Elsbeth hat ein Problem
Nämlich Neurodermitis. Das sieht nicht nur schlecht aus, ich fühl mich auch verdammt schlecht damit. Ginge Ihnen auch nicht anders, wenn Ihre Haut Sie den ganzen Tag anschreien würde. Und Sie nicht wüssten, warum die so dermaßen angepisst ist.
Ich habe schon alles probiert. Pillen, Cremes, Tinkturen, Wickel, Ayurveda. Meine Hautärztin (schlank, braune Haare, reine Haut) meint, es wäre psychosomatisch. Dieses Wort wurde erfunden, damit Kassenärzte ihre Zulassung nicht verlieren. Damit sie dich, wenn sie nicht weiter wissen, zu einem Seelenklempner schicken können. In meinem Fall eine Klempnerin (füllig, braune Haare, reine Haut). Die will, dass ich rede. Also rede ich. Über die Arbeit, das Haus, die Nachbarn. Was das Leben halt so zu bieten hat. Auf jeden Satz von mir, folgt eine Frage von ihr. Das ist, als würde dir jemand eine Schraube ins Hirn drehen. Irgendwann tut es weh, und ich fange an zu schweigen. Für einen Moment ist es dann sehr still, und wir können beide hören, wie meine Haut mich auslacht.
Da die Klempnerin keine Niederlage hinnehmen will, schickt sie mich zu einem befreundeten Kollegen (muskulös, schwarzes Haar, reine Haut). Das bringt auch nicht viel. Dafür verliebe ich mich ein wenig in ihn. Was meiner Haut offensichtlich nicht gefällt.
Es hilft nichts. Ich muss selber etwas tun. Vor Jahren hab ich in einem Buch gelesen, dass man jede Krankheit mit zwei Dingen sicher besiegen kann: Fasten und Einläufe. Man hungert alles, was einen krank macht, raus aus dem Körper. Und mit den Einläufen holt man sich den ganzen Scheiß aus dem Darm. Den der letzten zehn Jahre wohlgemerkt.
Ich höre also auf zu essen. Und kaufe in der Apotheke so ein Teil, um Einläufe zu machen. Mein Mann hilft mir dabei. Widerwillig natürlich. Richtig nahe kommt er mir nämlich schon lange nicht mehr. Ist ja auch schlimm, mit einer Frau zu leben, die man eigentlich nur mit einem Sack überm Kopf herzeigen kann. Der man beim Ficken ein Handtuch über’s Gesicht legen möchte. Deren Körper eine einzige Beleidigung ist. Die man nicht mal mehr prügeln mag, weil es einem vor jeder Berührung ekelt.
Er steckt den Schlauch erst in den Vaselinetopf und dann in meinen Arsch. Nicht sehr zärtlich. Aber irgendwie scheint’s ihm Spaß zu machen. Ich überlege mir, ob ihm dieses Loch vielleicht auch anderweitig Vergnügen bereiten könnte. Immerhin klebt an meinem Hintern noch das schönste Stück Haut, das ich habe.
Meine Freundin (klein, etwas pummelig, reine Haut) besucht mich. Das macht sie so ab und zu. In letzter Zeit weniger. Vielleicht, weil sie sich in die Sache zwischen mir und meiner Haut nicht weiter einmischen will. Man gerät da ja leicht zwischen die Fronten. Zumal ihrer Meinung nach meine Haut die besseren Argumente hat.
Wir werfen uns ein paar Floskeln zu und dann lässt sie mich reden. Sitzt mit ihrem fetten Arsch auf der Sesselkante. Nach vorne gebeugt, die Unterarme auf die Knie gestützt. Diese Haltung kenne ich von den Seelenklempnern. Die haben sich auch immer so hingesetzt, am Ende der Sprechstunde, um zu zeigen, dass ihre Bereitschaft zuzuhören aufgebraucht war.
Das Gespräch verhungert dann auch bald. Ein paar Minuten noch beschäftigt sie sich mit meiner Haut. Dann geht sie und wir sind alle drei froh darüber.
Die Einläufe lasse ich bald wieder sein. Hab’ auch keine Hilfe mehr. Aber das Fasten tut gut. Ich sehe zu, wie mein Körper langsam verschwindet und mich mit meiner Haut zurücklässt. So alleingelassen, können wir ja jetzt die Dinge zwischen uns regeln. Also sage ich ihr, dass ich ihr nie etwas Böses wollte. Sie aber schweigt und äfft die Knochen nach, auf denen sie liegt.
Irgendwann ist mein Mann tot oder Zigaretten kaufen.
Nach sechs Wochen falle ich ins Koma. Mein Haut vergibt mir und wir beschließen, in drei Tagen gemeinsam mit dem Atmen aufzuhören.
Elsbeth hat ein Problem
Lieber Sam,
ich muss Dir ein OT-Kompliment machen -
- das ist einfach großartig auf den Punkt gebracht.
Lieben Gruß
Zefira
ich muss Dir ein OT-Kompliment machen -
das, was da so makaber, schnoddrig und derb daherkommt, ist ja nichts anderes, als der Versuch Erfahrungen und Beobachtungen zu domestizieren und ihnen durchs Schreiben Herr zu werden. Im wirklichen Leben bin ich grau und kleinlaut.
- das ist einfach großartig auf den Punkt gebracht.
Lieben Gruß
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
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(Ikkyu Sojun)
Hallo Max,
dank dir für deinen Kommentar.
So ein bisschen hat Lesen ja immer mit Voyeurismus zu tun. Diesem bis in Tiefste, Intimste hinein beobachten wollen. Das liegt vermutlich daran, dass wir eigentlich eben genau das bei uns selber nicht wollen. Aus Angst, jemand anders oder wir selber könnten etwas entdecken, von dem wir meinen, es bliebe besser erfolgreich verdrängt. Deswegen beobachten wir lieber andere, als uns selbst. Das kommt zwar oft auf das Selbe hinaus, tut aber nicht so weh..gif)
Liebe Grüße
Sam
dank dir für deinen Kommentar.
ist es ja bestenfalls Voyeursimus, der mich thematisch bei der Stange hält.
So ein bisschen hat Lesen ja immer mit Voyeurismus zu tun. Diesem bis in Tiefste, Intimste hinein beobachten wollen. Das liegt vermutlich daran, dass wir eigentlich eben genau das bei uns selber nicht wollen. Aus Angst, jemand anders oder wir selber könnten etwas entdecken, von dem wir meinen, es bliebe besser erfolgreich verdrängt. Deswegen beobachten wir lieber andere, als uns selbst. Das kommt zwar oft auf das Selbe hinaus, tut aber nicht so weh.
.gif)
Liebe Grüße
Sam
Naja, Sam,
ob Zefiras Worte ein Kompliment sind? Womöglich kennt sie dich "im wirklichen Leben"? ,-)
Ich glaube dir das im Übrigen nicht, jedenfalls nicht das "grau", aber auch nicht das "kleinlaut" - nicht wirklich.
Und das ist eindeutig als Kompliment gemeint, egal, ob auf Illusionen, Projektionen oder sechstem Sinn gegründet.
Sorry für das off-off-topic.
Herzlich
klara
das, was da so makaber, schnoddrig und derb daherkommt, ist ja nichts anderes, als der Versuch Erfahrungen und Beobachtungen zu domestizieren und ihnen durchs Schreiben Herr zu werden. Im wirklichen Leben bin ich grau und kleinlaut.
- das ist einfach großartig auf den Punkt gebracht.
ob Zefiras Worte ein Kompliment sind? Womöglich kennt sie dich "im wirklichen Leben"? ,-)
Ich glaube dir das im Übrigen nicht, jedenfalls nicht das "grau", aber auch nicht das "kleinlaut" - nicht wirklich.
Und das ist eindeutig als Kompliment gemeint, egal, ob auf Illusionen, Projektionen oder sechstem Sinn gegründet.
Sorry für das off-off-topic.
Herzlich
klara
ob Zefiras Worte ein Kompliment sind?
Mein Kompliment galt der treffenden Formulierung. Ob Sam wirklich grau und kleinlaut ist, kann ich nicht wissen, etwas grau sieht das Avatarbildchen schon aus


lG Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Hallo Sam,
wie dir das gelungen ist, diese Stimme einzufangen oder nachzuahmen. Mir kommt sie wie ein Kreisel vor, der von einer dauernden Selbst-Beschleunigung lebt. Alles wird aufgesogen um das eigene Selbst. Und es gibt keinen Punkt mehr, als es nur noch diesen einzigen gibt, auf dem sich der Kreisel dreht.
Aber eigentlich ist es eine sehr weitläufige Stimme, die Dinge stehen ohne Unterschied, ob der Mann z.B. tot ist oder Zigaretten holen, scheint dasselbe. Ebenso werden die Personen durchgewechselt. Der Frau begegnet nichts Veränderndes mehr; es hat keinen Bezug auf sie, nur den Bezug auf ihre Krankheit; im Grunde, kann man so sagen?, hören wir nicht mehr den Menschen, es gibt ihn nicht mehr, der Mensch in dieser Geschichte ist die entzündete Haut.
Deshalb ist es auch ganz beliebig für die Prot. selbst, dass sie am Ende stirbt. Es wird ja nur ein Verglühen des Schmerzes sein – lese ich und denke ich mir.
Liebe Grüße,
Peter
wie dir das gelungen ist, diese Stimme einzufangen oder nachzuahmen. Mir kommt sie wie ein Kreisel vor, der von einer dauernden Selbst-Beschleunigung lebt. Alles wird aufgesogen um das eigene Selbst. Und es gibt keinen Punkt mehr, als es nur noch diesen einzigen gibt, auf dem sich der Kreisel dreht.
Aber eigentlich ist es eine sehr weitläufige Stimme, die Dinge stehen ohne Unterschied, ob der Mann z.B. tot ist oder Zigaretten holen, scheint dasselbe. Ebenso werden die Personen durchgewechselt. Der Frau begegnet nichts Veränderndes mehr; es hat keinen Bezug auf sie, nur den Bezug auf ihre Krankheit; im Grunde, kann man so sagen?, hören wir nicht mehr den Menschen, es gibt ihn nicht mehr, der Mensch in dieser Geschichte ist die entzündete Haut.
Deshalb ist es auch ganz beliebig für die Prot. selbst, dass sie am Ende stirbt. Es wird ja nur ein Verglühen des Schmerzes sein – lese ich und denke ich mir.
Liebe Grüße,
Peter
Deshalb ist es auch ganz beliebig für die Prot. selbst, dass sie am Ende stirbt.
Dazu noch eine kleine Bemerkung

In "meiner" Schreibwerkstatt gibt es einen Teilnehmer, Germanist übrigens, also vielbelesen, der solche Sätze wie "Ich falle ins Koma" überhaupt nicht zulassen will. Wer ins Koma fällt, hat keine Erzählstimme mehr, so seine Begründung.
Ich sehe das nicht so eng, aber instinktiv habe ich das Ende trotzdem nicht als etwas Geschehenes, sondern als Vorstellungsbild gelesen - wie etwas, was sich die Erzählerin gleichsam vornimmt, ähnlich wie "Nächste Woche mache ich Diät". Vermutlich hat Sam es nicht so gemeint, aber jedenfalls funktioniert der Schluss auch so.
Lieben Gruß
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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(Ikkyu Sojun)
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Hallo Klara,
vielleicht laufen wir uns ja mal eines Tages über den Weg. Dann kannst du Illusion, Projektion und sechsten Sinn mit der Wirklichkeit abgleichen. Aber sag dann nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!
Hallo Zefira,
ich glaube, ich hatte schon verstanden, auf welchen Teil der Aussage du dein Komliment bezogen hast
. Und mein Avatar ist ja auch grau. Das gibt meinem haarumflossenen Gesicht so was Geheimnisvolles 
Noch was zu dem Ende:
Ganz so gemeint habe ich es tatsächlich nicht. Aber darauf kommt es ja auch nicht an. Wichtig ist, dass es bei dir als Leserin funktioniert.
Hallo Peter,
herzlichen Dank für's Lesen.
Stimmt. Es gibt da am Ende nur noch die Konzentration auf das eigene Selbst. Eine Konzentration, die so stark ist, dass sie blind macht für die wahren Ursachen des Leides.
Eine interessante Feststellung. Weil die Erzählerin ja eigentlich ihre Haut personifiziert und somit von sich trennt. Vielleicht ist der Mensch in dieser Geschichte weniger die entzündetet Haut, als der entzündete Mensch.
Jedenfalls scheint der Tod die einzge Möglichkeit für die Erzählerin zu sein, sich mit ihrer Haut auszusöhnen.
Hat mich sehr gefreut, deine Gedanken zu diesem Text zu lesen!
Euch Allen nochmals Danke!
Liebe Grüße
Sam
vielleicht laufen wir uns ja mal eines Tages über den Weg. Dann kannst du Illusion, Projektion und sechsten Sinn mit der Wirklichkeit abgleichen. Aber sag dann nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!

Hallo Zefira,
ich glaube, ich hatte schon verstanden, auf welchen Teil der Aussage du dein Komliment bezogen hast
.gif)

Noch was zu dem Ende:
instinktiv habe ich das Ende trotzdem nicht als etwas Geschehenes, sondern als Vorstellungsbild gelesen - wie etwas, was sich die Erzählerin gleichsam vornimmt, ähnlich wie "Nächste Woche mache ich Diät". Vermutlich hat Sam es nicht so gemeint, aber jedenfalls funktioniert der Schluss auch so.
Ganz so gemeint habe ich es tatsächlich nicht. Aber darauf kommt es ja auch nicht an. Wichtig ist, dass es bei dir als Leserin funktioniert.
Hallo Peter,
herzlichen Dank für's Lesen.
Mir kommt sie wie ein Kreisel vor, der von einer dauernden Selbst-Beschleunigung lebt. Alles wird aufgesogen um das eigene Selbst. Und es gibt keinen Punkt mehr, als es nur noch diesen einzigen gibt, auf dem sich der Kreisel dreht.
Stimmt. Es gibt da am Ende nur noch die Konzentration auf das eigene Selbst. Eine Konzentration, die so stark ist, dass sie blind macht für die wahren Ursachen des Leides.
im Grunde, kann man so sagen?, hören wir nicht mehr den Menschen, es gibt ihn nicht mehr, der Mensch in dieser Geschichte ist die entzündete Haut.
Eine interessante Feststellung. Weil die Erzählerin ja eigentlich ihre Haut personifiziert und somit von sich trennt. Vielleicht ist der Mensch in dieser Geschichte weniger die entzündetet Haut, als der entzündete Mensch.
Deshalb ist es auch ganz beliebig für die Prot. selbst, dass sie am Ende stirbt. Es wird ja nur ein Verglühen des Schmerzes sein – lese ich und denke ich mir.
Jedenfalls scheint der Tod die einzge Möglichkeit für die Erzählerin zu sein, sich mit ihrer Haut auszusöhnen.
Hat mich sehr gefreut, deine Gedanken zu diesem Text zu lesen!
Euch Allen nochmals Danke!
Liebe Grüße
Sam
Hallo Sam,
ganz kurz noch, denn es wurde ja schon viel gesagt. Ich habe den Text vor Wochen sozusagen im "Vorbeilesen" gefunden. Und ich finde ihn absolut gelungen! Er war einer der Gründe, warum ich hier unbedingt dabei sein wollte - und nach mehr Geschichten von Dir gesucht habe... Da ist mir dann noch die Geschichte "Olaf will in den Süden" untergekommen, aber das ist ja schon wieder ein anderes Thema
.
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch sagen, dass ich, wie Chiquita, auch über den Perspektivenwechsel am Anfang kurz gestolpert bin... Aber das ist wirklich nur ein kleiner Kritikpunkt.
Herzliche Grüße,
Edith
ganz kurz noch, denn es wurde ja schon viel gesagt. Ich habe den Text vor Wochen sozusagen im "Vorbeilesen" gefunden. Und ich finde ihn absolut gelungen! Er war einer der Gründe, warum ich hier unbedingt dabei sein wollte - und nach mehr Geschichten von Dir gesucht habe... Da ist mir dann noch die Geschichte "Olaf will in den Süden" untergekommen, aber das ist ja schon wieder ein anderes Thema

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch sagen, dass ich, wie Chiquita, auch über den Perspektivenwechsel am Anfang kurz gestolpert bin... Aber das ist wirklich nur ein kleiner Kritikpunkt.
Herzliche Grüße,
Edith
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