Verluste

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Herby

Beitragvon Herby » 24.04.2007, 22:10

Verluste (2. Version)

Nicht gerade von großem Wuchs, bin ich, wie mir in wehmütigen Momenten wie diesem deucht, dennoch der Größten einer – und zwar im Verlieren. *

Es begann schon recht früh in einem Alter, in dem ich, der Windel längst entronnen, stolz war auf meine eigene „Geschäftsfähigkeit“, als ich meine Milchzähne verlor und mein entwaffnendes Lächeln plötzlich Lücken bekam. Meine Schulzeit zog sich dann, besonders auf dem Gumminasium, so dass mir gleich mehrfach die Lust am Lernen abhanden kam. Dies war offenbar von infektiöser Wirkung, denn meine leidgeprüfte Mutter sowie diverse Glieder des Lehrkörpers, die erzieherisch an mir hingen, verloren ihrerseits die Geduld mit mir. Ich bestand zwar das Abitur, doch waren auch meine folgenden Studien von Verlusten geprägt, da ich vorübergehend meine Ziele aus den Augen verlor. Nachdem ich dennoch meine Examina erfolgreich hinter mich gebracht und in der Folgezeit einen gewissen Ernst kennen gelernt hatte (den des Berufslebens nämlich ), nahm mit der Zahl meiner Jahre und Kilogramm auch die Liste der Dinge zu, die ich liegen, stehen, fallen oder hängen ließ. Hierbei handelte es sich bevorzugt um Feuerzeuge, Jacken, Schirme, Kugelschreiber, Schlüsselbunde – und Plomben. Der Verlust Letzterer schmerzte mich jedes Mal besonders, wie Sie vielleicht verstehen werden. Erstaunlicherweise verlor ich nur eine einzige Brille, das aber machte mich fassungslos.* Frönte ich dem Spiele, so bereitete mir dies wenig Spaß, meinen Mitspielern dafür umso mehr, denn entweder hatte ich die falschen Karten oder *die Würfel waren gegen mich und drückten kaum einmal eines ihrer Augen zu, wovon jeder bekanntlich immerhin 21 hat. Das Ergebnis war, dass ich mich durch besonders häufige Gefängnisaufenthalte daran gehindert sah, so einträgliche Straßenzüge wie die Parkstraße oder die Schlossallee* zu erwerben.

Als mein Leben dann seinen unaufhaltsamen Lauf nahm, verlor ich einige Freunde* sowie bei einigen Weltnachrichten sporadisch den Glauben an Gott und die Menschheit. Mehr als einmal ging ich des Zeitgefühls verlustig, wenn mich in einem Buchgeschäft ein Druckerzeugnis in seine Seiten zog und mich erst der vorwurfsvolle Satz: „Wir schließen jetzt!“ daran erinnerte, dass in Deutschland die Geschäfte noch nicht rund um die Uhr geöffnet haben. Besonders gefährlich war es, schenkte ich einer Oper mein geneigtes Ohr, und als freigebiger Mensch tat ich das oft und gerne. Dort konnte es passieren, dass ich mich in den voluminösen Koloraturen der ebensolchen Sopranette gar selbst verlor. Erst der donnernde Szenenapplaus des enthusiasmierten Auditoriums beschleunigte anschließend den beschwerlichen Prozess der Selbstfindung.

Konnte ich in der Vergangenheit die beschriebenen Verlustsituationen noch getrost als singuläre Ereignisse betrachten, so falle ich nun aus dieser sicheren Wiege heraus, denn mittlerweile verliere ich nicht nur tag-, sondern täglich etwas: meine Haare! Nicht, dass ich sie nicht wieder fände, nein, *denn anstatt mein Haupt zu zieren, verleihen sie jetzt allmorgendlich den Bürstenborsten mehr Fülle, was mich dann doch etwas borstig macht. Und jeder noch so teure Einfall war ein Reinfall und bewahrte mich nicht mal um Haaresbreite vor dem Ausfall.

Aber das Schlimmste kommt ja noch. Freunde haben mich oft als Barockmenschen bezeichnet, der - zwar temperamentvollen Geblüts, aber entschieden heiteren, da rheinischen Gemüts – allen Sinnenfreuden zugeneigt ist. Vermutlich werden sie über kurz oder lang ihr Urteil revidieren müssen, finde doch ausgerechnet ich neuerdings immer häufiger ein Haar in der Suppe! Und diese werde ich in Zukunft gezwungenermaßen wohl öfter auslöffeln müssen, wenn nämlich meine Zähne dem Vorbild der Haare und damit dem Lauf der Natur folgen. Na Mahlzeit!

Ich kann nur hoffen, dass sich wenigstens die mir attestierte rheinische Frohnatur so lange als verlustresistent erweist, bis ich dann eines Tages den Suppenlöffel abgebe.*

* Ergänzte bzw. überarbeitete Passagen sind farblich abgesetzt, Sprachliche Korrekturen mit * gekennzeichnet. Die Änderungen erfolgten aufgrund Lisas Anregungen in ihrem Kommentar. Danke dafür! Leonie und Max bin ich dankbar für ihre Hinweise auf Wortwiederholungen und falsche Straßennamen


Ursprüngliche Version

Verluste

Nicht gerade von großem Wuchs, bin ich, wie mir in wehmütigen Momenten wie diesem deucht, dennoch der Größten einer – und zwar im Verlieren.
Es begann schon recht früh in einem Alter, in dem ich, der Windel längst entronnen, stolz war auf meine eigene „Geschäftsfähigkeit“, als ich meine Milchzähne verlor und mein entwaffnendes Lächeln plötzlich Lücken bekam. Meine Schulzeit zog sich dann, besonders auf dem Gumminasium, so dass mir gleich mehrfach kurzfristig die Lust am Lernen abhanden kam. Dies war offenbar von infektiöser Wirkung, denn meine leidgeprüfte Mutter sowie diverse Glieder des Lehrkörpers, die erzieherisch an mir hingen, verloren ihrerseits die Geduld mit mir. Ich bestand zwar das Abitur, doch waren auch meine folgenden Studien von Verlusten geprägt, da ich vorübergehend meine Ziele aus den Augen verlor. Trotzdem absolvierte ich alle Examina erfolgreich, musste jedoch bald ernüchtert feststellen, dass auch sie nicht vor Rückschlägen schützten, denn im Mannesalter folgten in bunter Reihe, jedoch zum Glück meist ohne Folgen, bevorzugt Feuerzeuge, Kugelschreiber, Schlüsselbunde – und Plomben, deren Verlust mich allerdings besonders schmerzte, wie Sie vielleicht verstehen werden. Frönte ich dem Spiele, so bereitete mir dies wenig Spaß, meinen Mitspielern dafür umso mehr, denn entweder hatte ich die falschen Karten oder der Würfel war gegen mich und drückte kaum einmal eines seiner Augen zu, wovon er bekanntlich immerhin 21 hat. Das Ergebnis war, dass ich mich durch besonders häufige Gefängnisaufenthalte daran gehindert sah, so einträgliche Straßenzüge wie die Parkallee oder die Schlossstraße zu erwerben.

Als mein Leben dann seinen unaufhaltsamen Lauf nahm, verlor ich Freunde aus den Augen sowie bei einigen Weltnachrichten sporadisch den Glauben an Gott und die Menschheit. Mehr als einmal ging ich des Zeitgefühls verlustig, wenn mich in einem Buchgeschäft ein Druckerzeugnis in seine Seiten zog und mich erst der vorwurfsvolle Satz: „Wir schließen jetzt!“ daran erinnerte, dass in Deutschland die Geschäfte noch nicht rund um die Uhr geöffnet haben. Besonders gefährlich war es oft, schenkte ich einer Oper mein geneigtes Ohr, und als freigebiger Mensch tat ich das oft und gerne. Dort konnte es passieren, dass ich mich in den voluminösen Koloraturen der ebensolchen Sopranette gar selbst verlor. Erst der donnernde Szenenapplaus des enthusiasmierten Auditoriums beschleunigte anschließend den beschwerlichen Prozess der Selbstfindung.
Konnte ich in der Vergangenheit die beschriebenen Verlustsituationen noch getrost als singuläre Ereignisse betrachten, so falle ich nun aus dieser sicheren Wiege heraus, denn mittlerweile verliere ich nicht nur tag-, sondern täglich etwas: meine Haare! Nicht, dass ich sie nicht wieder fände, nein. Statt mein Haupt zu zieren, verleihen sie jetzt allmorgendlich den Bürstenborsten mehr Fülle, was mich dann doch etwas borstig macht. Und jeder noch so teure Einfall war ein Reinfall und bewahrte mich nicht mal um Haaresbreite vor dem Ausfall.

Aber das Schlimmste kommt ja noch. Freunde haben mich oft als Barockmenschen bezeichnet, der - zwar temperamentvollen Geblüts, aber entschieden heiteren, da rheinischen Gemüts – allen Sinnenfreuden zugeneigt ist. Vermutlich werden sie über kurz oder lang ihr Urteil revidieren müssen, finde doch ausgerechnet ich neuerdings immer häufiger ein Haar in der Suppe! Und diese werde ich in Zukunft gezwungenermaßen wohl öfter auslöffeln müssen, wenn nämlich meine Zähne dem Vorbild der Haare und damit dem Lauf der Natur folgen. Na Mahlzeit!

Ich kann nur hoffen, dass mich dann ein gnädiges Schicksal davor bewahrt, auch noch das Wichtigste zu verlieren, was mir bisher erhalten blieb: meinen Humor.
Zuletzt geändert von Herby am 28.04.2007, 22:04, insgesamt 8-mal geändert.

Herby

Beitragvon Herby » 10.05.2007, 11:11

Lieber Hans,

mit ziemlich unziemlicher Verspätung, die ich Dich zu entschuldigen bitte, sage ich Dir herzlichen Dank für Deine Antwort und Dein Lob. Ich freue mich, dass Dir mein Text Spaß bereitet hat!
Liebe Grüße in die St. Eiermark!

Werter Tom,

habt Dank für Eure gnädige Besprechung meines Textleins. Dass es vor Euren gestrengen Augen Wohlgefallen gefunden hat, will mir wohl gefallen.
Was die von Euer Hochwohlgeboren angesprochene Textstelle betrifft, so wähnte ich sie eigentlich eine humorig - satirische Überspitzung. Sollte mich jedoch in dieser Opinion ein Irrtum äffen, so tuet es mir gnädigst zu Kund und Wissen.
Mit den besten Wünschen für Ihrer Hoheit Wohlergehen
Herby

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Beitragvon Thomas Milser » 10.05.2007, 12:09

Nun denn,

Euer spitzes Zünglein vermag mich in dieser Formel nicht recht am Ohr zu kitzeln. Wo sähe Gnädigster denn die Überzeichnung? Vielleicht genügte schon das Wörtchen 'weiteren' o.ä., um hier der semantischen Unschärfe, also der chronologischen Impossibilität Herr zu werden?

Oder sind meine Äuglein mit Wollmäusen des Unverständnisses verwoben, auf dass ich Euer Wortspiel nicht erkenne?

Unterthänigst,
Ihr treuer Diener,
Scherge Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Herby

Beitragvon Herby » 10.05.2007, 22:31

Euer Hochnothgeboren,

liegt die Überspitzung nicht gerade in der Redundanz oder in der, wie auszudrücken Ihr Euch beliebt, chronologischen Impossibilität?

Oh, ich sehe gerade, ihr seid zum Diener, unterthänigst gar, bzw. zum Schergen mutiert. Dann also: er freunde sich mit dem Wort an oder aber gewöhne sich an das Problem, das er mit selbigem hat: das Wort bleibt drin!

Heribertus locutus, causa finita ;-) :klugscheiß:

LG Herby

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Beitragvon Thomas Milser » 11.05.2007, 07:25

Mit Freuden werde ich die zwanzig Peitschenhiebe erdulden und gestärkt von dannen ziehen.

Gehabt Euch wohl,
Eure Fürstliche Redundanz von Kaisersleutern...

Das Maultier blökt schon, dann werde ich mal die Ladung Dornenbüsche ins Brandenburgische zu Ritter Aram dem Tollen karren. Die Sommerfrische muss noch warten.

Huf!!!
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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