Weißt Du noch

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 31.05.2007, 10:36

Weißt Du noch

Die Rosen blühten
schon im Mai

Wir saßen im Baum
mit rauen Fußsohlen
die Hände ganz grün

Und sprachen
mit unserem Kinderernst
über Freundschaft

Dann aßen wir Eis
und Du zeigtest mir
wie ich den Ball werfen muss

Mutter schnitt
die Rosen
sie dufteten später
durchs Haus

Heute könntest Du mich
nicht mehr verlassen
Ich bin schon selbst
weggegangen
von mir

Nur manchmal
wünsche ich
Dich zurück
und mich
den Baum, den Ernst,
das Eis, den Ball.

Und die schmerzenden Rosen.
Zuletzt geändert von leonie am 14.06.2007, 22:20, insgesamt 3-mal geändert.

Peter

Beitragvon Peter » 01.06.2007, 00:05

Liebe Leonie,

dein Gedicht kommt mir etwas zu allgemein gehalten vor, es ist beinah soetwas wie eine kollektive Erinnerung, vielleicht liegt das in deiner Absicht. Kaum eine Zeile will sich vorstellen - die Zeilen betreten den Raum, ohne den Raum zu "unterbrechen", beinah so, als gäbe es das Subjektive nicht, da es nur die Rosen, die Bäume, das Eis und dgl. gibt.

Ein wenig ist mir das unheimlich, Leonie, andrerseits scheint es aber der Charakter der Erinnerung selbst zu sein, dass das Subjektive etwas Allgemeines wird. Ab einer bestimmten Zeit denkt man nicht an die Schmerzen zurück, oder dass es anstrengend war, da zu sein - das Bild der Vergangenheit verändert sich, vielleicht wird es verklärt, es verliert zumindest an Kontur.

Das abzuwägen, ist schwierig, also ob es eine Täuschung ist oder nicht.

Ich bin schon selbst
weggegangen
von mir


heißt es im Gedicht. Mir klingt es wie: Mich gibt es nicht mehr.

Darin gäbe es vielleicht noch ein Gedicht zu entdecken, und dieses würde vom Eigentlichen sprechen? Aber kann man das je?

Mutter schnitt
die Rosen
sie dufteten später
schmerzend durchs Haus


Man riecht hier förmlich das Grün... und dass ein Schmerz ist, wird sehr deutlich. Trotzdem sticht eben diese Zeile aus dem Gedicht heraus, wie mir scheint; sie gehört beinah einer anderen Sprache an. (Da ein Wort, ich weiß nicht welches, vielleicht das eigene, aufscheint.)

Kann man das Gedicht auch so verstehen, dass das Du das Ich ist?

[Dein Kaffee schmeckt gut.]

Liebe Grüße,
Peter

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 01.06.2007, 00:30

Liebe leonie,

mir gefällt das sehr! Ich hatte gerade eine Eingebung - sicher quatsch, aber für mich wahr. Denn Rosen machen es einem schon schwer (sie verwenden zu können), die Rosen müssen hier Rosenstöcke sein! (das müssen bitte als wahr gefühl von mir lesen, nicht als Anmaßung!). Und ich würde den Text etwas freier setzen. Einpaar winzige Winzigkeiten zudem und den letzten Satz hinfort und für mich ist das großer Text!

Weißt Du noch

Wie die Rosentöcke blühten, damals im Mai

Und wir im Baum saßen mit rauen Fußsohlen
die Hände ganz grün

Wir sprachen mit unserem Kinderernst
über Freundschaft

Dann aßen wir Eis und Du zeigtest mir
wie ich den Ball werfen muss

Mutter schnitt die Blätter
sie dufteten später schmerzend durchs Haus

Heute könntest Du mich nicht mehr verlassen
Ich bin schon selbst fortgegangen von mir

Nur manchmal wünsche ich mir Dich zurück
und mich, den Baum, den Ernst, das Eis und den Ball.


Das von dir selbst fortgegangen ist die schmerzliche Mitte des Textes, die ich sprachlich und wahrheitlich als sehr gelungen empfinde. Und soweit ich leonietexte kenne...hat Peter insofern mit seiner Du--Beobachtung nicht Unrecht, als dass das Du und das Ich oft sehr dicht beieinander sind. Ich glaube aber, weil es auch immer um Liebe geht, ist das Du auch ein wirkliches Du. Aber eben eines, dass auch das Ich ist.

Liebe Nachtgrüße, mir hat das sehr gefallen und gefällt mir immer noch!
Lisa
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Elsa
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Beitragvon Elsa » 01.06.2007, 09:17

Liebe leonie,

eine Reminiszenz. Der Kinderernst. Das gefällt mir sehr gut. Ich bin so nahe dran durch meinen 10-jährigen Enkel. Wie ernst das alles ist. Die Erwachsenen sollten nicht lachen darüber.

Ich mag den Schluss gern. Das Riechhirn behält den Duft der Rosen. Immer. Übers ganze Leben.
So, wie Heuhaufenduft der Kindheit. Gefühlserinnerung im limbischen System.

Lieben Gruß
ELsa
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leonie
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Beitragvon leonie » 01.06.2007, 10:23

Lieber Peter,

vielen Dank für Deine Rückmeldung.
Ich habe nachgedacht über das, was Du zur "kollektiven Erinnerung" schreibst. Ich hatte das selbst so nicht im Sinn, höchstens im Gefühl. Und mir scheint, daran ist etwas Wahres.
Da sind die Kinder, sdie zunächst einfach spielen und es als gegeben hinnehmen, dass sie Freunde sind. Und dann sitzen sie plötzlich im Baum und sprechen über Freundschaft, ein Reflexionsprozess beginnt, der eine neue Entwicklungsstufe beschreibt.
Dass die Mutter die Rosen schneidet, gewinnt erst aus dem erfahrenen Nachhinein Bedeutung, obwohl das Kind es damals vielleicht schon als ungehörig empfunden hat, dass sie die Rosen schneidet und deshalb den Schmerz gerochen hat.
Es deutet sich an, dass Freundschaft scheitern kann trotz aller Konzepte, die man für ihr Gelingen entwickelt hat.

Das hier
Ich bin schon selbst
weggegangen
von mir


deutet für mich eher ein Gespaltensein gegenüber sich selbst an. Sich als Freund nicht für würdig zu halten und sich deshalb selbst die Freundschaft aufzukündigen (wo in diesem Fall die Mutter auch eine Rolle spielt). Damit es nicht mehr schmerzen kann, wenn andere einen verlassen. Also ein Schutz vor Enttäuschung.
Und doch die Sehnsucht danach, dass es wieder anders sein könnte....
Insofern stimmt es, das lyr Ich wird auch zum lyrDu- Ist es aber nicht von Anfang an.

Ich hatte es eher individuell gemeint, aber es hat zumindestens in Teilen etwas Exemplarisches an sich, das ist mir durch Deine Rückmeldung deutlich geworden.

Liebe Lisa,

danke für Deine Rückmeldung. Ich denke nochmal in Ruhe über die Vorschläge nach, ich brauch im Moment immer ein Weilchen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, etwas zu verändern.
Ich habe nicht ganz verstanden, warum Du die Rosen ändern willst....

Liebe Elsa,

auch Dir vielen Dank. Ja, der Kinderernst. Man ist manchmal so dumm und denkt: Was wisst Ihr vom Leben? Dabei wissen sie vielleicht viel mehr als wir dummen Erwachsenen. Übner das Riechhirn habe ich schon oft gestaunt, auch, wie es dann Bilder wieder hervorbringt. Der Mensch ist schon ein erstaunlich konstruiertes Wesen...

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 01.06.2007, 21:38

Liebe leonie,

deswegen müssen die Rosen nach meinem Empfinden, das ist ein starker Bezug dazu.

Ich rieche Heu und *zack* bin ich in den Sommerferien in Tirol vor 100 Jahren :-)

Lieben Gruß
Elsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.06.2007, 23:44

liebe leonie,

gern bin diesen weg mit jedem vers mitgegangen. sehr subtil hast du die zeiten der freude und des schmerzes dargestellt. mit gefällt auch sehr gut, dass du am schluss wehmütig baum, ernst, ball, eis und vor allem die rosen wieder aufgegriffen hast. ich mag solche "kreise", die sich schließen. und ja, die rosen sind wichtig in deinem gedicht, das ich sehr gerne gelesen habe.
saludos
mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 02.06.2007, 11:44

Liebe Elsa,

danke Dir! (Vor hundert Jahren? Du siehst soviel jünger aus... :-)

Liebe Mucki,

ich freue ich, dass Du den Text mitgehen konntest! Ach, ich glaube, ich möchte ihn erstmal so lassen. Wie einen sich schließenden Kreis. Nur bei "verlorenen" überlege ich zur Zeit selbst...

Liebe Grüße

leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 02.06.2007, 12:19

Liebe leonie,

ja, ich drücke mir derzeit etwas unklar aus immer.

Die Rosen müssen nicht fort, ich fand sie nur in den Rosenstöcken lyrischer verwaqndelt - sprachlich und damit poetisch. Rosen alleine sind ja immer schwierig, oder findest du nicht? (Mir fiele es schwer, sie zu verwenden und du gebrauchst sie ja relativ oft). Auch lehnen sich die Rosenstöcke an Stifter an, der einen ganz ähnlichen feinen sentimentalen Ton hat, wenn er von der Vergangenheit erzählt (sie bedueten dann immer Liebe) und auch das würde mir gefallen. Rosenstöcke sind auch was die Nase angeht..in meiner Vorstellung viel geruchsintensiver als Rosen...überhaupt tun sich da ganze Wälder auf. Und es riecht nach Dornen.

Ich finde, das würde zu deinem Text passen.

Liebe Grüße,
Lisa
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Beitragvon leonie » 02.06.2007, 12:55

Liebe Lisa,

ja, aber: sagt man wirklich, dass Rosenstöcke blühen? Und ich finde, beim Schneiden müssen es einfach die Blüten sein und nicht die Blätter.
Ja, stimmt, ich hatte die Rosen schon öfter. Und, sie sind überstrapaziert, ja, okay. Aber ich finde es in diesem Fall schwierig, auf etwas anderes zurückzugreigfen. Hm...

Aber ich gelobe Besserung! :-)

Liebe Grüße

leonie

Scal

Beitragvon Scal » 03.06.2007, 23:21

Liebe Leonie,

deine Zeilen berühren mich, sie erinnern mich ganz konkret an mein erstes Verliebtsein. Ich war neun Jahre alt; wir saßen im Baum und es war plötzlich da.
Dann .... Ich hätte mich auch mit "die schmerzenden Rosen" am Schluss gut anfreunden können (ohne Punkt bei Ball).

Lieben Gruß
Scal

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Beitragvon leonie » 03.06.2007, 23:27

Lieber scal,

vielen Dank. Ich freue mich, dass der Text Dich berührt.

Ach, und denke wieder, immer wieder: Man muss die Kinder ernst nehmen. So süß uns das scheinen mag, mit neun verliebt: Es ist ganz ernst.
Meinen Sohn überfiel vorgestern der Weltschmerz angesichts einer kaputten Vase. Das ist richtiger Weltschmerz. So wie es richtiges Verliebtsein ist.

Du bringst mich auf eine Idee. Ich denke, ich ändere nochmal ein paar Kleinigkeiten, ich war mit dem Schluss noch nciht zufrieden...

Liebe Grüße

leonie

eldora

Beitragvon eldora » 05.06.2007, 23:42

Hallo Leonie,
frisch aus'm Netz geplumpst versuch ich's noch mal :)
Ich mag Dein Gedicht, hab dennoch auch Anmerkungen:
Du schriebst:

Weißt Du noch

Wie die Rosen blühten
damals im Mai

Und wir
im Baum saßen
mit rauen Fußsohlen
die Hände ganz grün

hier frag' ich mich: Wie blühten denn die Rosen damals im Mai? Nicht wie heute im Mai? Nicht wie 'immer'? Da wünscht' ich mir, Du schriebest:
Weißt Du noch
.. es war Mai, und die Rosen blühten

wir saßen im Baum
etc..

so bekommt das 'Wie' 'beim Ballwurf' auch seine eigentlich Bestimmung und wie-derholt sicht nicht im Text.

Das 'Mutter schnitt die Rosen', find' ich sehr eindrücklich, kommt doch anschließend gleich die Verlassenheit zum Tragen. Das lyr.I. musst leider verbleiben dort, wo diese Graumsamkeiten vonstatten gingen, das lyr.Du schien Alternativen zu haben und auch vorzuziehen. Eine schmerzhafte Trennung, genauso wie die Beschneidung der Rosen(-büsche?).
Die beiden Ichs am Ende irritieren mich allerdings; da ist das verlassene Selbst und die kastrierte Persönlichkeit, und beide Teile vermissen das lyr.Du, das will mir nicht so eingehen, welche Kräfte da walten, und wofür das lyr.Du da so herhalten soll. Naja, gut, altes Spiel: Projektion.
Aber dann, nehme/nähme ich das an, ist das Gedicht gar nicht mehr so ... ach, ich hör' besser auf :)
Grüße
Eldora

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leonie
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Beitragvon leonie » 06.06.2007, 17:30

Liebe Eldora,

danke für Deine Rückmeldung. Ich hatte das mit dem Anfang auch schon hin-und herüberlegt, ich denke, ich ändere noch was daran.

Was den zweiten Teil betrifft, habe ich Mühe, Deine Gedanken nachzuvollziehen, weil es meiner Meinung nach nicht um eine Projektion geht. Ich habe weiter oben etwas dazu geschrieben. Das "Sich-Selbst-Verlassen" ist eine Schutzfunktion gegen Enttäuschungen. Also kein Vorwurf oder anderes an ein lyrDu.

Liebe Grüße

leonie


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