Die Tür

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Chiquita

Beitragvon Chiquita » 27.07.2007, 13:42

Die Tür




Ich bin aus dem Alter heraus, wo ich mich für meine
Dummheit rechtfertigen muss oder gar schämen.
Ich würde sage, ich entwickelte mit den Jahren eine
Art Souveränität, oder bilde es mir ein. Ich rede von
einem Prozess, der nicht abgeschlossen ist.
Das Leben bedeutet Ehrlichkeit und ein mit dieser
Ehrlichkeit überzeugendes Auftreten – vor sich und
seiner Umwelt.

Bevor ich ins Labern komme, erzähle ich lieber von
der Tür heute Morgen. Eine hundsnormale Bade-
zimmertür, die ich anstarrte, während ich auf dem
Klo saß. Sie schien zurückzustarren. Kalkweiß mit
einer gewöhnlichen Klinke. Der Schlüssel steckte.
Ich würde das Bad nur durch diese Tür verlassen
können. Das Gehen durch Türen war im Alltag
selbstverständlich. Ich drücke die Klinke herunter,
öffne die Tür und trete über die Schwelle.
Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, dass die Tür
einen Eingang und einen Ausgang repräsentierte.
Ich würde sie als Ausgang benutzen müssen, dachte
ich auf dem Klo hockend und hatte plötzlich die
fixe Idee, warten zu müssen, bis jemand anklopfte,
dem ich öffnen würde und somit erst dann die
Gelegenheit erhielte, das Bad zu verlassen.
Die Tür starrte mich an, als wäre sie ein Wächter,
ein Einwegeventil. Diese Tür wollte kein Ausgang
sein. „Ich bin doch keine Schwingtür“, schien sie mir
zu sagen.
Ich erinnerte mich, dass ich als Kind traumatische
Erlebnisse mit Klotüren hatte, weil sie wegsperren
können, weil geliebte Menschen hinter ihnen ver-
schwinden und lange nicht mehr auftauchen.
In einem Alptraum verschwand meine Mutter in
einem Klo, und ich hämmerte unter Tränen gegen
die Tür. Auch war ich selbst schon in Toiletten
eingeschlossen, weil der Schlüssel klemmte.
Nur die Ruhe bewahren, dachte ich, die Tür wird
sich öffnen. Die Ohnmacht des Eingeschlossenen
ist eine der schlimmsten Qualen, die ich jemals
erlebte.
Ich feuerte in Gedanken eine Maschinengewehr-
salve auf die Tür ab. Die Sitzung war beendet.
Souverän drückte ich die Klinke und ließ Tür
und anderes hinter mir.





(2005)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 27.07.2007, 23:50

Ein sehr aufrichtiger Text, wo sich das Kritisieren oder Verändern-Wollen eigentlich verbietet. Man könnte den Anfang überflüssig finden, sicher, tut man aber nicht. Ich halte das für 'Befindlichkeitslyrik' im positiven Sinne...

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 28.07.2007, 12:03

wie kommst du auf "befindlichkeitslyrik", thomas? das ist ein astreiner kurzprosatext. der inhalt handelt von befindlichkeiten und von perspektiven, von merkwürdigen gedanken.
was ist ein aufrichtiger und was ein unaufrichtiger text?

gruß
chiqu.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 28.07.2007, 12:16

Stimmt, Lyrik passt natürlich nicht. Ich meinte generell damit eine 1:1-Darstellung. Es findet keine Übertragung in eine 'literarische', übertragene Ebene statt, was immer das sein mag. Und oft werden Texte, denen diese Übertragung fehlt, als Befindlichkeits- nennen wir es 'Literatur', mitunter zurecht abgewertet. Bei diesem Text hier wird die Direktheit aber so zum Mittelpunkt, dass sich das Anlegen ebendieser Maßstäbe m.E. nicht anbietet, wie gesagt, im positiven Sinne.

Ob ein Text aufrichtigt ist oder nicht, wrid letztlich nur der Autor wissen. Diesen hier halte ich einen aufrichtigen.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 28.07.2007, 12:23

da müßte ja jeder text aus der ich-perspektive "befindlichkeitsliteratur" sein. eine 1:1 darstellung gibt`s nicht. nicht mal beim tagebuch oder beim brief. in dem moment, wo ich schreibe, rutsche ich automatisch in eine literarische ebene, die von mehr oder weniger realen hintergründen gespeist wird.

gruß
chiqu.

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Beitragvon Thomas Milser » 28.07.2007, 13:40

Sehe ich anders. Nimm einen Schülerausatz. Heute waren wir im Zoo. Da waren sehr viel Elefanten ... nix literarisch ... Und Tagebücher oder Briefe können beides sein. Das ist keine Frage des mehr oder weniger realen Hintergrundes, sondern der Übertragung. Ein Tagebuch kann schreiben: Heute Morgen um sechs aufgestanden, Kaffee gekocht... oder: Zurückgekehrt aus dem Nebel kroch die schwarze Glut langsam in mir auf...

Aber ich wollte hier auch keine Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen, sondern einfach sagen, dass mir der Text auch ohne Übertragung gefällt.

das wars auch schon,
Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 28.07.2007, 14:32

thomas, nirgendwo sagte ich, daß literatur eine frage des mehr oder weniger realen hintergrunds sei. die literarische ebene speist sich mehr oder weniger von einem realen hintergrund.
ein schüleraufsatz ist an sich ebenso wenig literatur wie ein tagebuch, kann aber in diesen stand versetzt werden, wenn entweder der autor es als literatur ansieht, oder diese selbstzeugnisse im nachhinein kulturell literarische weihen erlangen - das kann ganz unterschiedliche gründe haben. oft reicht die prominenz einer person bereits aus.
man kann davon ausgehen, daß die autoren in einem forum nur als literatur gedachte texte veröffentlichen. es stellt sich dann für die leser nur noch die frage, ob es sich um gute oder schlechte literatur handelt.
man kann alles zur literatur erklären, sowie man alles zur kunst erkären kann.
ich weiß, daß manche mit dieser freizügigkeit hadern. doch sachlich gesehen ist es halt mal so.
zb.: nehmen wir die liebe - es gibt menschen, die zu manchen verbindungen sagen: das ist keine liebe. es ist noch nicht lange her, da wurde homosexuellen verbindungen von einer mehrheit die liebe abgesprochen. es ist nicht möglich, die liebe zu definieren oder einzugrenzen. genausowenig ist es möglich, den kunst- und literaturbegriff einzugrenzen. trotzdem gibt es nicht wenige reaktionäre hohleier, die immer noch glauben, sie könnten das. und das im 21. jahrhundert!
den intellektuellen unter ihnen empfehle ich zu diesem thema "sprachen der kunst" von nelson goodman - vor etlichen jahrzehnten erschienen.
wie ich bereits sagte, mir kommt es manchmal vor, als wäre die kunstszene heute mehr rückschrittlich und weniger progressiv. wahrscheinlich ist das so bei revolutionen. sie haben ihre kreativen zeitspannen, meist nicht länger als ein jahrzehnt, und danach versinkt alles wieder ins gewohnte und konservative. vielleicht ein wenig bereichert - für die, die sich damit auseinandersetzen. ansonsten werden neue erkenntnisse schnell wieder vergessen. frage mich nicht, warum das so ist. es ist wohl auch der grund, warum die menschen nur sehr schwer aus der geschichte lernen.
stattdessen wird haufenweise pseudointellektuell rumgelabert ...
zum kotzen!


gruß
chiqu.

Sam

Beitragvon Sam » 29.07.2007, 08:17

genausowenig ist es möglich, den kunst- und literaturbegriff einzugrenzen.

Allgemein kann man das nicht. Aber es kann jeder für sich tun. (Siehe meinen Beitrag zu Pjotrs Literatur/Nichtliterturfaden in der Schreibwerkstatt)
Ich glaube sogar, dass eine solche Eingrenzung von den KÜnstler unerlässlich ist, damit sich seine Kunst nicht in Beliebigkeit verliert.
Die angesprochenen Revolutionen kamen auch nur daher, dass jemand für SICH eine neue, andere Kunst/Literatur Definition geschaffen hat und danach seine Kunst orientierte. DAs gilt dann immer als progressiv und es gibt genug, die sich einer solchen Bewegung angeschlossen haben, wobei progressiv oftmals mit kreativ verwechselt wurde. Deswegen dauern solche Bewegungen nie sehr lange.
Interessant auch, warum solche Bewegungen nach vorne, weg vom Althergrachten und Konservativen immer auch am Ende eine Rückwärtbewegung provozieren. Weil der Mensch immer nur kleine Schritte gehen kann - auch oder vor allem im Geistesleben. DA aber der Rückwärtsschritt selten so groß ausfällt, wie der revotiolunäre Sprung nach vorne, ist immer ein kleiner Schritt getan. Nicht in Richtung besser/schechter sondern in den der größeren Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten.

Wie dem auch sei, wenn jeder für sich ein klares Bild von dem hat, was er von Kunst/Literatur erwartet, dann lässt sich trefflich untereinander streiten, ohne das es persönlich zu werden braucht, weil es Konzepte und keine Menschen sind, die miteinander im Klinsch liegen.

Zu deinem Text:

Ich halte Toms Bemerkung von Befindlichkeitslyrik für zutreffend. Allerdings im negativen Sinne. Wobei Lyrik bestimmt falsch ist, denn gerade am eileitenden Absatz kann ich nichts lyrisches finden. Die Zeilenumbrüche allein machen es ja noch nicht.
Die nachfolgende Betrachtung einer Betrachtung einer Badezimmertür ist für mich von einer an Albernheit grenzender Banalität. Da, wo es für mich interessant werden könnte, wenn es um die "traummatischen" Kindheitserlebnisse in Verbindung mit der Klotür geht, triftet es doch wieder ins Billige ab. Am Ende sind die Eingeschlossenheitsängste nichts anderes, als Verstopfungen und ein guter Stuhlgang behebt das Problem.
So herrscht allerseits Erleichterung. Bei dem Erzäher, weil die Tür wieder offen-, und beim Leser, weil der Text zuende ist.

Beste Grüße

Sam

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 29.07.2007, 14:13

danke fürs lesen, sam. da der text kurz ist, mußtest du dich nicht zu sehr quälen. auf dem klo gelesen? das wäre doch interessant - du hast bestimmt auch eine klotür. vielleicht denkst du mal an meinen text, wenn du sie auf dem klo sitzend anschaust.
oft sind es die banalitäten, die das grauen und das geheimnisvolle im alltag transportieren. ich hätte den text thematisch noch ausbauen können, aber da war meine sitzung zu ende. so blieb es eine schnuckelige kurzprosa, die nichts großartiges mit dem leser vorhat - als eine banalität (gedanken auf dem klo) vom alltag hervorzuheben.

chiqu.


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