1933

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
scarlett

Beitragvon scarlett » 07.08.2007, 20:26

braune worte
quellen aus polierten stiefeln

der mond lehnt blaß
in abgelegenen ecken –

gelbe sterne
bleichen kristallene räume

und seerosen fallen
fallen durch alle träume –

nacht über europa

dein name ist
nicht nur ein wort

aber es schmeckt

deutsch


scarlett, 2007
Zuletzt geändert von scarlett am 11.09.2007, 22:50, insgesamt 1-mal geändert.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 08.08.2007, 11:25

Hallo Scarlett,

ich hab da O.T. eine Frage: Waren Judenstern und Reichskristallnacht schon 1933??

Liebe Grüße
Marlene

scarlett

Beitragvon scarlett » 08.08.2007, 11:48

Hallo Marlene,

natürlich nicht, mir ging es mit dem Titel darum, den Beginn des Grauens zu markieren, das sich dann wie eine zähe, braune Masse ausbreitete.

So war das gedacht, aber möglicherweise sollte ich den Titel überdenken.

Dank dir fürs Lesen und die Rückmeldung.

Liebe Grüße,

scarlett

Herby

Beitragvon Herby » 08.08.2007, 13:42

Liebe scarlett,

einige spontane Gedanken zu Deinem Text:

Es geht Dir darum, den Beginn des Grauens zu markieren, wie du schreibst. Das geht aber für mich aus dem Text so nicht hervor, der eine weit größere Spanne als nur den Beginn abdeckt. Die Jahreszahl als Titel passt so wiederrum nicht zum Text, da sie zu eng eingrenzt.

Den ersten Gedankensttrich nach "ecken" würde ich streichen, den zweiten nach "träume" belassen.

"aber es schmeckt" - hier habe ich noch Probleme mit dem Gegensatz, der sich mir im Kontext der Verse

dein name ist
nicht nur ein wort

aber es schmeckt

deutsch


noch nicht erhellt. Könntest Du "aber" nicht weglassen?

Vielleicht kannst Du mit meinen Anmerkungen etwas anfangen.

Liebe Grüße
Herby

scarlett

Beitragvon scarlett » 08.08.2007, 13:51

Lieber Herby,

danke für deine Gedanken und Anmerkungen.

Ja, ich sehe wohl, das "Kind" muß einen anderen Namen erhalten ... nur: welchen, das weiß ich momentan überhaupt nicht. Wenn du Vorschläge hast, nur heraus damit ;-)

Den ersten Gedankenstrich ja, den kann ich streichen und das "aber" muß ich wohl auch weglassen, zu verquer sind meine Gedanken dazu, ich könnt sie vermutlich nciht mal schlüssig darlegen. Im großen und ganzen ging es mir damit darum, diesen Gegensatz zwischen nicht nur ein Wort - sondern bittere Realität - darzustellen und daß diese (so wie das Ursprungswort nämlich) eben "deutsch" geprägt oder von Dtl. aus ging... so ungefähr.

Ich laß es mal weg.

Liebe Grüße,

scarlett

Herby

Beitragvon Herby » 08.08.2007, 14:40

Ja, scarlett, über die Frage des Titels grübele ich auch noch ...

Und was die erste Strophe angeht, nach nochmaligem Lesen dachte ich eben, ob sie nicht zu kurz greift. Worte, Parolen waren das eine, aber sie alleine brachten ja nicht die Nacht über Europa und die Welt. Was ist mit den Taten? Die bittere Realität, wie Du schreibst, bestand aus Gedanken, Worten und Taten.

Nachdenkliche Grüße
Herby

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 08.08.2007, 15:23

Liebe Scarlett!

Den Titel betreffend fällt mir spontan, ganz spontan ein:

1933...

Ansonsten kann ich den Text sehr gut so lesen, wie er ist und mir erscheinen Änderungen nicht angebracht.

So long

Moshe

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 09.08.2007, 10:55

Hallo Scarlett,

1933 wurden ja die Voraussetzungen geschaffen, die zu der Katastrophe führten, die Nazis unternahmen die ersten, meist völlig harmlos ausschauenden Schritte. Vielleicht könnte dein Titel in diese Richtung gehen? Am Text selbe würde ich nichts ändern, der ist erschreckend gut.

Liebe Grüße
Marlene

scarlett

Beitragvon scarlett » 11.09.2007, 22:49

Hallo Marlene und alle,

ich habe jetzt in den Untertitel "Der Beginn" gesetzt.

Dank euch nochmal für eure Rückmeldungen.

Grüße,
scarlett

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 17.09.2007, 14:25

Hallo Scarlett,

dass Worte aus Stiefeln quellen sollen, ist für mich ein schräges, aber kein erschreckendes Bild. Lass die Worte doch einfach aus den Lautsprechern quellen oder dröhnen. Die Strophen mit Mond, Sternen und Seerosen könntest du ganz fortlassen, die passen da m. E. überhaupt nicht rein. Nach über Europa müsste man ausweiten, es ging ja auch nach Afrika, Japan usw.

Sehr gut ist dein "es schmeckt deutsch", da würde ich nichts ändern.

Liebe Grüße
Marlene

Gast

Beitragvon Gast » 17.09.2007, 22:12

Liebe Marlene,

ich lese gerade so über die Kommentare hinweg und bleibe mit meinem Unverständnis bei deinen Kommentaren hängen.
Du schreibst einerseits am 09.08.:
Marlene hat geschrieben:Am Text selbe würde ich nichts ändern, der ist erschreckend gut.

hingegen am 11.09.
Marlene hat geschrieben:dass Worte aus Stiefeln quellen sollen, ist für mich ein schräges, aber kein erschreckendes Bild. Lass die Worte doch einfach aus den Lautsprechern quellen oder dröhnen. Die Strophen mit Mond, Sternen und Seerosen könntest du ganz fortlassen, die passen da m. E. überhaupt nicht rein. Nach über Europa müsste man ausweiten, es ging ja auch nach Afrika, Japan usw.

Vor einem Monat schien dir das doch passend? :confused:

Liebe scarlett,

ich verstehe ganz besonders die Seerosen nicht. Sind sie ein Symbol, oder sollen sie die Traumebene verkörpern ...
Mir kommt der Text sehr verschlossen vor, so als ob ich ohne Kenntnis der konkreten Geschichte des Lyrich, die nur der Autor kennt nicht verstehen kann ... also auf der politsichen Ebene schon ... klar das ist Geschichtswissen ... aber was fehlt mir da bloß ... ich bin sehr ratlos bei diesem Text.
Vielleicht magst du dennoch etwas dazu schreiben.

Liebe Grüße
Gerda

scarlett

Beitragvon scarlett » 18.09.2007, 09:50

Hallo Marlene,

danke daß du dich nochmal zu diesem Gedicht geäußert hast.

Etwas verwirrt mich die Antwort zwar schon, weil ich eigentlich einem früheren Kommentar entnommen hatte, daß du es "erschreckend gut" findest. Aber anscheinend bezog sich das nur auf den Schluß und ich hatte es falsch verstanden.

Mit dem Bild der braunen Worten, die aus Stiefeln quellen, wollte ich gleich mehreres versprachlichen: sie kommen von "unten", unterstes Niveau sozusagen, werden immer mehr, so daß sie überquellen und sich langsam wie ein Lavastrom über alles wälzen, sie werden weitergetragen (die Stiefel tragen sie ja überallhin), die "Hülle" ist blankpoliert (Kontrast zum Inhalt). Letztendlich geht es einfach um die Ausbreitung und Verbreitung der Naziparolen/propaganda, des braunen Gedankenguts .

Die folgenden Strophen kann ich keinesfalls weglassen, es ist schließlich das, was verkürzt, zusammengezogen ausgedrückt, der "Anfang" dann im folgenden bewirkt hat.
Das Gedicht spielt in den folgenden Zeilen weiter mit dem Kontrast: was als "romantische" Szenerie inszeniert wird, ist gefüllt mit Worten, die für das Grauen schlechthin stehen.

Grüße,
scarlett

Liebe Gerda,

es hängt vermutlich an den Seerosen, die dich so ratlos zurücklassen.
Sie passen aber ins Bild (siehe weiter oben).

Zu den Seerosen:
zum einen kam ich auf das Bild, weil es zur Nacht, den Sternen, dem Kristall paßte (jetzt erstmal ohne die weitere negative Bedeutung, die diese Worte ja im Gedicht bekommen, die ja sozusagen ins Gegenteil verkehrt werden, also nix mit romantisch!)

Dann hab ich nachgelesen und fand fast alle symbolischen Bedeutungen, die dieses Bild hat, sowohl in christlicher als auch nichtchristlicher Tradition, für meinen Kontext passend:
Keuscheit, "Vernichter der Liebe", Ursprung des Lebens, Lebenskraft, Reinheit, bis hin zum Symbol der Weltschöpfung (im alten Ägypten).
Es ging mir also darum, die totale Entwurzelung, Entfesselung, Vernichtung in ein Bild zu packen...
Die blaue Seerose ist darüberhinaus auch Symbol des Todes...

Jetzt klarer?

Ganz lieb von dir, daß du dich noch geäußert hast.

Liebe Grüße,
scarlett

Gast

Beitragvon Gast » 18.09.2007, 10:14

Liebe scarlett,

vielen Dank, so kann ich es verstehen und mich in den Text einfühlen.

ein bisschen OT, also nur durch den Text angeregt:

Durch den ersten Vers legst du das Geschehen auf seine Zeitepoche fest .
Es ist Beschreibung der (vergangenen)Geschichte.

Ich möchte nur anmerken, das man sich nicht darüberhinwegtäuschen lassen sollte, dass "Braune Gesinnung" inzwischen nicht mehr nur "von unten" kommt .
Ein Teil der heutigen heutigen Nazis gibt sich inzwischen den Anstrich unauffälliger Bürger, eben durch (Springer)stiefel nicht aufzufallen.
Das führt u. a. bei den Antirechtsdemonstrationen dazu, dass sich solche Typen izwischen die Teilnehmer der Demos gegen Rechts einsortiern um da Krawall zu machen, sodassdie Polizei eingreifen muss und die Rechten ihr Ding abziehen können.

Wenn unser Staat nur halb so viel Energie in die Bekämpfung der Rechten stecken würde, wie in das Problem des Terrorismus mit dem er uns füttert und suggeriert, dass wir immer merh ausspioniert werden müssen ...

Sorry, scarlett, das musste gerade hier raus, wenn sich eine Diskussione entwickelt, verschiebe ich den Teil der mit dem Text nichts zu tun hat.

Liebe Grüße
Gerda

scarlett

Beitragvon scarlett » 18.09.2007, 19:00

Liebe Gerda,

"dass "Braune Gesinnung" inzwischen nicht mehr nur "von unten" kommt",

ja da hast du recht. Aber an der Tatsache, daß über die Worte meist ein Anfang geschieht, ("Stammtischgejohle"), daran hat sich (leider) nichts geändert. Klar, "die" sind auch schlauer geworden, sie wissen sich besser zu verkaufen und das sind heute die Gefährlichen: die äußerlich Unauffälligen, rhethorisch vielleicht sogar geschulten, die genau und äußerst gezielt ihre "Parolen" plazieren ...

Liebe Grüße,
scarlett


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