Frühstück!

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 08.06.2007, 12:02

2. Fassung

Frühstück!

„Emma!“
Er brüllt schon wieder. Ich klatsche die Nylonstrümpfe ins Seifenwasser zurück, drücke sie noch einmal durch.
„Emma!“
Ja, gleich. Es ist bald Mitternacht, und es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich ihn fünf Minuten länger warten lasse. Ich drehe die Strümpfe ins Handtuch ein, hänge sie dann auf die Leine über der Badewanne.
„Emma!“ Ein drittes Mal.
Er stiefelt auf mich zu. Ich spüre seine Schläge kaum noch. Nach zehn Jahren bestehe ich aus Hornhaut.
„Aua“, sage ich gelangweilt und warte, dass es vorbei geht.
„Blödes Miststück! Wenn ich nach dir rufe, hast du s o f o r t anzutanzen!“
„Ich habe noch die Strümpfe ...“
Peng! Seine Hand knallt mich ins Dunkel. Mann, mitten aufs Auge. Mein Atem pfeift. Er stößt mich vor sich her ins Schlafzimmer. Keuchend lässt er die Hosen fallen, ich lege mich hin. Immer die gleiche Prozedur. Später, als er sich auf seine Bettseite gerollt hat und eingeschlafen ist, stehe ich leise auf, um mich zu waschen und mein Auge zu inspizieren.

Am Morgen ist es zugeschwollen. Georg liest die Sportseite der Zeitung. Ohne aufzublicken sagt er: „Noch eins.“
Ich schmiere ihm ein zweites Brötchen, lege es auf seine Handfläche. Ich höre es zwischen seinen Zähnen knuspern. Dann hustet er. Schließlich wirft er die Zeitung beiseite, greift sich an die Kehle. Seine Augen quellen aus den Höhlen, er keucht ähnlich wie nachts auf mir. Nur dass die Luft irgendwo im Hals stecken geblieben ist. Sein Brustkorb krampft, nichts kommt rein.
Ich habe mal von diesem Heimlich-Griff gelesen und trete hinter Georg, um ihn anzuwenden. Früher liebte ich seinen Geruch, aber jetzt dreht mir seine Ausdünstung den Magen um. Ich nehme Abstand. Ich habe keine Erste-Hilfe-Kurse gemacht. Heimlich-Griff? Nie gehört.

Genau genommen ist das wie ein Sechser im Lotto. Die Chance liegt bei eins zu dreizehn Millionen. Ich setze mich an die andere Seite des Küchentisches, warte. Seine Hand kratzt am Kehlkopf, als wolle sie den feststeckenden Brocken herausreißen. Mit der anderen fuchtelt er in der Luft, winkt mir. Ich hebe zwei Finger zum Victoryzeichen hoch.
Er würde mich zu Tode prügeln, falls er das hier überlebt. Er verdreht die Augen verzweifelt, schlägt sich auf die Brust, zuckt und ringt nach Luft.
Ich taste in der Bestecklade hinter mir und ziehe das Tranchiermesser heraus. Lege es parallel zur Kante vor mich hin.
Georgs zuckende Beine schlagen gegen den Tisch. Ich rücke ihn zurecht. Dann rede ich.
„Schön, Georg, ungefähr so fühle ich mich seit Jahren. Ich weiß nicht genau, warum ich geblieben bin.“
Es gurgelt in seiner Kehle.
„Liebe?“
Ein klebriger Faden sickert aus seinem Mundwinkel. Ich schüttle den Kopf. „Kann nicht sein. Ich glaube, es war Angst. Und ich war’s ja gewohnt. Der Vater hat es auch gemacht. Immer die gleiche Prozedur.“
Ich muss lachen. Georg versucht, sich selbst auf den Rücken zu schlagen. Er wird blau im Gesicht. Vorsichtig fahre ich über die Schneide. Mein Daumen blutet.
„Hab keine Sorge. Es tut nicht weh. Jedenfalls nicht so, wie du mir weh getan hast. Die paar Tropfen sind nichts dagegen. Gar nichts.“
Er fuchtelt in meine Richtung, formt mit den Lippen: „Hilfe.“
„Vergiss es! Ich rufe den Notdienst nicht an. So wie du neulich bei meiner Gehirnerschütterung.“
Georg kippt vom Stuhl. Ich stehe auf, um ihn sehen zu können. Er windet sich auf dem Boden. Würgend.
„Am Anfang liebte ich dich doch irgendwie. Du warst so ... so verwegen. Wie du in der Kneipe am Tresen lehntest und Sprüche klopftest. Du hast gesagt: Meine Schöne. Immer, wenn ich dir den nächsten Schnaps hinstellte. Das mochte ich.“
Dass eine Zunge so anschwellen kann. Sieht aus wie bei einem Tier, wie er sie mir herausstreckt.
„Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau. Oder Trampel, wie mein Vater mich gern nannte. Meine Ma hat weggesehen. Immer. Was hätte sie auch machen sollen? Sich totschlagen lassen vom Vater? Wie ich dann mit sechzehn von daheim abgehauen bin und dir begegnete ... du hast mich so fest in die Arme genommen, das tat einfach gut. Ich kam mir so ... beschützt vor. Es waren zwei schöne Jahre. Zuerst.“
Bald werden seine Augen auf den Boden rollen, so weit treten sie hervor. Geschickt weiche ich seiner Hand aus, die nach meinem Fuß greift, setze mich auf die Tischplatte außer Reichweite.
„Aber dann ging es los. Ich freute mich, dass ich schwanger war. Du schlugst unser Kind aus meinem Bauch. Der Blutklumpen schwamm im Klo. Wär eh nur belastend, hast du gemeint.“
Er hört wohl aufmerksam zu, ganz still liegt er da.
„Als ich Buchhaltung lernen wollte, um auf eigenen Beinen zu stehen, ging es weiter. Du bist auf der Welt, um für mich da zu sein. Das ist alles. Sagtest du. Und ich sage dir, alles kommt einem zurück. Für dich heute. Jetzt. So oder so. Einmal wollte ich mich verpissen. Du warst in der Kneipe. Ich packte eine Tasche, bin zur Tür raus ... war irgendwie ein komisches Gefühl. Als ich die Treppe runterlief, dachte ich plötzlich, dass ich eigentlich gar nicht wusste, wo ich hin sollte. Man darf nicht denken. Du bist spät nach Hause gekommen an diesem Abend ...“
Das Zucken hört auf. Georgs Arme fallen mit einem dumpfen Laut zur Seite. Die Zunge leuchtet in dunklem Violett.
Ich lege das Messer in die Bestecklade zurück, klebe ein Pflaster auf den Schnitt im Daumen und wähle die Nummer des Notrufs.


Muckis Korrekturen eingebaut, vielen Dank dir!





1. Fassung

„Emma!“
Er brüllt schon wieder. Ich klatsche die Nylonstrümpfe ins Seifenwasser zurück, drücke sie noch einmal durch.
„Emma!“
Ja, gleich. Es ist bald Mitternacht, und es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich ihn fünf Minuten länger warten lasse. Ich drehe die Strümpfe ins Handtuch ein und hänge sie auf die Leine über der Badewanne.
„Emma!“ Ein drittes Mal.
Er stiefelt auf mich zu. Ich spüre seine Schläge kaum noch. Nach zehn Jahren bestehe ich aus Hornhaut.
„Aua“, sage ich gelangweilt und warte, dass es vorbei geht.
„Blödes Miststück! Wenn ich nach dir rufe, hast du s o f o r t anzutanzen!“
„Ich habe noch die Strümpfe ...“
Peng! Seine Hand knallt mich ins Dunkel. Mann, mitten aufs Auge. Mein Atem pfeift. Er stößt mich vor sich her ins Schlafzimmer.
Keuchend lässt er die Hosen fallen, ich lege mich hin. Immer die gleiche Prozedur. Später, als er sich auf seine Bettseite gerollt hat und eingeschlafen ist, stehe ich leise auf, um mich zu waschen und mein Auge zu inspizieren.

Am Morgen ist es zugeschwollen. Georg liest die Sportseite der Zeitung. Ohne aufzublicken sagt er: „Noch eins.“
Ich schmiere ihm ein zweites Brötchen, lege es auf seine Handfläche. Ich höre es zwischen seinen Zähnen knuspern. Dann hustet er. Schließlich wirft er die Zeitung beiseite, greift sich an die Kehle. Seine Augen quellen aus den Höhlen, er keucht ähnlich wie nachts auf mir. Nur dass die Luft irgendwo im Hals stecken geblieben ist. Sein Brustkorb krampft, nichts kommt rein.
Ich habe mal von diesem Heimlich-Griff gelesen und trete hinter Georg, um ihn anzuwenden. Da rieche ich ihn. Seine Ausdünstung dreht mir den Magen um. Ich nehme Abstand. Ich habe keine Erste-Hilfe-Kurse gemacht. Heimlich-Griff? Nie gehört.
Genau genommen ist das wie ein Sechser im Lotto. Die Chance liegt bei eins zu dreizehn Millionen. Ich setze mich an die andere Seite des Küchentisches, warte. Seine Hand kratzt am Kehlkopf, als will sie den feststeckenden Brocken herausreißen. Mit der anderen fuchtelt er in der Luft, winkt mir. Ich, höflich, hebe die Finger zum Victoryzeichen hoch.
Auch wenn seine Augen jetzt nicht hart aussehen – er würde mich zu Tode prügeln, falls er das hier überlebt. Im Moment rollt er sie verzweifelt, schlägt sich auf die Brust, zuckt und ringt nach Luft.
Ich taste nach der Bestecklade hinter mir und ziehe das Tranchiermesser heraus. Lege es parallel zur Kante vor mich hin.
Georgs zuckende Beine schlagen gegen den Tisch. Ich rücke ihn zurecht. Dann rede ich.
„Weißt du, ungefähr so fühle ich mich seit Jahren. Ich weiß nicht genau, warum ich geblieben bin. Liebe? Kann nicht sein. Ich glaube, es war Angst. Und ich war’s ja gewohnt. Der Vater hat es auch gemacht. Immer die gleiche Prozedur.“
Ich muss lachen. Georg versucht, sich selbst auf den Rücken zu schlagen. Er wird blau im Gesicht. Vorsichtig fahre ich über die Schneide. Im wahrsten Sinn messerscharf. Mein Daumen blutet.
„Ich weiß wirklich nicht, was du mir bedeutest, Georg. Bedeutet hast.“
Er fuchtelt in meine Richtung, formt mit den Lippen: „Hilfe.“
„Vergiss es! Ich rufe den Notdienst nicht an. So wie du neulich bei meiner Gehirnerschütterung. Wieso habe ich das mitgemacht? Sag du es mir ... ach so, du kannst ja nicht ...“
Georg kippt vom Stuhl. Ich stehe auf, um ihn sehen zu können. Er windet sich auf dem Boden. Würgend.
„Wahrscheinlich, weil ich nicht aufgeben wollte. Weißt du, am Anfang liebte ich dich doch irgendwie. Du warst so ... so verwegen. Wie du in der Kneipe am Tresen lehntest und Sprüche klopftest. Du hast gesagt: Meine Schöne. Immer, wenn ich dir den nächsten Schnaps hinstellte. Das mochte ich. Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau. Oder Trampel, wie mein Vater mich gern nannte. Meine Ma hat weggesehen. Immer. Was hätte sie auch machen sollen? Sich totprügeln lassen vom Vater? Wie ich dann mit sechzehn abhaute und dir begegnet bin ... du hast mich so fest in die Arme genommen, das tat gut. Verdammt gut. Kannte ich nicht. Ich kam mir so ... beschützt vor. Es waren zwei gute Jahre.“
Bald werden seine Augen auf den Boden rollen, so weit treten sie hervor. Geschickt weiche ich seiner Hand aus, die nach meinem Fuß greift, setze mich auf die Tischplatte außer Reichweite.
„Aber dann ging es los. Du schlugst zum Auftakt unser Kind aus meinem Bauch. Als ich Buchhaltung lernen wollte, um auf eigenen Beinen zu stehen, ging es weiter. Du bist auf der Welt, um für mich da zu sein. Das ist alles. Sagtest du. Und ich sage dir, alles kommt einem zurück. Für dich heute. Jetzt. So oder so. Einmal wollte ich mich verpissen. Als du in der Kneipe warst. Ich packte eine Tasche, bin zur Tür raus ... war irgendwie ein komisches Gefühl. Als ich die Treppe runterlief, dachte ich plötzlich, dass ich eigentlich gar nicht wusste, wohin ich sollte. Man darf nicht denken. Du bist spät nach Hause gekommen an diesem Abend ...“
Das Zucken hört auf. Georgs Arme fallen mit einem dumpfen Laut zur Seite. Die Zunge leuchtet in dunklem Violett.

Ich lege das Messer in die Bestecklade zurück, klebe ein Pflaster auf den Schnitt im Daumen und wähle die Nummer des Notrufs.

Ergänzung eingefügt in blau: Oder Trampel, wie mein Vater mich gern nannte. (auf Anregung von Marlene und Sam, danke euch!) weiteres blau, danke Pjotr!

Vorher: Ich spüle die Lauge raus, drehe die Strümpfe ins Handtuch ein und hänge sie auf die Leine über der Badewanne.
„Emma!“ Ein drittes Mal.

Ich spüre seine Schläge kaum noch. Nach zehn Jahren bestehe ich aus Hornhaut.
„Aua“, sage ich gelangweilt und warte, dass es vorbei geht.
„Blödes Miststück! Wenn ich nach dir rufe, hast du s o f o r t anzutanzen!“
„Ich habe noch die Strümpfe ...“
Peng! Mann, das hat gesessen. Mitten aufs Auge. Mein Atem pfeift. Keuchend lässt er die Hosen fallen, ich lege mich hin.



(c)ELsa Rieger
Zuletzt geändert von Elsa am 26.06.2007, 19:16, insgesamt 6-mal geändert.
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MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 09.06.2007, 18:18

Hallo Elsa,

knapp und drastisch geschildert, wie es der Inhalt erfordert.

Zum Inhalt habe ich zwei Fragen:

"Seine Augen quellen aus den Höhlen, er keucht ähnlich wie nachts auf mir." Ein Erstickender, der sich anhört wie Sexgestöhn?

"Seine Ausdünstung dreht mir den Magen um." Warum hier so zurückhaltend. Der Gestank des Mannes ist schließlich das Ausschlaggebende! Bis jetzt hat sie noch gezögert, nun will sie den Mann loswerden. Hier würde ich klar vom Gestank reden.

"Wie du in der Kneipe am Tresen lehntest und Sprüche klopftest. Du hast gesagt: Meine Schöne. Immer, wenn ich dir den nächsten Schnaps hinstellte. Das mochte ich. Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau. Meine Ma hat weggesehen. Immer. Was hätte sie auch machen sollen? Sich totprügeln lassen vom Vater?"
War der Ehemann damals Kneipengast? Hat der Vater die Tochter mit unflätigen Ausdrücken bedacht? In der Kneipe vor allen Leuten? Waren die Gäste so unverschämt? Hier solltest du mehr bringen. Schließlich geht es dadrum, warum sie überhaupt mit dem Mann zusammen ist. Das Rumgeschäkere ist mir da ein bisschen wenig für eine Wirtstochter, die das doch jeden Abend zu hören kriegt.

Liebe Grüße
Marlene

Nifl
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Beitragvon Nifl » 10.06.2007, 09:37

Huhu Elsa.

Das ist für mich ein "Paukentext" mit sehr klaren Fronten. Er lässt dem Leser keine Zweifel am Gut und Böse der Figuren. Die Rollen sind unmissverständlich vergeben. Diesem "traditionellen" Aufbau (sogar mit einem klaren Antagonisten! … gibt es ja heute kaum noch in einer Kurzgeschichte) haftet natürlich immer der Geruch des Plakativem, der Klischees, der Oberflächlichkeit an. Es könnten Schreie nach größerer Differenziertheit laut werden. Du schilderst drastisch ein Beziehungsmuster und versuchst ihr Verhalten mit landläufigen "Erklärungen" plausibel zu machen, zB.:
Ich glaube, es war Angst. Und ich war’s ja gewohnt. Der Vater hat es auch gemacht. Immer die gleiche Prozedur.“


Ich denke, das ist für das Genre, was du bedienen möchtest (unterstelle ich jetzt einfach mal) vollkommen legitim. Wolltest du mehr in die "intellektuellere Richtung" schreiben, würde ich dir als Lektüre Elfriede Jelinek empfehlen, zB. "Die Klavierspielerin

Leider ist es schon etwas her, dass ich den Text las und habe nun keine Detailkritik vorzuweisen (vielleicht später)

Du schreibst sehr schön flüssig und es ist allein deshalb eine Wohltat, deine Texte zu lesen. Auch sind deine Schilderungen spannend und gut nachvollziehbar.

Das "Reißerische" ist aber leider nicht so meine Sache. Mir gefallen deine leiseren Texte besser.

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 10.06.2007, 10:18

Hallo Marlene,

danke fürs Lesen und deine Gedanken.

"Seine Augen quellen aus den Höhlen, er keucht ähnlich wie nachts auf mir." Ein Erstickender, der sich anhört wie Sexgestöhn?
Es ist Emmas Ansicht, für sie hört es sich so an.

"Seine Ausdünstung dreht mir den Magen um." Warum hier so zurückhaltend. Der Gestank des Mannes ist schließlich das Ausschlaggebende! Bis jetzt hat sie noch gezögert, nun will sie den Mann loswerden. Hier würde ich klar vom Gestank reden.
Gestank gefällt mir nicht so recht, er wäscht sich ja. Es ist so, dass doch jeder anders riecht. Eigengeruch ist ein starker Indikator für Anitpathie. Und manchmal zieht einen die Ausdünstung geradezu an, wechselt aber mit den Jahren u.U. zur totalen Ablehnung.

"Wie du in der Kneipe am Tresen lehntest und Sprüche klopftest. Du hast gesagt: Meine Schöne. Immer, wenn ich dir den nächsten Schnaps hinstellte. Das mochte ich. Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau. Meine Ma hat weggesehen. Immer. Was hätte sie auch machen sollen? Sich totprügeln lassen vom Vater?"
War der Ehemann damals Kneipengast? Hat der Vater die Tochter mit unflätigen Ausdrücken bedacht? In der Kneipe vor allen Leuten? Waren die Gäste so unverschämt? Hier solltest du mehr bringen. Schließlich geht es dadrum, warum sie überhaupt mit dem Mann zusammen ist. Das Rumgeschäkere ist mir da ein bisschen wenig für eine Wirtstochter, die das doch jeden Abend zu hören kriegt.
Diese Stelle ist wohl etwas missverständlich. Sie ist nicht Wirtstochter, bloß Schankkraft in der Kneipe. Und ihr schmeichelte, was er zu ihr sagt. Zugleich macht sie den Gegenschuss in ihre Erinnerung an den Vater, der so allerhand mit ihr gemacht hat, nicht nur beleidigt. Sie ist offen für die Komplimente, weil sie schon als Kind schlecht behandelt wurde. Ich dachte, das kommt klar an? Hm.

Lieben Gruß
ELsa
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Elsa
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Beitragvon Elsa » 10.06.2007, 10:25

Lieber Nifl,

Ja, ein Paukentext, der bei Lesungen extrem gut ankommt :-)

Nein, kein Text der Zwischentöne, du hast recht. Schwarz-schwarz, ohne Weiß oder Grau oder gar bunt.

Ich kenne natürlich die Klavierspielerin, fürchte jedoch, nicht intellektuell genug zu sein, um diesem kleinen Text Jelineks Verve zu verpassen. Das macht aber nichts, es ist eben nur eine Schwarz-Weiß-Zeichnung mit klarem Antag :-)

Demnächst extra für dich einen leisen Text. Danke für dein Lesen und Feedback, achja und das Lob hat mir natürlich auch sehr gefallen!

Lieben Gruß
ELsa
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Sam

Beitragvon Sam » 10.06.2007, 11:43

Hallo Elsa,

auch ein Text, der nur in schwarz und weiß gemalt ist, kann für den Leser seine Zwischentöne haben. Er muss dem Erzähler ja nicht alles abkaufen.

Mir gefällt das Direkte des Textes, die Genugtuung, die die Erzählerin empfindet, während sie beobachtet, wie der Georg seinem Ende entgegenröchelt. Das hast du sehr gut eingefangen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass der Text bei Lesungen gut ankommt, nicht nur bei den weiblichen Zuhörern, wenn die Mischung aus Lakonie und tiefster Verbitterung, die in den Worten der Frau anklingt, noch durch die passende Vortragsweise (und dass du das genauso machst, bin ich mir sicher) unterstrichen wird.

Die von Marlene angesprochene Kneipen/Vater Stelle würde ich nochmal ein wenig überdenken. Tatsächlich machst du hier einen Schwenk, dem der Leser nicht gleich folgen kann. An dieser Stelle:
Du hast gesagt: Meine Schöne. Immer, wenn ich dir den nächsten Schnaps hinstellte. Das mochte ich. Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau.// Meine Ma hat weggesehen. Immer. Was hätte sie auch machen sollen?

Hier würde ich noch einen kleinen, verbindenen Einschub machen. Z.B.:

Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau.Oder hässliche Pritschn, wie mein Vater mich gerne schimpfte.Meine Ma hat weggesehen. Immer.

Nur, um zu verdeutlichen, was ich meine.

Was ich mich zudem frage ist, ob es die beiden ersten Absätze wirklich brauch. Wie das mit dem Sex zwischen den beiden abläuft, kann man durch die Gleichsetzung Sexgeräusch/Erstickungsgeräusch (sehr gut!!) der Erzählerin sowieso erkennen. Auch wie er sie sonst behandelt. Durch jenen eindrucksvollen Satz z.B.:
Du schlugst zum Auftakt unser Kind aus meinem Bauch.


Jedenfalls kann ich, ohne etwas zu vermissen, die Geschichte ab "Georg liest die Sportseite der Zeitung" lesen.

Tatsächlich würde ich mir wünschen, den Text einmal von dir gelesen zu hören. Vielleicht in der Hörbar. Lieber aber noch vor Ort, dort, wo du auch sonst vorliest.

Liebe Grüße

Sam

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 10.06.2007, 19:37

Lieber Sam (nettes Bild übrigens, sehr sympathisch)

auch ein Text, der nur in schwarz und weiß gemalt ist, kann für den Leser seine Zwischentöne haben. Er muss dem Erzähler ja nicht alles abkaufen.
ja das stimmt eigentlich, denn Emma erzählt aus ihrer Lage heraus.

Mir gefällt das Direkte des Textes, die Genugtuung, die die Erzählerin empfindet, während sie beobachtet, wie der Georg seinem Ende entgegenröchelt. Das hast du sehr gut eingefangen.
Danke schön!

Lesungen (damit ich nicht alles zitiere): Es ist ganz komisch, die Zuhörer lachen! Obwohl ich wirklich ganz ernst, todernst, den Text lese. Sie gönnen Georg sein Ende und finden Emma klasse.

Hier würde ich noch einen kleinen, verbindenen Einschub machen. Z.B.:
Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau.Oder hässliche Pritschn, wie mein Vater mich gerne schimpfte.Meine Ma hat weggesehen. Immer.
Nur, um zu verdeutlichen, was ich meine.
Ja, ja, das kommt so ähnlich hin. Ich denke schon intensiv über Marlenes Sicht der Stelle nach, so ein Missverständnis sollte dort nicht zu lesen sein. Ich brüte noch, aber dein Gedanke ist gut.

Was ich mich zudem frage ist, ob es die beiden ersten Absätze wirklich brauch. Jedenfalls kann ich, ohne etwas zu vermissen, die Geschichte ab "Georg liest die Sportseite der Zeitung" lesen.
Oh oh, ich fürchte, denn Anfang muss ich haben. Ich hänge dran, Emmas Abgestumpftheit eingangs zu beschreiben.

Tatsächlich würde ich mir wünschen, den Text einmal von dir gelesen zu hören. Vielleicht in der Hörbar. Lieber aber noch vor Ort, dort, wo du auch sonst vorliest.
Dann musst du nach Wien kommen :-)
Aber ich lese ihn gern für die Hörbar, sehr gern!

Herzlichen Dank für das Gespräch (wollte ich schon schreiben *g*), das Gewitter mach mich ganz narrisch. :blink2:

Also vielen Dank, dass du dich mit Emma beschäftigt hast!

Lieben Gruß
Elsa
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Beitragvon Elsa » 10.06.2007, 20:44

Liebe Marlene, lieber Sam,

ich habe den Satz gefunden. Danke für die Überlegung und Hilfe.

Lieben Gruß
Elsa
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 11.06.2007, 09:41

Hallo Elsa,

ich finde Deinen Text angenehm flüssig zu lesen und insgesamt gut aufgespannt; es macht mir Spaß, mitzufühlen, wie sie genüsslich seinen Abgang auskostet.

Aus einer kleinen Stelle könnte man vielleicht noch etwas mehr herauskitzeln:

„Aua“, sage ich gelangweilt und warte, dass es vorbei geht.
„Blödes Miststück! Wenn ich nach dir rufe, hast du s o f o r t anzutanzen!“ „Ich habe noch die Strümpfe ...“
Peng! Mann, das hat wirklich gesessen. Mitten aufs Auge. Mein Atem pfeift.

Beim ersten Lesen habe ich ab "Peng!" eine Zeile lang nicht mehr gewusst, wo mir der Leserkopf steht, sprich, wer wem eine geschossen hat und ob es eine Pistole oder ein Handschlag war. Ich habe in solchen Dingen eine lange Leitung, dabei soll doch gerade diese Stelle temporeich flutschen. Wenn die Verwirrung des Lesers Absicht ist, ist das natürlich perfekt geschrieben. Ist das Absicht so?

Wenn nicht, könnte vielleicht die Choreografie etwas informativer sein, aber ohne das rasante Tempo zu bremsen. (Ich wusste nicht, dass der eingangs rufende Bösewicht inzwischen neben ihr steht; vermutete eher, dass diese coole Frau zur Pistole gegriffen hat). Beispiel (ungefähr):

„Aua“, sage ich gelangweilt und warte, dass es vorbei geht. Er stiefelt auf mich zu.
„Miststück, wenn ich rufe, hast du zu huschen!“
„Ich habe noch die Strü...“
Peng! Seine Hand knallt mich in die Dunkelheit. Mann, mitten aufs Auge. Mein Atem pfeift.


Aber wie gesagt, falls die Situation absichtlich einen Moment lang unaufgeklärt bleiben soll, was ja ebenfalls gut funktioniert, dann ignoriere bitte mein Beispiel.


Salute

Pjotr

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Beitragvon Elsa » 11.06.2007, 12:38

Lieber Pjotr,

vielen Dank für Lob und Gedanken. Ich denke, ich könnte das 1:1 übernehmen - du weißt offensichtlich, wie ich denke, daher passt das gut. Und es lag keine Absicht drin, den Leser zu verunsichern an dieser Stelle. Nur fetzen sollte es.

Danke schön, ich nehm das gern!

Lieben Gruß
Elsa
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Gast

Beitragvon Gast » 11.06.2007, 13:06

Liebe Elsa,

ich habe den Text schon gelesen, da war es noch ganz frisch gespostet.
Da ich bei solchen Texte, die auf einer direkten Ebene strikt durchgezogen werden, ohne noch viel zu zaudern und zu hinterfragen, eher immer etwas vermisse, habe ich mich zurückgehalten, wollte einmal lesen, was andere Stimmen dazu schreiben.
So hast du inzwischen gute und begeisterte Rückmeldungen erhalten.

Ich möchte sagen, obwohl ich Vorlieben für Texte haben, die feiner die Grautöne ausleuchten, dass dies ist ein gelungener und in sich stimmiger Text ist, der dem Anspruch Gerechtigkeitsempfinden ohne Wenn und Aber folgt.

Es wäre müßig in Frage zu stellen, ob so etwas passieren kann ... Es kann ja. Mir geht das natürlich zu glatt. :rolleyes:

Man muss sehr viel Wut aufgestaut haben um jemandem beim Verrecken auch noch zuzusehen, ich hätte die Protagonistin zum Einkaufen geschickt ...

Du hast, wie man es von dir gewohnt ist, flüssig und anschaulich geschrieben.

Liebe Grüße
Gerda

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Beitragvon Elsa » 11.06.2007, 14:11

Liebe Gerda,

Ich weiß, du magst die schattierten Texte lieber, und auch, dass es zu glatt für dich ist.

Ich denke, es kann zu so großer Wut kommen, statt Amoklauf, quasi ...

Ich kann sie nicht zum einkaufen schicken, denn so ist die KG nun mal aufgebaut. Ansonsten wäre es eine mit den hier vermissten Grautönen geworden.

Vielen Dank für dein Feedbach, es freut mich,

lieben Gruß
ELsa
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 11.06.2007, 14:22

Hallo Gerda.

Gerda Jäger hat geschrieben:Es wäre müßig in Frage zu stellen, ob so etwas passieren kann ... Es kann ja. Mir geht das natürlich zu glatt. :rolleyes:


So glatt geht es wohl selten in der Wirklichkeit zu. Ich sehe den Text als gute Show, gutes Theater, im positiven Sinn. Das ist bester Hardrock. Fiktion zum Abreagieren. Gesunder Stressabbau.


Cheers

Pjotr

Gast

Beitragvon Gast » 11.06.2007, 15:50

Liebe Elsa,

alles klar, war ja auch kein Anderungsvorschlag, sondern nur die Idee, wie es bei mir *hätte laufen können, du verstehst. ;-)
* in einem Text :rolleyes:


Lieber Pjotr,

du hast meine Zustimmung, ja, so sehe ich das auch. Außerdem ist Übertreibung angesagt, wenn man Probleme verdeutlichen will @ Verstärkung als Stilmittel. :daumen:

Liebe Grüße
Gerda


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