Zwischenhalt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 15.06.2007, 18:08

Zwischenhalt


Hast die Handbremse gezogen
durch dein beständiges Wispern
mich von der hohen Drehzahl geholt

Nun stehe ich am Rastplatz
mit stotterndem Herzen warte
dass sich der Motor abkühlt

Vielleicht sollte ich Ballast abladen
die Reststrecke bis zur Fährstelle
etwas gemächlicher angehen


1. Fassung:
Zwischenhalt


Hast die Handbremse gezogen
mich unvermittelt runtergeholt
von den hohen Touren

Jetzt stehe ich auf dem Rastplatz
mit stotterndem Motor
warte auf den Notdienst

Vielleicht sollte ich ablasten
damit wir planmäßig
die Fährstelle erreichen
Zuletzt geändert von Perry am 18.06.2007, 13:09, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 15.06.2007, 19:43

Hallo Manfred,

du hättest mich sehen müssen, als ich deine Zeilen las. Ein dickes Grinsen im Gesicht,-)

Nur eines passt nicht so recht hinein, bzw. ist redundant, denke ich. Dies hier:

warte auf den Notdienst


Weil dieser "Notdienst" hier bereits steht (wenn auch als Frage):

Vielleicht sollte ich ablasten


Aber vielleicht interpretiere ich deinen Text auch völlig falsch *flöt*
Saludos
Mucki

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 15.06.2007, 20:52

perry, es ist eines jener gedichte, die aus der verlorenheit heraus geschrieben nach worten suchen.
das ist nicht einfach und fällt nicht immer optimal aus. muß es auch gar nicht.
die zeilen, die sprache dürfen hilflosigkeit transportieren.
in der letzten strophe versuchst du dich zu sammeln. was bleibt einem auch übrig?

gruß
chiquita

Mucki
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Beitragvon Mucki » 15.06.2007, 23:09

Au Mann, Chiquita!

Ich fass mir gerade an den Kopf! Das Gedicht von Manfred kann man ja wirklich auch so lesen.

Manfred, du bist mir aber auch einer, echt!
Unglaublich. Das "Wir" im vorletzten Satz hat mich total in die Irre geführt.
Aber jetzt versteh ich. Sogar den Styx aus der griechischen Mythologie hast du hier am Schluss mit eingebracht durch das Wort "Fährstelle", echt gut!
Saludos
Mucki, die immer wieder staunt, wie du Texte schreibst, die man auf zwei völlig verschiedene Arten lesen kann.

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 15.06.2007, 23:25

worte in der lyrik sind neben der bedeutung vorallem melodie, wenn ich sie lese. es kann sogar sein, daß mir ein gedicht gefällt, ohne daß ich die bedeutung, den inhalt erfasse - wie bei einem guten song in einer fremden sprache.
ich würde perry gern dazu hören, wie er die letzte strophe meint. vorallem das "planmäßig" interessiert mich.

gruß
chiquita

Mucki
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Beitragvon Mucki » 15.06.2007, 23:39

Hallo Chiquita,

vorallem das "planmäßig" interessiert mich.


nun, wenn ich deiner Interpretation folge, die ich für durchaus sinnvoller halte als meine, ist der letzte Vers so gemeint:

LI denkt darüber nach, Last/Bürden/Stress von sich nehmen, damit es erst an dem Zeitpunkt stirbt, an dem es für das LI (von oben) geplant ist. Sprich: LI den Tod nicht "vorzeitig" durch Herzinfarkt auslöst, wenn LI es nicht langsamer angeht. Einen viel zu hohen Puls hat LI ja bereits, braucht den Notarzt wegen Herzrasen.
Saludos
Mucki

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 15.06.2007, 23:46

ups, der prot. hat die managerkrankheit, das paßt! und ich dachte zuerst an ein liebesgedicht.
kommt wahrscheinlich meiner lebensrealität näher. mal gespannt, was perry dazu sagt.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.06.2007, 00:01

ich glaubs ja nicht, Chiquita,
du hattest gar nicht an Burn-Out-Syndrom gedacht, sprich in diesem Fall Herzinfarkt? (So hatte ich dich nämlich verstanden)
Herrlich, jetzt haben wir schon drei völlig verschiedene Interpretationen! (Meine erste war übrigens absolut zweideutig *räusper*)
Also, jetzt bin ich aber auch sehr! gespannt, was Manfred nun wirklich meint *g*
Saludos
Mucki

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 16.06.2007, 00:11

nein, zuerst dachte ich an eine beziehungstragödie. ein mann, der von seiner partnerin ausgebremst wird, weil er vor lauter normalität den sinn für die liebe verloren hatte. und nun warten sie auf den anwaltstermin oder den termin bei der eheberatung, um für ihre zukunft, gemeinsam oder getrennt, irgendwie die kurve bzw. überfahrt zu kriegen. der mann ist dabei der verlierer, weil er quasi blind in die lebensfalle stolperte.

gruß
chiquita

Perry

Beitragvon Perry » 16.06.2007, 00:24

Hallo ihr Beiden,
danke schon mal vorab für euere Diskussion. Ich will die Lösung noch nicht preisgeben, aber meine Intuition wurde von euch bereits angesprochen.
Besonders angetan bin ich von Chicuitas Feststellung "es ist eines jener gedichte, die aus der verlorenheit heraus geschrieben nach worten suchen." Den möchte ich mir gern in meine Vita schreiben, wenn ich darf.
Und ja, Mucki, das Gedicht hat mindestens zwei Leseebenen (lächel).
LG
Manfred

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 16.06.2007, 00:31

darfst du gerne, perry. freut mich, daß dich mein gefühl zu deinem gedicht erreichte. wenn ich auch um den genauen sachverhalt nicht weiß.
du hast die worte noch gefunden. zumindest für dich.

lieben gruß
chiquita

Max

Beitragvon Max » 16.06.2007, 21:45

Lieber Manfred,

für mich liegt Muckis erste Interpretation nahe, aber ich würde sie Dir nicht unterstellen (obwohl sie einfach hübsch iust). Ich musste zunächst an ein Beziehungsgedicht denken, aber die letzte Strophe hält mich von dieser Deutung ab, da ich dann das "ablasten" nicht erkläremn kann.
Tatsächlich ist das "an den eigenen Rand" gehen - das muss ja nicht burn-out sein - für mich die naheliegendste Interpretation.

Ein Kennzeichen dieses Gedichts ist - wie bei vielen Deiner Texte - dass Du perfekt im gewählten Bild bleibst. Diese Eigenschaft wünsche ich mir oftmals bei einem Gedicht. Allerdings würde ich mir zudem auch wünschen, dass Du vielleicht noch ein Überraschungsmoment (das ja ruhig dem Bild entspringen kann) auch in Deine Lyrik integrierst. Wenn man das Anfangsbild bei Dir versteht, ist vieles so logsich, dass es beinahe vorhersagbar wird.

Liebe Grüße
max

Nihil

Beitragvon Nihil » 17.06.2007, 10:20

Lieber Perry,

für mich passen die Bilder aus dem - salopp gesprochen - KFZ-Bereich und der griechischen Mythologie, die Fährstelle, nicht so recht zusammen .. aber ich mag es diesbezüglich dann auch gerne durchgänging antik und nicht vermengt mit Symboliken aus der modernen Welt .. vielleicht lese ich das Gedicht aber auch verkehrt ..

LG

Nihil

Perry

Beitragvon Perry » 17.06.2007, 11:37

Hallo Max,
dann will ich mal auflösen. Muckis "autoerotischer" Ansatz ist stellenweise denbark, war aber nicht gewollt. Es geht schon mehr in die Richtung "burnout", wobei es hier aber ein rechtzeitiges Erkennen ist, eine gedankliche Reaktion auf ein Stottern des Herzmotors auf der Überholspur. Das "ablasten" -beim Auto Gewichtsreduzierung- steht hier für das Umdenken, eine geistige Priotitätssetzung, um als "gereifter Mensch" an der Fährstelle ins Jenseits anzukommen.
Das mit dem Überraschungsmoment, bzw. öffnen eines Gedichtes am Ende hätte ich auch gerne öfter, aber das ist wohl auch inhaltsabhängig und schwer, wenn es nicht konstruiert wirken soll.
Danke für deine Meinung und LG
Manfred

Hallo Nihil,
dein Problem scheint zu sein, dass du die reale Bildebene (z.B. Urlaubsautofahrt zu einer Autofähre) mit der Metaebene (geistige Reise zur griechische Fährstelle) vermischt. Vielleicht muss ich aber auch noch etwas an dem Text arbeiten, weil doch sehr viele unterschiedliche Leseweisen rausgekommen sind.
Danke dir und auch noch einmal allen anderen für ihre Meinungen.
LG
Manfred


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