Jubrique

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Scal

Beitragvon Scal » 12.05.2007, 17:57

Mein Täglichsein
durchwandert Gassen

An einer Wand
schwimmt weißes Licht

Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt

und warte auf Wunder
Ein Adler zieht Kreise

der Blick einer Katze
verändert den Traum


_


Im Sommer 05 verbrachte ich einige Wochen in einem abgelegenen andalusischen Bergdorf, notierte Eindrücke. Die Notate regen mich dazu an, sie zu überarbeiten. Hier ein (fertiges ?) Ergebnis als Beispiel.

_


Zweite Version (nach dem Hinweis von Peter)


Mein Täglichsein
durchwandert Gassen

An einer Wand
schwimmt weißes Licht

Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt

Der Blick einer Katze
verändert den Traum
Zuletzt geändert von Scal am 20.05.2007, 19:49, insgesamt 2-mal geändert.

Sabine

Beitragvon Sabine » 12.05.2007, 20:22

Hallo Scalidoro,

mir gefällt dieses Gedicht, weil es mich für einen Moment in eine andere Welt zu versetzen mag. Es strahlt in seiner Schlichtheit genau die Ruhe aus, die in diesen Bergdörfern wohnt. Es geschieht dort nicht viel am Tag, die Jugend ist längst in die Städte gezogen und die alten Menschen sitzen vor den Häusern und erzählen von ihrem Leben. So zumindest habe ich es auf Kreta vielfach gesehen und erlebt. Ein Stilleben, welches uns Beobachter und Besucher fasziniert und berührt, für die Bewohner aber raue Wirklichkeit ist.

LG und herzlich Willkommen
Sabine

Peter

Beitragvon Peter » 12.05.2007, 20:26

Lieber Scal,

dein Gedicht bewegt sich auf einer schwierigen Schwelle; ich glaube es ist die, äußere Bilder einzufangen, ohne sie letztlich zu verweben. Mir ist es, als gäbe es hinter jedem deiner Bilder nur eine vage Schicht; eine innere Verwurzelung ist kaum abzulesen. Damit will ich sagen: Deine Zeilen sparen etwas aus, eine eigentliche Dimension, einen eigenen Beweggrund..., und trotzdem, und das gefällt mir sehr, wird etwas erzählt, es geht etwas auf zwischen den Bildern.

Die schwierige Schwelle ist vielleicht so etwas wie ein Gleichmaß, ein Gleichgewicht. Man stellt etwas auf, ganz frei, es lehnt sich nirgends an, und es soll so stehen bleiben, weder soll es auf die eine Seite sinken noch auf die andere; weder soll es zu subjektiv sein, noch zu objektiv.

Wenn ich das richtig sehe, gelingt das deinem Gedicht. Nur hier zum Beispiel:

Ein Adler zieht Kreise


ist mir ein Allgemeines, Objektives zusehr vorhanden.

An dieser Stelle:

Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt

und warte auf Wunder


würde ich sagen, dass die Vorspeise nach der Hauptspeise kommt! Das Bild der Sagenerfüllten Verstecke (wenn auch nur gesucht) ist für mich schon so reich, dass ich hier keine Wunder mehr brauche.

Liebe Grüße,
Peter

Scal

Beitragvon Scal » 12.05.2007, 21:36

Vielen Dank Sabine,

ja, bei diesen Reisen sickern solche Bilder mit ihrer besonderen Atmosphäre ins Empfinden hinein. Ich kenne Vergleichbares auch durch Wanderungen in Südkreta.

Lieben Gruß
Scal

_

Danke Peter,

was du sagst ist interessant und hilfreich - und sehr schön formuliert zudem. So wie ich es momentan empfinde, erscheint mir auch dein Hinweis auf die Zeilen mit dem Wunder und dem Adler recht "stimmig".

Ich werde - in der Zweitversion - diese Zeilen weglassen.

Lieben Gruß
Scal

Scal

Beitragvon Scal » 12.05.2007, 21:44

Zweite Version (nach dem Hinweis von Peter) - inzwischen oben
Zuletzt geändert von Scal am 13.05.2007, 10:17, insgesamt 1-mal geändert.

Sabine

Beitragvon Sabine » 12.05.2007, 22:02

Mir gefällt die erste Version besser, Scalidoro.
Warum? Weil mich gerade das Warten auf Wunder so sehr mit der Ruhe dieser Dörfer verbindet. Die überwiegend alten Menschen dort sitzen Tag ein Tag aus vor ihren Häusern oder in den Cafes und warten auf ein Wunder, das ihr Fleckchen Heimta vor der Agonie bewahrt.
Und den Adler als kreisenden Beobachter von oben möchte ich auch nicht missen in dem Bild.
So unterschiedlich sind die Gedanken und Eindrücke, die dein Text hinterläßt.

Dir einen schönen Abend
wünscht
Sabine :smile:

Scal

Beitragvon Scal » 12.05.2007, 22:10

Das ist wohl oft so bei Gedichten, dieses Gefühl: "andererseits" ...Und man kommt ins Schwanken...
:confused:
Danke nochmals, schönen Abend auch Dir.
Scal

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.05.2007, 22:13

Hallo Scal,
für mich ist die zweite Version in sich stimmiger. Ich hätte mir nur vielleicht mehr Verknüpfungen zwischen den einzelnen Bilder gewünscht, eine Geschichte, so sind es Einzeleindrücke, wie Photographien.
Hier mal ein Versuch, damit du weißt, was ich meine:

Während mein Täglichsein
die Gassen durchwandert

schwimmt weißes Licht
an einer Wand

Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt

Da begegnet mir
der Blick einer Katze

Er verändert den Traum

liebe Grüße smile

Louisa

Beitragvon Louisa » 12.05.2007, 22:55

Hallo Scalidoro!

Ich finde Deinen Stil sehr schön und mag einsame, andalusische Dörer sehr gern :wub: ... Auch gefällt mir sehr, dass Du bereit bist die Gedichte zu perfektionieren ;-) ...

Ich finde wie meine Vorredner Peter und Smile ebenfalls, dass der Adler, der Kreise zieht und die Wunder zu klischeehaft und verbraucht sind.

Der Rest allerdings, besonders die verbunden Zeilen, bis zu diesem Abschnitt:

Während mein Täglichsein
die Gassen durchwandert

schwimmt weißes Licht
an einer Wand

Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt


...gefallen mir eigentlich ganz gut!

Dein Ende würde ich dennoch favorisieren, weil sowohl der Blick der Katze ein inhaltlicher Bruch, aber auch der neue Satz ein sprachlicher Schnitt sein können.
Das gefiele mir sehr gut.

Also in diesem Sinne:

Während mein Täglichsein
die Gassen durchwandert

schwimmt weißes Licht
an einer Wand

Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt

Der Blick einer Katze
verändert den Traum


Ach ja, wieso im Titel ein Punkt und kein Komma?

Sonst ein schöner Urlaubstraum... Ich frage mich nur noch: Was ist mit "Täglichsein" gemeint? Der Alltag? Das Dasein?

(Für "Verstecke" würde ich überdies etwas Konkretes verwenden. Eine Höhle, Häuser, Museen, Brunnen, Frauenaugen :smile: , Bilder... Irgendetwas Sichtbares!)

Ein gutes Gedicht dennoch!

Liebe Grüße!
l.

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Beitragvon leonie » 12.05.2007, 23:04

Lieber scal,

Dein Einstandsgedicht mag ich, es weckt Bilder in mir, obwohl ich selbst noch nie in Andalusien war. Dieses "Freistehende" finde ich auch gelungen.
Nur am Anfang muss ich einen Moment überlegen, bevor sich das Bild einstellt. "Mein Täglichsein" empfinde ich als recht "abstrakt".

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Du die geänderte Version oben mit ins Eingangsposting schreibst (geht über "edit"), dann muss man sich nicht jedes Mal durch den ganzen thread wurschtel, um die neue(n) Versionen aufzuspüren.

Bin gespannt auf mehr von Dir!

Liebe Grüße
leonie

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Beitragvon noel » 12.05.2007, 23:27

ola scalidoro

auch ohne deine erKlärende fussnote
hätten die bilder in ein heißes, flirrendes dorf
im süden entführt
in denen die winkel die gestrigen strophen der bewohner noch säuseln
auch die katze
die abrundet
den text weil sie bekundet
ihr blick
man ist im hier & jetzt

rund, gut gelungen
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 13.05.2007, 00:00

Hallo Scal,

Ich war auch in den Bergdörfern Andalusiens unterwegs und du triffst die Stimmung für mich punktgenau!

Ein bisschen Verbindung täte den Strophen wahrscheinlich gut, damit die Bilder ineinander fließen?
Mir gefällt der Inhalt der 2. Fassung besser ohne Wunder und Adler.

Aber ich mag das Täglichsein gern. Tag für Tag dort sein.

Sehr gern gelesen,
Elsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.05.2007, 02:04

Hallo Scal,

ein schönes Einstiegsgedicht hast du uns hier vorgestellt,-)
Mir gefallen diese kurzen "Blitzlichter" und dass eben kein Zusammenhang besteht. Dadurch entstehen beim Lesen viele Bilder und man taucht genau in diese beobachtende Stimmung des LIs ein. Für den Adler würde ich einen anderen Vogel wählen, einen, der nicht so oft in Gedichten bemüht wird. Vielleicht gibt es einen Vogel, der gerade in Andalusien vorherrscht?

Hier:

Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt

und warte auf Wunder


würde ich auf die Sagen verzichten, aber die Wunder lassen, vielleicht so:

Ich suche Verstecke
und warte auf Wunder


Sehr gern gelesen,-)
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 13.05.2007, 07:43

Hallo Scal,

ich bin bei Lyrik eigentlich eher zurückhaltend (weil wenig kompetent), aber da ich selbst einige Jahre in Andalusien gewohnt habe, würde ich gerne etwas zu deinen Zeilen zu sagen (zur ersten Version, die ich für besser halte):

Dein Gedicht ist authentisch, mit allem Postiven und Negativen, das dieses Wort beinhaltet.

Mein Täglichsein
durchwandert Gassen

Täglichsein, eine gute Wortschöpfung, die gut das Getrenntsein vom Normalen ausdrückt. Man hat sich frei gemacht von irgendwelchen Verpflichtungen, muß nichts für Morgen oder Übermorgen planen. Man ist täglich, lebt in den Tag hinein, lässt alles zu, was der Tag zu bieten hat. Nutzt diese Zeit, um durch die Gassen des Dorfes zu wandern.

schwimmt weißes Licht
an einer Wand

Jaa, dieses Weiß. Vermittelt den Eindruck von der Unveränderlichkeit der Idylle, in der man meint sich zu bewegen. Rein, klar, ungeschminkt.


Ich suche Verstecke
mit Sagen gefüllt

und warte auf Wunder
Ein Adler zieht Kreise

Die Konfrontation mit dem Andersartigen, Fremden. Gerade in Andalusien hat man das Gefühl, der Geschichte bei jedem Schritt irgendwie in die Arme zu laufen. Verstärkt noch durch das halborientalische Flair, das sich nach all den Jahrhunderten noch nicht verflüchtigt hat. Dies hebt einen aus dem eigenen Leben heraus, sodass man tatsächlich damit rechnet, es könnten Wunder passieren - weil man das Gefühl hat, an diesem Ort zu sein, sei schon ein Wunder.
Dazu noch der Adler, weniger als Vogel sondern eher als mythisches Wesen.

der Blick einer Katze
verändert den Traum

Hier bremst das Gedicht, kommt sozusagen wieder auf den Boden. Wie genau, kann ich nicht sagen. Entweder erinnert der Anblick der Katze den Betrachter an zuhause, generiert also soetwas wie Heimweh. Oder es ist ein sehr realistischer Einschub und der Anblick der Katze ernüchtert. Da die Katzen an solchen Orten nicht selten erbärmlich aussehen.

Dein Gedicht gibt, meiner Meinung nach, Eindrücke eines Reisenden/Urlaubers sehr gut wieder. Was mir allerdings fehlt, ist das Spezifische. Diese Zeilen könntest du auch über irgendein Dorf in Griechenland/Italien/Türkei etc. schreiben. Es bleibt, von den Eindrücken, die du schilderst, zu sehr an der Oberfläche. Wenn du einige Wochen in dem Dorf verbracht hast, müsste es doch Eindrücke gegeben haben, die tiefer gehen, oder? Aber vielleicht war das ja gar nicht deine Absicht.

Liebe Grüße

Sam


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