in der sache vorbei

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Klara
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Beitragvon Klara » 14.05.2007, 15:02

in der Sache vorbei
Zuletzt geändert von Klara am 31.10.2016, 15:47, insgesamt 2-mal geändert.

Louisa

Beitragvon Louisa » 15.05.2007, 11:47

Hallo Klara!

Beim Titel musste ich erst einmal stutzen, denn Ikarus verband ich eigentlich mit der jungen Sagengestalt, dem die Flügel abschmelzen, weil er zu größenwahnsinnig an die Sonne heran flog. Aber das "Netz" bringe ich mit Fischen in Verbindung... Ich grüble noch, wie das zu deuten ist.

Die erste Strophe finde ich etwas verschwommen und unkonkret. Mir gefallen die "lauter Worte in den Nächten" sehr, aber ich wünsche mir, dass etwas Bestimmtes damit geschieht.
Sind die Worte "ungehörig" ? Das verstehe ich nicht ganz. Denn "ungehörig" wäre ja so etwas wie "taktlos". Meinst Du "ungehört" ?

"Reine Nähe" kann ich nun auch gar nicht in diesen Wort-Kontext einflechten... Ich weiß nicht wo die Verbindung liegt. Vielleicht kann man diese noch etwas deutlicher aufzeigen!?
Oder sollen diese Zeilen gar keine Verbindung zueinander haben? Dafür finde ich sie aber zu allgemein in der Wortwahl. Bis auf eben dieses hier:

lauter worte
in den nächten


Damit könnte man noch mehr schaffen, glaube ich.

Nun folgen drei Adjektive hintereinander und ich frage mich auch hier wieder, was eigentlich der Punkt ist. Sind die "Schreie" gemeint? Die leisen, die einsamen, die alten? Wieso so viele gute Adjektive auf einem Haufen :smile:?
Ich finde eines davon für die Schreie hätte eine viel stärkere Wirkung. So bleibe ich wieder etwas verwirrt, aber das wird mein Fehler sein.

So ganz klar ist mir auch noch nicht, weshalb die Schreie "etwas besser wüssten", aber vielleicht kann man das ja mit Ikarus in Verbindung bringen, dem das Schreien nichts mehr nützt. Vielleicht ist damit die Ausweglosigkeit, die Sinnlosigkeit des Schreiens gemeint.

Jetzt wird es plötzlich sehr konkret und diese Stellen gefallen mir auch am Besten (von mir aus hätte man hier mit dem Gedicht beginnen können...) !!!

und wie perlen
aufgereihte wünsche
glänzend um die hälse legen
auch am tag

all die finger
all die gesten -
ohne hand!
die fragen:
„spinne oder fliege?“ -
nur ein großes gottloses gebet:


Super ist das!!! Nur diese Frage "Spinne oder...?" müsste ich noch deuten können. Puh, gerade fällt mir dazu gar nichts ein. Nur: Der Ikarus ist ja im Netz und langsam scheint es mir, als sei es aus seiner Perspektive geschrieben. Also vielleicht ist die Frage "Spinne oder Fliege?" auf sein "Gefängnis-Mahl" bezogen? Aber das ist sehr weit hergeholt.
Das "große gottlose Gebet" finde ich auch wieder unglaublich gelungen!!!

lieber Andrer
gehst du mit mir
ungeerdet auf empfang?

lass mich!
nicht!
allein…


Mm.... der "Andere" ...ist das eine Anspielung auf Borchert? Aber der "Andere" an sich kann ja auch nur ein Gegenüber, ein Mitmensch sein, der die Befreiung oder Erlösung verspricht. Auch über "ungeerdet" muss ich noch viel nachdenken... (Was vielleicht nicht schadet...)-
"Ungeerdet" hört sich für mich so ein bisschen an wie "Lebendig", weil ich "geerdet" mit Erde und Grab zusammen bringe.... :spin2:

"Lass mich nicht allein" hat man natürlich schon oft gelesen, aber ich sehe mal darüber hinweg, weil mich das Folgende so beeindruckt :smile: .

jedes lächeln weint
und jeder streit ein wurfversuch

ein sprung –

ins nichts –


-Der Streit als "Wurfversuch" gefällt mir. Sollte man dies auch wieder mit Ikarus in Verbindung bringen? Das man also den anderen irgendwo hinunter wirft?

und doppelbödig
bleibt doch jedes wort
ein sturz
und eine bitte
ohne netz


Ah, jetzt verstehe ich das Netz im Titel :smile: ! Aber wenn es kein Netz gibt, wieso steht dann im Titel "im Netz" ??

Jetzt werden auch die Worte näher beschrieben und ich finde "doppelbödig" sehr schön gewählt.
Schön ist auch die Vorstellung Ikarus könnte überhaupt in ein Netz am Himmel fallen.

Das ist für mich ein Gedicht über eine ausweglose, einsame Lage, in der kein Gebet und kein Wort mehr einen Fluchtweg eröffnen würden. Nur der "Andere" bleibt hier die Hoffnung.

Mehr kann ich momentan noch nicht hinein interpretieren, aber mir gefällt das Gedicht trotz der vielen Rätsel in meinem Kopf sehr gut!

Vielleicht konntest Du etwas damit anfangen!

Liebe Grüße!
l

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leonie
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Beitragvon leonie » 15.05.2007, 12:07

Liebe Klara,

ich lese "Im Netz" als "Im Internet".
Wo die Nähe zu anderen ja keine echte ist und das beflügelnde daran trügerisch ist.
Das Perlenbild finde ich sehr sehr schön.
Aber das "spinne oder fliege" ? versteh ich nicht (das Insekten-Wortspiel schon, aber inhaltlich).

Ich wäre froh über einen kleinen Interpretationshinweis...

Liebe Grüße

leonie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.05.2007, 12:25

Hallo Leonie,
"spinne oder fliege" hatte ich so gelesen, fressen oder gefressen werden. Der Angreifer oder der Angegriffene. Vielleicht weil man nie genau weiß, auf welcher Seite man sich bei der verbalen und dazu noch digitalen Kommunikation gerade befindet. Aber warum "fragen" Mehrzahl, das ist doch nur eine Frage, oder? Beim Rest des Gedichtes sind bei mir auch noch viele Fragen offen, z.B. warum Finger und Gesten ohne Hand?
(ungeerdet hieß für mich, dass Risiko in Kauf nehmen, dass der Strom (Gefühle, Gedanken...) durch einen hindurchfließt.)

gespannte Grüße was Klara meint

smile

Louisa

Beitragvon Louisa » 15.05.2007, 12:56

Mensch, wie konnte ich so dumm sein :smile: !

Natürlich das Internet! Natürlich die Fressfeinde!

Danke ihr beiden Damen :blumen: !

Klara
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Beitragvon Klara » 15.05.2007, 13:42

Dank euch rasch!
Ich antworte gleich noch.

Vielleicht versteht man noch mehr (oder weniger?), wenn man den Text hört?
http://www.blauersalon.net/online-liter ... php?t=5404

Bis später
Klara

Klara
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Beitragvon Klara » 15.05.2007, 15:22

So, jetzt nochmal ausführlicher:

Louisa, ich hab mich sehr gefreut über deinen langen Beitrag, der sich redlich um Verständnis bemüht, und dabei so viele tolle Sachen entdeckt! - es tut mir Leid. Es sollte gar nicht so rätselig sein. Seltsam auch, kommt mir selbst doch alles so klar vor...

- womit wir beim Text wären ,-)

Smile, du hast genau richtig gelesen in Bezug auf Spinnen und Fliegen (auch spinnen und fliegen soll entfernt anklingen.) Fragen steht in der Mehrzahl, weil sie sich immer wieder neu stellen - nicht nur bei jedem Netz-Kontakt mit einem neuen Nick, sondern auch bei jedem neuen Netz-Kontakt mit einem "bekannten" Nick. Außerdem könnte der Bezug auch der eines Relativsatzes sein: finger und gesten, die fragen (...)

Leonie, vielleicht ist die Nähe doch "echt" (oder jedenfalls kann man das nicht ausschließen), aber unvollständig. Paul Ost hatte vor kurzem so einen tollen Text zum selben Thema geschrieben (Ferne), der das Thema Fernkommunikation streifte. Und vielleicht ist das Trügerische das Beflügelnde? Die Ungewissheit? Die Selbst-Überschätzung im Nichts?

Der Text ist Gerda gewidmet, angeregt von ihrem Text "Von der Einsamkeit der kommunizierten Nähe". http://www.blauersalon.net/online-liter ... php?t=5182

Aber wenn man ohne den Web-Bezug natürlich völlig im Regen steht, klappt das wohl nicht so ganz... °grummel° spinning around...

Herzlich
Klara

Gast

Beitragvon Gast » 18.05.2007, 13:36

Liebe Klara,

dass ich erst heute dazu komme dazu etwas zu schreiben, obwohl ich vor Tagen bereits in der HörBar etwas zur Lesung des Textes geschrieben habe, darf dich nicht bitte nicht wundern und die Widmung, ja, die habe ich tatsächlich erst heute gelesen.
Verstanden habe ich den Text allerdings auch ohne sie.
Ich dachte beim ersten Lesen sofort, dass du Bezug nimmst und zwar, nicht erst bei Netz.

Das ist aber auch ein Thema!!! ... Wenn man Gegenwartslyrik schreibt, ich meine es gehört unbedingt beschrieben.

Falls man sich für eine Widmung bedankt, so danke ich herzlich dafür, wichtiger scheint mir aber, dass ich mich sehr darüber freue, dich zu einem solchen Text angeregt zu haben. (Ich setze gleich auch mal einen Link bei meinem Text).

Ich finde, du hast die Emotionen, die du in meinem Text vermisst, mit Erfolg in deinen Text hineingenommen.(Übrigens habe ich gestern schon versucht auf deine + arams Besprechung, der „einsamkeit kommunizierter nähe“, eine angemessene Antwort zu schreiben und kann diese, endlich, da der Entwurf gespeichert ist, auch gleich mal absenden).
Dein Text ist weicher, lyrischer, anders eben und ich finde ihn gut, ihn ein wenig, wie die Weiterentwicklung meiner Gerdanken, auf verstärkt lyrischer Ebene, eine Steigerung möglicherweise, die sich für dich zwangsläufig ergeben hat.
Der Gedanke des Fliegen-Könnens naheliegend und ich finde durchaus passend von dir gewählt. So wird das Reizthema ;-) m. M. gut verankert im Bezug auf die Unmöglichkeit von Ikarus' Flugversuchen. Das schmelzende Wachs steht für die Einbildung von Nähe und ist genauso selbstzerstörerisch.

Mit diesem Teil
Klara hat geschrieben: „spinne oder fliege?“ -
nur ein großes gottloses gebet:


hatte ich zunächst das Problem, dass es mir ein wenig weit hergeholt erschien., Doch nun habe ich beim nochmaligen Befassen den Bogen raus. Netz/ Spinne - Ikarus/Fliege/ Gedankenflug.
Bleibt das gottlose Gebet, was mir floskelhaft rüberkommt, eigentlich (für mich) überflüssig.

Ich mag nichts finden, was ich ändern würde. :daumen:

Liebe Grüße
Gerda

Achso, die Kommentare habe ich nicht gelesen ... mach' ich gleich.

Klara
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Beitragvon Klara » 21.05.2007, 20:30

Hallo Gerda,

danke für deine ausführliche Stellungnahme!

Jetzt antworte ich endlich (Hände tun grad nur ein bisschen weh, und sie konnten sich ja auch nicht dagegen wehren, ein neues Gedicht zus schreiben, das mir unterwegs einfiel...)

Das mit der Widmung... - ich hatte vor einiger Zeit einmal Aram einen Text gewidmet und glaube, er weiß immer noch nichts davon ,-)
Ist okay so.
Gottes Wege sind gewunden °g°

Ich freue mich, dass du den Bezug zu deinem Text gespürt hast (vielleicht sollte ich die Widmung in den Titel nehmen).

Falls man sich für eine Widmung bedankt, so danke ich herzlich dafür, wichtiger scheint mir aber, dass ich mich sehr darüber freue, dich zu einem solchen Text angeregt zu haben.

Ich glaube nicht, dass man sich bedankt...

eine Steigerung möglicherweise, die sich für dich zwangsläufig ergeben hat.

Ja.
Der Gedanke des Fliegen-Könnens naheliegend und ich finde durchaus passend von dir gewählt.

Vielleicht eher Nicht-Fliegen-Können bzw. Falscheinschätzen von Nähe und Distanz und eigenen Kräften... Auflehnung auch. Gegen die Sonne. Gegen die Worte (des Vaters, Dädalus) im Hintergrund.

Das schmelzende Wachs steht für die Einbildung von Nähe und ist genauso selbstzerstörerisch.

Ich weiß nicht, ob es so ist, ich meine: selbstzerstörerisch. Ist die Einbildung von Nähe selbstzerstörerisch - oder nicht viel mehr ein Selbst-schutz? Nichts steht für etwas, sondern Ikarus fliegt umher und stürzt, wie er das seit Menschengedenken getan hat, egal welche technischen Neuerungen (Internet) es geben mag. Aber diese technischen Neuerungen ermöglichen eben ganz neue Risiken zu Flügen und Fluchten.
Bleibt das gottlose Gebet, was mir floskelhaft rüberkommt, eigentlich (für mich) überflüssig.

Naja, ein Gebet ist ja im Grunde - eine Floskel... (unter Anderem)

Dank dir und Grüße
Klara

Gast

Beitragvon Gast » 22.05.2007, 00:13

Liebe Klara,

danke für deine Antwort, ich denke, dass dein Text auch ohne näheren Hinweis im Titel funktioniert.
Man darf halt nich so eng in Beziehungesgflechten denken ... ;-)
Das Gedicht wird sicher auch davon unabhängig verstanden, einfach mal austesten.

Klara hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob es so ist, ich meine: selbstzerstörerisch. Ist die Einbildung von Nähe selbstzerstörerisch - oder nicht viel mehr ein Selbst-schutz? Nichts steht für etwas, sondern Ikarus fliegt umher und stürzt, wie er das seit Menschengedenken getan hat, egal welche technischen Neuerungen (Internet) es geben mag. Aber diese technischen Neuerungen ermöglichen eben ganz neue Risiken zu Flügen und Fluchten.


Das ist interessant, was du zum Selbstschutz/Selbstzerstörung schreibst.
Da komme ich noch einmal drauf zurück, jedenfalls hast du mir eine zweite Sichtweise gezeigt.

Nachtgrüße
Gerda

Hoffentlich schonst du deine Handgelenke noch genügend, weiter gute Besserung.


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