Zwischenraum

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 16.05.2007, 10:33

 
Zwischenraum

die Wände meines Zimmers sind gerade gemauert
kontrolliert
in den rechtwinkligen Ecken verkriecht sich der Staub
und ich

unruhig hasten die Augen den Fugen entlang
so viele Kreuze
die Betondecke hebt sich und senkt sich und hebt sich
atmet
zwischen Beengung und Verlorensein
Stimmen dringen durch die verdunkelten Fenster
oder meine Haut
die Glühbirne ist nackt und lange schon ihrer Funktion beraubt
kein Stuhl,kein Tisch,kein Bett,kein Bild
nur eine verkümmerte
rote Blume symmetrisch
eingeritzt mit meinen Nägeln

in die weiße Leere tritt der Tag

die Tür geht auf
starke Schritte werfen ihr Echo in meinen hintersten Winkel
der Lichtschalter klickt Erinnerung suchend
vergebens
befremdlich tönen deine vertrauten Atemzüge hier drin bei mir
zu laut
du hallost hinein
ich schweige heraus
die Zeit erstarrt zu spitzen Eiszapfen die vom Boden aufwärts wachsen
muss sie schmelzen lassen mit all meiner Konzentration
weg von dir
bis die Wasserrinnsale meine Finger wecken
rückwärts gehst du zögerlich
oder hastend
da draußen ruft es, verstehst du nicht?
meine Stimme ist doch laut genug
ein dumpfes Knarren der Türschwelle
hinaus
die Öffnung schließt sich
erneut

aus der schwarzen Fülle trinkt die Nacht

ich gehe
in den Zwischenraum

und finde mich lebend
mit nassen Händen
 
 
 

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 19.05.2007, 13:28

Mmmhh, gerne auch Kommentare, warum nicht kommentiert wird.
In die Tonne? Zu seltsam, zu unverständlich, zu bildlos....zu wirr gesetzt?
:blink1:

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 19.05.2007, 15:00

Liebe smile,

Zu seltsam, zu unverständlich, zu bildlos....zu wirr gesetzt?


Nein, erst jetzt gefunden :-)

Auf jeden Fall sehr schräg, voller Angst, vielleicht Neurose, ein "nicht aus sich heraus gelangen" in den normalen Alltag? Vor allem lese ich Angst und Not, eine veränderte Wahrnehmung (groß/klein/winzig/auf- abschwellend) und kein Zugang zum DU, ungesehen, ungehört. In einem Verlies gefangen.

Es scheint, es gibt sehr viele Hinweise - ich kann sie nur ansatzweise lesen. Aber das liegt sicher an mir und nicht an deinem Text, denn er ist spannend zu lesen. Ich würde ihn sehr gern "knacken" können.

Lieben Gruß
ELsa
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leonie
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Beitragvon leonie » 19.05.2007, 16:03

Liebe smile,

ich war schön öfter hier und mir noch unsicher, bin es auch jetzt noch. Für mich klingt es eher wie ein "Beziehungsgedicht", das lyrIch hat Angst vor dem lyr Du, verkriecht sich, flüchtet sich in den Zwischenraum (starkes Bild, finde ich).

Wenn die Lautstärke und das "hallost" nicht wären, hätte ich fast an Missbrauch gedacht...

Ich habe mit der Setzung Schwierigkeiten, weil ich nicht sehen kann, dass sie über die Worte hinaus Neues birgt. So stört sie mich eher, hindert mich, den Inhalt aufzunehmen und wirken zu lassen.

diesen Satz braucht es nicht, er "reflektiert", was auch so an gefühl "rüberkommt", meine ich:

(ich finde gerade die Zitatfunktionnicht wieder)
zwischen Beengung und Verlorensein


hier hast Du vermutlich die Leerzeichen weggelassen, wegen der "Beengung" oder?

kein Stuhl,kein Tisch,kein Bett,kein Bild

Ansonsten finde ich die Bilder und die Aussage stark (wenn ich sie verstanden habe...)

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.05.2007, 16:27

Hallo smile,

deine Zeilen wirken verstört, zerissen, wie das LI es zu sein scheint. Daher unterstreicht deine Formatierung dies sehr gut. Ich lese hier ein LI, dessen Welt sich im "Zwischenraum" abspielt, in einer Art Abgespaltenheit, es halluziniert, flüchtet sich vor Angst in diese Welt, in der es nicht sprechen kann, nicht laut sprechen kann, es wird nicht gehört, ist in seinen Wahnvorstellungen gefangen. Das LI könnte sich in einer Klinik befinden. Und zum Schluss:

"finde mich lebend
mit nassen Händen"

Die nassen Hände deute ich als blutende Hände (Suizidversuch).
Das "finde mich lebend" deute ich so, dass LI sich gar nicht bewusst war, als es diesen Suizidversuch tat, sich also in einem psychotischen Zustand befand.

Es sind eindringliche, nervenaufreibende, aufwühlende Zeilen, die durch die Setzung noch verstärkt werden.
Saludos
Mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 19.05.2007, 16:36

Hallo Mucki,

icm Bild kommen die nassen Hände von den Eiszapfen, die das lyrIch aufgetaut hat und die für die eingefrorene Zeit stehen, für mich ein Bild, dass das lyrIch etwas Schweres überlebt hat (Ich hatte nciht unbedingt an Suizid gedacht).

Bin gespannt, was smile dazu sagt.

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 19.05.2007, 16:42

Hallo ihr zwei,

ich dachte auch eher ans Auftauen, aber Muckis Deutung könnte auch was für sich haben.

Gespannte Grüße,
ELsa
Schreiben ist atmen

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 19.05.2007, 17:35

Hallo,
ich danke euch für eure Rückmeldung!!!
@Elsa:
du bist schon sehr nah dran, vor allem die veränderte Wahrnehmung trifft es sehr gut.
@Leonie:
an Missbrauch hatte ich nicht gedacht, wobei der Grund für die selbstwahrgenommene Isolation des LIchs im Dunkeln bleibt, also vielleicht auch hierin die Ursache liegen könnte.
Ich habe mit der Setzung Schwierigkeiten, weil ich nicht sehen kann, dass sie über die Worte hinaus Neues birgt. So stört sie mich eher, hindert mich, den Inhalt aufzunehmen und wirken zu lassen.

Genau das war meine Befürchtung, weil es mir selbst oft so geht, dass ich durch die Setzung eher irritiert bin. Aber dieser Text sollte irritieren, vielleicht auch optisch.
@Mucki
dein Gedicht "unbezähmbar" und die Kommentare dazu haben mich sehr beschäftigt und sind wohl in diesen Text eingeflossen.
Die nassen Hände beziehen sich, wie Leonie es deutet auf die Eiszapfen. Aber es ist sicher auch möglich sie auf deine Art zu lesen.

Was mir wichtig war, ist das Zwiegespaltene des Ich, das scheinbar normale Leben draußen und das Gefangen sein in sich, in der eigenen Welt.

Es sind eindringliche, nervenaufreibende, aufwühlende Zeilen, die durch die Setzung noch verstärkt werden.


Das war genau, was ich versuchte und mir nicht sicher war, ob es gelingen kann.

Vielen dank noch mal euch allen für eure Kommentare!

liebe Grüße smile

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 19.05.2007, 18:48

Hallo nochmal Leonie,
ich hatte deinen Einwand bezüglich der "reflektierenden Zeile" vergessen.
zwischen Beengung und Verlorensein

Ich weiß nicht, vermutlich hast du recht. Ich werde darüber nachdenken, ob ich darauf verzichten kann. Das fällt mir meist nicht leicht, meine Interpretation nicht hineinzuschreiben.
Die fehlenden Leerzeichen sollen die innere Unruhe deutlich machen und die Beengung.

So, ich hoffe, jetzt habe ich nicht noch etwas übersehen.

liebe Grüße smile

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.05.2007, 21:45

Hallo smile,

dein Gedicht "unbezähmbar" und die Kommentare dazu haben mich sehr beschäftigt und sind wohl in diesen Text eingeflossen.


Da freu ich mich, dass dich "unbezähmbar" inspiriert hat,-)

Zitat:Es sind eindringliche, nervenaufreibende, aufwühlende Zeilen, die durch die Setzung noch verstärkt werden.


Das war genau, was ich versuchte und mir nicht sicher war, ob es gelingen kann.


Also, für mich ist dir das sehr gut gelungen!
Saludos
Mucki

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 16.06.2007, 09:50

guten morgen smile,
sehr ausdrucksstark, gut akzentuiert, obwohl ich mit den hervorgehobenen satzteilen und worten hadere. auf der anderen seite spiegeln sie die unruhe der prot. wieder. solche "zwischenräume" sind beklemmend. man fühlt sich bedroht und als person feinnervig - der raum wird zur zweiten haut - die stimmung darin ist faßbar, die zeit wird plastisch.
puh! ich glaube, ich würde erstmal ein kaltes bier trinken, oder besser zwei, wenn ich in einer solchen stimmung bin.
ich finde deinen "versuch" sehr gelungen.

chiquita

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 16.06.2007, 13:50

Hallo Chiquita,
danke für deinen Komm..
ich finde deinen "versuch" sehr gelungen.

Das freut mich. (Du scheinst eindeutig meine schwere Kost zu bevorzugen.)
liebe Grüße smile


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