa den Stellenwert von Abschwaschschwamm, aber diesmal ist es eben das genaue Wort. Ich könnte es mit Einkaufshölle umschreiben o. ä., aber das würde ja auch nichts bringen, ließe die Verszeile nur hinken.

Was "schliefest" angeht: Wer A sagt, muss nicht auch B sagen. Hier irrt die Redewendung. Mir gefällt die Verbindung f-s eben nicht so gut, jedenfalls nicht in dieser Verszeile, sie klingt einfach nicht gut.

Insgesamt bedanke ich mich für die Beschäftigung mit dem Text, weiß ich so doch, womit alles man rechnen muss, das könnte hilfreich werden.

Klara,

bei dir muss ich mich wohl entschuldigen, was ich hiermit tue. Ich habe bisher keinerlei Rückmeldung zu diesen Gedichten erhalten und deshalb nicht reingesehen. Wird sofort nachgeholt.
Schön, dass du meine Absichten in diesem Gedicht akzeptierst.

Peter,

jeder Leser interpretiert aufgrund seiner eigenen Erfahrungen ein Gedicht anders als z. B. vom Autor beabsichtigt. Das steht ihm auch frei, und ich bedanke mich für diese Interpretation.

Nochmal meinen besten Dank an alle.

Herzlich Caty

Gast

Beitragvon Gast » 31.08.2007, 10:31

Liebe Caty,

kannst du mir bitte mal ein Beispiel nennen oder einen Hinweis geben wie denn Prosalyrik deiner Meinung nach ausschaut?
Du scheinst ja eine sehr genau festgelegte "Ansicht" darüber zu haben. Oder hast du darüber eine Lehrmeinung gelesen, vielleicht gibt es ja auch einen Aufsatz, der lesenswert wäre.

Zur Wiederholung von "weiß" sagst du nichts auch nicht zum doppelten "sehr".
Ich fühle mich bei deiner Antwort mal wider regelrecht abgespeist und gemaßregelt.
Warum nur, frage ich mich, hast du diesen Ton? Darf man nichts bemängeln?
Schließlich könntest du ja auch deine Intention und dein Empfinden, als deine Meinungsäußerung mitteilen und nicht als „Tatsache“ verkünden.
Diese, deine Art mit Kritik umzugehen fördert meine Kritikwilligkeit nicht. Aber vielleicht kommt dir das auch gerade Recht.
Du brauchst hier über "Lyrik" im Allgemeinen kein Referat zu halten, es geht ausschließlich um deinen Text. Ob ich nicht auch außergewöhnliche Worte etc. benutze, ist nicht Thema. Mich interessiert ob man "sehr totenweiß" - was übrigens so außergewöhnlich, wie du es darzustellen versuchst auch wieder nicht ist - sagen kann, ja , trotz der Freiheit, die sich jeder Lyriker nehmen kann. Ganz sicher sollte der Grund für eine solche Form der Brechung gängiger Regeln nicht aus einem Protest gegen sie folgen. Das würde die Freiheit ja schon wieder in die Enge treiben. Mir kommt es nach deiner Antwort so vor, als ob es schon eine Unmöglichkeit gewesen sei, deine Formulierungen überhaupt in Zweifel zu ziehen

So habe ich inzwischen wiederholt festgestellt, wie wenig du von deinem eigenen Anspruch an die künstlerische Freiheit anderen lässt. Du bügelst Besprechungen deiner Texte leider in der Regel nach deinem Schema herunter; das macht mir keine Freude.
Manche deiner Sätze wirken auf mich wie aus einem alten Lehrwerk über Lyrik abgeschrieben, da frage ich mich wirklich, ob du glaubst mir Nachhilfe geben zu müssen.
Auch überlege ich, ob ich mich bei deinen Texten in Zukunft zurückhalte, für Belehrungen und Ermahnungen bin ich einfach zu alt.
Aber ich lerne gern von anderen, die in der Lage sind, mir ihre Sicht und das was ihnen am Herzen liegt nahezubringen.

Das gelingt dir nicht, obwohl wenn du deine Stellungnahme mit "Herzlich" zeichnest.

Gruß
Gerda

Caty

Beitragvon Caty » 31.08.2007, 12:05

Liebe Gerda,

ich habe mich redlich und reinen Herzens bemüht, die von dir aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Jede Belehrungs- oder Beleidigungs- oder Nachhilfeabsicht liegt mir völlig fern, dessen sei versichert. Nirgends greife ich dich an, ich versuche einfach zu erklären, warum ich diesen und keinen anderen Ausdruck benutzt habe. Mir zum Beispiel gefallen Zurechtweisungen nicht (dies ist ja nicht die erste), dazu bin ich nämlich zu alt geworden. Mir gefällt auch die Schärfe des Tones überhaupt nicht. Dazu habe ich keinen Anlass gegeben, ich bin mir da keiner Verfehlung bewusst. Selbstverständlich muss man auf Standards zurückgreifen, um eine Behauptung beweisen zu können, sonst würdest du doch glauben, ich mach es aus Jux und Dallerei. Ich denke aber auch, dass, falls du antworten möchtest, solltest du das in einer PN tun, ich habe keine Lust, mich hier vorführen zu lassen. Ich muss dir ehrlich sagen, ich begreife dich da wohl nicht ganz. Caty

Gast

Beitragvon Gast » 31.08.2007, 12:14

Nein Caty, auf PN-ebene möchte ich nichts diskutieren, weil es zu nichts führen wird, was schon dein Satz

Caty hat geschrieben:Jede Belehrungs- oder Beleidigungs- oder Nachhilfeabsicht liegt mir völlig fern, dessen sei versichert.


klar macht. Deine gute Absicht und das, was deine Worte transportieren, liegen leider meilenweit auseinander, das lässt sich auch per PN nicht aufdröseln. Ich möchte das so stehen lassen.

Liebe Grüße
Gerda

Caty

Beitragvon Caty » 31.08.2007, 14:27

Na, dann ist doch alles geklärt. Wobei, und das muss ich dir ernsthaft sagen, wenn dir alles so klar war, wie du schreibst, dann verstehe ich deine Fragestellungen ehrlich gesagt nicht. Caty


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: Google [Bot] und 10 Gäste