In Mathe war ich immer schlecht

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Max

Beitragvon Max » 17.06.2007, 19:24

In Mathe war ich immer schlecht

Vielleicht hätte ich gewarnt sein können. Vielleicht hätte jemand, der schon zu Schulzeiten Lehrer als seine natürlichen Feinde und Prüfungen als reine Schikane betrachtet hat, nicht ausgerechnet einen Beruf ergreifen sollen, in dem es zu seinen Aufgaben gehört, Lehrerexamen abzunehmen. Vielleicht hätte mir zumindest jener denkwürdige Tag, an dem ich nach zehn Minuten wegen eines allergischen Schocks aus einem Lehrerzimmer getragen werden musste, in dem ich auf einen Freund wartete, ein Fingerzeig sein können.

Solche und ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich einen Tag nach Rückgabe der Klausur „Mathematik für Lehramtskandidaten“ mein Büro betrete. TrandyAndy@msn.com hat geschrieben, seine Mail liegt obenauf in meiner Mailbox. – Trandy mit A. „Englisch kann er also auch nicht“, geht es mir durch den Kopf, bevor ich sein Schreiben öffne. TrandyAndy ist mit meiner Klausur unzufrieden, teilt er mir mit. Enttäuscht sei er, weil nur vier der acht Klausuraufgaben leicht lösbar gewesen seien, die anderen hingegen schwer. Er begreife ja, dass es auch schwierige Aufgaben geben müsse, aber davon seien in der Klausur eindeutig zu viele vorgekommen. – So viel Verständnis verdient natürlich eine Antwort:

„Lieber Herr Andy“, schreibe ich – ich werde ihn ja nicht mit dem Vornamen ansprechen –
„ich kann Ihre Enttäuschung nachvollziehen. Tatsächlich bin auch ich enttäuscht, dass Sie die Klausur nicht bestanden haben. Ihrem Ergebnis entnehme ich, dass nicht nur vier, sondern sieben der acht Aufgaben für Sie nicht lösbar waren, bei der achten haben sie immerhin die Hälfte der Punkte. – Mit zwei erfolgreich behandelten Aufgaben, wäre die Klausur bestanden gewesen. Leider hat sich an unserem Institut die Tradition eingeschlichen, die Klausuraufgaben am behandelten Stoff zu orientieren. Ich ziehe in Erwägung, Sie bei der nächsten Klausur vorher um Rat zu fragen.“

Danach ist mir wohler. Da kann ich mich auch daran begeben, die Mail von schwipps123@gmx.de zu beantworten. Schwipps heißt im wirklichen Leben Kathrin und fand schon bei der Evaluation, dass die Vorlesung neben den anderen sieben Veranstaltungen, die sie in diesem Semester belegt, nicht zu schaffen ist (dem kann ich nur zustimmen) und dass zudem das Skript mit 180 Seiten zu lang sei. Mit letzterem stößt sie ins gleiche Horn wie ihre Freundin Andrea, nur findet die, das Skript sei zu kurz.

Während ich maile, klopft es an der Tür. Als ich öffne, steht vor mir ein 1,65m großer, braun gebrannter Herkules auf Rollerblades. Er schaut mich an, als müsste ich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Auf meine Nachfrage erklärt er es mir dennoch: Er sei in der Klausur mit einem Taschenrechner erwischt worden, daraufhin durchgefallen und wolle nun wissen, ob da noch etwas zu machen sei. Uff! Der Taschenrechner war ein programmierbares Wunderding, dass die Klausur locker alleine bestanden hätte und dass Taschenrechner nicht erlaubt sind, habe ich zweimal in der Vorlesung erklärt, es wurde vor der Klausur von der Aufsicht vorgelesen, stand während der Klausur an der Tafel und auch auf dem Aufgabenzettel. Wie, um Himmels Willen, hat er das übersehen können? In den Vorlesungen habe er wegen Krankheit gefehlt, außerdem sei er schwerhörig und kurzsichtig, erklärt er. Auf den Aufgabenzettel habe er wohl nicht gründlich genug geschaut. Ich seufze und bin nahe dran, ihm Sonderpunkte wegen schwerer Gebrechlichkeit zu geben. Aber selbst, wenn ich ihm nur die Punkte für die Aufgaben abziehe, wo er den Taschenrechner hätte verwenden können, ist er durchgefallen. Er habe ja nicht mogeln wollen, argumentiert er, schließlich hätte die Aufsicht den Taschenrechner ja bei ihm auf dem Tisch gefunden und nicht darunter. „Nun, sonst hätten Sie ihn wohl auch nicht lesen können“, antworte ich und erinnere ihn an seine Kurzsichtigkeit. Ja, selbst wenn ich großzügig bin und ihm nur für die Aufgabe, bei der er erwischt wurde Punkte abziehe, ist er durchgefallen, ja sogar, selbst wenn ihm nur die Punkte für die Rechnung, die er nachweislich mit dem Taschenrechner gemacht hat, fehlen, ändert sich an seinem Resultat nichts. Als ich schlussendlich sage, ich könne ihm schließlich nicht noch Extrapunkte dafür geben, dass er mit unerlaubten Hilfsmitteln erwischt wurde, rollt er aus meinem Büro und brüllt: „Mit Ihnen kann man ja nicht reden.“ Hoffentlich begegne ich ihm nicht nachts.

Inzwischen hat sich TrandyAndy wieder gemeldet. Er will wissen, wie man sich für die Nachklausur anmeldet – ich kann ihm sagen, dass er, da in der ersten Klausur durchgefallen, schon angemeldet ist. Kaum habe ich die Mail abgeschickt, gibt mir meine Mailbox schon wieder ein Zeichen. TrandyAndy ist zwar nicht der Hellste, was Mathematik betrifft, aber schnell wie der Blitz. Unter diesen Umständen, so hat er entschieden, will er sich von der Nachklausur wieder abmelden.

Mir bleibt keine Zeit mich zu wundern, ich muss zur Besprechung der Klausur. Der Hörsaal ist berstend voll. Schon bei der ersten Aufgabe möchte ein Student – ich tippe vom Aussehen auf Mathe/Sport oder Mathe/Erdkunde (mit Schwerpunkt auf dem jeweils anderen Fach) - wissen, was denn an seiner Lösung verkehrt ist. „3% einer Bevölkerung“, hieß es in der Aufgabe, „ leiden an TBC. Ein Test stellt TBC zu 99% fest, liegt TBC nicht vor, so fällt er mit 95% Wahrscheinlichkeit negativ aus. Mit welcher Wahrscheinlichkeit hat jemand, dessen Test positiv ist, auch wirklich TBC?“
Die Antwort des Studenten ist verblüffend: „Wir definieren die folgenden Ereignisse:

P sei das Ereignis, P ist eine Person.
P’ sei das Ereignis P ist negativ an TBC erkrankt.
P sei die Wahrscheinlichkeit von P.“

Danach berechnet er die Wahrscheinlichkeit, dass jemand negativ erkrankt ist, wenn er keine Person ist. Nicht weiter verwunderlich, dass ein Ergebnis auch noch die 100% weit übertrifft. Ich murmele etwas von einem extensiven Gebrauch des Buchstaben P und gehe weiter zur nächsten Aufgabe.
Auch die ist nicht ganz ohne Tücken. Jeder voreilige Stolz meinerseits, sie richtig an der Tafel vorgerechnet zu haben, wird jäh vom Zwischenruf eines Studenten zerstört: „Letzte Woche haben Sie noch gesagt x sei 0,7, jetzt ist es 0,3“, protestiert er. Meine Kniekehlen fühlen sich merkwürdig taub an. Bloß schnell weiter zu Aufgabe 3.
Hier stellt sich heraus, dass leider 30% der zukünftigen Lehrer die Binomische Formel vergessen haben. Doch ich bleibe stark und wiederhole sie rasch: a plus b in Klammern zum Quadrat ist a Quadrat plus zwei a b plus b Quadrat. Noch rasch ein Beispiel:
„Wenn man für a eins und für b minus eins einsetzt …“
In der zweiten Reihe zeigt eine Frau auf.
„Ja?“
„Aber Herr M! Für die Art Mathematik ist unser Gehirn nicht gemacht, damit müssen Sie doch rechnen.“
Rechnen? Ich mache den ganzen Tag nichts anderes. Nun hat sie mich doch so weit. Ich spüre wie mir das Blut in den Kopf und der Geifer aus dem Mund schießt.
„Sie wollen doch Lehrerin werden“, zische ich, „Mathematiklehrerin! Was würden Sie denn sagen, wenn Ihr Fahrlehrer mitten im Stadtverkehr sagte: Für diese Art von Verkehr ist mein Gehirn nicht gemacht. Und wenn dieser Fahrlehrer zudem Schwierigkeiten hätte, ein Auto von einem Schiff zu unterscheiden?“

Als ich den Hörsaal verlasse rast mein Puls immer noch – ich brauche eine Pause. Fünf Minuten, dann sitze ich in meinem Lieblingscafe. Vor mir einen Block, einen Milchkaffee und zwei Brötchen. Während ich Rechnungen auf mein Papier kritzele, erwecke ich das Interesse einer dunkelhaarigen Schönheit am Nebentisch. Immer wieder gleitet ihr Blick zu mir herüber. „Was machst Du da?“ fragt sie schließlich. „Schreibst Du einen Brief? Ist das Griechisch? Bist Du Grieche?“ – Ach, könnte ich „ja“ sagen, der Tag wäre gelaufen. So aber nuschele ich, es sei Mathematik und sie wendet sich mit einem angewiderten Gesichtsausdruck von mir ab, als hätte ich gesagt, ich habe Lepra.

Wenig später zahle ich. „8 Euro vierzig“ schmettert mir Renate, die Bedienung, den Preis so schnell entgegen, dass ich ahne, dass sie vorbereitet ist. Als ich einen Fünfzig-Euro-Schein zücke, legt sich ihre Stirn in tiefe Falten. Fieberhaft beginnt sie zu rechnen. Nach gut drei Minuten strahlt sie mich an und zählt mir mit Siegerlächeln 63 Euro 40 auf den Tisch. Als ich ihr zu erklären versuche, dass sie mir – egal was der richtige Betrag ist – keinesfalls mehr als 50 Euro zurückgeben sollte, kommt er endlich, mein Lieblingssatz, der absolute Höhepunkt eines jeden Tages: „In Mathe war ich immer schlecht!“
Reflexartig bildet sich in mir die Antwort: „Was ist so toll daran, schlecht in Mathematik zu sein? Wieso kann man damit angeben? Wieso sagt niemand erhobenen Hauptes: Ich kann weder schreiben noch lesen? oder: Sprechen liegt mir nicht so? Wieso würde sich jeder schämen zu sagen: Ich bin leider völlig humorlos und wieso ist es gleichzeitig völlig akzeptabel, wenn man sagt, dass man Mathematik nicht kann?“
Schon will ich diese Sätze herausschleudern, da denke ich an heute Morgen und mich überkommt eine tiefe Milde:
„Von wem hätte sie Mathematik denn lernen sollen?“ denke ich und verlasse friedlich den Raum.
Zuletzt geändert von Max am 02.07.2007, 22:23, insgesamt 9-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 23.06.2007, 12:10

Liebe Dita,

das ist eine der schönsten Kritiken, die ich auf diesen Text bekommen habe. Also werde ich wohl mal in mich gehen und schauen, ob da noch mehr solche Texte schlummern ;-).

Liebe Dank
max
Zuletzt geändert von Max am 24.06.2007, 16:50, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
Mnemosyne
Beiträge: 1333
Registriert: 01.08.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mnemosyne » 24.06.2007, 15:47

Hallo Max,

der Text ist super - danke, daß du mir die Arbeit abgenommen hast, ihn selbst zu schreiben :-).
Besonders die Stelle mit der dunkelhaarigen Schönheit - es gibt kein effektiveres Mittel, sich unerwünschter Annäherungsversuche zu erwehren, als ein Mathematikstudium. Leider gilt das teilweise auch für erwünschte...
Vielleicht möchtest du den folgenden Gedankengang bei der Bearbeitung einer Übungsaufgabe einbauen, den vor kurzem ein Bekannter am Nachbartisch hörte: "Jedes zweite Jahr ist ein Kartoffeljahr, jedes dritte ein Salatjahr." Schlußfolgerung: jedes fünfte Jahr ist ein Kartoffel-und Salatjahr.
Ist der Titel eigentlich absichtlich mit dem eines Buches von Beutelspacher identisch?

Viele Grüße

Merlin

Max

Beitragvon Max » 24.06.2007, 16:50

Lieber Merlin,

ach hätte ich geahnt, dass Du ihn schreiben wolltest :-).

Die Übungsaufgabe ist ja köstlich, es gibt so vieles, was in einer Langform dieser Glosse zu schreiben wäre (z.B. , dass ich einmal eine Klausur - diesmal bei BWLern - korrigieren durfte, die Wohl mit Einheistwurzeln, Einheitskreis und Polarkoordinaten etwas durcheinander gebracht hatten und schrieben: Die Einheitswurzeln liegen auf dem Polarkreis ...).

Der gleiche Titel wie Beutelspachers Buch ist irgendwie unvermeidlich - er hat ihn ja auch nicht schützen lassen ;-) .. ich konnte mir ein Grinsen dabei aber nicht verkneifen, weil die Kolumne eher die verzweifelte Seite seines didaktischen Impetus ist :-).

Liebe Grüße und danke fürs Lesen
Max

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 25.06.2007, 02:22

lieber max,

diese geschichte las ich mit einem dauerschmunzeln, bis zu dieser stelle:

Danach berechnet er die Wahrscheinlichkeit, dass jemand negativ erkrankt ist, wenn er keine Person ist.

denn ab da kam ich aus dem vor-mich-hinlachen nicht mehr raus.

aufbau, pointen, steigerungen und schlusswendung finde ich ausgezeichnet.

im übrigen bin ich mit klara der meinung, dass dieser text, nach feinschliff, unbedingt in größerem stil auf die menschheit loszulassen ist!

liebe grüße
aram



ps - zum feinschliff kann dir jetzt leider keine konkreten tipps geben, weil mich die rechenaufgabe gepackt hat ... in mathe war ich immer am abgrund, hatte nachprüfungen, fiel auch mal durch - da ich leider nie imstande war nach schema zu rechnen und nur aufgaben bewältigte, deren lösungsweg ich selbst ableiten konnte, was leider schnell an grenzen stieß - mal sehen - von 10000 menschen haben 300 tbc und 9700 nicht, 5% der 9700 testen positiv: 5x97=485. 99% der 300 testen ebenfalls positiv: 99x3=297, insgesamt testen also 485+297=782 positiv. davon haben aber nur 297 tbc, bezogen auf 782 positiv getestete sind das 297 geteilt durch 7,82 - oh, das ist im kopf aber wirklich schwer zu dividieren! - ich nähere mal 304 (240+64) / 8 = 30+8 = 38% ?
(wenn du mir sagst, dass das hinkommt, zeige ich dir eine stilschwäche im text, sagt du, es sei falsch, mach dich schon mal auf eine e-mail gefasst!)
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Benutzeravatar
Mnemosyne
Beiträge: 1333
Registriert: 01.08.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mnemosyne » 25.06.2007, 03:11

Hallo Max,

die Anekdote mit dem Polakreis ist ja großartig, die muß ich mir merken! Außerdem fällt mir eine Gruppe von Informatikern ein, die, um herauszufinden, ob die Folge der Potenzen einer dritten Einheitswurzel konvergiert, erst umständlich den Betrag der Einheitswurzel ausrechneten, dann feststellten, daß er gleich 1 ist und dann mit dem Vermerk, die Folge der Potenzen von 1 würde divergieren, zu dem Schluß kamen, dies gelte auch für die ursprüngliche Folge...
Eines möchte ich aber noch anmerken: die durchgängige Gleichsetzung von Mathematik mit Rechnen im ganzen Text sollte man irgendwo durchbrechen - Rechnen ist schließlich ein rein mechanischer Vorgang, während Mathematik eine ziemlich kreative und innovative Angelegenheit sein kann.

Viele Grüße

Merlin

Max

Beitragvon Max » 25.06.2007, 21:17

Lieber Aram,

herzlichen Dank für diesesen Kommentar. Ich weiß nicht, ob ich mich traue, den Text an so etwa wie die Zeit zu schicken, aber vielleicht packt mich ja der mut und Hinweise auf Stilschwächen nehme ich so oder so entgegen.
Damit ich sie bekomme: Ja, Deine Rechnung stimmt :-). Beinahe aberwitzig wird dieselbe Rechnung, wenn man sie beispielsweise auf BSE oder ähnlich seltene Krankheiten anwendet. Gut möglich, dass 99% der positiv getesteten Tiere (nicht zu reden von geschlachteten Tieren) gesund waren. Übrigens habe ich mit dem Argument auch schon immer behauptet, fast alles Radfahrer wären gedopt. Der Grund für die B-Probe ist nämlich der, dass man selbst bei zufälligen Dopingproben (wie oben) auch unschuldige Fahrer zu unrecht verdächtigen würde .. wenn aber NIE die B-Probe anders ausfällt als eine postive A-Probe, was sagt das dann?

Lieber Merlin,

das mit der Mathematik und dass ei nicht gleich rechnen ist (sie ist sogar ziemlich ungleich) stimmt, das sollte ich noch einbauen .. mal schauen, ob ich den passenden Platz finde ...


Liebe Güße
Max

Benutzeravatar
ferdi
Beiträge: 3260
Registriert: 01.04.2007
Geschlecht:

Beitragvon ferdi » 26.06.2007, 21:49

Hallo Max!

Als sich neulich die Frage nach der Quadratwurzel aus 40 stellte und ich ohne Zögern "6,32" sagte (Ich weiß, da fehlt was ;-)), wurde auch gemutmaßt, ich sei gut in Mathematik. Ich bestand aber darauf, lediglich halbwegs rechnen zu können (Mathematik ist zu schwer für mich) - ein Unterschied, der allerdings nicht so ganz verstanden wurde :smile:

Dein Text gefällt mir gut. Vielleicht auch, weil mir einige der geschilderten Sachverhalte nicht ganz unbekannt sind. Aber vor allem, weil er schön geschrieben ist.

Ein Wort noch zur Ehrenrettung der Mathelehrer: Viele meiner Freunde sind solche (allerdings mehr mit Kombinationen wie Mathe/Informatik, Mathe/Physik, Mathe/Chemie), und ich lege Wert auf die Feststellung, dass jeder, der sich auf ein Arbeitsleben in einem gastronomischen Betrieb vorbereiten will, bei ihnen in den allerbesten Händen wäre!

Das gesagt habend hier noch vier Stellen, die bei mir Fragen aufbrachten:

Mir bleibt keine Zeit mich zu wundern (muss da ein Komma rein?)
P sei das Ereignis P, ist eine Person (was macht das Komma da?)
„Aber Herr M. für die Art Mathematik... (Rufzeichen nach M.?)
Ich rechne den ganzen Tag nur (Klingt arg umgangssprachlich. Ginge nicht "Ich mache den ganzen Tag nichts anderes" o.ä.?)

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Max

Beitragvon Max » 27.06.2007, 20:32

Lieber Ferdie,

lieben Dank für die liebe Besprechung und die genaue Lektüre.

NATÜRLICH sind nicht alle Mathematiklehrer so (ohne meine Mathematiklehrerin hätte ich nie Mathematik studiert), aber das kann ich ja bei einer Glosse schlecht immer dazu sagen ;-) ... Nein, iuch weiß durchaus um einige gute Lehrer, habe kürzlich einen gehbat, dem ich die Promotion anbieten wollte ...

Was Deine Anmerkungen zum text angeht, so hast Du bei allen Zeichetzungsfragen natürlich völlig Recht und über die letzte Anbmerkung denke ich gern noch mal nach ... das passt ja auch zu Merlins Kommenatr.

Danke und liebe Grüße
Max

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 09.07.2007, 00:46

lieber max,

in folge wie versprochen ein paar vorschläge/ optionen. (konj. / indik. insgesamt schwierig -> nur annäherung. bei der kommasetzung bin ich mir nicht überall sicher)

ich finde diese geschichte wirklich herrlich.



In Mathe war ich immer schlecht

Vielleicht hätte ich gewarnt sein können. Vielleicht hätte sollte jemand, der schon zu Schulzeiten Lehrer als seinenatürlichenFeinde und Prüfungen als reine Schikane betrachtet hat, nicht ausgerechnet einen Beruf ergreifen sollen, in dem es zu seinen der ihn mit der Aufgaben gehört konfrontiert, Lehrerexamen abzunehmen. Vielleicht hätte mir zumindest jener denkwürdige Tag, an dem ich nach zehn Minuten wegen eines allergischen Schocks aus einem Lehrerzimmer getragen werden musste, in dem ich auf einen Freund wartete gewartet hatte, ein Fingerzeig sein können.
komplizierter satz, auf freund warten ist eigenwillige info

Solche und ähnliche Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich einen Tag nach Rückgabe der Klausur „Mathematik für Lehramtskandidaten“ mein Büro betrete. TrandyAndy@msn.com hat geschrieben, seine Mail liegt obenauf in meiner Mailbox. Trandy mit A. „Englisch kann er also auch nicht“, geht es mir durch den Kopf, bevor ich sein Schreiben öffne. TrandyAndy ist sei mit meiner Klausur unzufrieden, teilt er mir mit. oder: indik. lassen und "teilt er mir mit" streichen Enttäuscht sei er, weil nur vier der acht Klausuraufgaben leicht lösbar gewesen seien, die anderen hingegen schwer. Er begreife ja, dass es auch schwierige Aufgaben geben müsse, aber davon seien in der Klausur eindeutig zu viele vorgekommen. – So viel Verständnis verdient natürlich eine Antwort:

„Lieber Herr Andy“, schreibe ich – ich werde ihn ja nicht mit dem Vornamen ansprechen – „ich kann Ihre Enttäuschung nachvollziehen. Tatsächlich bin auch ich enttäuscht, dass Sie die Klausur nicht bestanden haben. Ihrem Ergebnis entnehme ich, dass nicht nur vier, sondern sieben der acht Aufgaben für Sie nicht lösbar waren,; bei der achten haben sie immerhin die Hälfte der Punkte. Mit zwei erfolgreich behandelten Aufgaben, wärehätten Sie die Klausur bestanden gewesen. Leider hat sich an unserem Institut die Tradition eingeschlichen, die Klausuraufgaben am behandelten Stoff zu orientieren. Ich ziehe in Erwägung, Sie bei der nächsten Klausur vorher um Rat zu fragen.“

Danach ist mir wohler. Da kann ich mich auch daran begeben, die Mail von schwipps123@gmx.de zu beantworten. Schwipps heißt im wirklichen Leben Kathrin und fand schon bei der Evaluation, dass die Vorlesung neben den anderen sieben Veranstaltungen, die sie in diesem Semester belegt, nicht zu schaffen ist (dem kann ich nur zustimmen) und dasszudem das Skript mit 180 Seiten zu lang sei. indik.+konj. gemischtMit letzteremDamit stößt sie ins gleiche Horn wie ihre Freundin Andrea, nur findet die, das Skript sei zu kurz.

Während ich maile, klopft es an der Tür. Als ich öffne, steht vor mir ein 1,65m großer, braun gebrannter Herkules auf Rollerblades. Er schaut mich an, als müsste ich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Auf meine Nachfrage erklärt er es mir freundlicherweise (?) dennoch: Er sei in der Klausur mit einem Taschenrechner erwischt worden, daraufhin durchgefallen, und wolle nun wissen, ob da noch etwas zu machen sei. Uff! Der Taschenrechner war ein programmierbares Wunderding, dass die Klausur locker alleine bestanden hätte und dass Taschenrechner nicht erlaubt sind, habe hatte ich zweimal in der Vorlesung erklärt, es wurde vor der Klausur von der Aufsicht vorgelesen, stand während der Klausur an der Tafel und auch auf dem Aufgabenzettel. Wie, um Himmels Willen, hat er das übersehen können? In den Vorlesungen habe er wegen Krankheit gefehlt, außerdem sei er schwerhörig und kurzsichtig, erklärt er. Auf den Aufgabenzettel habe er wohl nicht gründlich genug geschaut. Ich seufze und bin nahe dran, ihm Sonderpunkte wegen schwerer Gebrechlichkeit zu geben. Aber selbst, wenn ich ihm nur die Punkte für die Aufgaben abziehe, wo für die er den Taschenrechner hätte verwenden können, ist er durchgefallen. Er habe ja nicht mogeln wollen, argumentiert er, schließlich hätte die Aufsicht den Taschenrechner ja bei ihm auf dem Tisch gefunden und nicht darunter. „Nun, sonst hätten Sie ihn wohl auch nicht ablesen können“, antworte ich und erinnere ihn an seine Kurzsichtigkeit. Ja, selbst wenn ich großzügig bin und ihm nur für die Aufgabe, bei der er erwischt wurde Punkte abziehe, ist er durchgefallen, jasogar, selbst wenn ihm nur die Punkte für die Rechnung fehlen, die er nachweislich mit dem Taschenrechner gemacht hat, fehlen, ändert sichdas an seinem Resultat nichts. müsste eigentlich im konjunktiv stehen
Als ich schlussendlich schließlich sage, ich könne ihm schließlich nicht noch Extrapunkte dafür geben, dass er mit unerlaubten Hilfsmitteln erwischt wurde, rollt er aus meinem Büro und brüllt: „Mit Ihnen kann man ja nicht reden.“ Hoffentlich begegne ich ihm nicht nachts.

Inzwischen hat sich TrandyAndy wieder gemeldet. Er will wissen, wie man sich für die Nachklausur anmeldet – ich kann ihm sagen, dass er, da in der ersten Klausur durchgefallen, schon angemeldet ist. Kaum habe ich die Mail abgeschickt, gibt mir meine Mailbox schon wieder ein Zeichen. TrandyAndy ist zwar nicht der Hellste, was Mathematik betrifft, aber schnell wie der Blitz. Unter diesen Umständen, so hat er entschieden, will er sich von der Nachklausur wieder abmelden.

Mir bleibt keine Zeit mich zu wundern, ich muss zur Besprechung der Klausur. Der Hörsaal ist berstend zum Bersten voll. Schon bei der ersten Aufgabe möchte ein Student – ich tippe vom Aussehen auf Mathe/Sport oder Mathe/Erdkunde (mit Schwerpunkt auf dem jeweils anderen Fach) - wissen, was denn an seiner Lösung verkehrt ist wäre. „3% einer Bevölkerung“, hieß es in der Aufgabe, „ leiden an TBC. Ein Test stellt TBC zu 99% fest, liegt TBC nicht vor, so fällt er mit 95% Wahrscheinlichkeit negativ aus. Mit welcher Wahrscheinlichkeit hat jemand, dessen Test positiv ist, auch wirklich TBC?“
Die Antwort des Studenten ist verblüffend: „Wir definieren die folgenden Ereignisse:

P sei das Ereignis, P ist eine Person.
P’ sei das Ereignis P ist negativ an TBC erkrankt.
P sei die Wahrscheinlichkeit von P.“

Danach berechnet er die Wahrscheinlichkeit, dass jemand negativ erkrankt ist, wenn er keine Person ist. Nicht weiter verwunderlich, dass sein Ergebnis auch noch die100% weit übertrifft. Ich murmele etwas von einem extensivenm Gebrauch des Buchstabens P und gehe weiter zur nächsten Aufgabe.
Auch die ist nicht ganz ohne Tücken. Jeder voreilige Stolz meinerseits, sie richtig an der Tafel vorgerechnet zu haben, wird jäh vom Zwischenruf eines Studenten zerstört: „Letzte Woche haben Sie noch gesagt, x sei 0,7, jetzt ist es 0,3“, protestiert er. Meine Kniekehlen fühlen sich merkwürdig taub an. Bloß schnell weiter zu Aufgabe 3.
Hier stellt sich heraus, dass leider 30% der zukünftigen Lehrer die Binomische Formel vergessen haben. Doch iIch bleibe stark und wiederhole sie rasch: a plus b in Klammern zum Quadrat ist a Quadrat plus zwei a b plus b Quadrat. Noch rasch ein Beispiel:
„Wenn man für a eins und für b minus eins einsetzt …“
In der zweiten Reihe zeigt eine Frau auf.
„Ja?“
„Aber Herr M! Für die Art Mathematik ist unser Gehirn nicht gemacht, damit müssen Sie doch rechnen.“
Rechnen? Ich mache den ganzen Tag nichts anderes. Nun hat sie mich doch so weit. Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt und der Geifer aus dem Mund schießt.
„Sie wollen doch Lehrerin werden“, zische ich, „Mathematiklehrerin! Was würden Sie denn sagen, wenn Ihr Fahrlehrer mitten im Stadtverkehr sagte: Für diese Art von Verkehr ist mein Gehirn nicht gemacht. Und wenn dieser Fahrlehrer zudem Schwierigkeiten hätte, ein Auto von einem Schiff zu unterscheiden?“ in der direkten rede nähme ich indikativ - kaum jemand spräche in der erregung im k.

Als ich den Hörsaal verlasse, rast mein Puls immer noch – ich brauche eine Pause. Fünf Minuten, dannspäter sitze ich in meinem Lieblingscafe. Vor mir einen Block, einen Milchkaffee und zwei Brötchen. Während ich Rechnungen aufs mein Papier kritzele, erwecke ich das Interesse einer dunkelhaarigen Schönheit am Nebentisch. Immer wieder gleitet ihr Blick zu mir herüber. „Was machst Du da?“ fragt sie schließlich. „Schreibst Du einen Brief? Ist das Griechisch? Bist Du Grieche?“ – Ach, könnte ich „ja“ sagen, der Tag wäre gelaufen. So aber nuschele ich, es sei Mathematik, und sie wendet sich mit einem angewiderten Gesichtsausdruck von mir ab, als hätte ich gesagt, ich habe Lepra.

Wenig später will zahle ich zahlen. "wenig später" könnte weg: ich will zahlen. „8 Euro vierzig“ schmettert mir Renate, die Kellnerin Bedienung, den Preis so schnell entgegen, dass ich ahne, dass sie vorbereitet ist. Als ich einen Fünfzig-Euro-Schein zücke, legt sich ihre Stirn in tiefe Falten. Fieberhaft beginnt sie zu rechnen. Nach gut drei Minuten strahlt sie mich an und zählt mir mit Siegerlächeln 63 Euro 40 auf den Tisch. Als ich ihr zuerklären will versuche, dass sie mir – egal was der richtige Betrag istsei – keinesfalls mehr als 50 Euro zurückgeben sollte, kommt er endlich, mein Lieblingssatz, der absoluteHöhepunkt eines jeden Tages: „In Mathe war ich immer schlecht!“
Reflexartig bildet sich in mir die Antwort: „Was ist so toll daran, schlecht in Mathematik zu sein? Wieso kann man damit angeben? Wieso sagt niemand erhobenen Hauptes: Ich kann weder schreiben noch lesen? oder: Sprechen liegt mir nicht so? Wieso würde sich jeder schämen zu sagen: Ich bin leider völlig humorlos und wieso ist es gleichzeitig völlig akzeptabel, wenn man sagt, dass man Mathematik nicht kann?“
Schon will ich diese Sätze herausschleudern, da denke ich an heute Morgen und mich überkommt eine tiefe Milde:
„Von wem hätte sie Mathematikes denn lernen sollen?“, denke ich, und verlasse friedlich den Raum. oder "denke ich" streichen: Ich verlasse friedlich den Raum.
there is a crack in everything, that's how the light gets in

l. cohen

Max

Beitragvon Max » 11.07.2007, 10:00

Lieber Aram,

das sehe ich ja erst jetzt!! Herzlichen Dank. Das wird sehr hilfreich für meien Überarbeitung der Kolumne sein ....

Liebe Grüße
Max

Gast

Beitragvon Gast » 11.07.2007, 18:52

Lieber Max,

kannst du nach soviel Lob noch mehr vertragen? Na ich hoffe doch. Ich habe das wirklich gern gelesen und mich gekugelt. Dazu möchte ich auf eine Postkarte verweisen, die am Pinboard meiner Tochter hängt: "MATHE IST EIN ARSCHLOCH"...

Ich hatte mal Mathe-Leistungskurs vor dem Abi. War eigentlich immer gut (2). Nur dann kam Mario B. ein kleines Genie in meinen Kurs, der meinem Lehrer immer an der Tafel vorrechnete was der falsch gemacht hatte bzw. ihm bewies wie man es besser hätte berechnen können. Da bekam ich so einen Minderwertigkeitskomplex, dass es im Abi nur noch für 6 Punkte gereicht hat...

Meinen Algebraschein in TN habe ich aber wieder mit "A" gepackt.

Zum Thema Studenten könnte ich ja auch noch so einiges sagen. So zum Beispiel bei "Einführung in die Literatur" und Symbolik, sprach das Buch u.A. von Sigmund Freud "Manchmal ist eine Zigarre eben nur eine Zigarre" und ein Student meldet sich aus der hintersten Reihe, wie Sigmund Freud es wohl in unser Textbuch geschafft habe, nachdem er doch in LasVegas eine Zauberschau mit weißen Tigern habe...


Und nun los - schicke die Glosse an die Zeit... Die können sie gar nicht ablehnen.

:) Bea

Max

Beitragvon Max » 11.07.2007, 21:18

Liebe Bea,

lustig: die Postkarte hänt - sehr zum Entsetzen meiner Kollegen - an meiner Bürotür :-).

Ich denke, ich schicke die Glosse wirklich mal irgendwo hin (Münster hat ein Blättechen "Kaufen und Sparen", die wollen sie bestimmt :-) ), nachdem ich Arams Kommrekturen eingeabreitet habe.

Danke für dieses Lob! - Und: Deine Erfahrungen mit den Literaturstudies scheinen sich nach dieser Anekdote auf jeden Fall auch für eine Glosse zu eignen .. auf geht's?!

Liebe Grüße
max


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste