menschlich

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Sam

Beitragvon Sam » 03.08.2007, 14:47

menschlich

ich wünschte
musik wäre ein mensch
weil sie mir angst macht
meine verwandtschaft mit den bäumen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.08.2007, 19:49

Hi Sam,

ich habs jetzt schon so oft gelesen und versteh es nicht.
Ich lese da immer einen Widerspruch. Müsste es nicht heißen:
ich wünschte, der Mensch wäre Musik, damit es einen Sinn ergibt?
Also, du siehst, ich habe hier ein Brett vorm Kopf. :blink1:
Ich grübele weiter ...
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 04.08.2007, 07:00

Hallo Mucki,

freut mich, wenn dich die paar Zeilen ins Grübeln bringen. Das wäre vielleicht nicht so, wenn es hieße: ich wünschte der Mensch wäre Musik.
Ich mag es mal nicht Widerspruch, sondern Widerhaken nennen.

Herzlichen Dank!

Liebe Grüße

Sam

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 06.08.2007, 14:46

...es ist mal wieder die frage, ob`s aufgeht...
die letzte zeile, der paradoxe sprung verwirrt zunächst, wirkt dann und bleibt unerschlossen.
es bleibt wohl "dein" gedicht.

salve
hakuin

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2007, 15:35

Hallo Sam,

weil sie mir angst macht
meine verwandtschaft mit den bäumen


hier frage ich mich, ob die "bäume" (ich lese sie als Stammbäume, also weit zurückgehende Ahnenreihen) dem LI Angst machen können. Bei der lebenden Verwandtschaft kann ich mir das ja noch vorstellen (wie sie das LI "erschlägt"), aber bei den toten Ahnen? Eher nicht.

Im Übrigen lese ich diesen Passus jetzt, glaube ich, richtig (s. mein posting weiter oben)

ich wünschte
musik wäre ein mensch


Du schreibst ja, das das LI sich wünscht, dass der Mensch Musik wäre, nur hast du es verdreht, so dass man es erst mal verkehrt liest,-) DAS ist der "Widerhaken", den du oben meinst, ganz schön tricky und irreführend.
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 08.08.2007, 07:09

Hallo Hakuin,

es bleibt wohl "dein" gedicht.

Bleibt es, in dem konkreten Gedanken und der konkreten Empfindung, die jener Gedanke bei mir aulöst, sowieso.
Dennoch besteht durchaus die Möglichkeit, es könnte auch eines anderen werden. Auf dessen Weise natürlich.

Herzlichen Dank!

Hallo Mucki,

Ich freu mich, dass du nicht nachgelassen hast, die paar Zeilen für dich schlüssig zu machen.
In den Bäumen Stammbäume der Ahnnen zu sehen, finde ich einen sehr interessanten Gedanken.
Irreführend soll es eigentlich nicht sein. Sondern einfach eine Einladung, für ein paar Momente über diesen Wunsch nachzudenken.

Dank Dir!

Liebe Grüße

Sam

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 08.08.2007, 08:09

Ugga,

die Bäume sehe ich hier als alte Artgenossen aus unser aller Evolutionsgeschichte, in vielen Eigenschaften unterscheiden sie sich zwar vom Menschen, aber in einigen anderen Eigenschaften ähneln sie ihm, diese -- man könnte anthropozentrisch sagen "primitive" -- Eigenschaften sind es, die das Lyrich wohl beängstigen.

Jener "wäre"-Satz bringt mich zunächst auf die Idee, dem Konjunktiv zu widersprechen, dann zuzustimmen, und am Ende erneut zu widersprechen. Also: den Musikbegriff fasse ich zunächst eng und betrachte Musik als exklusiv menschengemacht: Mensch ist Musik. Nun fasse ich den Begriff etwas weiter, Walgesang und andere Tierlaute sind für mich ebenfalls Musik, auch sonstige Naturgeräusche gehören dazu, also ist Musik nicht mehr exklusive Menschensache, Musik ist Jahrmillionen alt, der Mensch ist nicht der einzige und nicht der erste Musiker; so könnte ich in eine Situation geraten mit spezieller Musik, wo ich durchaus wünschen könnte, dass diese spezielle Musik eine Menschenmusik wäre. Ein bisschen Widerspruchsgeruch bleibt aber zurück, weil ich es schlußendlich nicht schaffe, den Menschen gänzlich aus dem Musikbegriff auszuschließen. Und so bleibt es für mich dann doch ein ist und kein wäre. Womit diese Zeile mir ein Rätsel bleibt.


Cheers

Pjotr


Edit: Den Widerspruch könnte ich auflösen, wenn hier mit Mensch "warmes Fleisch zum Anfassen" gemeint ist, im Gegensatz zur Musik, dessen Körperlichkeit auf sanfte Vibrationen beschränkt ist.

Edit 2: Die Sache mit der Angst: Ist der Bezugswechsel von (beängstigende) Musik auf (beängstigende) Bäume nur untermalende Dramaturgie oder hat es wahrlich die Bedeutung, dass sowohl Musik als auch Bäume Angst machen? In letzterem Fall wäre der Musikbegriff dann wohl verwurzelt(!) mit dem Baumbegriff. Hmm ...

Sam

Beitragvon Sam » 08.08.2007, 09:29

Hallo Pjotr,

mit deiner Erklärung der Bäume triffst du so ziemlich genau das, was ich mit dieser Verwandtschaft ausdrücken wollte.
Deine Reflexionen über die Musik beruht auf der Annahme Muckis, der Wunsch Musik wäre ein Mensch sei eine Umdrehung der Aussage, der Mensch ist Musik. So stehengelassen ist das Widersprüchliche, das du herausarbeitest nicht von der Hand zu weisen.
Die Frage erhebt sich, ob der Gedankengang eine andere Richtung nähme, wenn man den Wunsch so stehen lässt, wie er artikuliert wurde. Ob dann nicht auch aus dem Begriff Angst, der hier sehr abstrakt ist, plötzlich eine Angst vor dem Abstrakten würde?

Liebe Grüße und herzlichen Dank!

Sam

Gast

Beitragvon Gast » 08.08.2007, 14:39

Lieber Sam,

dein knapper Text, zeigt sich mir immer noch sehr verschlossen.
Ich habe täglich vorbeigeschaut und dann entgegen meiner üblichen Gewohnheit alle Kommentare aufgesogen ... die es mir ermöglicht haben mich dem Text zu nähern.
Für mich ergibt sich die Frage nach dem warum so und nicht anders?
menschlich

ich wünschte
musik wäre ein mensch
weil sie mir angst macht
meine verwandtschaft mit den bäumen


... ein Ansatz, der aber wegführt vom Abstrakten:

Wenn Musik ein Mensch wäre ... und das Lyrich ängstigt die Fülle der Musik = "Menschenfülle" ?
Oder ängstigt das Lyrich doch das Archaische?
Das was immer unkalkulierbar bleibt? (Bäume)

Für mich bleibt dein Text eine Hürde, die ich nicht nehmen kann.
Was sagt mir der Text?
frage ich mich ... und finde ich keinen Anknüpfungspunkt.

Mensch - Musik - Bäume

wofür steht die Musik? Ist sie Platzhalter für schöpferisches (bewusstes - kompositorisches) Schaffen?
Ist jene Musik gemeint, die ein andere Funktion hat, als die von Pjotr genannten Walgesänge?

Stehen die Bäume für die Natur (gewalt?) an sich?
Nein, wohl eher nicht, denn du hast sie als dem Menschen Artverwandte aus vorgeschichtlicher Zeit definiert...

Fragen, die ich mir (dir) deshalb stelle, weil ich den Text als ernsthaft und überlegt gesetzt lese ... meine Denkansätze reichen wohl nicht aus, und intuitiv empfinde ich nur eine diffuse Ahnung, die sich in meine Fragen spiegelt.

Liebe Grüße
Gerda
Zuletzt geändert von Gast am 08.08.2007, 19:01, insgesamt 1-mal geändert.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 08.08.2007, 18:55

Ave, Forum,

komme gerade direkt aus dem Bett und bringe die ultimative Interpretation mit!

Das Lyrich steckt in einer Tekno-Disko. Es dröhnt maschinelle Musik, komponiert vom Automaten nach speziellen biochemischen und DNA-molekularen Zahlenreihen. Das Lyrich wird seiner Selbstkontrolle beraubt. -- Nun doch noch etwas Interpretationsfreiheit: Das Lyrich fühlt sich bedrängt und bleibt wie angewurzelt stehen, oder es tanzt trance-artig mit und seine Arme wedeln wie Äste im Sturm.


Cheers

Pjotr

Sam

Beitragvon Sam » 09.08.2007, 07:55

Hallo Gerda,

herzlichen Dank für deinen Kommentar!

Du stellst viele Fragen zu dem Gedicht und das freut mich sehr.
Was sagt mir der Text?
frage ich mich ... und finde ich keinen Anknüpfungspunkt.

Ich glaube nicht, dass es möglich ist eine Aussage in einem so kurzen Gedicht zu finden. Man kann ja nur versuchen, dem Autor auf die Spur zu kommen, oder für sich selber eine schlüssige, stimmige Erklärung oder Interpretation zu finden.

Wie du am Beispiel des kursiv gesetzen ein Mensch gut gezeigt hast, kann schon die Betonung eines Wörtchens, das Denken in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Dann ginge es hier um den Wunsch nach Reduzierung. Nach Angst vor der, wie du es nennst, Menschenfülle. Das ist interessant, aber ich könnte dies dann auch nicht mit der Angst vor den Bäumen zusammenbringen.

wofür steht die Musik? Ist sie Platzhalter für schöpferisches (bewusstes - kompositorisches) Schaffen?
Ist jene Musik gemeint, die ein andere Funktion hat, als die von Pjotr genannten Walgesänge?

Das ist wohl die entscheidende Frage, nachdem Pjotr den Bäumen (in meinem Sinne) schon auf die Schliche gekommen ist.

Im Übrigen mache ich einen großen Unterschied zwischen Menschenmusik und z.B. Walgesängen (die wir Menschen ja als "Gesänge" definieren) Bei den Walen handelte sich um ihre Form der Kommunikation. Ist diese gestört, durch akkustische Vermüllung der Meere z.B., leiden die Tiere und sterben sogar.
Der Mensch kommuniziert auf verschiedenen Ebenen. Er braucht Musik nicht zum Überleben (im Sinne als existenzielles Bedürfnis wie Hunger oder Schlaf). Die Fähigkeit Musik zu erschaffen, die keinen anderen Zweck hat, als sich daran zu "erfreuen" unterscheidet den Menschen (u.a.) ja vom Tier.

Mensch - Musik - Bäume

Ich würde es gerne etwas umstellen.
Musik
Mensch
Bäume

Der Mensch zwischen der Musik und den Bäumen. Das habe ich auch durch die Konstruktion der Sätze versucht anzudeuten. Der Mittelteil kann sich ja auf die erste wie auf die zweite Aussage (oder auf beide) beziehen.
Die Angst also vor etwas, das ihn abhebt von seiner Umwelt, aber auch vor etwas, das ihn reduziert.

Vielleicht helfen dir diese paar Gedanken ein bisschen weiter, einen Zugang zu finden, ohne dass es hundertprozentig meiner ist.



Hallo Pjotr,

geile Interpretation!

Es dröhnt maschinelle Musik, komponiert vom Automaten nach speziellen biochemischen und DNA-molekularen Zahlenreihen.

Diese Art von Musik würde ich gerne mal hören. Vielleicht ist unsere DNA ja nur im zweiten Sinne ein Bauplan für Aminosäureketten, sondern viel eher ein Notenblatt, von dem, einmal entschlüsselt, die eigene, individuelle Sinfonie gespielt werden könnte. Was uns, gelänge dies, unsterblich machen würde.

Liebe Grüße

Sam

Gast

Beitragvon Gast » 09.08.2007, 14:09

Lieber Sam,

vielen Dank für die ausführliche Rückmeldung, ja ich bin nun einen Schritt weiter gekommen, was mich sehr freut, hat sich mir gerade durch die Stellung Musik - Mensch - Bäume ein weiteres Türchen geöffnet.
Was "Menschemusik" innehat, hast du detailliert verdeutlicht, so verstehe ich den Unterschied.

Ein wenig rätselhaft bleibt der Text noch, aber gerade deshalb im Gedächtnis.

Lieber Pjotr,

was für eine Idee ... Jeder Mensch eine eigene Melodie .... ich grüble noch ... ach jetzt weiß ich woran mich der Gedanke erinnert, an das Parfum von Süskind. Grenouille hat in gewisser Weiße auch einen genetischen Duftabdruck für seine Essenzen erstellt, wenngleich auf makabre Art und Weise ...

Liebe Grüße
Gerda

Sam

Beitragvon Sam » 09.08.2007, 15:24

Hallo Gerda,

Ein wenig rätselhaft bleibt der Text noch, aber gerade deshalb im Gedächtnis.

Wenn dem so ist, dann bin ich mehr als zufrieden.

Liebe Grüße

Sam


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