Im Bleiben

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Max

Beitragvon Max » 03.06.2007, 19:30

Im Bleiben

Einmal stießen sie mit den Köpfen aneinander und es kam ihm in den Sinn, dass er sie verlassen könnte.
Er bräuchte nur seinen Lederkoffer nehmen, etwas Wäsche einpacken, Rasierzeug, Hose und Pullover, ein paar Bücher. Er könnte seinen Schritt mit einer Nichtigkeit begründen, etwa ihrer Unpünktlichkeit, der nie ausgeräumten Waschmaschine oder den kleinen Kaugeräuschen, die sie beim Essen machte. Ebenso, dachte er, könnte sie ihn verlassen, weil er nach jeder Rasur die Bartstoppeln im Waschbecken zurückließ.
Letztlich aber wäre sein Gehen grundlos. Er würde einem Gedanken folgen, als sei das Leben in dieser Richtung ein wenig abschüssig.
Doch er rieb sich nur die schmerzende Stelle am Kopf und blieb, küsste sie allmorgendlich zum Abschied aufs Haar, leerte die Waschmaschine, bereitete beizeiten das Essen und wartete auf ihre Heimkehr. Beim Abendbrot schaltete er das Radio an. Mitunter schliefen sie danach miteinander.
In diesem Bleiben vermutete er einen Abdruck seiner Liebe.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 05.06.2007, 22:34

Liebe Klara,

Die allgemeine Nüchternheit hält Einzug in die Prosa-Ecke.

Da sehe ich übrigens - achtung und sorry: off topic! - einen neuen Trend: Noch wollen sie alle Herzschmerz und Swing und großen Kleister, doch hier im Blauen Salon ändert es sich schon in Richtung erneuerte Sachlichkeit. Die Literaten als Avantgarde. Denkt an meine Worte ,-)
(Alles Unsinn, es gibt sowieso alles, nur die Grundlinien sind mal hier mal da verstärkt)


Ich mag sehr gern Geschichten, die ins Herz treffen. Auch diese hier von Max finde ich nicht sachlich. Ganz und gar nicht.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Nifl
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Beitragvon Nifl » 06.06.2007, 18:11

Hi Max.

(keine Kommentare gelesen)

Er bräuchte nur seinen Lederkoffer nehmen, etwas Wäsche einpacken, Rasierzeug, Hose und Pullover, ein paar Bücher.

…diese Aufzählung hat was kindlich trotzig Naives.
Die Bücher fallen aus dem Rahmen und warum es ein Lederkoffer sein muss, ist mir auch nicht klar.

würde:
"Er bräuchte nur etwas Wäsche einpacken, Rasierzeug, Hose und Pullover, ein paar Brote."

schreiben, dann hättest du "Nahtlosbezug" zur Waschmaschine, zu den Stoppeln, zum Schmatzen, zum Abendbrot. Er hätte alle "Spannung" mitgenommen.

weil er nach jeder Rasur die Bartstoppeln im Waschbecken zurückließ.

Ein tolles Detail, was mich schmunzeln ließ, aber für mich unglaubwürdig ist. Kann mir nicht vorstellen, dass einer, der sich gerade furchtbar über den Partner ärgert (dass er sie sogar verlassen will!), eigene Schuldgeständnisse denkt und die Perspektive wechselt. Das ist ja heiligenscheinverdächtig.

Er würde einem Gedanken folgen, als sei das Leben in dieser Richtung ein wenig abschüssig.

Max der Dichter. Gefällt sehr.

auch dies Zeigen:
Er könnte seinen Schritt mit einer Nichtigkeit begründen, etwa ihrer Unpünktlichkeit, der nie ausgeräumten Waschmaschine oder den kleinen Kaugeräuschen, die sie beim Essen machte.

Sehr stark.

In diesem Bleiben vermutete er einen Abdruck seiner Liebe.

Wie gütig. Nur weil das Gehen grundlos wäre, bleibt er. Eine traurige Geschichte.

Insgesamt kommt mir der Text formal so unentschlossen vor wie der Protag. Hier kindlich, naiv, kantig, reduziert dort poetisch, tiefsinnig, geschliffen. Er scheint mit noch nicht aus einem Guss zu sein.

LG
Nifl
Zuletzt geändert von Nifl am 06.06.2007, 18:20, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Sam

Beitragvon Sam » 06.06.2007, 18:19

Hallo Max,

ich hab die anderern Kommentare nur überflogen, deswegen kann es sein, dass ich etwas sage, was schon erwähnt wurde.

Mir gefallen Texte dieser Art. Weil sie soviel auslassen und gerade darum viel sagen. Und weil sie der Sprache in ihrere Kürze eine Menge Raum geben. Was wiederum eine Herausforderung für den Autor darstellt, da so ziemlich jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Stimmt alles bei einem solchen Text, ist er großartig. Wenn nicht, bekommt er vom Leser den "Entwurf-Stempel" aufgedrückt und ist wenig nachhaltig.

Meiner Meinung nach schrammt dein Text haarscharf daran vorbei, ein wirklich guter Text zu sein. Da gibt es feine Beobachtungen und Formulierungen (Gedanken bzw. Leben in dieser Richtung abschüssig - wirklich klasse!). Als Ganzes wirkt er auf mich aber dennoch ein wenig unrund und das liegt nur an Kleinigkeiten - die aber oftmals entscheiden, wohin sich die Lesergunst neigt.

Was mich stört, ist das die Köpfe nur "einmal" zusammengestoßen sind. Weil der Text ansonsten mit Alltäglichkeiten arbeitet. Vielleicht ist dieses Einmal eine wirklich große Sache - dann aber müsste er den Schritt des Verlassens nicht mit irgendwelchen Nichtigkeiten begründen. Oder dieses Kopfzusammenstoßen passiert nicht nur einmal, sondern eben immer wieder.

Überdenkenswert ist auch dieses:
Letztlich aber wäre sein Gehen grundlos. Er würde einem Gedanken folgen, als sei das Leben in dieser Richtung ein wenig abschüssig.

Das Gehen ist ja nicht grundlos. Er tut es, weil er einem Gedanken folgt. Anstatt "grundlos" wäre vielleicht "unbegründet" das bessere Wort.

Eine weitere Frage: Lässt jemand, der sich über eine nichtausgeräumte Waschmaschine ärgert, seine Bartstoppeln im Waschbecken???

Wie ein kleiner Fremdkörper im Text wirken auf mich diese beiden Sätze:
Beim Abendbrot schaltete er das Radio an. Mitunter schliefen sie danach miteinander.

Ich denke, man könnte sie weglassen und der Text würde nichts verlieren.

Mir ist klar, was ich jetzt erwähnt habe, ist reine Korinthenkackerei, aber gerade weil ich diese kurzen Dinger so liebe, weil ich weiß, dass es glitschiges Terrain ist, auf dem ich auch immer wieder ausrutsche und auf die Fresse falle, schaue ich vielleicht ein wenig genauer hin, als es nötig wäre.

Es lebe die neue Sachlichkeit! :welcome: :bumper:

Liebe Grüße

Sam

Max

Beitragvon Max » 06.06.2007, 21:57

Lieber Max D.,

danke für Deine Beschäftigung mit dem Text. Ich weiß gar nicht ganz genau, ob der Text trostlos ist.

Liebe Klara,

tja, das Köpfe-aneinander-Schlagen .. eigentlich wollte ich gar nirgends etwas Metaphorisches schreiben, aber vermeiden kann man es ja auch nicht immer, gell?

Was mir an Deinem Kommentar besonders gut gefällt ist dieser Satz:

Eigentlich klingt es trostlos.
Aber vielleicht ist es auch gar nicht trostlos, sondern nur so, dass die Liebe anders schmeckt, als erwartet: keine Mango, sondern ein Apfel?


Wenn es so ankommt: super! Der von dir bemängelte Anschluss: gemeint ist schon "er", nämlich der Protagonist, der ja immer "er" heißt. Wenn wir hier mit unserer Nüchternheit Trendsetten, umso besser ... ;-)


Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 06.06.2007, 22:18

Lieber Nifl
(ich musste einen neuen Beitrag anfangen, weil ich Deinen Beitrag und Sams von Seite 1 aus nicht lesen konnte),

das mit dem "trotzig Naivem" fällt mir schwer zu hören, aber Dein Vorschlag die Bücher durch Brote zu ersetzen, gefällt mir. Du hast Recht, dass es sich dann besser an den restlichen Text bindet.

Nifl hat geschrieben:Zitat:

weil er nach jeder Rasur die Bartstoppeln im Waschbecken zurückließ.

Ein tolles Detail, was mich schmunzeln ließ, aber für mich unglaubwürdig ist. Kann mir nicht vorstellen, dass einer, der sich gerade furchtbar über den Partner ärgert (dass er sie sogar verlassen will!), eigene Schuldgeständnisse denkt und die Perspektive wechselt. Das ist ja heiligenscheinverdächtig.


Das bin ich immer ;-). Aber vielleicht ist es ja auch so, dass "er" sich gar nicht über den Partner ärgert. Er hat diesen Gedanken, dass er gehen könnte, und überlegt sich dann: Ich könnte ja sagen es sei wegen der Waschmaschine und dann denkt er: aber dann könnte auch sie mich verlassen wegen der Bartstoppeln. Das ganze ist geschieht ohen Wut oder Zorn, sondern schon allein, dass er so darüber nachdenkt, zeitgt, dass er eigentlich nicht gehen wird.Hm .. vielleicht so.

Zitat:

In diesem Bleiben vermutete er einen Abdruck seiner Liebe.

Wie gütig. Nur weil das Gehen grundlos wäre, bleibt er. Eine traurige Geschichte.



Nein, nicht, weil sein Gehen grundlos wäre, sondern dies ist eigentlich der Ausgangspunkt der Geschichte ...

Insgesamt kommt mir der Text formal so unentschlossen vor wie der Protag. Hier kindlich, naiv, kantig, reduziert dort poetisch, tiefsinnig, geschliffen. Er scheint mit noch nicht aus einem Guss zu sein.


Was würdest Du denn vorschlagen?

danke auf jeden Fall für Deine Kommentare


Lieber Sam,

auch Dir danke für Deine Auseinandersetzung!

Was mich stört, ist das die Köpfe nur "einmal" zusammengestoßen sind. Weil der Text ansonsten mit Alltäglichkeiten arbeitet. Vielleicht ist dieses Einmal eine wirklich große Sache - dann aber müsste er den Schritt des Verlassens nicht mit irgendwelchen Nichtigkeiten begründen. Oder dieses Kopfzusammenstoßen passiert nicht nur einmal, sondern eben immer wieder.



Gemeint ist ja ein alltägliches Zusammenstoßen der Köpfe, nichts Großes, etwas, was jeden Tag passieren könnte, aber doch nicht passiert und das vielleicht gerade genug ist, um einen Anstoß zu geben. Aber auch Pandora wies ja darauf hin, das vielleicht noch besser an den Rest zu binden.

Das Gehen ist ja nicht grundlos. Er tut es, weil er einem Gedanken folgt. Anstatt "grundlos" wäre vielleicht "unbegründet" das bessere Wort.


Ja, an dem "grundlos" habe ich ein paar Mal überlegt. Aber er tut es auch nicht, weil er einem Gedanken folgt, dass ist zu viel gesagt (auch wenn es in der Gedichte steht) - er tut es, weil er gerade diesem Gedanken folgt und nicht einem zufälligen anderen, den er auch haben könnte.

Eine weitere Frage: Lässt jemand, der sich über eine nichtausgeräumte Waschmaschine ärgert, seine Bartstoppeln im Waschbecken???


Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist: ja ... *grins*

Zitat:
Beim Abendbrot schaltete er das Radio an. Mitunter schliefen sie danach miteinander.

Ich denke, man könnte sie weglassen und der Text würde nichts verlieren.



Eigentlich sollte das Bindemittel sein, das Radio wegen der Essgeräusche und der Sex kommt auf, damit man darüber nachdenken kann, ob das was mit Liebe zu tunhat.

Danke für Dein genaues Lesen.

Liebe Grüße
Max

Sam

Beitragvon Sam » 07.06.2007, 09:03

Hallo Max,


Eigentlich sollte das Bindemittel sein, das Radio wegen der Essgeräusche und der Sex kommt auf, damit man darüber nachdenken kann, ob das was mit Liebe zu tunhat.


Auf die Idee mit dem Radio wegen der Essgeräusche bin ich nicht gekommen. Vielleicht, weil ich nicht genug drüber nachgedacht habe. Oder weil doch ein unmittelbarer Bezug fehlt. Jedenfalls revidiere ich meine Meinung, dass man es streichen könnte. Im Gegenteil. Dass der Prot. etwas tut, um die Essgeräusche seiner Partnerin zu überdecken, finde ich im Sinne der Geschichte eine geniale Idee.

Liebe Grüße

Sam

Max

Beitragvon Max » 07.06.2007, 21:14

Lieber Sam,

das freut mich. Über Deine anderen Vorschläge denke ich noch.

Es ist hier derzeit etwas hektisch, wohl wei niemand da ist ;-) und ich daher denke, ich müsste alle Termine einhalten :-.

Liebe Grüße
max

Hoedur

Beitragvon Hoedur » 08.06.2007, 14:14

Hoedur stimmt ein Lied an: ... ich war noch niemals in New York ...

Max

Beitragvon Max » 09.06.2007, 21:38

Lieber Hoedur,

danke für Deinen musikalischen Beitrag - das ist allerdings nicht ganz der Refrain, den ich anstimmen wollte.

Liebe Grüße
max


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